Mark Twain: Unterwegs mit den Arglosen

Ohne Tom Sawyer und Huckleberry Finn hätte unserer Jugend etwas gefehlt.

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

Neben dem spe­zi­el­len Humor begeg­ne­te uns hier eine unge­schön­te sozia­le Wirk­lich­keit, die bei allem Kla­mauk, dem Mark Twa­in frönt, für die Glaub­haf­tig­keit die­ser Geschich­ten sorgt. Den Laus­bu­ben­ge­schich­ten haf­tet nichts Bie­der­mei­er­li­ches an, was sie von vie­len ande­ren unter­schei­det und sicher­lich auch dazu geführt hat, daß sie ihren Platz in der Welt­li­te­ra­tur behaup­tet haben.

Dar­über ist der Autor und des­sen umfang­rei­ches Werk etwas in Ver­ges­sen­heit gera­ten. Zwar waren die Haupt­wer­ke Twa­ins immer lie­fer­bar, aber um eine Werk­aus­ga­be bemüh­te man sich nur in der DDR (wo der ehe­ma­li­ge Jun­gen­schafts­füh­rer Eber­hard Koe­bel-tusk den Yan­kee an König Artus’ Hof über­setz­te). Das hing damit zusam­men, daß man den Autor nicht in ers­ter Linie als Humo­ris­ten begriff, son­dern in ihm den Rea­lis­ten sah, der durch die Schil­de­rung der sozia­len Wirk­lich­keit als Augen­öff­ner und Feind­zeu­ge gegen die USA zu gebrau­chen war.

Das zu sei­nen Leb­zei­ten erfolg­reichs­te Buch Mark Twa­ins war der Rei­se­be­richt Die Arg­lo­sen im Aus­land, der 1869 erschien. Er beruh­te auf einer Serie von Rei­se­feuil­le­tons für ame­ri­ka­ni­sche Zei­tun­gen, in denen Twa­in 1867 von einer Rei­se nach Euro­pa und in den Nahen Osten berich­tet hat­te. Für die Buch­ver­öf­fent­li­chung über­ar­bei­te­te er die­se gründ­lich, so daß zwi­schen den Original­reportagen und dem Buch beträcht­li­che Unter­schie­de bestehen. Auf deutsch erschien die­ser Band erst 1961 im Rah­men der DDR-Werk­aus­ga­be, zehn Jah­re spä­ter wur­de er in der BRD nachgedruckt.

Der Mare-Ver­lag hat nun die Ori­gi­nal­re­por­ta­gen durch Alex­an­der Pech­mann über­setzen las­sen (der Twa­in das Wort »Schwar­zer« unter­ju­belt) und in einer aus­ge­spro­chen schö­nen Aus­ga­be (Lei­nen­ein­band und Schu­ber) ver­öf­fent­licht. Der Unter­schied zwi­schen bei­den Aus­ga­ben besteht vor allem in der Unmit­tel­bar­keit der ursprüng­li­chen Schil­de­run­gen, die Twa­in wäh­rend der Rei­se ver­faß­te und sofort zur Ver­öf­fent­li­chung in die Ver­ei­nig­ten Staa­ten über­mit­tel­te. Für die Buch­aus­ga­be damals strich er eini­ge schar­fe Äuße­run­gen, die reli­giö­se Gefüh­le ver­let­zen konnten.

Der Reiz des Buches besteht vor allem dar­in, daß Twa­in sich gemein­sam mit ame­ri­ka­ni­schen Pil­gern auf den Weg macht, die sich mit dem Besuch der hei­li­gen Stät­ten des Chris­ten­tums einen Lebens­traum erfül­len. Twa­in steht den reli­giö­sen Über­lie­fe­run­gen eher skep­tisch gegen­über und läßt an den Orten der Rei­se, die auf ihn ernüch­ternd wir­ken, und an sei­nen Mit­rei­sen­den, die sich von jedem Denk­mal ein Andenken abbre­chen, kaum ein gutes Haar.

Die Rei­se mit einem demi­li­ta­ri­sier­ten Rad­damp­fer aus dem Bür­ger­krieg führt von New York über die Azo­ren ins Mit­tel­meer, wo zahl­rei­che Abste­cher in das Lan­des­in­ne­re Spa­ni­ens, Frank­reichs und Ita­li­ens auf dem Pro­gramm ste­hen. Von Grie­chen­land geht es auf die Krim, wo man dem Zaren begeg­net, und von dort in die heu­ti­ge Tür­kei und schließ­lich nach Bei­rut. Dort geht es mit dem Pferd wei­ter durch Syri­en und das heu­ti­ge Isra­el, um die hei­li­gen Stät­ten der Chris­ten­heit zu besich­ti­gen. In Jaf­fa war­tet das Schiff, das die Pil­ger und Twa­in über Alex­an­dria und die Ber­mu­das nach mehr als fünf Mona­ten wie­der in New York abliefert.

Den Rei­se­re­por­ta­gen merkt man an, daß man es mit dem frü­hen Twa­in zu tun hat. Vie­le Schil­de­run­gen, die iro­nisch sein sol­len, sind zu platt, um die gewoll­te Wir­kung erzie­len zu kön­nen. Oft­mals han­delt es sich um die typisch ame­ri­ka­ni­sche Selbst­ver­ständ­lich­keit, sein eige­nes Land für den Nabel der Welt zu hal­ten, gegen den nicht nur die Stät­ten der Chris­ten­heit, son­dern das gan­ze alte Euro­pa mit sei­nen Kunst­schät­zen wie ein Trö­del­la­den wir­ken. Das ein­zi­ge, was Twa­in Respekt ein­flößt, sind die ebe­nen Stra­ßen in Ita­li­en, die er vor­be­halt­los bewundert.

Den Nahen Osten beschreibt Twa­in als eine von Mos­lems, Bett­lern und Kran­ken bewohn­te Ein­öde, in der Tou­ris­ten ange­bet­telt oder als Chris­ten ver­ach­tet wer­den. Sei­ne Schil­de­rung soll den mög­lichst größ­ten Kon­trast zur Ent­zü­ckung der Pil­ger erzeu­gen, die sich im Nach­voll­zug der Lei­dens­ge­schich­te Chris­ti wähnen.

An einer schö­nen Stel­le schil­dert Twa­in den Ver­such der Pil­ger, am See Gene­za­reth einen Fischer für eine Boots­fahrt zu gewin­nen. Als der einen stol­zen Preis auf­ruft, begin­nen die Pil­ger zu feil­schen und müs­sen, als sich der Fischer nicht dar­auf ein­läßt, vom Ziel ihrer Träu­me, auf den Spu­ren von Jesus über das Was­ser zu fah­ren, Abstand nehmen.

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Mark Twa­in: Unter­wegs mit den Arg­lo­sen. Die Ori­gi­nal­re­por­ta­gen aus Euro­pa und dem Hei­li­gen Land, Ham­burg: mare­ver­lag 2021. 527 S., 44 €

 

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Erik Lehnert

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