Wir werden weder mythische Bilder sehen noch abermals “den wichtigsten Tag in der deutschen Geschichte seit dem Fall der Mauer” erleben. Die Proteste werden sich an Dynamik, Gewaltpotential, grundsätzlicher Infragestellung des Systems und totalitärer Vision nicht einmal im Ansatz mit dem gleichsetzen lassen, was die Linke 1968 begann und bis heute abzieht.
Man sollte sich zur Verdeutlichung noch einmal Bilder von den Randalen, Zerstörungen, Plünderungen und Körperverletzungen anschauen, für die während des G20-Treffens in Hamburg vor fünf Jahren Antifa-Mobs aus ganz Deutschland und Europa verantwortlich zeichnete. Bemerkenswert ist das Nebeneinander von brutaler Gewalt, Rücksichtslosigkeit, Partystimmung und medialer Sorge, man könne die durchgedrehten Ausläufer der eigenen Weltanschauung in einem falschen Licht präsentieren.
Etwas auch nur in Ansätzen Ähnliches ist weder je auf einer der Pegida-Demonstrationen noch später im Rahmen oder am Rande oder überhaupt im Zusammenhang mit den Corona-Maßnahmen-Protesten und Querdenker-Demos vorgefallen. Journalisten, die mir gegenüber behaupteten, das aggressive Potential von rechts sei mindestens vergleichbar, konnten nie Bild- oder Filmbelege beibringen.
Aber diese Journalisten hatten und haben den Zugang zur veröffentlichten Meinung – sie “machen” sie, sie prägen das Bild, sie vollziehen das, was der Soziologe Hanno Kesting in seinem leider nur noch antiquarisch erhältlichen Buch Öffentlichkeit und Propaganda folgendermaßen beschrieb:
Öffentliche Meinung als veröffentlichte Meinung ist mithin von Anfang an und von vorneherein Propaganda. Sie ist ein Versuch der Legitimation – sei es eines Regimes, sei es bestimmter Handlungen einer Regierung, sei es schließlich oppositioneller Gruppen und ganzer Schichten. Sie zielt darauf, das Handeln politischer Eliten so darzustellen, als liege es im Interesse zumindest der Mehrheit der Bevölkerung – als sei das Handeln kleiner Teile mit dem Wollen großer Massen der Bevölkerung identisch. Öffentlichkeit und Propaganda gehören also zusammen.
Man kann diese Feststellung auf die einfache Formel bringen, daß die öffentliche Meinung und die veröffentlichte Meinung fast deckungsgleich seien. Die Folgerung daraus ist für uns verheerend: Ohne wenigstens einen Teil-Zugang zu den Leitmedien wird das, was wir auf der Straße, im öffentlichen Raum, im Wahlkampf tun, nie so dargestellt werden, wie wir es meinen.
Wer dies begriffen hat, muß abwägen und aus drei Möglichkeiten wählen:
- Man versucht weiterhin, durch vorbildliches Verhalten die mediale Berichterstattung zu seinen Gunsten zu drehen, hofft also auf Fairneß und auf Maßstäbe, die jenseits des weltanschaulichen Krieges gültig wären. Unsere Erfahrung lehrt uns: Darauf zu hoffen, wäre naiv.
- Man erzwingt mediale Aufmerksamkeit durch nadelstichartiges Fehlverhalten. Diese Methode der Provokation haben wir, hat die AfD solange sehr erfolgreich angewendet, bis sie abgeschliffen war. Aber sie ist immer noch virulent, bloß fordert sie ein ordentliches Maß an Kreativität, Training und Glück.
- Man baut Parallelstrukturen auf, freie Medien, und hofft auf Wellen der Entfremdung vom Staat und seinen propagandistischen Machtmitteln. Dieser Weg ist mittlerweile eingeschlagen worden, mit allem Vorbehalt, der Konservativen zu eigen ist und der sie daran hindert, den kaputten Staat aufzugeben.
Diese knappe Skizze legt Schlußfolgerungen nahe, denn wir sollten stets vom denkbar Schlimmsten ausgehen. Rechnen wir also damit, daß Medien und Politik schlimme Bilder verbreiten werden, sobald die Dynamik der Herbstproteste bisher zögerliche Teile ergreift und der harte Kern zur Masse wird.
Rechnen wir mit einzelnen Ausrastern, mit unschönem Gebrüll, mit fleischigen Händen, die Kameras niederdrücken, mit verwackelten Bildern fliehender Journalisten, überwundenen Baugittern und mit Wasserwerfern, die in der Dämmerung blaulichtumflackert gegen die Infanterie von rechts in Stellung gehen und ihre Salven zum Schutze der Volksvertreter abfeuern müssen.
Salven: Womöglich erinnert sich der ein oder andere an die Sorgen, die Bundesinnenministerin Nancy Faeser bereits im Juli äußerte. Sie warnte davor, daß es im Herbst und im Winter aufgrund von Liefer- und Versorgungsengpässen, Überteuerung und wirtschaftlichem Kollaps zu Straßenprotesten und Unruhen würde kommen können. Wörtlich sagte sie:
Natürlich besteht die Gefahr, dass diejenigen, die schon in der Coronazeit ihre Verachtung gegen die Demokratie herausgebrüllt haben und dabei oftmals Seite an Seite mit Rechtsextremisten unterwegs waren, die stark steigenden Preise als neues Mobilisierungsthema zu missbrauchen versuchen.
Außenministerin Annalena Baerbock stieß ins gleiche Horn, als sie in einem Interview die Notwendigkeit stabiler Energieversorgung für Deutschland zur Voraussetzung für die Wahrung des sozialen Friedens machte.
Die Kanadier haben gesagt, ‚wir haben viele Fragen‘, da haben wir gesagt, ‚das können wir verstehen, aber wenn wir die Gasturbine nicht bekommen, dann bekommen wir kein Gas mehr, und dann können wir überhaupt keine Unterstützung für die Ukraine mehr leisten, weil wir dann mit Volksaufständen beschäftigt sind.
Man könnte beide offenherzigen Äußerungen sprachlich und inhaltlich analysieren. Im Falle Faeser würde man ein seltsames Verständnis von Opposition, Demonstrationsrecht und abweichender Meinung feststellen sowie eine Fixierung auf einen wohl für jede Störung im Umbaubetrieb verantwortlichen Rechtsextremismus.
Baerbock könnte man maßlose Übertreibung, einfachste Sprache und eine spezielle Logik nachweisen – anders lassen sich scheinbar zwangsläufige Schlußfolgerungen wie “überhaupt keine Unterstützung mehr” und “Volksaufstände” gar nicht lesen.
Der Punkt ist aber ein anderer: Wir grübelten in einem hier veröffentlichten Gespräch ohne rechtes Ergebnis darüber nach, warum diese beiden Ministerinnen (und neben ihnen etliche andere, die das aufgriffen) den Volksaufstand so nahelegten. Nahrung bekommen diese Überlegungen dadurch, daß vor ein paar Tagen Bundeskanzler Scholz versicherte, niemand habe die Absicht, auf Demonstranten zu schießen.
Die Wortwahl ist verwunderlich, selbst im Kontext klingt der Satz nicht besser, er war nicht als geschmacklos-ironische Anspielung auf die berühmte Nicht-Absicht gemeint, eine Mauer zu errichten. Wie aber dann?
Wir sollten eine Möglichkeit nicht für abwegig halten: daß dieser Staat auf die Gelegenheit wartet, die Opposition mit der Begründung zu zerschlagen, ihr Potential richte sich gegen den Staat und seinen Bestand. Damit wir uns richtig verstehen: Es könnte sein, daß die regierungsnahen Warnungen vor einem “heißen Herbst” etwas heraufbeschwören helfen, dessen Verlauf die Notstandsgesetzgebung aktiviert.
Man kann Internetseiten abschalten, Parteien verbieten, Häuser durchsuchen, Arbeitsmittel beschlagnahmen, Anführer einsperren und soziale Gefüge zerstören. So zu denken, solche Konsequenzen in Planungen einzubeziehen, muß für uns selbstverständlich sein. Denn der Anspruch der vier relevanten Regierungsparteien Deutschlands und die Vorstellung der länder- und kontinentübergreifenden Großkonzerne und Lenkungsbehörden gehen in dieselbe Richtung: ohne Störung die Formierung der Massengesellschaft abzuschließen, den Umbau, den Great Reset.
Angepaßter Individualismus, Gehorsam in Vereinzelung, Funktionieren und Konsumieren als Privileg, moralisch ruhig, pseudoachtsam, in jeder Hinsicht flach, vor allem aber handzahm und geschliffen: Wir schicken nicht mehr Winnetou und Old Shatterhand ins Rennen.
Es könnte also klüger sein, nicht zu demonstrieren, nicht zu provozieren, sondern etwas weiter im Windschatten an Strukturen weiterzubauen, die jenseits der vorgesehenen Bahnen für Stabilität sorgen. Aber es wird zu Demonstrationen kommen, und vielleicht hat der Staat sie doch nicht eingepreist. So oder so: Wir sind besser dabei. Warum? Weil es sich so gehört, weil wir vielleicht etwas zurechtbiegen, verbessern, eindämmen, anheizen können. Und weil man dabei sein will, wenn sich ein System zur Kenntlichkeit entstellt.
Wenn wir darüber hinaus den Leuten erklären konnten, was sie gerade erleben, werden wir unser Soll erfüllt haben.
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Monacensis
Dass der Staat Volksaufstände provoziert, um die Opposition zu zerschlagen, glaube ich nicht. Der Außen- und noch mehr der Innenministerin ist zwar viel zuzutrauen, aber für echten Machiavellismus halte ich beide für zu unbedarft.