Der US-amerikanische Publizist George Packer hat ein Buch über den Zustand der Vereinigten Staaten vorgelegt: Die letzte beste Hoffnung handelt vom Absturz, den seine Nation innerhalb der vergangenen vier Jahre erlitt.
Schuld daran sei Trumps Politik, die mitnichten etwas mit Fürsorge, Solidargemeinschaft, Einhegung freidrehender Märkte und Gesundung der Gesellschaft zu tun gehabt habe. Vielmehr habe der größte Lügner, der je im Weißen Haus saß, die Amerikaner »weniger frei zurückgelassen, ungleicher, gespaltener, verrückter, isolierter, ärmer, versumpfter, dreckiger, gemeiner, kränker und toter«.
Packer, der 2013 Die Abwicklung veröffentlichte (ein ungemein plastisches und eingängiges Schreckensbild der untergehenden Mittelschicht Amerikas), vergleicht nun die Atmosphäre während der Amtseinführung Joe Bidens mit dem Vorabend vor einer Schlacht im Amerikanischen Bürgerkrieg: »Wir wissen, wer in diesem Konflikt die Konföderierten und wer die Union bildet« (wissen wir, also: wir, das?), und folgert, daß seine Seite, also die Nordstaaten, den von Trump aufgezwungenen Krieg nun hinzunehmen habe, damit die Nation nicht untergehe.
Ich habe Die letzte beste Hoffnung nicht nach den ersten Seiten weggelegt, sondern doch zu Ende gelesen, denn Packers Abwicklung war wirklich ein gutes Buch. Aber das, was er nun vorgelegt hat, ist zugleich schockierend beschränkt und wahrnehmungsfalsch, und es ist zugleich kalkuliert weinerlich und damit ein perfides Stück: Packer spricht die offizielle Corona-Erzählung nach wie die Verse eines schlechten Gedichts – ohne einen einzigen auszulassen, ohne abzubrechen, ohne in Lachen auszubrechen oder den Quark wenigstens interpretierend zu vernichten.
Er befeuert die angstpolitische Propaganda, er begrüßt die Maßnahmenspirale, er akzeptiert die Einschränkung jener Bürgerrechte, die er eben noch mit allen Mitteln (»einen Krieg hinnehmend«) gegen Trumps vermeintliche Übergriffigkeit verteidigte, und er sehnt den Tag herbei, an dem er – doppelt und dreifach geimpft – wird erproben können, ob wir »noch den Mut haben, uns zu umarmen«. Bangnis nach der Einzelhaft: »Werden wir dann überhaupt noch zusammen sein wollen?«
Packer ist – die Lektüre seines neuen Buches läßt keinen anderen Schluß zu – eines jener wahlberechtigten Kinder der Moderne, die alles haben wollen (und bekommen), weil sie es nie selbst bezahlen müssen. Sie müssen für die Folgen ihrer Verantwortungslosigkeit nicht aufkommen, und sie sind – im Gegensatz zu den Ausbadern – selbst flexibel genug, unverortet genug, reich genug und zynisch genug, um dorthin ausweichen zu können, wo die Härten des Gesellschaftsexperiments noch nicht spürbar sind.
Packer beschreibt sich selbst, wenn er die »Early Adopter sämtlicher Errungenschaften« aufzählt, die »die Oberfläche heutigen Lebens so angenehm machen: Vielfliegerprogramme, MacBook Pro, Fleisch vom Weiderind, Cold-Brew-Kaffee, Amazon Prime«. Auch er gehört zu denen, die »alles Neue und die Vielfalt« lieben, und auch er ist der Ansicht, daß »vom transnationalen Fluß von Menschen, Informationen, Gütern und Kapital die meisten, wenn nicht sogar alle Menschen profitieren«. Packer: moralpolitisch aufgebläht, auf dem Gut-Böse-Trip, totalitarismusanfällig, leider begabt.
Packer hätte am 26. September, Fleischfasern vom Weiderind mittels Cold-Brew-Kaffee aus den Zwischenräumen seiner Zähne spülend, eine der vier grünen Parteien gewählt, die im Deutschen Bundestag vertreten sind und die nun – mittels einer weiteren Demokratiesimulation – nicht nur die Regierungskoalition bilden, sondern auch den Oppositionsführer stellen werden. Der fünften Partei, die gerne grün wäre und gegen das existentielle Interesse ihrer Kernwählerschaft ebenfalls den transnationalen Fluß, das Flüssigmachen aller Sicherheit, aller Stabilität und aller Nichtvernutzung forciert, hat ihre Sitze bloß verteidigt, weil ihr drei Direktmandate gelangen.
Bleibt das blaue Lager, die einzige Opposition, die »Hoffnung wider besseres Wissen«, denn wir alle wissen, welchen Weg Gebilde gehen, die kristallisieren. Aber noch kann man aus ihren Reihen heraus von vielen wichtigen Dingen das Wichtigste tun: aus Prinzip nicht mitspielen, wenn alle denselben Ton blasen und Vielstimmigkeit nur behaupten.
Es gibt viele, viele Leute, die wenigstens einen einzigen anderen Ton so laut und so klar wie möglich vernehmen wollen.