“Das Verteufelte kehrt wieder” – ein Briefwechsel

PDF der Druckfassung aus Sezession 109/ August 2022

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

Schnell­ro­da, 6. Juli 2022 –

Lie­ber Ivor, war ein gutes Gespräch. Dank noch­mal für Speis und Trank und Bettstatt.

Am Ende sind wir bei­de zynisch gewor­den, das ist legi­tim und ange­mes­sen, letzt­lich aber bloß ein Flucht­im­puls. Also set­ze ich noch ein­mal an: Wir dür­fen den­je­ni­gen, die geschmei­di­ger sind als ein Schluck Was­ser zumin­dest als Beob­ach­ter nichts durch­ge­hen las­sen. Ich mei­ne damit: Fas­sungs­los wahr­neh­mend müs­sen wir immer wie­der von der Abwen­dung zu einem Stand­punkt zurück­fin­den, von dem aus wir kon­struk­tiv sein kön­nen und “das Öffent­li­che” nicht aus dem Blick verlieren.

Wir sind ja nicht die ein­zi­gen, die begrei­fen, daß unser Land zugrun­de gerich­tet wird. Unser Wider­stand dage­gen soll­te (abge­se­hen von der Ord­nung, die man um sich her­um schaf­fen kann) dar­in bestehen, daß wir die Sache auf den Punkt zu brin­gen ver­su­chen. Noch will ich poli­tisch sein in dem Sin­ne, daß ich nicht für mich nach Wegen suche, son­dern für unser Land.

Ein Bei­spiel: Sind Wehr­haf­tig­keit und Opfer­be­reit­schaft Tugen­den, die nur für Ukrai­ner oder Rus­sen gel­ten, wäh­rend wir Deut­sche sie uns seit Jahr­zehn­ten und wei­ter­hin aberzie­hen? Wie ist das mit der natio­na­lis­ti­schen Auf­la­dung eines Ver­tei­di­gungs­kamp­fes? Ist so etwas situa­tiv gestat­tet? Kennt jemand die For­men und die Ritua­le einer sol­chen Auf­la­dung in der Ukrai­ne, und wie ist das, wenn »der Wes­ten« die­se Män­ner roman­ti­siert und allen Erns­tes behaup­tet, hier kämpf­ten Leu­te für die Wer­te eben­die­ses Westens?

Ich will also nach dem fra­gen, was zu uns – gera­de zu uns Rech­ten – an Fra­ge­stel­lun­gen aus die­sem Kon­flikt und Krieg zurückkommt.

Gruß!

Götz

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Burg Schre­cken­stein, 7. Juli 2022

Lie­ber Götz,

Du stellst rhe­to­ri­sche Fra­gen – doch auch dabei kommt es auf den Stand­punkt, die Per­spek­ti­ve an: Aus der Sicht des hie­si­gen Par­tei­en­kar­tells und sei­ner PsyOps-Medi­en sind die meis­ten Dei­ner Fra­gen mit einem Ja zu beant­wor­ten – ande­re dür­fen und sol­len, was den Deut­schen selbst­ver­ständ­lich ver­wehrt zu blei­ben hat, das ist ein alter Hut.

Für uns Dis­si­den­ten bil­den die Kämp­fe in der Ukrai­ne in meh­rer­lei Hin­sicht ein Pro­blem, auch über die kon­kre­ten mate­ri­el­len Fol­gen des EU-Wirt­schafts­krie­ges gegen Ruß­land hin­aus. Über die rea­le Lage in der Ukrai­ne wis­sen wir nicht genug, inso­fern ist die Fra­ge nach der dor­ti­gen Wehr- und Opfer­be­reit­schaft, der natio­na­lis­ti­schen Auf­la­dung jen­seits schie­rer Pro­pa­gan­da nicht seri­ös zu beantworten.

Was wir jedoch zwei­fels­oh­ne erken­nen, das ist ein höchst rea­ler Krieg, der mit jenen Schar­müt­zeln der »west­li­chen Wer­te­ge­mein­schaft« in Afgha­ni­stan, sogar den dyna­mi­schen Sezes­si­ons­krie­gen im vor­ma­li­gen Jugo­sla­wi­en Anfang der 1990er Jah­re wenig Gemein­sam­kei­ten hat. Die »Spe­zi­al­ope­ra­ti­on« der Rus­sen hat sich längst zu einem klas­si­schen Abnut­zungs­krieg aus­ge­wei­tet, der einen lan­gen Atem und Durch­hal­te­fä­hig­keit auf allen Ebe­nen erfordert.

Wir Deut­schen sind dazu kaum mehr in der Lage: Die Moral der akti­ven Trup­pe wur­de und wird aus bekann­ten Grün­den zer­setzt, deren Kern bei allen Armeen der Welt stets in der eige­nen Tra­di­ti­on lag und liegt. Über den Ausrüstungs‑, Muni­ti­ons- und Per­so­nal­stand ist kein Wort mehr zu verlieren.

Mit der Abschaf­fung der Wehr­pflicht hat man sich nicht nur einer natio­nal­erzie­he­ri­schen Insti­tu­ti­on beraubt, son­dern auch der Sol­da­ten, die in einem Kriegs­fall schnell reak­ti­viert wer­den könn­ten, um über­haupt auf die nöti­ge Mann­stär­ke zu kom­men und Ver­lus­te an der Front zu erset­zen. Und mit einer édu­ca­ti­on com­mu­ne in unse­ren Schu­len, Uni­ver­si­tä­ten und Medi­en, die ganz auf ein nega­ti­ves Selbst­bild aus­ge­rich­tet ist, läßt sich kei­ne Wehr­be­reit­schaft in der »Bevöl­ke­rung« her­vor­ru­fen, von »Volk« gar nicht zu sprechen.

Für Ener­gie­wen­de und fran­zö­si­schen Atom­strom, freie Geschlechts­wahl und isla­mi­sche Reli­gi­ons­aus­übung, für Abtrei­bungs­wer­bung und Ren­ten­si­che­rung, Oben-ohne-Schwim­men und Frau­en­be­schnei­dung wird hier­zu­lan­de kei­ner das eige­ne Leben einsetzen.

Daß den­noch auch in vie­len Deut­schen die Sehn­sucht nach einem posi­ti­ven Selbst­bild glimmt, ist unbe­strit­ten. Wir wer­den die­se Sehn­sucht drin­gend brau­chen, wol­len wir uns wie­der aus Rui­nen erhe­ben, noch ist sie leicht anzu­fa­chen. Aller­dings glau­be ich nicht, daß wir Dis­si­den­ten gro­ßen Ein­fluß dar­auf haben.

Viel­mehr wird es für die herr­schen­de Klas­se und ihre Deri­va­te in Par­tei­en und Medi­en recht bald zum Schwur kom­men, und ich bin mir sicher, daß sie dann die »natio­na­le« Kar­te zu zie­hen ver­su­chen, wie man es schon ein­mal unter unse­rem Kriegs­kanz­ler Schrö­der und sei­nem grü­nen Vize Jockel Fischer 2005 aus dem regie­rungs­na­hen Ber­tels­mann-Impe­ri­um her­aus anging.

Wir wer­den sehen, ob dies das nächs­te Mal gelingt. Gelän­ge es, dann gerie­ten wir, das Ande­re Deutsch­land, in eine miß­li­che Lage – was tun, wenn Gangs­ter den deut­schen Fun­ken für ihre Zwe­cke mißbrauchen?

À bien­tôt!

Ivor

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Schnell­ro­da, 10. Juli

Lie­ber Ivor,

Du kennst mei­nen Impuls, immer dann, wenn man merkt, daß man als Macht­lo­ser über Macht­fra­gen zu spre­chen beginnt, damit lie­ber nicht zu begin­nen, son­dern zu Hand­hab­ba­rem zu grei­fen: im Gar­ten zur Har­ke, am Schreib­tisch zum Schrif­ten­fä­cher für die Form des nächs­ten Buches und zum Manuskript.

Ich schrieb das ja neu­lich in einem Bei­trag über eine Vor­trags­rei­se nach Bel­grad. Als mir dort jun­ge Zuhö­rer die Fra­ge nach Euro­pa stell­ten, ant­wor­te­te ich:

Wenn jemand davon erzählt, wie er Euro­pa von rechts gestal­ten wol­le, dann kommt es mir vor, als sprä­che er über die Mensch­heit oder über das Leben, das Uni­ver­sum und den gan­zen Rest (um Dou­glas Adams zu zitie­ren) – über eine Bezugs­grö­ße jeden­falls, die noch weni­ger in unse­rer Reich­wei­te liegt als bereits unse­re Natio­nen. Euro­päi­sche Poli­tik ist ange­sichts des Zustands unse­rer je eige­nen Län­der (und vor allem Deutsch­lands) auf einer Lei­ter die obers­te Spros­se, nach der man nicht grei­fen kann und an der man sich folg­lich nicht bewei­sen muß.

Die­ser Umstand spielt seit jeher allen Bau­meis­tern von Nicht-Orten in die Kar­ten: Man muß bloß etwas behaup­ten, muß bloß Bescheid wis­sen, muß nicht ein­mal wirk­lich wol­len, und vor allem muß man nie kon­kret werden.

Groß­raum­ge­sprä­che sind für die Macht­lo­sen in Vasal­len­staa­ten, also für uns, ein Glas­per­len­spiel. Den­noch müs­sen wir die Fra­ge stel­len und beant­wor­ten, wie es soweit hat kom­men kön­nen. Wie lan­ge ist die­ser Kon­flikt geschürt wor­den, wem nützt er, was wird durch die ver­meint­lich ein­deu­ti­gen Front­ver­läu­fe fest­ge­zurrt? Wel­chem über­ge­ord­ne­ten Inter­es­se folgt das Ver­hal­ten der »Macht­ha­ber« in unse­rem Land? Kön­nen, müs­sen wir uns auf eine Sei­te schlagen?

Ant­wor­ten dar­auf sind für die inne­re Hygie­ne von Wich­tig­keit, und sie sind das klei­ne Fähn­chen, das sicht­bar auf­ge­zo­gen wird, wenn über der Repu­blik, der »west­li­chen Welt« das gro­ße Ban­ner der Alter­na­tiv­lo­sig­keit weht. Ich schau­te gebannt auf die Ver­tei­di­ger des Asow-Stahl­werks in Mariu­pol und hal­te zugleich und nach wie vor den rus­si­schen Angriff für die legi­ti­me Reak­ti­on auf eine jahr­zehn­te­lan­ge Ein­krei­sung und näher­rü­cken­de Bedro­hung, von der ich, um den Bogen zu span­nen, im Fal­le der US-ame­ri­ka­ni­schen Angrif­fe auf den Irak und Afgha­ni­stan nichts bemerkt hat­te, nichts also, was die­se Über­fäl­le gerecht­fer­tigt hätte.

Aber die­se Hal­tung beant­wor­tet nicht die Fra­ge, die wir vor allem stel­len soll­ten: Gibt es aus deut­scher Sicht Freund und Feind in die­sem Krieg oder nicht, und wenn ja: Ist es nicht legi­tim oder sogar not­wen­dig, die­se Posi­tio­nie­rung als Alter­na­ti­ve zur Alter­na­tiv­lo­sig­keit zu for­mu­lie­ren und zu ver­tre­ten – auch dann, wenn wir wis­sen, daß es bloß Rhe­to­rik ist?

Gruß in die Nacht!

Götz

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(Teil 1 des Brief­wech­sels mit Ivor Clai­re, der aus Loth­rin­gen stammt und in Deutsch­land an einem Pri­vat­gym­na­si­um Sport und Deutsch unter­rich­tet. Ver­öf­fent­licht in der 109. Sezes­si­onhier ein­se­hen und bestel­len.)

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Burg Schre­cken­stein, 11. Juli 2022 – Lie­ber Götz, eine Flucht ins Pri­va­te ist in Kri­sen­zei­ten nicht mög­lich, das hat uns Schil­ler in sei­nem Tell gezeigt.

Und auch eine Emi­gra­ti­on ins Aus­land schö­be den Zugriff Behe­mo­ths und Levia­thans auf uns selbst nur auf. Die ent­schei­den­de Fra­ge lau­tet, wer in der Bun­des­re­pu­blik einen Rüt­li­schwur able­gen kann und will, ob und wie über­haupt ein »neu­er Bund« mög­lich ist.

Wir müs­sen hier zunächst zwei Krö­ten schlu­cken: daß es, ers­tens, weder für uns noch irgend jemand ande­ren einen Weg zurück zu irgend­ei­nem Vor­her gibt; und zwei­tens, daß für einen Rüt­li­schwur Män­ner nötig sind, die in den Insti­tu­tio­nen des schwind­süch­ti­gen Staa­tes ein­ge­bun­den und in der Wirt­schaft tätig sind, also über Ein­sicht, Kennt­nis­se und Erfah­rung verfügen.

Damit befin­den wir uns bereits inmit­ten jener Gedan­ken­spie­le­rei­en oder Groß­raum­ge­sprä­che, von denen Du sprichst. Sie sind not­wen­dig, um uns über unse­re Lage und Mög­lich­kei­ten klar­zu­wer­den – wir dür­fen dabei frei­lich nicht so tun, als ver­füg­ten wir über Mit­tel und Kräf­te, die wir nicht haben.

Gibt es denn noch Leu­te, die wil­lens und fähig wären, einen neu­en »Krei­sau­er Kreis« zu bil­den? Wie wären sie zu iden­ti­fi­zie­ren, wie zusam­men­zu­füh­ren, ohne von den Scher­gen früh­zei­tig ver­nich­tet zu werden?

Die »gro­ße Lage« spielt hier, damals wie heu­te, eine ent­schei­den­de Rol­le, denn wir brau­chen uns kei­ner Illu­si­on hin­zu­ge­ben: Hier­zu­lan­de geschieht nichts, das nicht »von außen« zuge­las­sen oder beein­flußt wäre, und den USA geht es sowe­nig um das Wohl­erge­hen der Deut­schen wie den Rus­sen oder den Chinesen.

Damit sind wir auch bei Dei­ner Fra­ge nach einer Feind­be­stim­mung im aktu­el­len Krieg im Osten. De fac­to wird den Deut­schen mas­siv vor Augen geführt, wer der Feind sein soll, was zu den bekannt-absur­den Ver­ren­kun­gen führt: Ban­de­ra-Tra­di­tio­nen in der Ukrai­ne, vor einem Jahr noch Aus­ge­bur­ten des Schai­tans, bil­den jetzt die Basis euro­päi­scher Vorn­ever­tei­di­gung gegen rus­sisch-asia­ti­sche Hor­den, wäh­rend grü­ne und rosa­ro­te Wehr­dienst­ver­wei­ge­rer, Christ- und Frei­zeit­de­mo­kra­ten ihre fried­li­chen bun­des­deut­schen Scha­fe tap­fer auf einen Kampf gegen den alt bösen Feind einschwören.

Hier ist der Ver­such einer eige­nen Feind­be­stim­mung von uns Macht­lo­sen im aktu­el­len Krieg wohl ein Sand­kas­ten­spiel, das indes, betreibt man es rich­tig, die Grund­la­ge künf­ti­ger Ent­schei­dun­gen bil­den kann.

Von einer deut­schen Posi­ti­on aus zer­stört uns die Poli­tik der USA und der EU, aber auch die rus­si­sche Poli­tik ope­riert, ins­be­son­de­re ver­gan­gen­heits­po­li­tisch, so, daß sie uns mehr scha­det als nützt. Dar­aus ergibt sich für mich mit Blick auf die gege­be­nen Kräf­te­ver­hält­nis­se eine Linie, wie sie unser Cum-Ex-Scholz mit sei­nen beschränk­ten Fähig­kei­ten zu ver­fol­gen such­te: sich her­aus­hal­ten, ohne zu sehr anzuecken.

Wenn ich mir vor­stel­le, Black­Rock-Merz oder gar einer der pen­sio­nier­ten AfD-Obris­ten säße an sei­ner Stel­le, bin ich fast froh, daß der vor­ma­li­ge Jung­so­zia­list heu­te als Kanz­ler her­um­zu­ei­ern versucht.

Weder eine »Rote Kapel­le« noch die gefor­der­te Nibe­lun­gen­treue zur NATO kön­nen der­zeit die Opti­on einer deut­schen Dis­si­denz sein. Die drän­gen­de Fra­ge, was einem selbst in die­ser beschis­se­nen Lage an poli­ti­schen Hand­lungs­mög­lich­kei­ten bleibt, brennt mir wei­ter auf der Haut, aus mei­ner Rat­lo­sig­keit habe ich noch nicht herausgefunden.

Was also tun?

Sans aucu­ne illusion,

Ivor

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Schnell­ro­da, 12. Juli 2022

Lie­ber Ivor,

Dei­ne Skiz­ze der Lage wür­de, das war mir klar, ein für uns Deut­sche läh­men­des Bild abge­ben. Kannst Du Dich an die irre Sze­ne erin­nern, die sich am Rand jener Ber­li­ner Groß­de­mons­tra­ti­on vom 1. August 2021 abspiel­te, von der einer unse­rer Lands­män­ner beim vor­abend­li­chen Gang über das kom­men­de Schlacht­feld behaup­te­te, dies wür­de der wohl wich­tigs­te Tag der deut­schen Geschich­te seit dem 8. Mai 1945 werden?

Es schar­te sich damals ein Hau­fe vor den Ein­gän­gen der rus­si­schen und der ame­ri­ka­ni­schen Bot­schaft und fleh­te um Frie­dens­ver­trä­ge und um Erlö­sung von den Schuld­er­zäh­lun­gen. Die­se Bitt­ge­su­che wur­den von den Ver­an­stal­tern auf­ge­grif­fen und ver­kün­det. Glaub mir, Ivor: Die­se Sze­ne ver­paß­te mir Gän­se­haut und eine Auf­wal­lung von Mit­leid. Die Hoff­nung die­ser Leu­te war spür­bar echt, sie war nicht abge­brüht oder kal­ku­liert, son­dern kam aus dem Her­zen, hat­te für die­je­ni­gen, die mit­wog­ten und mit­fleh­ten, tat­säch­lich die ver­dich­ten­de Kraft einer Stern­stun­de der Mensch­heit, war zugleich aber für fer­ne Beob­ach­ter wie mich irr­sin­nig wie ein Veitstanz.

Als die Spann­kraft nach­ließ, kam es zu Ernüch­te­rungs­sze­nen. Ver­zwei­felt wei­nen­de Demons­tran­ten, jähe Unbe­haust­heit im Potem­kin­schen Dorf, Scham: der Deut­sche als poli­ti­scher Roman­ti­ker mit der Gemüts­ver­fas­sung eines klei­nen Kin­des … Jede Sei­te ist die fal­sche – Meis­ter Klo­novs­ky ver­wen­det die­ses Dik­tum gern, es paßt auch hierher.

Ich spre­che immer vom Wind­schat­ten, in den ich unser Land wün­sche, wenn mich einer nach dem poli­ti­schen Mini­mum fragt. Bloß ist Deutsch­land für den Wind­schat­ten zu groß, immer noch zu wesent­lich. Wir sind halt nicht Por­tu­gal oder Ungarn.

Laß uns also mal ein paar Wahr­neh­mun­gen auf der unte­ren Ebe­ne durch­de­kli­nie­ren und Schluß­fol­ge­run­gen aus ihnen zie­hen. Ich will mit einem The­men­kom­plex begin­nen, der Kon­junk­tur hat, seit es um Wehr­be­reit­schaft, Ver­tei­di­gung, Selbst­ver­sor­gung in abge­schnit­te­nen Räu­men und ums Über­le­ben an sich geht.

Ich sah einen Arte-Film über schwe­di­sche Prep­per und über die mili­tä­ri­sche Sei­te die­ser Kri­sen- und Kriegs­vor­be­rei­tung: die schwe­di­sche Heim­wehr. Die­ser Film berich­te­te ohne jede Her­ab­las­sung oder Dekon­struk­ti­on über das, was wir frü­her aus den Sur­vi­val-Büchern des Kon­di­tor­meis­ters Rüdi­ger Neh­berg nach­bas­tel­ten und beim Mili­tär lern­ten: Feu­er bei jedem Wet­ter (auch im Film wird die­ser idio­ti­sche Zufall wie­der­holt, daß man zwar kein Feu­er­zeug, aber einen Magne­si­umstein plus Scha­ber in der Hosen­ta­sche habe …), dazu Anlei­tung zum klei­nen Krieg, zum tota­len Widerstand.

Schwe­den dort, Deutsch­land hier. Was der Film zeigt, wird hier­zu­lan­de kri­mi­na­li­siert: zu ler­nen, wie man in einer in jeg­li­cher Hin­sicht nicht­aut­ar­ken Groß­stadt­woh­nung im Ernst­fall nicht friert und hun­gert, son­dern selbst­be­wußt dabei hel­fen kann, die Ord­nung auf­recht­zu­er­hal­ten; dann: zu üben, wie man vor dem Feind nicht »blank« dasteht, son­dern mit Waf­fen umzu­ge­hen weiß.

Es geht in der Doku­men­ta­ti­on tat­säch­lich um Wehr­sport, Vor­rats­hal­tung, auf Wochen oder Mona­te ange­leg­te Aut­ar­kie, iden­ti­tä­res Selbst­be­wußt­sein, Mobil­ma­chung, Ertüchtigung.

In Deutsch­land sind die­se Impul­se in jus­ti­tia­ble Kist­chen abge­legt wor­den: Reichs­bür­ger, Prep­per, Mili­ta­ris­ten, völ­ki­sche Sied­ler. Legen wir die 100 Mil­li­ar­den zusätz­li­cher Schul­den für die Auf­rüs­tung der Bun­des­wehr dane­ben: Sie sind doch ein Beweis dafür, daß sich die Gefähr­dungs­la­ge ver­schlech­tert haben muß!

Was läge also näher als eine prak­ti­sche und geis­ti­ge Auf­rüs­tung des Nor­mal­bür­gers, eine Kräf­ti­gung sei­nes Wider­stands­po­ten­ti­als? Es schält sich doch in einer sol­chen Lage ein bestimm­ter Typ her­aus: der­je­ni­ge näm­lich, der trotz allem dar­an fest­hält, unser Land sei etwas, das zu ver­tei­di­gen sich loh­ne. Die Fra­ge nach dem Volk wird laut: Wer wäre das »Wir« im Ernst­fall? An wen wür­de man sich rich­ten, wer wäre gefragt, wenn es nicht mehr um Dienst nach Vor­schrift geht?

Das Ver­teu­fel­te kehrt zurück: Koh­le­kraft­wer­ke, Män­ner, Waf­fen, sogar Söld­ner dürf­te man wie­der sein, wenn man auf der rich­ti­gen Sei­te kämpft und die Bösen jagt.

Du siehst, es ist wie stets mit mir: Man denkt nach, kommt ins Fabu­lie­ren, wird sar­kas­tisch. Dabei soll­te man ernst blei­ben: ja, Not­la­ge, Män­ner, Waf­fen, Aske­se, Ein­satz, Wir. Der gan­ze Rest ist zumin­dest dort, wo der Ernst­fall aus­ge­bro­chen, ein­ge­bro­chen, aus­ge­ru­fen ist, nicht mehr so wichtig.

Götz

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Burg Schre­cken­stein, 13. Juli 2022

Lie­ber Götz,

die Ein­sicht in das, was ist, darf sich nicht nach dem Wün­schens­wer­ten rich­ten, das brau­che ich Dir eben­so­we­nig zu erklä­ren wie den Grund­satz, daß in der Ruhe die Kraft liegt – wer sich läh­men läßt oder kopf­los wird, ist ver­lo­ren. Wir haben das bei­de bei den sprin­gen­den Trup­pen gelernt.

Oder vor­neh­mer mit Goe­then: Es gibt kei­ne Lage, die sich nicht ver­edeln lie­ße, ent­we­der durch Leis­ten oder durch Dul­den. Man schanzt, wenn man sonst nichts tun kann, gräbt sich tie­fer ein, und sucht doch stets nach Mög­lich­kei­ten, die Initia­ti­ve zu gewin­nen und den Angriff zu wagen, auch wenn’s ein letz­tes Mal wäre.

Das Gute an der gegen­wär­ti­gen Zuspit­zung einer seit lan­gem schwe­len­den Kri­se ist ja, daß die »gro­ße Lage« nun tat­säch­lich in Fluß gera­ten ist wie seit 1989 nicht mehr, sie ist nur ris­kan­ter und gefähr­li­cher als damals. Das bie­tet wie­der­um Ent­wick­lungs­mög­lich­kei­ten auch für die »klei­ne Lage« der Dis­si­denz, die noch nicht abseh­bar sind.

Ich beob­ach­te inzwi­schen das­sel­be wie Du: Die Leu­te sind nicht dumm, sie wis­sen, was es geschla­gen hat – man hor­tet, knüpft Ver­bin­dung zu sei­nes­glei­chen, zum Bau­ern auch, zum Förs­ter und zum Jäger, legt sich Holz­öfen und Not­strom­ag­gre­ga­te zu und redet offen, wenn man sich kennt. Nur müs­sen all die­se Leu­te eben zudem ihren All­tag im Hier und Jetzt wei­ter­le­ben, hal­ten also den Ball nach außen hin wohl­weis­lich flach, wegen der von Dir ange­spro­che­nen Denun­zia­ti­on und Kri­mi­na­li­sie­rung sol­cher täti­gen Selbst­vor­sor­ge durch den okku­pier­ten Staat und sei­ne »zivil­ge­sell­schaft­li­chen« Lemuren.

Auch in die­ser Ruhe liegt Kraft, denn selbst wenn ich eine Eska­la­ti­on bis hin zu einem auf Kern­eu­ro­pa begrenz­ten Ein­satz ato­ma­rer Kampf­mit­tel für mög­lich hal­te, wer­den »wir« vor­erst wohl nicht auf unse­rem Boden gegen »den Rus­sen« kämp­fen müs­sen. Ich rech­ne hier viel­mehr mit der Ver­dich­tung (ver­zeih mir den Kalau­er) jenes Enzens­ber­ger­schen mole­ku­la­ren Bür­ger­kriegs zum »Ernst­fall«. Da kann sich das »Wir« dann lokal und regio­nal recht schnell zei­gen, mit allen guten und schlech­ten Seiten.

Den »bestimm­ten Typ«, von dem Du sprichst, gibt es ja noch immer, als Frei­wil­li­gen im Tech­ni­schen Hilfs­werk, bei den Feu­er­weh­ren und Ret­tungs­sa­ni­tä­tern, in Reser­vis­ten­ka­me­rad­schaf­ten und Sport­ver­ei­nen, aber auch, frei­lich in zuneh­men­der Ver­dün­nung, in den Streit­kräf­ten und bei der Poli­zei, die alle genau des­we­gen für die defor­mier­te poli­tisch-media­le Meu­te in Deutsch­land zum vor­ran­gi­gen Ziel der Zer­set­zung gewor­den sind.

Auf­er­stan­den aus Rui­nen und der Zukunft zuge­wandt – das muß unse­re Devi­se sein, das alte Ziel von Einig­keit und Recht und Frei­heit ist für das deut­sche Vater­land neu anzu­ge­hen, und dafür gilt es, auf »mole­ku­la­rer Ebe­ne«, wei­ter­zu­ar­bei­ten, sich vor­zu­be­rei­ten, nicht nur im per­sön­li­chen Umfeld, son­dern auch grundsätzlich:

Gibt es in Deutsch­land Kon­zep­te und Leu­te für den Wie­der­auf­bau einer Volks­wirt­schaft mit allen wich­ti­gen Spar­ten wie Ener­gie­ver­sor­gung, Land­wirt­schaft und Ver­kehrs­we­sen? Ver­folgt jemand Ansät­ze für eine zeit­ge­mä­ße Restruk­tu­rie­rung der Streit­kräf­te und ande­rer Exe­ku­tiv­or­ga­ne unter den aktu­ell und abseh­bar wei­ter­hin schwe­ren öko­no­mi­schen, per­so­nel­len und außen­po­li­ti­schen Bedin­gun­gen? Auf wel­che Über­le­gun­gen zur Reform des poli­ti­schen Sys­tems mit sei­nem kor­rup­ten Par­tei­en­re­gime kann rea­lis­tisch zurück­ge­grif­fen wer­den? Wel­che Exper­ti­sen braucht es, um den Kar­ren wie­der flott zu kriegen?

Das sind alles unge­heu­er kom­ple­xe und gro­ße Fra­gen, zugleich hin­rei­chend kon­kret – sie müs­sen ange­gan­gen wer­den, Tell hin oder her.

Vor­wärts also, und: nichts vergessen!

Ivor

Götz Kubitschek

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