Willi Jasper: Faust oder Mephisto?

Der Kulturwissenschaftler Willi Jasper (Jahrgang 1945) wurde in der 84. Sezession (Juni 2018) positiv gewürdigt,...

Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

weil er – als eins­ti­ger Kader der mao­is­ti­schen Split­ter­grup­pe KPD / AO – eine kon­zi­se Geschich­te der 68er-Bewe­gung samt ihren unter­schied­li­chen Fort­be­stän­den und Aus­läu­fern vorlegte.

Der glä­ser­ne Sarg (Ber­lin 2018) war span­nend zu lesen, spe­zi­ell auch für Nicht­zeit­ge­nos­sen im all­ge­mei­nen und Nicht­lin­ke im beson­de­ren. Auf­schluß­reich war unter ande­rem, daß Jas­per das Phä­no­men der Kar­rie­re­we­ge jener Ex-Mao­is­ten und Ex-Links­ra­di­ka­len anschnitt, die heu­te das Estab­lish­ment durch­zie­hen und ihre alten Ideo­lo­gien zuguns­ten markt- oder links­li­be­ra­ler Agen­den abstreif­ten. Letz­te­res trifft unter­des­sen auf Jas­per selbst zu, wie sein neu­es Buch Faust oder Mephis­to? unterstreicht.

Eine »aktu­el­le Kri­sen­ge­schich­te« euro­päi­scher Intel­lek­tu­el­ler soll es qua Eigen­an­spruch dar­stel­len; eine eini­ger­ma­ßen zusam­men­hang­lo­se Schau lin­ker bzw. links­li­be­ra­ler Intel­lek­tu­el­ler ist es gewor­den. Daß ein dezi­diert poli­ti­scher Autor par­tei­isch ist, sei­nen Gegen­stand empa­thisch behan­delt und kla­re Stand­punk­te ergreift, wäre dabei für sich genom­men natur­ge­mäß kein Pro­blem; wenn ­Jas­per indes eine kur­ze Geschich­te lin­ker Intel­li­genz vor­legt, die mit fast jeder ihrer Zei­len lang­weilt, schon.

Gewiß: Der Ein­stieg Jas­pers über die Drey­fus-Affä­re am Ende des 19. Jahr­hun­derts und die auf sie fol­gen­de lang­le­bi­ge Tei­lung des geis­ti­gen Frank­reichs in eine repu­bli­ka­ni­sche, lin­ke, spä­ter anti­fa­schis­ti­sche Intel­li­genz und ein rech­tes, gegen­re­vo­lu­tio­nä­res, gele­gent­lich phi­lo­fa­schis­ti­sches Pen­dant ist inter­es­sant, aber bei­lei­be kein Alleinstellungsmerkmal.

Die fol­gen­den losen Gedan­ken­fol­gen über Goe­the, EU-Euro­pa oder »Trans­na­tio­na­lis­mus« ermü­den den Rezen­sen­ten, der allen­falls dadurch für einen flüch­ti­gen Augen­blick in Wal­lung zu gera­ten droht, weil er sich über bana­le Feh­ler (Sarah Wagen­knecht statt Sahra, Neue Züri­cher Zei­tung statt Neue Zür­cher Zei­tung) oder nicht min­der bana­le ­Ideo­lo­gie­ein­spreng­sel ärgert (Ernst Jün­ger und Fried­rich ­Sieburg, die dar­an arbei­te­ten, den Hit­ler-NS »salon­fä­hig« zu machen).

Immer­hin die Schluß­pas­sa­ge bie­tet wis­sens­wer­te Stel­len über einen lin­ken Dis­si­den­ten. Doch hat man die dar­in ent­hal­te­nen Infor­ma­tio­nen über Rudolf Bah­ro als Leser anders­wo längst präg­nanter auf­be­rei­tet bekommen.

Wil­li Jas­pers Neu­erschei­nung ist damit weder für poli­tisch inter­es­sier­te Zeit­ge­nos­sen im all­ge­mei­nen noch für Nicht­lin­ke im beson­de­ren lesens­wert. Es hält für bei­de mög­li­chen Ziel­grup­pen schlicht­weg kei­nen Erkennt­nis­ge­winn bereit, und schlecht geschrie­ben ist es auch.

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Wil­li Jas­per: Faust oder Mephis­to? Euro­pas Intel­lek­tu­el­le – eine aktu­el­le Kri­sen­ge­schich­te, Bonn: Dietz Ver­lag 2021. 182 S., 22 €

 

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Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

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