Jede Wette: Wenn die geneigte Leserschaft befragt würde, was sie mit dem modischen Terminus »Influencer« verbinde, fiele ihr als erstes der Name »Rezo« ein.
Das ist dieser unter Kunstnamen agierende Typ mit den blaugefärbten Haaren und dem Kindergesicht, von dem selbst auf Wikipedia gerätselt wird, ob er 31 oder erst 29 Lenze zählt. Als gesichert gilt seine eigene Aussage, wonach er als Kind »gemobbt« wurde und hernach psychologisch betreut werden mußte. »Rezo« wurde 2019 mit seinem Video »Die Zerstörung der CDU« berühmt. »Fuck, ist das heftig!« (O‑Ton er selbst), was der Bub da über die CDU »ermittelt« hatte!
Allein auf YouTube wurde dieses Video rund zwanzigmillionenmal angeschaut. Bereits davor, erst recht danach, zählte »Rezo« zu jenen Tausenden Leuten in Deutschland, die – man faßt es nicht! – ihr Auskommen als »YouTuber« oder »Instagramer« haben – ohne echten Beruf, ohne handfeste Ausbildung. Einfach so: als Meinungsmultiplikatoren.
Schon 2017 war »Rezo« eines der Gesichter der HIV-Präventionskampagne, die damals unter dem sinnigen Hedonismus-Titel »Do what you want« lief. Er setzt sich ferner für »Klimagerechtigkeit«, gegen »Maskenverweigerer« und so fort ein (man kann es sich denken). Er kann Gitarre spielen, lebt vegan und war mit seiner Message »bereits Gast verschiedener Hochschulen«. Derzeit verzeichnet sein Hauptkanal 17,5 Millionen Abonnenten.
Dabei ist »Rezo« kaum bedeutsam unter jenen Influencern, die die Könige in einer Welt sind, der jeder Leser dieser Zeitschrift längst entwachsen ist. Denn die Wirkung der »Beeinflusser« auf junge Leute der Jahrgänge 2002 ff. ist gar nicht zu überschätzen.
Mit »Rezo« verhält es sich wie mit dem Clown im Zirkus: Dessen Vorführungen nahm man als Kind peinlich berührt mit. Er gehörte halt dazu. Aber eigentlich waren die Hochseilartisten und die Glitzerladys, die mit durchgedrücktem Kreuz und strahlend auf dem galoppierenden Pferd standen, die eigentlich interessanten Nummern. Oder die Raubtiere. Clown »Rezo« ist harmlos und kernegal.
Die urfeministische, alte Tante Emma hat in ihrer Herbstausgabe 2021 das Thema »Influencerinnen« zum Schwerpunkt gemacht. Das achtzehnseitige Dossier über »Die (un)heimliche Macht der Influencerinnen« bündelt eigentlich alles, was über das Infiltrationspotential dieser neuen »Besten Freundinnen« zu sagen ist. Es ist ein Weiberding. Die erfolgreichsten Influencer für Jungs heißen (neben Gamern wie »Gronkh«) Bastian Schweinsteiger, Mesut Özil und Toni Kroos. Fußballerei also – nichts Neues »unter Männern«. Sie bespielen das Zeug, das für Knaben seit je interessant ist, und das hat keinen Neuigkeitswert. Entscheidend: Der Nachahmungsdruck ist bei Jungs viel geringer als bei Mädchen. Die tolerierte Bandbreite des Aussehens, Verhaltens, Meinens, Konsumierens ist auf weiblicher Seite seit je deutlich kleiner. Und das im Zeitalter der Hyperemanzipation? Ja, und zwar: jetzt erst recht.
Die Kulturhistorikerin Angela McRobbie spricht von einer »postfeministischen Maskerade«, die sich des emanzipatorischen Etiketts zwar gern, aber in Wahrheit nur eines modischen Verblendungselements bediene. Medienwissenschaftlerin Maya Götz: »Influencerinnen haben in erster Linie schön zu sein und inszenieren sich hauptsächlich im häuslichen Kontext. Familie, Partnerschaft, Beauty, Fitneß: Das ist der Wirkungsbereich für Frauen wie in den 1950er, 1960er Jahren.«
Als Nichtfeministin könnte man entgegnen: Und? Ein Revival althergebrachter Weiblichkeit – es wäre doch Schlimmeres denkbar. Die Sache ist vertrackter. Wir sehen hier fünf deutsche Beeinflusserinnen mit Kommandomacht. Das wären: »Dagi Bee«, Diana zur Löwen, Louisa Dellert sowie »Lisa und Lena«. Die erkenntnisleitende Frage wäre: Was macht es mit einem unreifen Hirn, sagen wir: einer Zwölfjährigen, die diese allesamt äußerst erfolgreichen Kanäle abonniert hat?
Louisa (mit nun 32 Jahren fast eine alte Häsin) fällt ein wenig aus dem Rahmen, da sie eine der wenigen nichtblonden und vor allem eine eher linke Influencerin ist. Die Emma lobt sie dafür. Louisa ist gegen das Patriarchat, für kostenlose Tampons und bewirbt beispielsweise Veggie-Fischstäbchen. Zu ihren besten Zeiten verdiente sie mit ihren antikapitalistischen Filmchen um die 20.000 Euro im Monat. Gelegentlich malte sie sich mit schwarzer Farbe misogyne Schimpfworte auf den Leib, um das Elend zu beklagen, das es bedeuten kann, als »Frau im Netz unterwegs« zu sein.
Zwei meiner Töchter haben Louisa »abonniert« – um sich aufzuregen: »Das ist alles feministisch und superaufgeklärt, was sie macht. Aber in Wahrheit strahlt sie einen ungeheuren Streß aus. Nämlich einerseits total woke und korrekt zu sein, winzige ›Schönheitsmakel‹ zu posten (›schaut her – ich steh zu meinem Pickel‹) aber andererseits diese sichtbare Mühe, dennoch äußerst trainiert rüberzukommen. Diese Schwingung, daß sie der Psychiatrie knapp von der Schippe gesprungen ist.«
Zu den Blondies. Die beiden neunzehnjährigen Zwillinge Lisa und Lena scheffeln Millionen. Sie haben allein auf Instagram über 15 Millionen Folger. Mittlerweile leben sie in den USA und strahlen von dort (meist auf amerikanisch) in die Welt. In ihren Videos geht es um: nichts. Es ist erhellend, sich als Mutter von acht- bis sechzehnjährigen Töchtern ein paar der Clips dieser (als Säuglinge adoptierten) eigentümlich, fast alienesk ausschauenden, jungen Damen anzuschauen. So wird heute gejubelt, so gelacht, so posiert, so sich bewegt. Rausgestreckte Brüste, Po und vorgewölbte Lippen (»Entenschnäbelchen«), gern auch mal Kullertränen gehören dazu: eine Mischung aus Narzißmus und Hilflosigkeit. Über die Photoshop-Leistungen, die hinter den Auftritten stehen, wurde beizeiten und vielfach alles gesagt.
Es ändert nichts im Hirn der jungen Aficionada – wie es auch das Konsumverhalten kaum beeinflußt, wenn vor dem Snacken aufgezählt wurde, wieviel Palmöl, Zucker und andere Minderwertigkeiten im Schokoriegel stecken. Hier geht es um Hirnregionen, die weit entfernt vom Zentrum der Logik und der Vernunft liegen.
»Dagi Bee« zum Beispiel kürzt solche Korrektheiten deshalb glatt ab: In ihren Videos geht es um Zahnaufhellungen, Enthaarungsmethoden und ihre ganz persönlichen »Problemzonen«. »Dagi Bee« ist verheiratet. Ein brandneues Video mit Liebesschwüren an und von ihrem Mann haben bislang knapp zwei Millionen Leute angeschaut. »Unser erstes Shoppen fürs Baby« fast 900 000.
Drei meiner Töchter schauten sich schon Videos der 26jährigen Diana zur Löwen an. Sie »followen« ihr nicht, kommen also zu den knapp 700 000 Abonnenten der gebürtigen Gießenerin hinzu, die nun nach Berlin gezogen ist, um mehr über »die Politik« zu erfahren.
Diana hat eine kleinmädchenhafte Stimme mit hohem Niedlichkeitsfaktor, kullert viel mit den Augen, kiekst und lacht. Ihre Botschaft: »Komm! Auf Augenhöhe! Ich bin wie Du, Du bist wie ich!« Ihre Themen: der perfekte Agitationspropagandamix.
Es wird gegendert, es wird säuselnd erklärt, daß es natürlich unendlich viele Geschlechter gebe, es geht um Cellulite, Menstruationsbeschwerden, um Flirten und CO2, dann wieder um Schminktips, um Sexspielzeug und das Kopftuch als emanzipatorisches Accessoire. Ihre Impfung hat sie »spontan geteilt«, weil das einfach ein »total positiver Moment« für sie war. Frl. von Löwen ist als Peer so nahbar und verführerisch, wie sie zugleich roboterhaft regierungsnahe Phrasen drischt – eine Figur, wie sie sich ein E.T.A. Hoffmann nicht hätte besser ausdenken können.
Die reinen Klickzahlen all dieser leicht verwechselbaren Dianas, Pamelas, Dagis und Bibis zeigen deutlich, wie tiefenwirksam die Emanzipationsfeldzüge der vergangenen Jahrzehnte waren – so tiefenwirksam nämlich wie ein besonders teures Peeling. Sprich: Nanobereich. Ein Mainstreamkörper (der unangestrengt wirken soll) und eine stromlinienförmige Meinung (die unter Anstrengung erworben wirken soll) sind für Frauen offenkundig unausrottbar erstrebenswert.