Es gibt keinen Beweis, sondern nur Indizien, daß dieses Epos bislang nie aus dem Norwegischen ins Deutsche übersetzt wurde. Wahrscheinlich kursierte das Werk bislang nur als Übertragung aus dem Dänischen.
Was soll man sagen: Die alten Übersetzungen sind wundervoll, die neue ist bravourös.
Die Aufmachung ist es zudem; ein Lobpreis dieser Buchgestaltung!
Man muß Undset lesen, will man über einen europäischen Kanon verfügen.
Undset war die zweite Frau, der (1928) der Literaturnobelpreis verliehen wurde. Vor ihr war es die Schwedin Selma Lagerlöf (1909), nach ihr, erst (1938) die Amerikanerin Pearl S. Buck. Diesen drei Frauen ist gemein, daß sie keine Feministinnen waren. Kein Wunder, daß wie Undset auch Buck und Lagerlöf deshalb in den gängigen Frauenpower-Kompendien fehlen.
Dabei war Undset in ihren frühen Jahren durchaus eine Frauenrechtlerin – später wandte sie sie entschieden gegen die Ziele dieser Bewegung. Und zwar nicht polemisch, sondern literarisch.
Sigrid, geboren 1882 im dänischen Kalundborg (Provinz Seeland, früher Kahlenburg), war die älteste von drei Töchtern. Der Vater war ein renommierter norwegischer Archäologe, die Mutter, eine Aquarellkünstlerin, entstammte einer dänischen Juristendynastie.
Sigrid lebte zunächst im Speckgürtels Oslos, mußte aber durch die Krankheit des Vaters (Syphillis) in eine Mietskaserne der Hauptstadt umziehen. Nachdem der Vater gestorben war, brach Sigrid die Schule ab und verdiente eine Dekade lang ihr Geld als Sekretärin der norwegischen Niederlassung der deutschen AEG. Sie empfand sich dort als „Bürosklavin“, arbeitete tags für Lohn und schrieb nachts. Ihr erstes Buch (ein Mittelalterstoff) wurde von den Verlagen abgelehnt, man riet ihr zu „modernen“ Stoffen.
Ihr erster veröffentlichter Roman, Frau Marta Oulie (1907), begann dann mit den Worten: „Ich habe meinen Mann betrogen“. Die romantische Affaire wird tragisch enden. Sämtliche Emanzipationsgeschichten der – auch späteren – Undset enden glücklos. Es beginnt himmelhochjauchzend und endet … soll man sagen, realistisch? Zumindest unerfüllt, gemessen an den hochtrabenden Vorstellungen.
Aber bleiben wir bei der hier vorzustellenden Trilogie. Bei Kristin Lavranstochter, der Nobelpreistrilogie.
Ich selbst habe fünf Monate benötigt, um sie von Alpha bis Omega durchzuarbeiten, wobei ich eine alte und die Neuausgabe parallel gelesen habe. Was für eine schöne Arbeit!
Hier lesend einzusteigen glich einem anspruchsvollen Nebenjob: Man will ja, aber hat man überhaupt die Zeit, sich so völlig hinzugeben in diese Szenerie? Wenn ja, muß man sich mitnehmen lassen. Man muß die Zügel fahren lassen und sich dem Wust an Namen, Orten und Zusammenhängen hingeben.
Oh, man wird unglaublich entlohnt. Wir steigen hinab in das katholische 14. Jahrhundert Norwegens. Wir werden von Anfang an völlig mitgerissen, weil die (stets ambivalente, oft irrationale) Psychologie der Charaktere so lebensecht ist und die Handlung so plotreich und verblüffend. Der Roman Kristin Lavranstochter gliedert sich in drei Teile:
In Band 1 („Der Kranz“) verliebt sich die blutjunge Kristin während eines Aufenthalts im Kloster bei einem Ausgang in den berüchtigten Haudegen Erlend. Damit wird die familiäre Ordnung aufs Äußerste gestört. Eigentlich hätte sie den guten und sanften Simon Darre heiraten sollen. Kristin setzt sich durch, gegen alle Widerstände. Sie setzt sich vor allem durch gegen das Votum ihrer Eltern. Ihr Vater ist der gute, starke, schöne, fromme und von Kristin sehr geliebte Lavrans, die Mutter die von einem Geheimnis verschattete Ragnhild.
In Band 2 („Die Frau“) sieht sich die Kristin mit allerlei Ungemach konfrontiert, das auch sie selbst verursacht hat. Sie ist eine eminent trotzige Frau! Es gibt zum einen die vorehelichen Kinder Erlends – und seine bezirzende ehemalige “Buhle”. Erlend selbst kommt nicht zur Ruhe und verstrickt sich in kriegerische Konflikte.
Simon Darre, mittlerweile mit Kristins jüngerer Schwester verheiratet, hat nie aufgehört, Kristin zu verehren. Er wird nun ihre wichtigste Stütze. Glasklar ist übrigens nichts in dieser germanisch-katholischen Welt. Die Darstellung der Protagonisten lebt von ihrer Ambiguität.
In Band 3 („Das Kreuz“, eben erst erschienen) sehen wir Kristin als alternde Frau. Alt jedoch nur für die mittelalterliche Welt, in der sie lebt. Sie ist längst noch keine fünfzig. Als sie, nach der Geburt und Aufzucht von sieben Kindern ins Kloster eintritt, hat sie etliche ihrer Liebsten sterben gesehen. Sie hadert mit Gott, mit der Liebe und mit ihrer eigenen Bestimmung. Die Pest herrscht.
Manchmal, so auch hier, spielt das eigene Verhalten einfach keine Rolle. Wir nennen es Schicksal. Aber auch im Rahmen dessen bleibt ein Spielraum. Kristin füllt ihn aus.
Ich habe die drei Bände dreien meiner großen Kinder geschenkt, aus euphorischem Überschwang nach meinem Lesemarathon. Sie haben es allesamt begeistert aufgesogen, aber höchst unterschiedlich geurteilt. Es gab ungeheuer viel Gesprächsstoff.
Genau so sollen gute Bücher sein!
Sigrid Undset: Kristin Lavranstochter: Der Kranz, 300 S., 22 Euro – hier.
Sigrid Undset: Kristin Lavranstochter. Die Frau, 549 S., 24 Euro – hier.
Sigrid Undset: Kristin Lavranstochter. Das Kreuz,576 S., 27 Euro – hier.
Adler und Drache
Herrje - so überschwänglich erlebt man Sie aber selten!
Spielt das eigene Verhalten im Angesicht des Schicksals nicht sogar die höchste, bedeutendste Rolle?