Robin Alexander: Machtverfall

von Felix Dirsch -

Bei manchen Publikationen merkt man schon beim Vernehmen des Titels,

daß der Autor auf dem Holz­weg ist. So ist es sicher­lich gewagt, die Geschich­te der letz­ten vier Jah­re der Ära Mer­kel unter das zen­tra­le Stich­wort »Macht­ver­fall« zu stel­len. Robin Alex­an­der führt als wich­tigs­ten Beleg dafür ein Ein­ge­ständ­nis der Kanz­le­rin vom Anfang die­ses Jah­res an: »Uns ist das Ding ent­glit­ten«. Das Coro­na­vi­rus mutier­te schein­bar unge­hin­dert wei­ter und ver­setz­te vie­le, von regie­rungs­amt­li­cher Pro­pa­gan­da zusätz­lich beun­ru­higt, in Angst und Schrecken.

Daß die Aus­brei­tung einer Pan­de­mie, von man­chen auch als »Plan­de­mie« betrach­tet, zur Macht­im­plo­si­on der Regie­ren­den führt – dafür dürf­te es kaum belast­ba­re Hin­wei­se geben. Aus­nah­me­zu­stän­de und die Vor­spie­ge­lung einer apo­ka­lyp­ti­schen Lage füh­ren im Gegen­teil zur Akzep­tanz von poli­ti­schen Maß­nah­men, die in nor­ma­len Peri­oden kaum durch­setz­bar wären. Tem­po­rär dis­ku­tier­ten in den sozia­len Netz­wer­ken staat­li­che Orga­ne sogar über die recht­li­che Zuläs­sig­keit, auf einer Park­bank zu lesen. Die Kri­se dien­te bis­her eher dem Macht­er­halt der bald abtre­ten­den Regie­rungs­chefin. Sie hat es, anders als ihre Vor­gän­ger, geschafft, den Zeit­punkt ihres Rück­tritts selbst zu bestimmen.

Der Jour­na­list Alex­an­der hat bereits mit sei­ner Schrift Die Getrie­be­nen einen Report aus den Zen­tren offi­ziö­ser Dis­kur­se vor­ge­legt. Viel beach­tet zeig­te der Insi­der die Dyna­mik, die zur Grenz­öff­nung von 2015 / 16 samt bekann­ten Fol­gen geführt hat.

In einem ähn­li­chen Stil beschreibt der Jour­na­list nun­mehr sei­ne Ein­bli­cke in Ent­schei­dungs­zir­kel der letz­ten Jah­re. Er bemüht sich, mög­lichst wert­frei zu berich­ten. Zwi­schen den Zei­len erkennt man aber sehr wohl sei­nen eige­nen Stand­punkt. Er schlägt einen Bogen von der Trump-Wahl 2016, die er als beson­de­re Her­aus­for­de­rung für Mer­kel begreift, bis zur Aus­ru­fung der Kanz­ler­kan­di­da­tur Armin Laschets im Früh­jahr 2021.

Wie Per­len auf einer Ket­te anein­an­der­ge­reiht wer­den dem Rezi­pi­en­ten wich­ti­ge Ereig­nis­se vor Augen geführt, neben ande­ren Söders Wand­lung zum »Coro­na-She­riff«, die Rei­se der Regie­rungs­chefin nach Wuhan 2019, das Ver­hält­nis von Mer­kel zu Kramp-Kar­ren­bau­er, die Vor­fäl­le von Erfurt 2020 und das Impfdesaster.

Dra­ma­tisch wird vor allem der Beginn der Pan­de­mie dar­ge­stellt. Die Getrie­be­nen sind dies­mal in ihrem Han­deln beson­ders von ein­sei­ti­gen viro­lo­gi­schen Exper­ti­sen bestimmt, aber auch von welt­wei­ten Medi­en­be­rich­ten über angeb­li­che gesund­heit­li­che Groß­schä­den, die das Virus ver­ur­sacht, und den glo­ba­len poli­ti­schen Gegen­maß­nah­men. Die­se las­sen die chi­ne­si­schen Reak­tio­nen als Blau­pau­se erkennen.

Die Panik vie­ler Bür­ger macht es den Herr­schen­den leicht, Grund- und Frei­heits­rech­te zu sus­pen­die­ren. Alex­an­der bemerkt dazu tro­cken: »Ihre Kanz­le­rin teilt ihre Angst«. Über stän­dig stei­gen­de Infek­ti­ons­zah­len wird in den ent­spre­chen­den Regie­rungs­krei­sen, spä­ter im halb­of­fi­zi­el­len »Coro­na-Kabi­nett«, stän­dig diskutiert.

Kaum beach­tet hin­ge­gen wer­den juris­ti­sche Gren­zen poli­ti­scher Ein­grif­fe oder die Schä­den, die die Beschrän­kun­gen bei den betrof­fe­nen Bür­gern her­vor­ru­fen kön­nen. Inter­es­sant ist wei­ter die bei­läu­fi­ge Bemer­kung des Autors über die Aus­gren­zung von Fach­leu­ten wie Klaus Stöhr und ­Hen­drik Stre­eck, die jen­seits aller Ver­harm­lo­sung alter­na­ti­ve Stra­te­gien empfehlen.

Man soll­te nicht über­rascht sein, daß Alex­an­der vie­le kata­stro­pha­le Aspek­te der Kri­se, etwa die wirt­schaft­lich-gesell­schaft­li­chen Fol­ge­schä­den, ja die satt­sam bekann­ten Zustän­de in Deutsch­land ins­ge­samt am Ende der Amts­zeit der »ewi­gen Kanz­le­rin« weit­hin aus­blen­det. Er möch­te auch künf­tig zu den füh­ren­den Haupt­stadt­jour­na­lis­ten gehören.

Dem kri­ti­schen Zeit­ge­nos­sen sind zum Gegen­le­sen (neben ande­ren) die Ana­ly­sen von Wolf­gang Bitt­ner (Deutsch­land – ver­ra­ten und ver­kauft) und Baal Mül­ler (Die Selbst­zer­stö­rung der Demo­kra­tie) ans Herz zu legen.

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Robin Alex­an­der: Macht­ver­fall. Mer­kels Ende und das Dra­ma der deut­schen Poli­tik: Ein Report, Ber­lin: Sied­ler Ver­lag 2021. 378 S., 22 €

 

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