Durch Jörg Meuthens Abgang ohne Nachhall war in der Vorbereitung eines offensichtlich geworden: Meuthen hatte etwas durchgeführt, das zum Glück gescheitert ist und das man im Nachhinein zurecht als “Krieg gegen die eigene Partei” bezeichnen kann. Bis auf ganz wenige, irrelevante Ausnahmen ist ihm niemand dorthin gefolgt, wo er nun außerhalb der AfD nach dem besseren politischen Ansatz sucht.
Selbst Meuthens wichtigste Mitstreiter sind alle noch in der AfD. Warum? Wir sollten davon ausgehen, daß sie zweierlei begriffen haben:
Erstens war das Gerede von der extremen Chance einer “Zwischenpartei” aus (verdampfter) Werteunion und entflügelter AfD nichts anderes als eben Gerede. Es ist völlig verstummt.
Zweitens: Die AfD duldet keinen internen Krieg gegen die eigene Partei mehr. Wer in ihr Mitglied sein und sich an ihrer für Deutschland so dringenden Aufgabe beteiligen möchte, darf nicht mehr ausgrenzend, diffamierend, “säubernd” wirken, sondern muß integrieren, muß auswiegen, was ausgewogen werden kann.
Die neugewählte, politische Führung der AfD würde – soviel war vor dem Bundesparteitag sicher – eine Überzeugung vorleben müssen: Man wird einander nicht los, und es gibt auch gar keinen Grund für die Annahme, daß irgendetwas besser wäre, wenn man sich selbst einen Flügel abschnitte. Keine Strömung in der Partei kann es sich leisten, auf andere Strömungen zu verzichten. Jeder, der Verantwortung trägt, muß um Ausgleich bemüht sein und hat “zum Wohle der Partei” zu wirken.
Dieses “Wohl der Partei” beginnt dort, wo die unfruchtbare Selbstbeschäftigung endet und die beiden großen Aufgaben angegangen werden: erstens dem politischen Gegner immer mehr Stimmen abzujagen und zu relevanter Größe aufzusteigen, zweitens das eigene Programm zu präzisieren und inhaltlich zuzuspitzen, um dem Namen einer “Alternative für Deutschland” gerecht zu werden.
Man verrät kein Geheimnis, wenn man feststellt: Alle Gespräche und Sondierungen vor dem Parteitag folgten der Einsicht in die Notwendigkeit, diejenigen zu entmachten, die den Krieg gegen die eigene Partei fortsetzen wollten. An diesen Gesprächen hat sich natürlich auch Björn Höcke beteiligt. (Es kommt in der Vorbereitung auf Parteitage und wichtige interne Wahlen überhaupt immer zu Absprachen, stets wird nach Mehrheiten gesucht, stets geht es auch darum, das Überraschungsmoment kalkulierbar zu machen.)
Höcke hatte sich irgendwann in den Wochen vor dem Bundesparteitag und gegen den großen Widerstand des eigenen Lagers entschieden, auch diesmal nicht für den Bundesvorstand zu kandidieren. Sein Hauptgrund dafür war und ist die Beruhigung der Partei und die Beendigung einer ungerechtfertigten inneren Panik, die sich unter anderem an seiner Person immer wieder neu entzündet. Höckes Verzicht auf eine Kandidatur war ein Signal: Er hat damit gezeigt, daß ihm der Zusammenhalt der Partei wichtig ist und daß er weiß, welche Reizfigur die Medien aus ihm gemacht haben.
Der Verzicht Höckes wurde ihm hoch angerechnet, und die Vorstandswahlen am Samstag gingen auch deswegen undramatisch über die Bühne. Sie sind natürlich – das sei wiederholt – auch das Ergebnis von Absprachen, obwohl Absprachen – das weiß man auch von überraschenden Parteitagsverläufen anderer Parteien – nicht mehr sind als Leitplanken am Rande von Serpentinen in großer Höhe.
Tino Chrupallas Liste “Team Zukunft” war integrativ, beteiligte viele unterschiedliche Strömungen und sicherte ihm natürlich auch seine Wiederwahl. Darauf hinzuweisen ist banal, aber das Banale muß vor den Ohren derjenigen wohl ab und an wiederholt werden, die sich nun gespielt über Höckes Anteil an Absprachen empören.
Dabei stünde es, bei Lichte betrachtet, Höcke sogar zu, sein thüringisches Erfolgsrezept in den Bundesvorstand zu tragen: Kein Landeschef und kein Fraktionsvorsitzender der AfD bekleidet länger oder erfolgreicher beide Ämtern. Thüringen ist außerdem neben Sachsen das einzige Bundesland, das sich in Wahlergebnissen und Umfragen noch immer gegen den bundesweiten Abwärtstrend stemmt. Und nicht zuletzt in der Vorbereitung auf diesen Bundesparteitag hat Höcke gezeigt, wie sehr er an inhaltlichen Fragen interessiert ist und für wie notwendig er ihre Beantwortung für die Partei hält: Drei wesentliche Anträge (Europa, Friedenspolitik, Strukturreform) wurden von ihm initiiert und mitgetragen.
Seine Anregung war es auch, sich als Leiter einer Kommission zur Strukturreform der Partei auf bundespolitischer Ebene zu beteiligen und damit einen formalen Schritt aus seiner landespolitischen Verortung heraus zu machen. Dazu ist es nicht gekommen, aber dazu kommt es hoffentlich noch.
Höckes Impulse für den Parteitag waren also sein Verzicht und seine inhaltlichen Setzungen. Er machte durch seinen Verzicht einen Vorstand möglich, der die Chance hat, harmonisch zu arbeiten und zu entscheiden. Daß es sich um einen Höcke-Vorstand handele, ist eine Fremdzuschreibung, die aus durchsichtigen Gründen von den Mainstream-Medien vorgenommen wurde. Diese Medien, in denen es nur Spurenelemente von Sympathie oder Fairneß im Umgang mit der AfD gibt, haben natürlich ein großes Interesse daran, die Sorge innerhalb der AfD vor zuviel Höcke zu schüren.
Der neue Bundesvorstand ist kein Höcke-Vorstand. Er ist aber vor allem überhaupt kein Meuthen-Vorstand mehr, und das ist eine Lehre für jeden, der Meuthens Vorgehen in den vergangenen beiden Jahren irgendetwas abgewinnen kann: Ein solches Vorgehen ist, wie oben ausgeführt, nicht erwünscht, und viele von denen, die vor zwei Jahren für Meuthens (vorab ausgehandelte!) Mannschaft gestimmt hatten, waren von seiner zerstörerischen Rabiatheit schockiert.
Diese Zeiten sind seit der Neuwahl vorbei. Hans-Thomas Tillschneider formulierte in einem veröffentlichten Gespräch im Sinne vieler seiner Kollegen, er sei so entspannt wie kaum je auf einem Parteitag am Samstagabend ins Hotel gefahren: endlich Ruhe und Ausgeglichenheit an der Führungsspitze, geradezu ungewohnte Harmonie.
So hätte es auch den Sonntag über bleiben sollen. Warum sich aber entlang einer über Monate erarbeiteten und breit getragenen Europaresolution erneut unversöhnliche Vorgänge entwickelten, wird den zweiten Teil dieser Nachbetrachtung bilden.
Wie man Harmonie und fruchtbare Spannung pflegen kann, wird übrigens sichtbar in einem Video, das Höcke im Interview mit dem Fernsehsender Phoenix zeigt. Phoenix (Betreiber sind ARD und ZDF) hat dieses Gespräch nicht in seine Mediathek hochgeladen, aber ein Youtuber hat es gesichert.
Schlagfertige Loyalität gegenüber Partei, Kollegen und Vorfeld – so könnte man Höckes Haltung zusammenfassen. Hier ist das Video (man darf sich vom reißerischen Ton des Kanals in den ersten 20 Sekunden nicht abschrecken lassen).
Rheinlaender
Die Bundesrepublik steht vor den größten Herausforderungen ihrer Geschichte, und die AfD ist in dieser Lage die einzige echte Oppositionspartei von Relevanz. Auf ihr wird in den kommenden Monaten und vielleicht Jahre eine enorme Verantwortung lasten. Ich habe den Parteitag nur im Netz verfolgt, habe angesichts der Wortbeiträge aber Zweifel, dass der Großteil der Partei sich dieser Verantwortung sowie des Ernstes der Lage und der Erfordernisse des Handelns bewusst ist. Es bleibt nicht mehr viel Zeit.