Am 20. März 2020, zwei Tage vor dem ersten »Lockdown« der bundesdeutschen Regierung, zeigte sich André F. Lichtschlag, Herausgeber des libertären Magazins eigentümlich frei, auf Twitter außerordentlich gereizt: »Regierung vernichtet Millionen Existenzen. AfD fordert noch mehr Gottspielerei«, schrieb er. »Vordenker der Neurechten glauben, Staat beweise gerade seine Heiligkeit @lichtmesz. Und die Basis @Martin_Sellner ist fassungslos, hält Corona-Hysterie zu Recht für politisierten Schmarrn. #metapolitik«.
Offenbar war mit »Vordenker der Neurechten« meine Wenigkeit gemeint. Allerdings hatte ich noch nie in meinem Leben behauptet, »der Staat« sei in irgendeiner Weise »heilig«, und daß Martin Sellner »fassungslos« über die »Corona-Hysterie« sei, hatte ich auch nirgends mitbekommen.
Zwei Monate zuvor, am 24. Januar, hatte Sellner auf Twitter vor dem Virus gewarnt: »Das Wuhan-Virus verbreitet sich rasend schnell. Offene Grenzen bedeuten auch offene Grenzen für Viren.« Zur selben Zeit forderten auch AfD-Politiker wie Alice Weidel, Reimond Hoffmann und Nicole Höchst die Regierung auf, die Gefahr ernst zu nehmen und »Schutzmaßnahmen« zu ergreifen. Dafür wurden sie und Sellner in einem Artikel des linksradikalen, mit Medienpreisen überhäuften Portals »Volksverpetzer« als rechte Hetzer verspottet, die »mit Fake News Panik vor dem Virus schüren«: »Das Virus ist nicht gefährlicher als SARS oder die ganz normale Grippe«, schrieb der »Volksverpetzer«, »Rechtsextremisten möchten dir aber trotzdem Angst davor machen, in der Hoffnung, daß Menschen das Vertrauen in die Regierung verlieren.«
Heute stellt das »Anti-Fake-News-Blog« sogenannte Pandemieleugner, die »Corona verharmlosen« an seinen »Faktencheck«-Pranger: »Fake« sind offenbar immer nur jene Nachrichten, die dazu geeignet sind, dem von der Regierung gewünschten Narrativ zu widersprechen.
Die Kehrtwende der Leitmedien erfolgte Mitte März parallel zum WHO-konformen Corona-Kurs des Bundesinnenministeriums, das nun damit beschäftigt war, interne »Panikpapiere« zu verfassen, um eine Massenquarantäne (»Lockdown«) des gesamten Landes zu rechtfertigen. Zu diesem Zeitpunkt hatte auch das rechte Spektrum begonnen, seine bisherige Positionierung zu überdenken.
Ich selbst war zu diesem Zeitpunkt noch der Ansicht, daß es sich hier um einen waschechten »pandemischen Ernstfall« handelt, wie ich auf Twitter schrieb, obwohl ich die mediale Hysterie mit wachsender Skepsis betrachtete. Was nun André F. Lichtschlag angeht, so antwortete er auf meine verdutzte und nicht weniger gereizte Nachfrage: »Es ging bei der Diskussion darum, daß Sie die politische Kriegserklärung gegen ein Virus (die Millionen Existenzen vernichten wird) unterstützt haben, obwohl Sie selbst nicht sicher sind, ob sie begründet ist.« Er unterstellte mir blinde Staats- und Autoritätshörigkeit – »Wartet da jemand auf Befehle vom Oberkommando?« – und empfahl: »Nun, die libertäre Lösung ist, sich selbst und seine Familie jetzt möglichst gut zu schützen. Würde ich Ihnen auch empfehlen, statt auf die neuen Direktiven des allwissenden Zwangsmonopolisten zu hören.«
Als Dissident, der den Identitären nahesteht (die wiederum vom österreichischen Staat nicht gar so doll geliebt werden), fühlte ich mich hier gelinde gesagt ein wenig verkannt. Es dauerte indes nur wenige Tage, bis ich angesichts der dick aufgetragenen staatlichen Lockdown-Propaganda endgültig ins Lager der »Skeptiker« wechselte, und nach eineinhalb Jahren Dauerausnahmezustand muß ich Lichtschlag im wesentlichen recht geben. Daß wir aneinander vorbeigeredet hatten, hatte freilich mit einer abstrakteren Ebene zu tun.
Aus Lichtschlag sprach ein klassisch libertärer Affekt, der im Staat schlechthin einen Allround-Malefizkerl sieht, der insbesondere der marktwirtschaftlichen »Freiheit« tyrannisch im Wege steht. Ich als Rechter hingegen stamme aus der Familie der Verfechter des »konkreten Ordnungsdenkens« (Carl Schmitt) und der staatlichen Souveränität. Wir glauben nicht, daß es eine vernünftige und stabile Gesellschaftsordnung ohne Pflichten und Institutionen, ohne Hierarchie und Erziehung geben kann. Das kann ein radikaler Libertärer wie Lichtschlag nicht nachvollziehen. Er hielt entgegen, daß man den »Zwangsmonopolisten« nicht mit einem »Wunschkonzert« verwechseln sollte: Demnach wäre banalerweise der Staat gut, wenn er tut, was mir gefällt, und böse, wenn er tut, was mir nicht gefällt.
Das ist eine Verwechslung von Staat und Regierung: Wie ein individueller schlechter Monarch nicht das Prinzip der Monarchie widerlegt, so widerlegt eine schlechte Regierung oder ein schlecht organisierter Staat nicht das Prinzip der Staatlichkeit an sich.
Als Konservativer denkt man vom Ernstfall, vom Ausnahmezustand aus: »In modernen Gesellschaften gibt es gigantische Apparate, die – von der sozialstaatlichen Versorgung bis zur Haushaltstechnik – keinem anderen Zweck dienen, als den Ernstfall zu verhindern« (Staatspolitisches Handbuch, Bd. 1, Leitbegriffe, Stichwort »Ernstfall«). Aus dieser Sicht wirken Linke destruktiv, Liberale fahrlässig, Libertäre oft gar kindisch und undankbar. Sie alle leben von Voraussetzungen, die sie selbst nicht garantieren können und die ihnen häufig gar nicht bewußt sind. Auch die sogenannten Grundrechte existieren nicht in einem voraussetzungslosen und unbedingten Raum.
All dies stand im Hintergrund meines Nachdenkens über das Verhalten der Regierungen im März 2020. Liegt tatsächlich der Ernstfall im eminenten Sinne vor, etwa eine »epidemische Lage nationaler Tragweite«, dann müssen entsprechende Maßnahmen ergriffen werden. Auch ein liberaler Staat wäre dann gezwungen, die Interessen des Kollektivs für die Dauer des Ausnahmezustands über jene des Individuums zu stellen.
Wie wir von Carl Schmitt wissen, zeigt sich in solchen Lagen, wer der eigentliche Souverän ist: »Er entscheidet sowohl darüber, ob der extreme Notfall vorliegt, als auch darüber, was geschehen soll, um ihn zu beseitigen.« (Politische Theologie) Das heißt, daß auch dann eine Entscheidung getroffen werden muß, wenn es keine hundertprozentige Gewißheit gibt, daß man die Lage richtig eingeschätzt habe.
Bis heute hört man von manchen Lockdown-Befürwortern das Argument, daß das Risiko einer Überreaktion dem Risiko einer Unterschätzung der Lage vorzuziehen sei. Dieser Gedanke ist für Liberale und Libertäre, die jegliche Beschränkung der individuellen Freiheit für eine Zumutung halten, schwer zu verdauen, wenn nicht völlig inakzeptabel.
Nun ist es keineswegs so, daß das rechte Spektrum eine grundsätzliche Sehnsucht nach einer durch und durch antiliberalen, autoritär geführten Gesellschaft hätte. Es wird auch kein Rechter das Autoritäre ungeachtet seiner Zielsetzungen anbeten, denn auch kommunistische Staaten werden autoritär regiert. Auf der pragmatischen Ebene stellt sich eher die Frage, an welchen Stellen einer wünscht, daß der Staat liberaler oder restriktiver agieren sollte.
Jede Gesellschaft hat die Aufgabe, Freiheit und Sicherheit, Rechte und Pflichten gegeneinander abzuwägen. Man kann sich eine großzügigere Meinungsfreiheit wünschen und eine strengere Einwanderungspolitik, man kann für mehr oder für weniger Regulation der Wirtschaft eintreten, und man kann sich auch wünschen, daß der Staat gegen kriminelle Asylbewerber und arabische Clans schärfer vorgehen möge als etwa gegen Maskenverweigerer, Quarantänesünder und Gedankenverbrecher. Man denke auch an den alten Witz, daß ein Konservativer ein Liberaler ist, der überfallen wurde.
Bestimmte Not- und Extremlagen erzeugen Abwehraffekte, die nicht prinzipieller Natur sind und nur so lange andauern, bis die Gefahr gebannt ist. Die Flüchtlingskrise 2015 hat einen deutlichen Rechtsruck in weiten Teilen der Gesellschaft hervorgerufen, der sich noch Jahre später bemerkbar machte. Viele, die nicht grundsätzlich rechts denken, wurden zu »Notfallrechten«, die einen Defensivnationalismus und ‑rassismus entwickelten.
Analog kann man heute beobachten, daß viele Rechte angesichts der staatlichen Übergriffe und Erpressungen unter dem Banner von »Corona« gleichsam zu »Notfall-Libertären« geworden sind. Das führt zu der skurrilen Lage, daß man sich als Rechter plötzlich in nahezu völliger Übereinstimmung mit einer Ulrike Guérot sieht, die zu den firmsten Verteidigern der Grund- und Menschenrechte vor dem wachsenden Druck des Pandemieregimes zählt.
Auf der anderen Seite begegnen wir der Unverschämtheit eines Richard David Precht, der in seinem Buch Von der Pflicht (München 2021) mit »konservativen« Argumenten und Appellen an das staatsbürgerliche »Pflichtgefühl« Gehorsam gegenüber den Zumutungen des Corona-Maßnahmenstaates einfordert.
Während Politik und Medien versuchen, den Widerstand gegen die Pandemiepolitik in ein »rechtsextremes« Framing zu packen, hat sich eine lagerübergreifende Gegen-Allianz auf der Basis liberaler Werte und Argumente gebildet, wozu auch die alte, idealistische Vorstellung zählt, daß die Vernunft herrschen und jede politische Entscheidung aus rationalen und freien Debatten hervorgehen solle. Zu den Wortführern zählen unter anderem von rechts »Achse des Guten«, von links »Rubikon«, von libertärer Seite Köpfe wie Gunnar Kaiser. Was vom Establishment unter dem Etikett »Querdenker« rechts eingetütet wird, ist also in der Tat eine echte »Querfront«.
Es trifft zu, daß manche Rechte im Frühstadium der Coronavirus-Krise auf eher antiliberale und antiglobalistische Konsequenzen gehofft haben. Das Szenario schien uns von der Flüchtlingskrise her vertraut: Von außen rollt eine Gefahr auf unser Land zu, und der schwache, ernstfallblinde Staat ist nicht imstande, es davor zu schützen, etwa durch Einreisestopps oder Grenzschließungen.
Heute erkennen wir deutlich, daß wir es mit einem medial induzierten Kollektivwahn zu tun haben, der eine beispiellose globalistische Machterweiterung ermöglicht hat. In diesem Manöver spielen die Nationalstaaten die Statthalter einer Weltregierung in spe, indem sie die ihnen aufgetragenen repressiven Maßnahmen vor Ort durchsetzen und rechtfertigen. Sämtliche Institutionen wurden nach totalitärer Manier in den Dienst des Regimes gestellt: das Gesundheitssystem, die Schulen, die Kirchen, die Polizei. Langfristiges Ziel scheint eine Art Menschheitsformatierung durch gentherapeutische Massenimpfungen zu sein.
Die Antwort auf den Spott von Linken und Liberalen, warum wir Rechten als Fans der souveränen staatlichen Durchsetzungskraft und als Kritiker des Individualismus uns nun beklagen, ist also recht einfach: Die Behauptung, daß es eine »epidemische Lage von nationaler Tragweite« gäbe, trifft schlichtweg nicht zu. Damit entbehren die staatlichen Maßnahmen, inklusive der Einschränkung der Grundrechte auf unbestimmte Zeit, jeglicher Legitimität und Verhältnismäßigkeit. Man ist keinem Staat Gehorsam schuldig, der sein Volk vorsätzlich in Panik versetzt, belügt und in die Irre führt.
An dieser Stelle haben wir Rechten einen Erkenntnisvorsprung gegenüber jenen, die erst letztes Jahr »aufgewacht« sind. Als Oppositionelle, die seit Jahrzehnten von einem vorgeblich »demokratischen« Staat systematisch bekämpft werden, sind uns seine Heuchelei, Verlogenheit, Willkür und nicht zuletzt Volksfeindlichkeit schon seit langem bekannt. Das hat manche zu einer zynischen Haltung gegenüber der basisdemokratisch-liberalen Rhetorik geführt, die heute das maßnahmenkritische Spektrum dominiert, während andere durch die Krise den ursprünglichen Sinn und den Wert des demokratischen und liberalen Impulses wiederentdeckt haben.
In manchen Appellen an den Staat scheint die Hoffnung durch, daß er sich eines Besseren besinnen und zu den Grundprinzipien zurückkehren möge, zu denen sich seine Repräsentanten ununterbrochen bekennen. Das ist freilich eine naive Vorstellung. Wer genauer hingesehen hat, weiß nicht erst seit »Corona«, daß die liberale Demokratie in ihren letzten Zügen liegt und zunehmend von Herrschaftssystemen abgelöst wird, die eine nie zuvor dagewesene Kontrolle der Köpfe und der Körper der Bürger ermöglichen.
Übriggeblieben ist eine Fassade, angepinselt mit Regenbogenfarben, hinter der Menschen regieren, die sich selbst als »liberale Demokraten« und ihre Gegner als »Demokratie-« oder »Verfassungsfeinde« bezeichnen. Wir stellen außerdem fest, daß nur ein wenig Angstmache, verbunden mit gruppenmoralischem Druck, genügt hat, um Millionen von scheinbar »emanzipierten«, frei flottierenden und frei konsumierenden Individuen gewaltlos zur kollektiven Verhaltensänderung und Unterwerfung zu bewegen: »Es ist atemberaubend, wie rasch und wie gründlich sich eine Gesellschaft formieren läßt, die doch gerade noch aus lauter kaum zu bändigenden Ich-Sagern bestand.« (Götz Kubitschek) Das Verhältnis dieser Individuen gegenüber dem Staat gleicht inzwischen einer Art von Stockholm-Syndrom. Sie danken ihm für jede Lockerung der Corona-Schikanen, die er ihnen hin und wieder gewährt, wenn auch nur solange, bis »die Zahlen« wieder steigen und die nächste »Infektionswelle« ausgerufen wird.
Dank der üppigen staatlichen Alimentierung aus mysteriöserweise unerschöpflichen Mitteln kam es bislang trotz aller maßnahmenbedingten wirtschaftlichen Einbußen noch zu keinen größeren sozioökonomischen Spannungen, die ausreichend Zündstoff für eine Revolte gegen das Pandemieregime geliefert hätten. Der Staat bietet den Bürgern finanzielle Kompensationen für eine Notlage an, die er selber bewußt und ohne zwingende Gründe verursacht hat und die er durch fortlaufende Propaganda und Maßnahmenaktivismus aufrechterhält.
Das ist natürlich höchst verdächtig und mag auf der Linie der großen globalistischen Agenden liegen: Der Bürger wird zuerst wirtschaftlich ruiniert und bekommt dann ein Angebot zur Grundversorgung, was ihn in eine tiefgreifende Abhängigkeit vom Staat treibt, in der es keinen Platz mehr für Widerspruch oder Widerstand gibt. So wird die Bevölkerung (von einem »Volk« kann schon keine Rede mehr sein) allmählich an ein System gewöhnt, in dem paternalistische »Experten« und Funktionäre bestimmen, welche Medikamente und Informationen ihr verabreicht werden sollen.
»Achse des Guten«-Autor Gunter Frank zeigt sich in seinem Buch Der Staatsvirus (Berlin 2021) irritiert über das undemokratische »autoritäre Menschenbild«, das sich in den geleakten »Panikpapieren« des Bundesinnenministeriums offenbart: Sie sollen »Menschen durch Angst gefügig machen«.
Man kann in der Tat sagen, daß sich die Preisdemokraten dieser Welt, ob in Davos, Berlin oder Washington, durch ihre Worte, Taten und Propaganda-Offensiven demaskiert haben: Ihr Bild vom Menschen unterscheidet sich mit aller Wahrscheinlichkeit kaum von jenem Gustave Le Bons, insbesondere was die emotionale Beeinflußbarkeit der Massen angeht. Das Problem ist freilich, daß Le Bons Analysen zutreffend waren.