Am Ende sind wir beide zynisch geworden, das ist legitim und angemessen, letztlich aber bloß ein Fluchtimpuls. Also setze ich noch einmal an: Wir dürfen denjenigen, die geschmeidiger sind als ein Schluck Wasser zumindest als Beobachter nichts durchgehen lassen. Ich meine damit: Fassungslos wahrnehmend müssen wir immer wieder von der Abwendung zu einem Standpunkt zurückfinden, von dem aus wir konstruktiv sein können und “das Öffentliche” nicht aus dem Blick verlieren.
Wir sind ja nicht die einzigen, die begreifen, daß unser Land zugrunde gerichtet wird. Unser Widerstand dagegen sollte (abgesehen von der Ordnung, die man um sich herum schaffen kann) darin bestehen, daß wir die Sache auf den Punkt zu bringen versuchen. Noch will ich politisch sein in dem Sinne, daß ich nicht für mich nach Wegen suche, sondern für unser Land.
Ein Beispiel: Sind Wehrhaftigkeit und Opferbereitschaft Tugenden, die nur für Ukrainer oder Russen gelten, während wir Deutsche sie uns seit Jahrzehnten und weiterhin aberziehen? Wie ist das mit der nationalistischen Aufladung eines Verteidigungskampfes? Ist so etwas situativ gestattet? Kennt jemand die Formen und die Rituale einer solchen Aufladung in der Ukraine, und wie ist das, wenn »der Westen« diese Männer romantisiert und allen Ernstes behauptet, hier kämpften Leute für die Werte ebendieses Westens?
Ich will also nach dem fragen, was zu uns – gerade zu uns Rechten – an Fragestellungen aus diesem Konflikt und Krieg zurückkommt.
Gruß!
Götz
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Burg Schreckenstein, 7. Juli 2022
Lieber Götz,
Du stellst rhetorische Fragen – doch auch dabei kommt es auf den Standpunkt, die Perspektive an: Aus der Sicht des hiesigen Parteienkartells und seiner PsyOps-Medien sind die meisten Deiner Fragen mit einem Ja zu beantworten – andere dürfen und sollen, was den Deutschen selbstverständlich verwehrt zu bleiben hat, das ist ein alter Hut.
Für uns Dissidenten bilden die Kämpfe in der Ukraine in mehrerlei Hinsicht ein Problem, auch über die konkreten materiellen Folgen des EU-Wirtschaftskrieges gegen Rußland hinaus. Über die reale Lage in der Ukraine wissen wir nicht genug, insofern ist die Frage nach der dortigen Wehr- und Opferbereitschaft, der nationalistischen Aufladung jenseits schierer Propaganda nicht seriös zu beantworten.
Was wir jedoch zweifelsohne erkennen, das ist ein höchst realer Krieg, der mit jenen Scharmützeln der »westlichen Wertegemeinschaft« in Afghanistan, sogar den dynamischen Sezessionskriegen im vormaligen Jugoslawien Anfang der 1990er Jahre wenig Gemeinsamkeiten hat. Die »Spezialoperation« der Russen hat sich längst zu einem klassischen Abnutzungskrieg ausgeweitet, der einen langen Atem und Durchhaltefähigkeit auf allen Ebenen erfordert.
Wir Deutschen sind dazu kaum mehr in der Lage: Die Moral der aktiven Truppe wurde und wird aus bekannten Gründen zersetzt, deren Kern bei allen Armeen der Welt stets in der eigenen Tradition lag und liegt. Über den Ausrüstungs‑, Munitions- und Personalstand ist kein Wort mehr zu verlieren.
Mit der Abschaffung der Wehrpflicht hat man sich nicht nur einer nationalerzieherischen Institution beraubt, sondern auch der Soldaten, die in einem Kriegsfall schnell reaktiviert werden könnten, um überhaupt auf die nötige Mannstärke zu kommen und Verluste an der Front zu ersetzen. Und mit einer éducation commune in unseren Schulen, Universitäten und Medien, die ganz auf ein negatives Selbstbild ausgerichtet ist, läßt sich keine Wehrbereitschaft in der »Bevölkerung« hervorrufen, von »Volk« gar nicht zu sprechen.
Für Energiewende und französischen Atomstrom, freie Geschlechtswahl und islamische Religionsausübung, für Abtreibungswerbung und Rentensicherung, Oben-ohne-Schwimmen und Frauenbeschneidung wird hierzulande keiner das eigene Leben einsetzen.
Daß dennoch auch in vielen Deutschen die Sehnsucht nach einem positiven Selbstbild glimmt, ist unbestritten. Wir werden diese Sehnsucht dringend brauchen, wollen wir uns wieder aus Ruinen erheben, noch ist sie leicht anzufachen. Allerdings glaube ich nicht, daß wir Dissidenten großen Einfluß darauf haben.
Vielmehr wird es für die herrschende Klasse und ihre Derivate in Parteien und Medien recht bald zum Schwur kommen, und ich bin mir sicher, daß sie dann die »nationale« Karte zu ziehen versuchen, wie man es schon einmal unter unserem Kriegskanzler Schröder und seinem grünen Vize Jockel Fischer 2005 aus dem regierungsnahen Bertelsmann-Imperium heraus anging.
Wir werden sehen, ob dies das nächste Mal gelingt. Gelänge es, dann gerieten wir, das Andere Deutschland, in eine mißliche Lage – was tun, wenn Gangster den deutschen Funken für ihre Zwecke mißbrauchen?
À bientôt!
Ivor
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Schnellroda, 10. Juli
Lieber Ivor,
Du kennst meinen Impuls, immer dann, wenn man merkt, daß man als Machtloser über Machtfragen zu sprechen beginnt, damit lieber nicht zu beginnen, sondern zu Handhabbarem zu greifen: im Garten zur Harke, am Schreibtisch zum Schriftenfächer für die Form des nächsten Buches und zum Manuskript.
Ich schrieb das ja neulich in einem Beitrag über eine Vortragsreise nach Belgrad. Als mir dort junge Zuhörer die Frage nach Europa stellten, antwortete ich:
Wenn jemand davon erzählt, wie er Europa von rechts gestalten wolle, dann kommt es mir vor, als spräche er über die Menschheit oder über das Leben, das Universum und den ganzen Rest (um Douglas Adams zu zitieren) – über eine Bezugsgröße jedenfalls, die noch weniger in unserer Reichweite liegt als bereits unsere Nationen. Europäische Politik ist angesichts des Zustands unserer je eigenen Länder (und vor allem Deutschlands) auf einer Leiter die oberste Sprosse, nach der man nicht greifen kann und an der man sich folglich nicht beweisen muß.
Dieser Umstand spielt seit jeher allen Baumeistern von Nicht-Orten in die Karten: Man muß bloß etwas behaupten, muß bloß Bescheid wissen, muß nicht einmal wirklich wollen, und vor allem muß man nie konkret werden.
Großraumgespräche sind für die Machtlosen in Vasallenstaaten, also für uns, ein Glasperlenspiel. Dennoch müssen wir die Frage stellen und beantworten, wie es soweit hat kommen können. Wie lange ist dieser Konflikt geschürt worden, wem nützt er, was wird durch die vermeintlich eindeutigen Frontverläufe festgezurrt? Welchem übergeordneten Interesse folgt das Verhalten der »Machthaber« in unserem Land? Können, müssen wir uns auf eine Seite schlagen?
Antworten darauf sind für die innere Hygiene von Wichtigkeit, und sie sind das kleine Fähnchen, das sichtbar aufgezogen wird, wenn über der Republik, der »westlichen Welt« das große Banner der Alternativlosigkeit weht. Ich schaute gebannt auf die Verteidiger des Asow-Stahlwerks in Mariupol und halte zugleich und nach wie vor den russischen Angriff für die legitime Reaktion auf eine jahrzehntelange Einkreisung und näherrückende Bedrohung, von der ich, um den Bogen zu spannen, im Falle der US-amerikanischen Angriffe auf den Irak und Afghanistan nichts bemerkt hatte, nichts also, was diese Überfälle gerechtfertigt hätte.
Aber diese Haltung beantwortet nicht die Frage, die wir vor allem stellen sollten: Gibt es aus deutscher Sicht Freund und Feind in diesem Krieg oder nicht, und wenn ja: Ist es nicht legitim oder sogar notwendig, diese Positionierung als Alternative zur Alternativlosigkeit zu formulieren und zu vertreten – auch dann, wenn wir wissen, daß es bloß Rhetorik ist?
Gruß in die Nacht!
Götz
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(Teil 1 des Briefwechsels mit Ivor Claire, der aus Lothringen stammt und in Deutschland an einem Privatgymnasium Sport und Deutsch unterrichtet. Veröffentlicht in der 109. Sezession – hier einsehen und bestellen.)