Der linke PapyRossa-Verlag steht in der Pahl-Rugenstein-Tradition. Er zählt zu den interessanteren dieses Segments und deckt vor allem gesellschaftstheoretische Felder ab. In Jörg Kronauers Der Aufmarsch gibt der Autor – der auch für die „Junge Welt“, „Jungle World“ oder das DKP-Blatt schreibt – einen komprimierten und faktensatten Überblick über die Historie, die politischen, ökonomischen, militärischen und strategischen Hintergründe der beiden globalen Grundkonflikte unserer Epoche.
Der erste Teil, der den Gegensatz zwischen den USA und Rußland oder im weiteren Sinne den zwischen dem Westen und Rußland thematisiert, erlangt nicht nur durch seine Aktualität Brisanz, er kann sich auch auf langjährige Vorstudien berufen, die Kronauer in früheren Büchern veröffentlichte (Ukraine über alles 2014, Meinst Du, die Russen wollen Krieg? 2018). Die Frage nach dem Krieg hatte Kronauer seinerzeit natürlich verneint, nun stellt die Antwort ihn vor Probleme.
Es gelingt ihm jedoch anhand von ungezählten Details die tieferen Ursachen des Krieges und damit auch die NATO-Mitverantwortung wesenhaft sichtbar zu machen. Fein säuberlich geteilt in politische und wirtschaftliche Aggressionen einerseits und in militärische andererseits, vor dem Hintergrund vielfacher vom Westen torpedierter Annäherungsversuche Rußlands, wird in der immensen Vielfalt an Aspekten, die das Einzelereignis relativieren und einordnen, dennoch eine rote Linie erkennbar, die auf Konfrontation zuläuft. Sichtbar wird die ganze Wucht der jahrzehntelangen militärisch-strategischen Einkreisung Rußlands, aber auch die Fragwürdigkeit bisheriger Politik der Sanktionen und der inneren Einmischung. Kronauers Analyse reicht bis ins Frühjahr 2022 hinein, wenn er etwa den Ausschluß Rußlands aus dem SWIFT thematisiert, womit sich der Westen womöglich sein eigenes Grab gegraben habe.
Denn hier kommt der zweite Big Player ins Spiel: China. Sollten Rußland und China durch die westlichen Aggressionen in die strategische Partnerschaft getrieben werden – etwa durch ein internes Bankenkommunikationsnetz – dann könnte der Westen bald in der Marginalität enden. Folglich sei es Ziel der US-Politik, nicht nur einen Keil zwischen Europa (Deutschland) und Rußland, sondern auch zwischen China und Rußland zu treiben. Die bisherigen Mittel erwiesen sich freilich meist als kontraproduktiv. Beide Giganten kommen auch aus verschiedenen historischen Strömen: Während Rußland ins 20. Jahrhundert zurückstrebt und die alten Positionen verteidigt, will China aus dem 20. Jahrhundert heraus eine Zukunftsmacht werden.
Das Konglomerat aus „Wirtschaftskrieg, Sanktionen und Propaganda“ – Kronauer dröselt es akribisch auf –, der Umgang mit Hongkong oder der Uiguren-Frage, der Kulturkampf, die neuen Bündnisse etwa im „Indo-Pazifik“ usw. haben bisher wenig Erfolg gezeitigt. Ergo wird die militärische Konfrontation vorangetrieben, kriegerische Szenarien – etwa um Taiwan oder die China vorgelagerten Inselgruppen – werden immer wahrscheinlicher, und ein siegreicher Ausgang für den Westen rückt mit der weiteren Stärkung Chinas in größere Ferne. Geostrategische Überlegungen machen so manches politische Ereignis verstehbar.
In einem dritten Teil geht es um die praktische Frage eines kommenden Krieges zwischen den Großmächten, der unausweichlich scheint. Die westliche Repressionspolitik zwingt die beiden östlichen Mächte trotz zahlreicher interner Zwiste und Differenzen immer weiter zusammen. Schon kann man die USA dabei beobachten, die eigene Militärstrategie zur Diskussion zu stellen. Im Nachhinein könnte sich die Ostpolitik des Westens als kolossaler Fehler herausstellen. Kronauer sammelt in seinem Buch wie in einem Kompendium die Tatsachen und die Fakten, nur sehr selten greift er interpretierend oder weltanschaulich leitend ein, so daß sich das Buch bestens als umfassende Informationsquelle eignet, gerade stattfindende und kommende Konflikte, Kriege und Katastrophen zu verstehen.
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Jörg Kronauer: Der Aufmarsch – Vorgeschichte zum Krieg. Rußland, China und der Westen. Köln: PapyRossa 2022. 207 S., 14,90 € – hier bestellen.
Umlautkombinat
Ich weiss nicht wie weit das Buch geht und wie bedeutend das nun fuer 'links' ist - die angerissenen Ueberlegungen sind aber nicht neu und inhaltlich mittlerweile bedeutend weiter (mag das Buch natuerlich ebenfalls weitergehend beschreiben) ausrealisiert. Siehe z.B. hier oder hier. Die dort nur prinzipiell angerissenen Bindungen, Pakte, Handelabkommen sind auch schon laengere Zeit existent (z.B. RCEP) und uebertreffen in verschiedenen ihrer Charakteristika (Groesse, BIP der beteiligten Laender) mittlerweile schon alles an US-dominierten Organistaionen aehnlicher Art. Und da geht es schon lange nicht mehr nur um ein China/Russland-Duett.
Ich sehe in dem Zusammenhang auch nicht den Zwang, sich verengend auf "Krieg und Katastrophen" fokussieren zu muessen. Es mag auch 'nur' ein Kollabieren des Westens als Ganzes in primitivere gesplittete Strukturen in Unbedeutendheit hinein stattfinden (noch einmal dieses Buch erwaehnt). Vielleicht bleibt wie in der Vergangenheit eine moderne Form von Byzanz auch noch ein paar Jahrhunderte bestehen, muss aber nicht sein.
Gaengiges Vergehen von Gesellschaften ueber die gesamte Geschichte, das verschieden ausfallen kann. Nun sind wir halt selbst dran.