Sie wetterte zwar in einer Rede, die sie im Rahmen des “Copenhagen Democracy Summit” hielt, gegen den Bau der längsten, beheizten Ölpipeline der Welt in Ostafrika und kokettierte mit einem terroristischen Anschlag auf diese Infrastruktur.
Aber bitte: Wer ist Luisa Neubauer? Sie gilt als die “deutsche Greta Thunberg” und ist ein verwöhnter, reicher Teenager, der im Körper einer Erwachsenen gefangen ist. Entsprechend ernst sollte man sie nehmen. Daß Beatrix von Storch gegen sie Strafanzeige erstellt hat, ist geradezu rührend und wird ebensowenig Folgen haben, wie die erwartbare “Kritik”, die nun die Runde durch die Kommentarspalten macht.
Manche Konservative scheinen geradezu entzückt über diesen “Gotcha!”-Moment zu sein. Alexander Kissler etwa schrieb in Gastkommentar für die NZZ, Neubauer habe eine “rote Linie überschritten” und sich “für jeden demokratischen Diskurs disqualifiziert”. Das ist auch schon alles, was sein müdes J’accuse hergibt. Oder glaubt er denn ernsthaft selber an seine Beschwörungen der Gefahr, die den “demokratischen Prozessen” von kleinen Mädchen mit großer Klappe dräut?
Niemand bestreitet, dass Umwelt‑, Natur- und Klimaschutz eine zentrale Herausforderung für die gesamte Menschheit sind. Nichts freilich ist für den liberalen Rechtsstaat, nichts für dessen Bürger gewonnen, wenn Gewalt als legitimes Mittel der Auseinandersetzung verstanden wird. Die Republik würde erodieren, ohne dass dem Klima geholfen wäre, sollte sich Neubauers Liebäugeln mit dem Attentat als gesellschaftsfähig durchsetzen. Hier ist die inflationär eingesetzte Warnung, den Anfängen zu wehren, einmal am Platz. (…). Es ist an der Zeit, dass die Bewegung selbst und auch ihre Sympathisanten in den Parlamenten Farbe bekennen: Wer Straftaten propagiert, der verlässt den Boden der Republik.
Daß vom matschigen “Boden der Republik” nicht mehr viel übrig ist, was noch erodieren könnte, muß ich den Lesern z. B. von Kleine-Hartlages Systemfrage wohl nicht näher erklären, und auch nicht, wer für diese Erosion verantwortlich ist – im Zweifelsfall sind es weniger Schulkinder, die sich von “Fridays for Future” angeln ließen, als Konservativendarsteller wie Kissler selbst.
“Rebellen” wie Greta Thunberg oder Luisa Neubauer sind reine Medienphänomene, die ihre Bekanntheit gezieltem Astroturfing verdanken. Das aktuelle profil (quasi der österreichische Spiegel) liefert ein weiteres Beispiel, indem es auf der Titelseite für eine brandneue “Klimaaktivistin” namens Lena Schilling (21) wirbt, Schlagzeile: “Diese Frau fordert die Mächtigen heraus” (letzteren wackeln gewiß schon die Knie). Naive Heldenfiguren für ein naives Publikum, das offenbar ein Bedürfnis hat, diese Märchen zu glauben.
Aktivisten anderer Art, deren Agenden den Medienmachern mißfallen, werden hingegen erbittert bekämpft und dämonisiert. Niemals wird das profil einen “Querdenker” oder einen Identitären als Helden, der “die Mächtigen herausfordert”, präsentieren. Wir kennen das Spiel zur Genüge: während linke Gruppierungen quasi Narrenfreiheit genießen, werden auch noch die bravsten und gesetzestreuesten rechten Gruppen von den Medien wie Terroristen oder Massenmörder in spe behandelt.
Weit entfernt davon, eine echte Opposition zu sein, haben nicht nur die radikalen Klimaschützer, sondern die Linksextremen überhaupt, egal welcher Glaubensrichtung, eine systemaffirmierende Funktion: Indem sie “radikalisieren”, was im öffentlichen “Diskurs” ohnehin Konsens ist, geben sie den Herrschenden die Möglichkeit, sich selbst als “gemäßigt”, “vernünftig” und jeglichem Extremismus abhold zu präsentieren (eine ähnliche Rolle spielen die Zero-Covid-Apostel oder die antirassistischen Ultras).
So äußerte Herr Scholz auf dem Katholikentag 2022, er fühle sich an “eine Zeit, die lange zurück liegt” erinnert, weil er zuvor von ein paar “Klima-Aktivisten” gestört worden war, worauf ihm das anwesende Publikum angeblich “brandenden Applaus” (Tichys Einblick) spendete.
Diesen Vergleich fand Luisa Neubauer außerordentlich empörend:
Luisa Neubauer wertete die Äußerung des Kanzlers als „Nazi-Vergleich“. Er relativiere damit die Nazi-Herrschaft. „Er stilisiert Klimaschutz als Ideologie mit Parallele zur NS-Herrschaft. In 2022. Jesus. Das ist so ein Skandal.“ Die Organisatoren von Fridays for Future forderten eine Entschuldigung.
Was war eigentlich geschehen? Gar Schröckliches, das wahrlich an finsterste Zeiten unserer Geschichte erinnert:
Jemand warf dem Kanzler vor, er erzähle „Schwachsinn“. Scholz wehrte sich gegen mehrere Störer, die von ihren Plätzen aufgestanden und als Aktivisten aus dem Umfeld der Klimabewegung erkennbar waren.
Das klingt nun nicht wahnsinnig “extremistisch” oder gewalttätig, und man muss schon ein ziemlich dummer Konservativer sein, wenn man den Scholzens auf den Leim geht, weil sie sich ausnahmsweise auch mal gegen linke Gruppen aussprechen. Warum sollen Scholz denn die “roten Linien” kümmern, die Neubauer nach Kissler überschritten hat, wenn er selber zu seinem Amtsantritt verkündet hat, es dürfe “keine roten Linien mehr geben”?
Damit bezog er sich zwar auf die sog. “Pandemiebekämpfung”, aber seine und Luisas Mißachtung “roter Linien” folgen beide der Logik der Ausnahmezustandes, haben also mit der Frage zu tun, welche Gefahr vorliegt, welche Mittel gegen sie angemessen sind, und wer über diese beiden Punkte entscheidet.
Jedenfalls sollte inzwischen bekannt sein, dass der BRD-Staat jeglichen Kritiker seiner diversen Agenden mit den “Nazis” vergleicht und als “Extremisten” hinstellt; hätten ihn Coronamaßnahmenkritiker oder Identitäre mit Zwischenrufen und anderen terroristischen Gräueltaten “gestört”, die den Boden der Republik verlassen, hätte Scholz den gleichen Spruch vom Stapel gelassen.
Der Verfassungsschutz hat dafür nun die Formel “verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates” gefunden. Im jüngsten VS-Bericht steht zu lesen:
Insoweit ist anzunehmen, dass über die Coronapandemie hinaus auch künftig andere gesellschaftliche Krisensituationen von Angehörigen des Phänomenbereichs dazu genutzt werden, um staatliche Stellen und politisch Verantwortliche herabzusetzen. Hier ist beispielsweise eine verstärkte Thematisierung der politischen Maßnahmen zur Bewältigung des Klimawandels durch Akteure des Phänomenbereichs in Betracht zu ziehen. Hierdurch wird einem Verlust des Vertrauens der Bevölkerung in die Funktionsfähigkeit des demokratischen Staates Vorschub geleistet.
Da kommt dem Staat eine “grüne Antifa” doch wie gerufen, denn ihr gegenüber kann er sich als der “vernünftigere” Klimaschützer inszenieren! Wir haben es im Fall Scholz vs. “Klima-Extremisten” also mit einem reinen Kasperletheater zu tun. Was bedeutet das aber für die armen Möchtegern-“Extremisten”?
Boris Kaiser hat es in der Jungen Freiheit besser gesehen als Kissler:
Der Pipeline-Bomben-Spruch von Luisa Neubauer macht deutlich: Freizeit-Guerillas von der Klimajugend haben ein Problem. Politischer Aktivismus war immer mit Abgrenzung gegenüber der Mehrheitsgesellschaft und mit dem Kampf gegen das bestehende System und seine Eliten verbunden. Das Kopfschütteln der einfachen Menschen auf der Straße, die Verärgerung der eigenen Eltern und Lehrer, der massive Gegenwind des Staates, die negative Brandmarkung durch die Presse – all das machte zu allen Zeiten vor allem für junge Rebellen den Reiz ihrer Aufsässigkeit aus.
Wie enttäuschend muß es da für eine Generation von jugendlichen Möchtegern-Revoluzzer sein, wenn ihr das Establishment jeglichen Konflikt verweigert? Ja, schlimmer noch, wenn ihr die Autoritäten nicht nur nicht entgegentreten, sondern ihr noch auf die Schulter klopfen und das Köpfchen tätscheln?
Aus dieser Perspektive wäre der “Schritt hin zur ursprünglichsten Form des Widerstands, dem Terrorismus (…) eine der letzten Möglichkeiten, sich aus der ungewollten Umarmung der ‘lauwarmen’ Klimaretter zu befreien.” Wenn die herrschenden Eliten, wie man in Davos und anderswo vernehmen kann, einen “grünen Kapitalismus” anstreben, um das Klima zu retten, dann sind die “Revoluzzer” gezwungen, eins draufzulegen und einen “grünen Sozialismus” oder gar Kommunismus einfordern.
Neubauer hat sich nicht entschuldigt und die Vorwürfe gegen ihre Person schulterzuckend abprallen lassen. Wofür sollte sie auch ein schlechtes Gewissen haben? Sie hat nichts geäußert, was nicht ohnehin schon längst im hiesigen Overton-Fenster bequemen Platz hat; und mit der “Klimagerechtigkeit” vertritt sie eine allgemein akzeptierte Agenda, deren moralische Legimität als unhinterfragbar gilt.
Auch was die Gewalt an sich angeht, können wir in letzter Zeit einen öffentlichen Diskurswandel erkennen: Die Vorstellung, daß Gewalt im Dienste einer moralisch unzweifelhaft guten Sache nicht nur erlaubt, sondern Pflicht ist, ist seit Beginn des russsisch-ukrainischen Krieges täglicher Tenor von Politik und Medien. Was gegen den “neuen Hitler” Putin recht ist, sollte gegen den ultimativen “Nazi” Klimawandel, der die ganze Menschheit holocausten will, billig sein, n’est-ce pas?
Hinzu kommt, daß Neubauer auf den Titel eines Buches anspielte, das in Deutschland im renommierten Intellektuellen- und Connaisseur-Verlag Matthes & Seitz erschienen ist: Wie man eine Pipeline in die Luft jagt des schwedischen Klima-Aktivisten Andreas Malm, Untertitel: “Kämpfen lernen in einer Welt in Flammen” (ich stelle mir gerade ein Manifest von Martin Sellner mit demselben Untertitel vor).
Das Buch aus dem Jahr 2021 wurde in Deutschland kritisch-skeptisch, insgesamt aber recht wohlwollend und respektvoll rezipiert, dies vor allem: rezipiert, nicht totgeschwiegen: im Deutschlandfunk Kultur, im SWR, in den ScienceBlogs, im Literaturmagazin Bremen, im European, Tagesspiegel und der Süddeutschen Zeitung.
Der Zeit Online gab Malm schon im Juli 2021 ein ausführliches Interview, und für den Spiegel durfte er am 22. Mai dieses Jahres gar einen “Debattenbeitrag” schreiben, eingeleitet mit folgendem Caveat der Redaktion:
Hungerstreiks, Straßenblockaden, Anschläge auf Pipelines: Teile der Klimabewegung haben sich radikalisiert. Der SPIEGEL dokumentiert die Gedankenwelt dahinter mit diesem Text.
Ted Kaczynski hat noch Bomben legen müssen (und dabei drei Menschen getötet), um den Abdruck seines Manifests “Die industrielle Gesellschaft und ihre Zukunft” zu erzwingen. Da hat es Andreas Malm wesentlich besser. Ob bloße “Dokumentation” oder nicht, die Medien haben entschieden, daß seine Pamphlete (siehe auch hier und hier) zwar etwas gewagt, aber “diskursfähig” sind, und zwar nicht nur in Deutschland, sondern auf internationaler Ebene.
Insofern ist Alexander Kissler mit seiner Sorge um den “demokratischen Diskurs” und den wankenden “Boden der Republik” nicht mehr ganz up to date.
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Um Andreas Malm wird es im 2. Teil meiner Analyse gehen.
t.gygax
Ob Ted Kaczinsky wirklich drei Leute getötet hat....das ziehe ich nach mehrfachem gründlichen Anschauen des Filmes "Das Netz", den Herr ML dankenswerterweise verlinkt hat, doch sehr in Zweifel. Es könnte ja auch sein, daß hier ein unbequemer Kritiker zum Schweigen gebracht werden musste. Das ist heutzutage nichts Neues, es passiert doch überall.