Goldman Sachs gilt nicht nur als Primus unter den Investmentbanken, sondern ist auch ein wahrer Meister, wenn es darum geht, eigene Leute in Regierungs- oder Verwaltungspositionen zu plazieren.
Zuletzt gehörten fünf ehemalige Mitarbeiter der Bank Donald Trumps Kabinett oder Beratungsteam an, unter ihnen Steve Mnuchin als Finanzminister. Der machte sich dann auch unverzüglich daran, den erst 2010 zur Stabilisierung des Finanzmarktes verabschiedeten Dodd-Frank Act zurückzudrehen und den Bankensektor zu deregulieren.
Trump selbst machte eine Erfahrung ganz anderer Art mit einem privaten Akteur. Noch als Präsident wurde er bekanntlich von Twitter kurzerhand der Möglichkeit beraubt, den Dienst zu nutzen, nachdem er mehrfach Nachrichten versandt hatte, die nicht in Twitters Weltbild paßten. Da Kommunikationsplattformen Netzwerkeffekte inhärent sind, die zu einem »The winner takes it all«-Markt führen, gab es für Trump keine realistische Ausweichmöglichkeit. Er wurde faktisch abgestellt.
Eine weitere Form privater Macht offenbarte sich in der Finanzkrise 2008. Die durch eigenes Fehlverhalten in Schieflage geratenen Kreditinstitute ließen dem Staat keine andere Wahl, als sie zu retten. Sie waren »too big to fail« geworden und als Schmiermittel des Wirtschaftslebens zu bedeutsam, als daß man sich anders hätte entscheiden können. Die Auswirkungen der Lehman-Brothers-Insolvenz waren nur ein Vorgeschmack von dem, was gekommen wäre, wenn der Staat bei den anderen Banken nicht eingegriffen hätte. Staatliche Souveränität sieht anders aus.
Diese wenigen Beispiele sollten ausreichen, um die große Bedeutung des Verhaltens privater Machtgruppen für die öffentliche Sphäre kenntlich zu machen. Der Umstand ist deswegen relevant, da nicht das Privatinteresse einzelner, sondern das »Konkret-Allgemeine« (Ernst Forsthoff) – vertreten durch einen über den partikularen Interessen der privaten Akteure stehenden Staat – seinen Ort in diesem Bereich haben sollte.
Der Begriff »private Sphäre« soll vereinfachend die Menge aller alltäglichen Aktivitäten von Individuen umfassen, die diese in dem vorgegebenen Rahmen des Gemeinwesens, dem sie angehören, durchführen. Mit »öffentliche Sphäre« wird auf den Rahmen, innerhalb dessen die alltäglichen Aktivitäten ablaufen, selbst gezielt. Mit Rahmen wiederum ist die soziale Struktur eines Gemeinwesens gemeint, die durch Merkmale wie vorherrschende Institutionen, bestehende soziale Schichtung, demographische Entwicklung oder ethnische Fragmentierung gekennzeichnet ist. Ein Verhalten ist dann öffentlich, wenn durch Kooperation oder Konflikt die für das Gemeinwesen charakteristische Struktur konserviert oder verändert wird.
Politik bezeichnet kurz das Verhalten, durch welches Einfluß auf die soziale Struktur unter Zuhilfenahme von Regeln oder auf die Besetzung solcher für die Regelsetzung relevanten – eben öffentlichen – Positionen genommen wird. Welche der Ausprägungen der sozialen Struktur im Mittelpunkt der öffentlichen Auseinandersetzung steht, variiert im Zeitablauf, entsprechend dem Zusammenwirken von bestehender Machverteilung und vorherrschendem »Zentralgebiet« (Carl Schmitt) – hier einfach als das für den Zusammenhalt des Gemeinwesens kritische Thema verstanden.
Die beiden betrachteten Bereiche sind nicht hermetisch voreinander abgeriegelt. Auf individueller Ebene ziehen politische Aktivitäten abseits des Mainstreams sehr schnell private Kosten nach sich. Ordnungspolitisch stellt die Vorstellung der privaten und der öffentlichen Sphäre als zweier fein säuberlich getrennter Bereiche, deren Machtpositionen mit unterschiedlichen Akteuren besetzt werden, bestenfalls die Grundtendenz, vielleicht nur das Ideal der frühen bürgerlich-liberalen Epoche, ganz sicher aber nicht das akkurate Abbild des gegenwärtigen gesellschaftlichen Zustandes dar.
Immer wieder sind dann auch einzelne Organisationen oder Einrichtungen, die zunächst nur innerhalb des bestehenden Rahmens tätig wurden, aus der rein privaten Sphäre herausgewachsen und zu öffentlich relevanten Gebilden geworden. Entscheidender Faktor für diesen Transformationsvorgang sind die Akkumulation und die Verteilung privater Macht.
Es lassen sich drei Formen privater Macht unterscheiden.
- Private Macht äußert sich zunächst in der Herrschaft über das Kapital, das heißt in der Möglichkeit, Entscheidungen über die Durchführung von Investitionen, über den Standort oder über die Höhe von Preisen treffen zu können.
- Weiter besitzt derjenige Akteur Macht, der Weisungsbefugnis über Individuen, zum Beispiel Arbeitskräfte, ausübt oder anderweitig durch Anreize oder Disziplinierungsdruck die Probleme des kollektiven Handels bewältigen kann.
- Zu guter Letzt besteht private Macht darin, daß Akteure des nichtstaatlichen Bereichs in der Lage sind, das Ergebnis des politischen Prozesses zu beeinflussen.
Nicht jede private Macht ist öffentlich bedeutsam. Während jede Einflußnahme auf die staatliche Politik per se öffentlichen Charakter besitzt und sich nur noch die Frage stellt, unter welchen Bedingungen eine Beeinflussung möglich ist, stellt sich das Bild bei den ersten beiden Typen von Macht anders dar.
Entscheidungen über Investitionen oder die Organisation von Privatpersonen verlassen zunächst nicht den privaten Bereich, sondern sind Beispiele typischer unternehmerischer oder gewerkschaftlicher Kompetenzen, derer es bedarf, um innerhalb des gegebenen Rahmens erfolgreich zu sein.
Öffentliche Relevanz kommt privaten Organisationen oder Einrichtungen erst dann zu, wenn es ihnen gelingt, Kapital oder Menschen derart zu konzentrieren, daß dadurch wesentlicher Einfluß auf die soziale Struktur genommen werden kann. Dazu gehört unter anderem die Beherrschung des Angebots von für das Gemeinwesen bedeutsamen Gütern, die Beeinflussung von Menschen in einem relevanten Umfang, aber auch die Fähigkeit, Fachwissen mit Bedeutung für die Gesamtheit oder Daten von sozialen Gruppen in großem Ausmaß bei sich zu vereinen und gleichzeitig die Zugriffsmöglichkeit auf das Wissen oder die Daten zu kontrollieren.
Bedeutung kann den ressourcenkonzentrierenden Einheiten durch schiere Größe in bezug auf das Gemeinwesen oder einen Teil des Gemeinwesens (Region, Branche) erwachsen. Viele der bestehenden Machtungleichgewichte lassen sich mit Begriffen wie Systemrelevanz oder »too big to fail« erklären. Die Bedeutung kann allerdings auch darin liegen, daß es sich um eine Schlüsselindustrie oder, wie es heute genannt wird, eine »kritische Infrastruktur« handelt.
Früher verstand man darunter neben dem militärischen Komplex in erster Linie Kreditinstitute und die Produzenten von »Basisprodukten« wie Stahl oder Mineralöl, die in die Produktion der verarbeitenden Industrie einflossen. Heutzutage sind darunter auch in zunehmendem Maße die Plattform-Anbieter zu fassen, da das Wirtschaften im Zeitalter des »Internet of Things« ohne Anbindung an solche Plattformen immer schwieriger werden wird.
Konzentration, Größe, Bedeutung – das sind auch die idealen Voraussetzungen, um im Rahmen der politischen Entscheidungsfindung Gehör zu finden. Durch die Ausübung von Macht, die auf der Verfügung über eine öffentlich relevante Masse an Kapital oder Mensch gründet, wird diese zusätzlich öffentlich in der Form, daß sich der Staat als traditionelle öffentliche Gewalt ihrer Öffentlichkeit nicht mehr entziehen kann. Die Einflußnahme auf staatliche Aktivitäten ist dann besonders einfach, wenn es sich bei der Gegenpartei um einen qualitativ schwachen Staat handelt.
Ihm gegenüber können die privaten Organisationen oder Einrichtungen ohne allzu großen Widerstand ihr ganzes Gewicht, das heißt ihre private Macht einsetzen, um ihre Interessen effektiv zu vertreten. Parteispenden, Stellenangebote für die Zeit nach der Politik oder Wählerbeeinflussung durch den gezielten Einsatz von Nachrichten auf Basis gesammelter Daten sind Beispiele für im Laufe der Geschichte immer wieder anzutreffende Mittel, um den Staat zugunsten privater Akteure eingreifen zu lassen. Häufig genügt aber schon, daß ihre Vertreter »nur« bei den Gesetzesinitiativen als Experten mitwirken.
Dabei stellt sich die Gesamtordnung der Wirtschaft in Abhängigkeit vom Bedeutungsgrad privater Macht unterschiedlich dar. Ähnelt das Wirtschaftsleben eher einem Zustand, welcher als System der »Kleinwarenproduzenten« (Jürgen Habermas), als »kleinbetriebliche Demokratie« (Eduard Heimann) oder als »freie Wirtschaft« (Josef Dobretsberger) beschrieben wurde, so dominieren kleine oder mittelständische Unternehmen, die nur geringe Expansionsmöglichkeiten besitzen. Solche Unternehmen sind durch die weitgehende Einheit von Unternehmensführung und Eigentum gekennzeichnet. Eine hohe Konzentration der Unternehmensanteile in der Hand weniger Gesellschafter ist nicht vorhanden, und die Arbeitnehmer sind wenig organisiert, mit der Folge, daß keine Gewerkschaften existieren, die in der Lage wären, Massen zu mobilisieren.
Der herrschende Preis auf dem jeweiligen Markt (auch auf dem sog. Arbeitsmarkt) ist aufgrund der geringen Marktmacht der Wirtschaftssubjekte kaum beeinflußbar, was dazu führt, daß unternehmerische Entscheidungen nur den Anschein erwecken, es seien substantielle Entscheidungen, in Wirklichkeit stellen sie nur Anpassungen an den Marktpreis dar, die keine tiefergehenden sozialen Konsequenzen nach sich zu ziehen.
Gesamtgesellschaftlich geht die freie Wirtschaft – zumindest idealiter – mit einem isomorphischen System einher, in dem die Reichweite des über den Sonderinteressen stehenden Staates mit der öffentlichen Sphäre zusammenfällt und das privatwirtschaftlich organisierte Wirtschaftsleben, unter der Ägide des den Privatinteressen entzogenen Preises, der privaten Sphäre zugeschlagen ist.
Davon ausgehend, läßt sich leicht ersehen, daß die privaten Akteure in der freien Wirtschaft daran gehindert sind, über ihre ursprüngliche Bestimmung hinaus in die öffentliche Sphäre hineinwachsen zu können. Ihnen fehlt es einfach an Machtmitteln, die nötig sind, wenn man soziale Strukturen zu seinen Gunsten beeinflussen will.
Dies gilt für alle drei Arten der privaten Macht. Lediglich der von der privaten Sphäre weitgehend unbeeinflußte Staat ist in der Lage, Ressourcen in einem Umfang auf sich zu vereinen, der es ihm erlaubt, den öffentlichen Bereich zu besetzen. Andere Akteure als der Staat treten kaum direkt in der öffentlichen Sphäre auf.
Ganz anders das Bild in der heutzutage vorherrschenden »gebundenen« oder »vermachteten« Wirtschaft. Der Anteil der kleinen oder mittelgroßen Unternehmen an der Wirtschaft ist im Vergleich zur »freien« Wirtschaft geringer, der der Großunternehmen dagegen größer. Dem entspricht auch die hohe relative Bedeutung der (auf Expansion ausgerichteten) Kapitalgesellschaft, die sich finanzielle Mittel durch Ausgabe von Unternehmensanteilen beschafft und für die Funktion des Managements spezielle Personen einstellt. Dabei werden heutzutage zum Teil enorme Größen erreicht.
Auch wenn der Markt eine wichtige Rolle als ordnungspolitisches Leitbild spielt, sind hier viele Transaktionen, die in der freien Wirtschaft über den Markt abgewickelt werden, in hierarchische Großorganisationen integriert. Der Umfang der Transaktionen, die innerhalb des Unternehmens durchgeführt werden, mag im Zeitablauf variieren, die Bedeutung der Unterdrückung des Preismechanismus für einen wesentlichen Anteil der ökonomischen Beziehungen bleibt ein herausragendes Kennzeichen der gebundenen Wirtschaft. Die Existenz von Großorganisationen bedeutet ceteris paribus, daß sich im Vergleich zur freien Wirtschaft vermehrt Menschen privaten Autoritäten gegen Lohnzahlung unterwerfen müssen, wodurch sich die Zahl der abhängig Beschäftigten und die Bedeutung der Gewerkschaften relativ erhöht.
Die durch Größenunterschiede und verschieden verteilte Marktmacht gekennzeichnete Form des Wirtschaftslebens macht es den Einheiten, die über mehr oder besondere Formen von Kapital und Mensch herrschen, einfacher, ihre Interessen am Markt durchzusetzen. Die konzentrierenden Einheiten nehmen so immer mehr einen öffentlichen Status ein, da von ihnen ein Großteil des Wohles der Gesellschaft abhängt.
An dieser Stelle setzt das Dilemma ein, das der Ökonom Luigi Zingales als »Medici-Teufelskreislauf« bezeichnet hat. Private Machtgruppen, die (auch) öffentlichen Charakter haben, müssen über kurz oder lang Gegenstand staatlicher Aufsicht werden, wenn die private Macht in Zaum gehalten und die staatliche Autorität gewahrt bleiben soll.
Dem sind sich auch die Verantwortlichen dieser Organisationen bewußt. Sie versuchen, der drohenden Regulierung zuvorzukommen, indem sie ihre Macht dazu einsetzten, den Staat zu ihren Gunsten zu beeinflussen, wodurch sich wiederum ihre wirtschaftliche Macht verfestigt, die erneut der politischen Regulierung bedarf. Und so weiter. Etwaige Konkurrenten, insbesondere kleinere oder mittelgroße Unternehmen, die nicht über die entsprechenden Ressourcen verfügen, haben das Nachsehen.
Lorenz von Stein hatte bereits Mitte des 19. Jahrhunderts auf die Gefahren einer solchen Konstellation für das Gemeinwohl hingewiesen. Er sprach damals von dem der Gesellschaft innewohnenden Gesetz, den Staat erobern und sich ihn untertan machen zu wollen. Was er letztlich damit beschrieb, war die Gefahr einer Neofeudalisierung des Gemeinwesens.
Deutlich wird der Charakter des Neofeudalismus durch den Umstand, daß private, aber öffentlich relevante Machtgruppen dafür prädestiniert sind, öffentliche Güter wie Gesundheit und Sicherheit gleich selbst bereitzustellen, wodurch Herrschaft entstaatlicht und das Gemeinwesen auf einer weiteren Ebene abhängig von ihnen wird. Während sich die Machtgebilde mit ihrer Drohung, den Standort zu verlagern, ganz als private Akteure gerieren, deren Verhalten öffentliche Relevanz erhält, schlüpfen sie als Anbieter öffentlicher Güter, regelmäßig gestützt durch Privilegien und exklusive Rechte, in ein öffentliches Gewand.
Gleichwohl die Spannungen zweier Systeme nach wie vor enthalten sind, liegt das Schwergewicht trotz erheblichen Einflusses des Staats auf die Volkswirtschaft bei den privaten Akteuren, die durch Einsatz ihrer Machtressourcen die öffentliche Gewalt organisieren.
Ob sich der Zustand des Staates dann noch angemessen als »Herrschaftsmanager« beschreiben läßt, wie es in der zeitgenössischen politikwissenschaftlichen Literatur geschieht, ist fraglich. Auch in dieser Schrumpfform brauchte der Staat noch eine gewisse Stärke und Unabhängigkeit zum Managen – einen Zustand, der heutzutage keinesfalls als gegeben angesehen werden kann.