Chelsea-Shayenne, bitte an Kasse drei

PDF der Druckfassung aus Sezession 103/ August 2021

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Wenn die Geburt eines Kin­des ansteht, wird dem Umfeld von den Eltern in spe häu­fig das Geschlecht ver­ra­ten. Das hat – natür­lich nie so aus­ge­spro­chen – mit einem Relikt aus alten Zei­ten zu tun. Man erwar­te­te anno dazu­mal einen »Stamm­hal­ter« – oder eben nur ein Mäd­chen. Gut, wenn das Geschlecht bei­zei­ten klar­ge­stellt wur­de, um dum­me postpar­ta­le Bemer­kun­gen zu vermeiden.

Kein Mensch von Ver­stand – es sei denn ein expli­zi­ter Patri­arch – wünscht sich wohl heu­te noch expli­zit einen Kna­ben. Ist ja auch klar – Mäd­chen haben heu­te in allen Berei­chen die Nase vorn (nur in Höh­len­for­schung, Raum­fahrt, Maschi­nen­bau, Elek­tro­tech­nik, Chir­ur­gie, Infor­ma­tik und zwei, drei wei­te­ren unwich­ti­gen Berei­chen nicht).

Rela­tiv neu, von Über­see nach ­Deutsch­land her­über­ge­schwappt und aus dem Stand äußerst popu­lär gewor­den, sind soge­nann­te Gen­der ­Reve­al Par­ties. Es gibt zwei Vari­an­ten: In der einen erfährt das Eltern­paar das Geschlecht ihres eige­nen Neu­lings erst auf der (mög­lichst bom­bas­ti­schen) Fei­er. Eine Ein­ge­weih­te durf­te den unter­su­chen­den Frau­en­arzt zuvor befra­gen. Sie backt dann bei­spiels­wei­se einen Kuchen mit ent­spre­chen­der Sym­bo­lik, der dann fei­er­lich ent­hüllt wird. Und alle krei­schen! In der ande­ren Vari­an­te offen­ba­ren die Eltern selbst den dar­ob aus­ge­las­sen Mit­fei­ern­den (gern auch nur über Insta­gram), ob es einen Buben oder ein Mädel geben wird.

Solch ein TV-indu­zier­ter Buden­zau­ber mag einer­seits tra­gisch erschei­nen – ande­rer­seits ist es doch wun­der­schön, daß in der west­li­chen Welt einem ein­zel­nen Neu­an­kömm­ling sol­che Auf­merk­sam­keit zuteil wird. Fast mag man es kon­ter­re­vo­lu­tio­när nen­nen – ech­te Mode­op­fer schaf­fen sich heu­te ein bewußt gen­der­neu­tra­les Kin­der­zim­mer an. Man will das Klei­ne ja nicht in punc­to sozia­les Geschlecht »mani­pu­lie­ren«.

Gehei­mer als das Geschlecht wird nor­ma­ler­wei­se der künf­ti­ge Name gehal­ten. Logisch: Denn prä­na­ta­le Ein­wän­de gegen die Namens­wahl dürf­ten häu­fi­ger sein. Die erspart man sich lie­ber – was klug ist. Es gibt (zumal in Deutsch­land) kei­ne bun­des­amt­li­che Sta­tis­tik über die Ver­ga­be von Vor­na­men. Es gibt nur offi­ziö­se Ver­laut­ba­run­gen, auch wenn etwa­ige »Sta­tis­ti­ken« in den Ver­misch­tes-Mel­dun­gen der Tages­zeitungen qua­si­amt­lich daher­kom­men. Die Namens­da­ten wer­den auf unter­schied­li­che Art und Wei­se erho­ben, wobei die­ser Modus gewöhn­lich intrans­pa­rent bleibt.

Als gründ­li­cher Vor­na­mens­for­scher hat sich hier­zu­lan­de seit lan­gem der Wirt­schafts­in­for­ma­ti­ker Knud Bie­le­feld eta­bliert. Er betreibt die viel­be­such­te und reich kom­men­tier­te Netz­sei­te ­www.beliebte-vornamen.de. Für sei­ne erhel­len­den Namens­sta­tis­ti­ken greift er unter ande­rem auf Fami­li­en­an­zei­gen, Absol­ven­ten­ver­zeich­nis­se und lite­ra­ri­sche Quel­len zurück. Seit 2004 ste­hen ihm die Daten zahl­rei­cher Geburts­kli­ni­ken und Geburts­häu­ser zwecks Aus­wer­tung zur Ver­fü­gung. Im Jahr 2020 erfaß­te er für sei­ne Zäh­lung 23 Pro­zent der Neu­ge­bo­re­nen in Deutschland.

Sei­ne Zusam­men­stel­lung (die er durch kun­di­ge Bemer­kun­gen beglei­tet) ist fas­zi­nie­rend, sie beginnt mit den belieb­tes­ten Namen im spä­ten Mit­tel­al­ter. Gemäß sei­ner Quel­len­la­ge stand auf Platz 1 der Name Mar­gret mit vie­ler­lei Neben­for­men, auf Platz 2 Els inklu­si­ve Els­beth, Elß­lein, Bett­lin und vie­len ande­ren, gefolgt von Anna auf Platz 3. Bei den Kna­ben stan­den Hans, Kunz, Heinz, Jörg und Ulrich hoch im Kurs. Bie­le­felds Auf­zäh­lung ist in spä­te­ren Jah­ren nahe­zu minu­ti­ös und akri­bisch. 1890 sind Anna, Frie­da, Ber­tha und Mar­ga­re­te sowie Karl, Wil­helm, Otto, Gus­tav, Hein­rich und Max am popu­lärs­ten. 1914 sind Hans, Wal­ter und Karl sowie Ger­trud, Hilde­gard und Erna die häu­figs­ten Vornamen.

Sprin­gen wir ins Jahr 1936: Hel­ga ist unan­ge­foch­te­ner Spit­zen­rei­ter bei den klei­nen Mäd­chen, es fol­gen Ingrid, Ursu­la, Rena­te und Karin. Bei den Buben: Gün­ther, Klaus, Jür­gen, Hans und Wer­ner. Anno 1962 sind Susan­ne, ­Andrea, ­Petra und Sabi­ne ange­sagt oder Tho­mas, ­Micha­el, ­Andre­as und Frank.

Noch Ende des ver­gan­ge­nen ­Jahr­hun­derts waren die deut­schen Stan­des­äm­ter rela­tiv streng bei der Ver­ga­be außer­ge­wöhn­li­cher Namen. »Bewei­se« muß­ten vor­ge­legt wer­den, daß der Name tat­säch­lich im »ech­ten Leben« exis­tie­re. Pumuckl und Tar­zan waren nicht gestat­tet. Heu­te schon, denn heu­te ist man wesent­lich ent­spann­ter: Kin­der dür­fen Him­mel­blau, Blue (sehr beliebt übri­gens, even­tu­ell weil der Schau­spie­ler Uwe Ochsen­knecht einen Sohn so benann­te; Recht­fer­ti­gung des Stan­des­amts: »Rosa ist doch auch schon lan­ge gän­gig«), Sie­ben­stern, Trumf, Rape­rin, Moxxi, Dee-Jay oder Popo genannt wer­den. Absa­gen gab es für Whis­ky, Joghurt, Lieb­knecht, McDo­nald, Bier­st­übl und Satan.

Gemes­sen am rest­li­chen Euro­pa sind deut­sche Eltern bei der Namens­wahl beson­ders wan­del­bar bis expe­ri­men­tier­freu­dig. In ande­ren Län­dern geschieht die Ver­ga­be deut­lich kon­ser­va­ti­ver. In Groß­bri­tan­ni­en ste­hen Har­ry, Jack, Char­lie und Tho­mas (oder Jes­si­ca, Emi­ly und Oli­via) seit Jahr­zehn­ten weit oben in der Hit­lis­te. In Polen sind es seit je und bis heu­te Jan(usz), Mich­al, Mate­usz, Adam und Bar­to­sz und in Spa­ni­en Pablo, Manu­el, Die­go, Ale­jan­dro und Javier. In die­sen Län­dern schlägt Tra­di­ti­on Mode.

Inter­es­sant für Deutsch­land ist die seit etwa zwei Jahr­zehn­ten fest­stell­ba­re Kon­junk­tur »alter« Namen. Man­che (Emil, Paul, Hein­rich, Fried­rich, Gus­tav, Max oder Lisa, Lena, Emma, Maria, Marie, Mia) lau­fen her­vor­ra­gend, wohin­ge­gen ande­re (Jür­gen, Harald, Gün­ther, Horst oder Chris­ta, Wal­traud, Rena­te, Hel­ga) über­haupt kei­ne Abneh­mer fin­den. Die popu­lä­re Erklä­rung lau­tet, daß stets die Groß­vä­ter- und Groß­müt­ter­na­men (Wil­helm und Jose­fa kom­men uns »uralt« vor) boom­ten, es also noch Zeit brau­che, bis Inge und Edu­ard, Wer­ner und Karin als Trend dran wären.

Beim Blick auf die Sta­tis­tik kann das nicht ganz stim­men. Ohne­hin bleibt eine Men­ge For­schungs­be­darf: Wie kann es sein, daß gan­ze 40 Pro­zent der belieb­tes­ten Vor­na­men anno 2020 auf die Anfangs­buch­sta­ben L, M und A lau­te­ten? Sta­tis­tisch ist das enorm auf­fäl­lig – rein gefühls­mä­ßig sind dies defen­si­ve Anlau­te, anders als etwa K, T, Z oder R.

Kuri­os ist auch, daß Moham­med / Muham­mad / Meh­met et al. aus­schließ­lich in ­Ber­lin (Platz 1) und Bre­men (Platz 3) in den Hit­lis­ten auf­taucht. Wir haben fünf­ein­halb Mil­lio­nen Mus­li­me in Deutsch­land, und es wäre unlo­gisch und ohne jede Evi­denz, daß die­se gebur­ten­star­ke Grup­pe ihre Kin­der plötz­lich Noah, Eli­as oder Han­nah und Cla­ra nenn­te. Ob häu­fi­ge ara­bi­sche Vor­na­men wie Tarek, Omar, Ley­la und Fati­ma ein­fach unter die 77 Pro­zent der nicht erfaß­ten Vor­na­men (bei­spiels­wei­se in Ungarn gibt es dafür eine Behör­de) fallen?

Schau­en wir auf die »Hit­lis­te« 2020. Es gibt hier unter den Mäd­chen­na­men kei­nen ein­zi­gen Namen, der nicht auf den Weib­lich- und Nied­lich­keits­vo­kal a ende­te! Und dies zu Hoch­zei­ten der »Gen­der­neu­tra­li­tät«! Kei­ne Sil­ke, kei­ne Doris, nicht mal eine Jet­te oder Ali­ce. In Nord­deutsch­land boo­men eini­ge weni­ge Vor­na­men, die es in Süd­deutsch­land nicht unter die Top Ten geschafft haben. Aber auch sie enden auf a: Ella und Ida. Auch in Süd­deutsch­land gibt es Namen, die im Nor­den wenig attrak­tiv wir­ken: Lea und Cla­ra. Weit­hin kei­ne Spur von gen­der­neu­tra­len Namen wie Kai, Jamie, Toni oder Louis.

Auch bei den Jun­gen­na­men gilt fest­zu­hal­ten, daß Namens­mo­den heu­te im Schnitt unkon­ven­tio­nel­ler sind als anno dazu­mal. Es gab 1964 vier­mal mehr Tho­mas­se, als es heu­te Bens gibt. Eine unge­klär­te Ent­wick­lung ist, daß die heu­te bevor­zug­ten Jun­gen­na­men (anders als die jüngst popu­lä­ren Maxi­mi­li­an, Johan­nes, Valen­tin oder der Dau­er­bren­ner Alex­an­der) gern mit sehr weni­gen Buch­sta­ben aus­kom­men: Finn, Luis, Paul, Noah.

»Noah« als Num­mer eins gibt ohne­hin Rät­sel auf. Befin­den wir uns etwa in einer End­zeit­stim­mung, in der man Boots­bau­er sucht? Was sagt uns dann der stei­le Auf­stei­ger Matteo, der sowohl in urba­nen wie in pro­vin­zi­el­len Krei­sen Deutsch­lands Hoch­kon­junk­tur fei­ert? »Gabe Got­tes« bedeu­tet der Name. Nomen est omen? Wer weiß.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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