Louis-Ferdinand Céline: Tod auf Raten

Wer mit Ausflügen ins Reich des Vulgären und Derben seine Probleme hat,...

Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

dürf­te bekannt­lich kein Freund von Michel Hou­el­le­becq sein. Doch noch kate­go­ri­scher soll­te er die Hän­de von Lou­is-Fer­di­nand Céli­ne (eigent­lich: ­Des­tou­ch­es) lassen.

Der Armen­arzt ­Céli­ne (1894 – 1961), bekannt durch die gran­dio­se Rei­se ans Ende der Nacht (frz. Erst­aus­ga­be 1932, dt. 1933 und 2003), aber auch ob sei­nes rasen­den Anti­se­mi­tis­mus und der eigen­ar­ti­gen Kol­la­bo­ra­ti­on mit den natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Besat­zern wäh­rend der Occu­pa­ti­on, erin­nert an Hou­el­le­becq auf Speed, und er wirk­te als Autor in einer Zeit, in der lite­ra­ri­sche Haß­ge­sän­ge, in ihrer ein­zig­ar­ti­gen Mischung aus Argot (dem Jar­gon der Pari­ser Halb­welt) und Hoch­spra­che, noch voll­ends ver­pönt waren und einen wirk­li­chen Tabu­bruch bedeu­te­ten – kei­nen sorg­sam inszenierten.

Die erst­mals in deut­scher Spra­che vor­lie­gen­de inte­gra­le Über­set­zung des Romans Mort à cre­dit – mit Aus­las­sun­gen 1937 als Tod auf Borg bzw. ab 1963 als Tod auf Kre­dit erschie­nen – zeigt in aller Deut­lich­keit auf, wes­halb sich rele­van­te Tei­le des lite­ra­ri­schen Frank­reichs der 1930er Jah­re regel­recht empört ob des Unf­lats zeig­ten, den Céli­ne über Hun­der­te Sei­ten hin­weg zu einem furio­sen Epos auftürmte.

Céli­ne ging es dabei nicht um arti­fi­zi­el­le Pro­vo­ka­ti­on als Prin­zip. Er haß­te regel­recht sei­ne Zeit­ge­nos­sen im all­ge­mei­nen und das Jus­te milieu sei­ner Zeit sowie das Ver­schlei­ern mensch­li­cher Abgrün­de durch Fein­sin­ni­ges oder Moral­vor­stel­lun­gen im besonderen.

Der Mensch ist dem Men­schen ein Ver­häng­nis, und der moder­ne Mensch ist dazu auch noch noto­risch über­for­dert mit sich selbst und sei­nem eigent­lich doch so bana­len, so trieb­ge­steu­er­ten Lebens­voll­zug; das war Céli­nes Bot­schaft an sei­ne Zeitgenossen.

Die fik­tio­nal-auto­bio­gra­phi­schen Schil­de­run­gen umrei­ßen die Jugend des Prot­ago­nis­ten Fer­di­nand; der Erzähl­strang erstreckt sich von der Jahr­hun­dert­wen­de bis kurz vor Beginn des Ers­ten Welt­kriegs. Im Dschun­gel des Haupt­stadt­klein­bür­ger­tums ist bei Céli­ne kein Platz für Roman­tik, für mensch­li­che Nähe­ver­hält­nis­se, für Ver­trau­en und Loyalität.

Statt des­sen: Nied­rig­keit aller­or­ten, Gewalt (inner- wie außer­fa­mi­li­är), Geschlechts­ver­kehr jeden Typus (und mit Männ­lein wie Weib­lein) als abson­der­li­ches Fest des Ekels vor sich selbst und dem tem­po­rä­ren Part­ner. Als der Erzäh­ler über sei­ne unste­ten und von fata­len Fehl­schlä­gen gepräg­ten Lehr­jah­re als Kauf­manns­ge­sel­le berich­tet, kon­sta­tiert er, daß man all dies wohl durch­lit­ten haben müs­se, um zu wis­sen, wie der Haß schme­cke: »Er muß dir durchs Gedärm gekro­chen sein, bis ins Herz«, und dann schäu­me er über, ver­gif­te die Welt, »damit nur noch Gemein­heit wächst, unter den Toten, unter den Lebenden«.

Wer sich ein­las­sen kann auf Ver­bal­in­ju­ri­en, einen ellip­ti­schen Stil, all den Zynis­mus und den omni­prä­sen­ten Ton der Ver­ach­tung für alles und jeden – der wird mit 800 Sei­ten Céli­ne­scher Ori­gi­na­li­tät belohnt, die lan­ge vor Houelle­becq und Kon­sor­ten eine wahr­haf­te Revo­lu­ti­on des Romans bedeutete.

Wer sich nicht ein­las­sen kann auf die­se Mischung aus Haß­ge­sang, Gesell­schafts­kri­tik und Obs­zö­ni­tät – der weiß sich immer­hin mit Hans Fal­la­da einig, der 1937 an sei­nen Ver­le­ger Ernst Rowohlt schrieb, daß Céli­ne ein »Mist­vieh« und ein »Urschwein« sei.

So bleibt Céli­ne auch sechs Jahr­zehn­te nach sei­nem Tod ein ambi­va­len­tes Ärger­nis: Welt­li­te­ra­tur am Abgrund.

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Lou­is-Fer­di­nand Céli­ne: Tod auf Raten. Roman, Ham­burg: Rowohlt Ver­lag 2021. 816 S., 38 €

 

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Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

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