Establishmentzugehörige Naturwissenschaftler fühlen sich nachrangig behandelt. Diese Conclusio drängt sich auf, wenn man die neue Streitschrift Denkt mit! des im ZDF präsenten Astrophysikers Harald Lesch liest, die er gemeinsam mit dem Publizisten Klaus Kamphausen vorgelegt hat.
Dabei ist die Ausgangsthese des Büchleins durchaus vielversprechend: Während in den Geisteswissenschaften das deliberative, diskursive Moment dominiert, sei eine Grunderkenntnis der Naturwissenschaften, daß wir mit der Natur weder verhandeln noch kommunizieren können: »Hier gibt es keine demokratischen Abstimmungen, keine Diskussionen oder Debatten.«
Auch deshalb bedürfe es einer Neugewichtung der Naturwissenschaften, in denen Theorien und Hypothesen permanent geprüft und oftmals wieder verworfen werden – Irrtum als Methode. So weit, so richtig.
Doch unterschlagen die Autoren in diesem Kontext die Differenz, die darin besteht, daß ein Irrtum bei – beispielsweise – Experimenten mit Wassermolekülen etwas anderes ist als beim Experiment am lebenden Objekt namens Mensch in der Corona-Krise: Hier permanent zu falsifizieren und am Ende womöglich zu sagen, man sei eben einem Irrtum nach dem anderen unterlegen, gibt möglichen Folgeschäden, insbesondere bei Kindern, zu viel Entfaltungsraum.
Über diesen Widerspruch hätte man gerne aus patenter Feder etwas erfahren – tut es aber nicht. Statt dessen ergehen sich die Autoren in einer recht unoriginellen Affirmation der Klimaideologie und der Abkanzelung ihrer Kritiker, die »nicht wissen, wovon sie sprechen«, und doch (untertänig?) nachfragen sollten bei den Erleuchteten: »Warum äußern Kritiker so etwas [Zweifel am entscheidenden Einfluß des Menschen auf den Klimawandel]? Sie hätten doch einfach einen Klimaforscher anrufen und ihn fragen können: ›Können Sie mir das noch mal erklären?‹«
Bei derart zur Schau gestellter Überheblichkeit gehen die korrekten Teilaspekte der Schrift unter, zumal auch sie kaum neue Erkenntnisse bereithalten, sondern vielmehr an Allgemeinplätze erinnern (Ressourcen des Planeten sind begrenzt; ungehemmtes Wachstum bleibt daher kritisch zu sehen u. ä.).
Das Buch ist folglich nicht, wie Lesch und Kamphausen postulieren, »ein Aufruf zum Gespräch«, sondern eine Absage an mögliche Antagonisten und eine Aufforderung an alle, der spezifischen Lesart der Autoren zu folgen. Als Zielpunkt geben sie unter anderem an, daß, gestützt durch Naturwissenschaftler, »eine Debatte über die Werte, nach denen wir leben wollen und die für uns nicht verhandelbar sind«, angestoßen wird.
Bei soviel Selbstüberzeugung und sowenig Selbstzweifeln läßt sich zumindest erahnen, wie Widersachern ihrer »nicht verhandelbaren« Werte begegnet werden soll. Auch damit erweisen sich Lesch und Kamphausen als charakteristische Vertreter des zeitgenössischen Establishments und würdige Nebenbuhler ihrer geisteswissenschaftlichen Kollegen.
– –
Harald Lesch, Klaus Kamphausen: Denkt mit! Wie uns Wissenschaft in Krisenzeiten helfen kann, München: Penguin Verlag 2021. 128 S., 14 €
Dieses Buch können Sie auf antaios.de bestellen.