Nietzsches Kritik am Staat

PDF der Druckfassung aus Sezession 103/ August 2021

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

Als das IfS vor eini­gen Jah­ren auf sei­nen Ver­an­stal­tun­gen ein Ban­ner zeig­te, auf dem ein Zitat zu lesen war, in dem sich Nietz­sche posi­tiv über den Staat äußert, sorg­te das für Irri­ta­tio­nen. War Nietz­sche nicht der­je­ni­ge, der den Staat als das »käl­tes­te aller kal­ten Unge­heu­er« bezeich­net hat­te, der den Staats­dienst für eine Dumm­heit gehal­ten und der dem »Tod des Staa­tes« das Wort gere­det hat­te? Das alles hat Nietz­sche gesagt, aber auch das Gegen­teil davon – was wie­der­um die weit­ver­brei­te­te Auf­fas­sung bestä­tigt, man fin­de bei Nietz­sche immer ein Zitat, egal wofür man ein Auto­ri­täts­ar­gu­ment brauche.

Eine Auto­ri­tät ist Nietz­sche in rech­ten Krei­sen aller­dings erst lan­ge nach sei­nem Tod gewor­den. Zunächst war er ein Ärger­nis, mit dem sich vor allem Leu­te bewaff­ne­ten, denen der Wil­hel­mi­nis­mus zu lebens­feind­lich war. Armin Moh­ler hat Nietz­sche in sei­ner Arbeit über die »Kon­ser­va­ti­ve Revo­lu­ti­on« rück­bli­ckend zum wich­tigs­ten gemein­sa­men Bezugs­punkt die­ser so viel­ge­stal­ti­gen Geis­tes­be­we­gung gemacht. Er bezog das vor allem auf Nietz­sches Leh­re von der ewi­gen Wie­der­kehr des Glei­chen, der noch die von der Umwer­tung aller Wer­te und die vom Wil­len zur Macht an die Sei­te zu stel­len wären.

Die Hoch­schät­zung Nietz­sches in kon­ser­va­tiv-revo­lu­tio­nä­ren Krei­sen hängt auch damit zusam­men, daß Nietz­sche als poli­ti­scher Den­ker ver­stan­den wur­de. Das mag zunächst im Wider­spruch zu sei­ner Intel­lek­tu­el­len­exis­tenz ste­hen, die sich, abge­se­hen von den obli­ga­to­ri­schen Sta­tio­nen Schu­le, Uni­ver­si­tät und Mili­tär, von allem fern­hielt, was mit prak­ti­scher Poli­tik in Ver­bin­dung gebracht wer­den könn­te. Sei­ne 1869 erfolg­te Über­sied­lung in die Schweiz ermög­lich­te ihm den Blick auf die Din­ge, die sich vor allem in Deutsch­land voll­zo­gen, von der War­te des Beob­ach­ters aus.

Alfred Baeum­ler cha­rak­te­ri­sier­te Nietz­sche in sei­ner Ein­füh­rung von 1931 als »Phi­lo­so­phen und Poli­ti­ker«. Das sorg­te nach 1945 für eine Ver­ur­tei­lung Nietz­sches als NS-Vor­den­ker, weil Baeum­ler sich (und damit auch Nietz­sche) in den Dienst des NS-Staa­tes gestellt hat­te. Sei­ne Her­aus­stel­lung des Poli­ti­kers Nietz­sche bleibt den­noch gül­tig, wie die Rezep­ti­on ­Nietz­sches in den letz­ten Jahr­zehn­ten gezeigt hat. Dar­an hat auch sei­ne so oft bemüh­te Wider­sprüch­lich­keit nichts geän­dert. Fried­rich Georg ­Jün­ger, der 1949 eine Ehren­ret­tung Nietz­sches vor­nahm, sah in die­ser Wider­sprüch­lich­keit kein Argu­ment gegen sei­ne Phi­lo­so­phie, son­dern einen Beweis für die Leben­dig­keit von Nietz­sches Denken.

Da der Staat ein Haupt­be­griff der Poli­tik ist, stößt man natür­lich auch bei ­Nietz­sche dar­auf. Aller­dings gibt es, neben unzäh­li­gen Erwäh­nun­gen, nur drei Stel­len, an denen Nietz­sche aus­führ­lich auf den Staat zu spre­chen kommt. Im ers­ten Band von Mensch­li­ches, ­All­zu­mensch­li­ches (1878), im ers­ten Band des Zara­thus­tra (1883) und in der Vor­re­de zu sei­nem unge­schrie­be­nen Buch Der grie­chi­sche Staat (1872), aus der das oben­er­wähn­te Zitat stammt: »Der Staat, von schmäh­li­cher Geburt, für die meis­ten Men­schen eine fort­wäh­ren­de flie­ßen­de Quel­le der Müh­sal, in häu­fig wie­der­kom­men­den Peri­oden die fres­sen­de Fackel des Men­schen­ge­schlechts – und den­noch ein Klang, bei dem wir uns ver­ges­sen, ein Schlacht­ruf, der zu zahl­lo­sen wahr­haft heroi­schen Taten begeis­tert hat, viel­leicht der höchs­te und ehr­wür­digs­te Gegen­stand für die blin­de und ego­is­ti­sche Mas­se, die auch nur in den unge­heu­ren Momen­ten des Staats­le­bens den befremd­li­chen Aus­druck von Grö­ße auf ihrem Gesich­te hat!«

Die ambi­va­len­te Hal­tung Nietz­sches dem Staat gegen­über wird bereits hier deut­lich. Einer­seits von unkla­rer Her­kunft und für die meis­ten Men­schen Knecht­schaft bedeu­tend, ist er den­noch die ein­zi­ge Grö­ße, die in der Lage ist, die Mas­sen empor­zu­rei­ßen. Über den Ursprung des Staa­tes hat Nietz­sche an ande­rer Stel­le recht kon­kre­te Vor­stel­lun­gen geäu­ßert. Er pole­mi­siert gegen die Ver­trags­theo­rie, nach wel­cher der gegen­sei­ti­ge Schutz, die »Unter­ord­nung unter die Gerech­tig­keit des Staa­tes«, der ers­te Impuls zu sei­ner Grün­dung gewe­sen sei. Daß sich ihm Schwä­che­re unter­wer­fen und er die­se unter­wirft, weil er die »sou­ve­rä­ne Gesin­nung« fürch­te, lie­ge nahe. Ent­schei­dend sei aber die Fra­ge, war­um sich Leu­te dem Staat unter­wer­fen, die es nicht nötig haben. Für sie bedeu­tet die Unter­wer­fung ein Opfer, das sie eben nicht aus Nütz­lich­keits­er­wä­gun­gen bringen.

Nietz­sche sieht daher schon am Ursprung des Staa­tes einen Appell an eine »höhe­re Emp­fin­dung«. Es könn­te sich um eine nur gemein­sam zu bestehen­de Gefahr han­deln, die den Impuls zur Staa­ten­grün­dung gibt und ein Gefühl gemein­sa­mer Macht erzeugt, das jeden mit­reißt. Der Staat errei­che Din­ge, die dem ein­zel­nen unmög­lich sei­en, durch Dele­gie­rung von Ver­ant­wor­tung, durch Befehl und Gehor­sam, durch »Auf­recht­erhal­tung des Stol­zes, der Stren­ge, der Stär­ke, des Has­ses, der Rache«. Er ent­las­tet den ein­zel­nen moralisch.

Der Glau­be an die »Ehr­wür­dig­keit des Staa­tes« müs­se älter sein als alles ande­re. »Nicht Gesichts­punk­te der Klug­heit, son­dern Impul­se des Hero­is­mus sind in der Ent­ste­hung des Staa­tes mäch­tig gewe­sen: der Glau­be, daß es etwas Höhe­res gibt, als Sou­ve­rä­ni­tät des Ein­zel­nen.« Die älte­ren Staats­for­men hät­ten nicht vom Zwang, son­dern vom »Fort­strö­men nobler Regun­gen« gelebt.

Aller­dings ist die Ehr­furcht vor dem Staat nicht durch Ein­sicht, son­dern durch Gewalt in die Welt gekom­men, weil die Errich­tung eines Staa­tes gegen die mensch­li­chen »Raub­tier­in­stink­te« erfolg­te. Dem­entspre­chend war der »ältes­te Staat« eine rei­ne Tyran­nei, die not­wen­dig war, um den »Roh­stoff von Volk und Halb­tier« durch­zu­kne­ten und zu formen.

Nietz­sche ist bewußt, daß der Staat, von des­sen Ursprung er redet, mit dem Staat, den sei­ne Zeit­ge­nos­sen her­aus­le­sen wer­den, näm­lich den gegen­wär­ti­gen, nicht iden­tisch ist. Daher for­mu­liert er dras­tisch, daß er unter Staat »irgend ein Rudel blon­der Raub­tie­re, eine Erobe­rer- und Her­ren-­Ras­se« ver­steht, die »unbe­denk­lich ihre furcht­ba­ren Tat­zen auf einer der Zahl nach viel­leicht unge­heu­er über­le­ge­ne, aber noch gestalt­lo­se, noch schwei­fen­de Bevöl­ke­rung legt.«

Das ist der Beginn des Staa­tes, an dem ­Nietz­sche Künst­ler tätig sieht, die kei­ner­lei Rück­sicht neh­men müs­sen, son­dern rück­sichts­los ihrer Idee Form ver­lei­hen. Doch die­ser Schöp­fungs­akt hat sei­nen Preis. Im Ursprung des Staa­tes sieht Nietz­sche das »schlech­te Gewis­sen« in die Welt kom­men. Weil der Mensch gezähmt und gezwun­gen wird, in Gesell­schaft zu leben, ver­rät er sei­ne Raub­tier­in­stink­te und wird zum Massenmenschen.

Das Schick­sal des Staa­tes scheint damit vor­ge­zeich­net, zumin­dest dann, wenn er sei­nen Zweck aus den Augen ver­liert. Der Staat darf sich, so ­Nietz­sche, nicht Selbst­zweck sein, aber auch nicht das Volk allein oder die »Zukunft der Mensch­heit« sind sein Zweck. Sein Ziel lie­ge in den »Spit­zen, in den gro­ßen ›Ein­zel­nen‹, den Hei­li­gen und Künst­lern«. Es gebe »kei­ne höhe­re Kul­tur­ten­denz als die Vor­be­rei­tung und Erzeu­gung des Geni­us«. Der Staat ist Mit­tel zu die­sem Zweck.

Aller­dings darf man sich die­se For­de­rung nicht als eine prak­ti­sche vor­stel­len. Nietz­sche ver­or­tet die­ses Ziel »außer­halb der Zeit«. Der Staat ist daher, so muß man Nietz­sche ver­ste­hen, gar nicht in der Lage, die­ses Ziel zu errei­chen. Nicht nur, weil es außer­halb der Zeit liegt, son­dern auch, weil der Staat Zie­le, die über »sein Wohl und sei­ne Exis­tenz« hin­aus­wei­sen, nicht begreift. Aller­dings gebe sich der Staat den Anschein, indem er als För­de­rer der Kul­tur auf­tritt. Aber, so Nietz­sche, der »Kul­tur-Staat« sei nur eine moder­ne Idee, in Wirk­lich­keit sind Staat und Kul­tur Antagonisten.

Die Ver­schleie­rung die­ses Wider­spruchs ist für den Fort­be­stand des Staa­tes von ent­schei­den­der Bedeu­tung, und der Staat tut mit­tels sei­ner Insti­tu­tio­nen, Nietz­sche nennt vor allem Schu­le und Heer, alles dafür, daß die­se Sinn­stif­tung Bestand hat. »Ehre bei der Gesell­schaft, Brot für sich, Ermög­li­chung einer Fami­lie, Schutz von oben her, Gemein­ge­fühl der gemein­sam Gebil­de­ten – dies alles bil­det ein Netz von Hoff­nun­gen, in wel­ches jeder jun­ge Mann hin­ein­läuft: woher soll­te ihm denn das Miß­trau­en ange­weht sein?« Die­ses man­geln­de Inter­es­se an Auf­klä­rung legt Nietz­sche dem Mann als Dumm­heit aus, das Stre­ben in den Staats­dienst als Rück­fall in die Dumm­heit, die Nietz­sche zer­stö­ren will. Hier kom­men wir lang­sam zum Staats­kri­ti­ker Nietz­sche, der die »Staats­ver­got­tung«, die Erhe­bung des Staa­tes zum höchs­ten Ziel der Mensch­heit als Ursa­che dafür erkennt, daß der Staat sei­ne eigent­li­che Auf­ga­be verfehlt.

Der Staat ist eine ratio­na­le Ein­rich­tung, an die kei­ne irra­tio­na­len Heils­erwartungen geknüpft wer­den dür­fen. Er wird durch Men­schen reprä­sen­tiert, deren Anbe­tung Nietz­sche als das »größ­te Ver­häng­nis der Kul­tur« bezeich­net. Im Hin­ter­grund steht das schlech­te Bild, das die »herr­schen­den Stän­de« abge­ben und das in der Kon­se­quenz dazu führt, daß kei­ne kla­re Vor­stel­lung von Herr­schaft mehr exis­tiert: Der »gro­ße Mensch fehlt, an dem gemes­sen wer­den kann«. Die Herr­schen­den selbst haben durch die offen­sicht­li­che Belie­big­keit ihrer Herr­schaft und die gleich­zei­ti­ge Schutz­be­haup­tung der Hei­lig­keit der Herr­schaft eine Unsi­cher­heit erzeugt, die dazu führt, »daß die Men­schen vor jeder Wil­lens­kraft, die befiehlt, in den Staub fallen«.

Unter der Über­schrift »Vom neu­en Göt­zen« hat Nietz­sche im Zara­thustra der Staats­kri­tik eine gan­ze Rede gewid­met. Das berühm­tes­te Zitat lau­tet dort: »Staat heißt das käl­tes­te aller kal­ten Unge­heu­er. Kalt lügt es auch; und die­se Lüge kriecht aus sei­nem Mun­de: Ich, der Staat, bin das Volk.« Der Staat will, so heißt es an ande­rer Stel­le, das »wich­tigs­te Tier auf Erden sein«, der Staat lügt und stiehlt, er ist ein »Heu­chel­hund«, er ist falsch. Er tut also das, was uns heu­te viel­fach zum Staat einfällt.

»Staat nen­ne ich’s, wo alle Gift­trin­ker sind, Gute und Schlim­me: Staat, wo alle sich sel­ber ver­lie­ren, Gute und Schlim­me: Staat, wo der lang­sa­me Selbst­mord aller – ›das Leben‹ heißt.« Der Staat ist der Gleich­ma­cher, der jeden in sei­nen Dienst zwingt, das Pro­krus­tes­bett, aus dem sich nie­mand unbe­scha­det erhebt. Daher ist klar, daß der Staat nicht für die gro­ßen Men­schen, son­dern für die Über­flüs­si­gen, unter deren Herr­schaft alle lei­den müs­sen, erfun­den wur­de. Von dort her ist auch das Ende der Pre­digt ­Zara­thus­tras zu ver­ste­hen, wenn er sagt, daß erst dort, wo der Staat auf­hö­re, der Mensch begin­ne, »der nicht über­flüs­sig ist, dort begin­nen die ›Brü­cken des Übermenschen‹«.

Inso­fern ist für Nietz­sche der von ihm kon­sta­tier­te Ver­fall und Tod des Staa­tes kein Grund zur Kla­ge. Der Ver­fall fol­ge not­wen­dig aus dem demo­kra­ti­schen Staats­be­griff. Die Demo­kra­tie sei die his­to­ri­sche Form, in wel­cher der ver­fal­len­de Staat auf­tre­te. Nietz­sche ver­steht Demo­kra­tie nicht als Herr­schafts­form, son­dern als Prin­zip der Frei­heit, das im Gegen­satz zum Prin­zip des Staa­tes steht. Das Ziel der Staats­kunst sei die Dau­er, »wel­che alles ande­re auf­wiegt, indem sie weit wert­vol­ler ist als Freiheit«.

Auch hier legt Nietz­sche Wert auf die Fest­stel­lung, daß die­se Demo­kra­tie nichts mit der gegen­wär­ti­gen Demo­kra­tie gemein habe. »Das, was jetzt schon so heißt, unter­schei­det sich von den älte­ren Regie­rungs­for­men allein dadurch, daß es mit neu­en Pfer­den fährt: die Stra­ßen sind noch die alten, und die Räder sind auch noch die alten.« Die Demo­kra­tie, die er mei­ne, sei etwas Kommendes.

Nietz­sche warnt aber davor, das Kom­men­de als etwas zu betrach­ten, das man her­bei­füh­ren kön­ne. Er plä­diert nicht für eine akti­ve Besei­ti­gung des Staa­tes, weil es eine Über­schät­zung der Ver­nunft und die Unkennt­nis der Geschich­te bedeu­ten wür­de, »schon jetzt die Hand an den Pflug zu legen, –wäh­rend noch nie­mand die Samen­kör­ner auf­zei­gen kann, wel­che auf das zer­ris­se­ne Erd­reich nach­her gestreut wer­den sollen.«

Im Gegen­teil: Der Umsturz aller Ord­nun­gen ist eine gefähr­li­che Sache, weil sich aus dem Cha­os nicht »sofort das stol­zes­te Tem­pel­haus schö­nen Men­schen­tums« von selbst erhe­ben wer­de. Viel­mehr wird so ein Umsturz von Lei­den­schaf­ten, Maß­lo­sig­kei­ten und Furcht­bar­kei­ten beglei­tet, die bis­lang als über­wun­den gal­ten. Ein sol­cher Umsturz ist daher eine »Kraft­quel­le«, weil sie eine matt gewor­de­ne Mensch­heit empor­rei­ßen kann, sie kann aber kein »Ord­ner, Bau­meis­ter, Künst­ler, Voll­ender der mensch­li­chen Natur sein«.

Aber die­se Ord­nung braucht es, solan­ge nicht alle Men­schen Künst­ler gewor­den sind. Denn der Staat ist vor allem eine zweck­mä­ßi­ge Ein­rich­tung, »eine klu­ge Ver­an­stal­tung zum Schutz der Indi­vi­du­en gegen­ein­an­der«. Mehr, so wird man Nietz­sche ver­ste­hen dür­fen, darf man aus ihm nicht machen, ins­be­son­de­re kei­ne Heils­an­stalt, was er den Sozia­lis­ten unter­stellt. Die­se wol­len ein »Wohl­le­ben« für mög­lichst vie­le und sehen im »voll­kom­me­nen Staat« die Hei­mat die­ses Wohllebens.

Hier ist ein Moment erreicht, wo der Zweck des Staa­tes sich in sein Gegen­teil ver­kehrt. Das Wohl­le­ben, als der tota­le Umver­tei­lungs­staat, wür­de den Boden zer­stö­ren, auf dem der »gro­ße Intel­lekt« und das »mäch­ti­ge Indi­vi­du­um« wach­sen. Nietz­sche spricht auch von der »star­ken Ener­gie«, die dadurch zer­stört wür­de. Die über­mä­ßi­ge »Ver­ede­lung des Indi­vi­du­ums« füh­re nicht zu sei­ner Stär­kung, son­dern zu sei­ner Schwä­chung und Auf­lö­sung, womit der eigent­li­che Zweck des Staa­tes in sein Gegen­teil ver­kehrt wür­de. Der »soge­nann­te ratio­na­le Staat« ist ein Auf­hal­ter im Cha­os, der kei­ne Wir­kung ent­fal­ten kann, wenn alle auf der Jagd nach dem per­sön­li­chen Glück sind, was unwei­ger­lich in die »ato­mis­ti­sche Revo­lu­ti­on« führe.

Nietz­sche in die­je­ni­gen ein­zu­rei­hen, die den Staat grund­sätz­lich als etwas sehen, das es abzu­schaf­fen oder zu über­win­den gel­te, dürf­te trotz der dras­ti­schen Wor­te, mit denen er ihn stel­len­wei­se cha­rak­te­ri­siert, schwer­fal­len. Ganz offen­sicht­lich hat Nietz­sche eine Idee vom wah­ren Staat, dem es gelingt, das Volk zu erhal­ten, die Kul­tur zu för­dern und den Frei­raum des ein­zel­nen zu schüt­zen. Die Ver­keh­rung die­ser Idee sieht er in dem Moment gege­ben, wenn sich der Staat zum Selbst­zweck erhebt und sei­ne Zie­le vergißt.

Daß Nietz­sche dar­über hin­aus viel am Staat sei­ner Gegen­wart aus­zu­set­zen hat, liegt an sei­nem soli­tä­ren Stand­ort: »Im Staa­te kann und darf nicht vol­le Wil­lens­frei­heit sein. Wer letz­te Din­ge zu sagen hat, muß außer­halb des Staa­tes ste­hen, das ist sein Kenn­zei­chen. Es ist sein Schick­sal und, wo die Ster­ne zwin­gen, sein Unter­gang« (Ernst Jün­ger). Aber er ist bes­ser geeig­net als jeder, der in die For­de­run­gen des Staa­tes ver­strickt ist, an die wah­re Idee des Staa­tes zu erinnern.

 

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

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