Alltag und Heilserwartung – vier Jahre AfD im Bundestag

PDF der Druckfassung aus Sezession 104/ Oktober 2021

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

»Wir wer­den sie jagen. Wir wer­den Frau Mer­kel oder wen auch immer jagen, und wir wer­den uns unser Land und unser Volk zurück­ho­len«, sagt der Spit­zen­kan­di­dat Alex­an­der Gau­land am Wahl­abend im Sep­tem­ber 2017, als sich das Ergeb­nis von deut­lich über zwölf Pro­zent abzeich­net. Er spricht auch von einem »gro­ßen Tag in unse­rer Par­tei­en­geschich­te. Wir haben es geschafft. Wir wer­den die­ses Land verändern.«

Die­se eupho­ri­schen Sät­ze waren eine Kampf­an­sa­ge an den poli­ti­schen Geg­ner: Man wür­de die neu­ge­won­ne­ne Macht im Bun­des­tag zu nut­zen wis­sen. An die Anhän­ger signa­li­sier­te man, daß man deren Erwar­tun­gen nicht ent­täu­schen wür­de. Das schür­te beim Geg­ner Befürch­tun­gen und ent­fach­te bei den Anhän­gern Hoff­nun­gen auf einen Wandel.

Daß sich weder die einen noch die ande­ren erfüllt haben, liegt in der Natur der Sache. Ein Wahl­kampf ist geprägt von Aus­sa­gen, die irra­tio­na­le Hoff­nun­gen wecken, dann aber im poli­ti­schen All­tag in den Hin­ter­grund tre­ten. Die dama­li­ge Wer­be­kam­pa­gne der AfD stand unter dem Mot­to »Trau Dich, Deutsch­land«. Sie appel­lier­te damit an den Mut der Wahl­bür­ger, der Alter­na­ti­ve ihre Stim­me zu geben und so einen gesell­schafts­po­li­ti­schen Wan­del herbeizuführen.

Aus die­ser Kam­pa­gne resul­tier­te ein Wahl­er­geb­nis, das sich sehen las­sen konn­te, war die AfD vier Jah­re vor­her doch noch an der Fünf­pro­zent­hür­de geschei­tert. In den Jah­ren zwi­schen 2013 und 2017 ereig­ne­ten sich Din­ge, die nicht nur die poli­ti­sche Stim­mung in Deutsch­land, son­dern auch die AfD gründ­lich veränderte.

Durch die vom polit­me­dia­len Kom­plex beklatsch­te Grenz­öff­nung im Som­mer 2015 und die dadurch initi­ier­te »Flücht­lings­kri­se« erhielt die Anti-Euro-Par­tei AfD die Mög­lich­keit, sich in die­ser Fra­ge ein Allein­stel­lungs­merk­mal zu geben, das bis dahin eher von Par­tei­en wie der NPD gepflegt wur­de. Die Mischung aus Staats­ver­sa­gen, mora­li­scher Bevor­mun­dung und den tat­säch­li­chen Kon­se­quen­zen aus die­ser ille­ga­len Mas­sen­ein­wan­de­rung ent­frem­de­te vie­le Wahl­bür­ger von ihren Parteien.

Die kon­ser­va­ti­ve Posi­ti­on, die der »Flü­gel« inner­halb der AfD seit März 2015 ver­trat, kam dem ent­ge­gen. In der Fol­ge ent­spann sich ein Macht­kampf, der im Juli schließ­lich zum Aus­tritt von Bernd Lucke, einem der Par­tei­grün­der, führ­te. Die Lager­kämp­fe waren auch in der Lis­ten­auf­stel­lung für die Bun­des­tags­wahl spür­bar, ins­be­son­de­re von den Medi­en wur­de ihnen star­ke Auf­merk­sam­keit geschenkt. Das Sor­tie­ren zwi­schen gemä­ßig­ten und radi­ka­len Kan­di­da­ten hat seit­her nicht auf­ge­hört. Das Geran­gel um die Plät­ze war vor allem des­halb so stark, weil alle das Momen­tum spür­ten, das zu einem guten Ergeb­nis füh­ren könn­te. Und allen war klar, daß die Bun­des­tags­frak­ti­on das neue Macht­zen­trum der Par­tei bil­den wür­de und die bis dahin im Fokus ste­hen­den Land­tags­frak­tio­nen kaum noch über­re­gio­nal wahr­ge­nom­men wer­den dürften.

Ihre stärks­ten Ergeb­nis­se erziel­te die AfD 2017 in den mit­tel­deut­schen Bun­des­län­dern, das bes­te mit 27 Pro­zent in Sach­sen, wo sie sogar drei Direkt­man­da­te errin­gen konn­te. Die west­deut­schen Bun­des­län­der lagen mit ihren Ergeb­nis­sen deut­lich hin­ter dem schlech­tes­ten mit­tel­deut­schen (18,6 in Meck­len­burg-Vor­pom­mern). Den­noch stell­ten Nord­rhein-West­fa­len (15), Bay­ern (14) und Baden-Würt­tem­berg (11) die größ­ten Lan­des­grup­pen in der Frak­ti­on, gefolgt von Sach­sen (11) und Nie­der­sach­sen (7). Ins­ge­samt zogen 94 Abge­ord­ne­te für die AfD in den Bun­des­tag ein. Im Ver­lauf der Legis­la­tur­pe­ri­ode ver­lor die Frak­ti­on ins­ge­samt acht Man­da­te durch Aus­tritt oder Aus­schluß aus der Par­tei und damit aus der Frak­ti­on. Den Anfang mach­te die Par­tei­che­fin Frau­ke Petry, die noch vor der Kon­sti­tu­ie­rung der Frak­ti­on unter Hin­weis auf rech­te Ten­den­zen ihren Aus­tritt bekannt­gab. Der Frak­ti­ons­chef Alex­an­der Gau­land sprach daher von der Frak­ti­on als einem »gäri­gen Haufen«.

In der Sum­me klin­gen acht ver­lo­re­ne Man­da­te für eine so von inne­ren Rich­tungs­strei­tig­kei­ten gepräg­te AfD nicht beson­ders viel, in der Geschich­te des bun­des­re­pu­bli­ka­ni­schen Par­la­men­ta­ris­mus ist die­se Zahl aller­dings mit Abstand die größ­te. Die Grün­de für die Abgän­ge folg­ten zumeist der von Frau­ke Petry vor­ge­ge­be­nen Argu­men­ta­ti­on, zumin­dest bei den bei­den zeit­lich nächs­ten (Mie­ruch und Kamann); bei den dann fol­gen­den Herr­mann und Hart­mann kam hin­zu, daß sie sich als Poli­zei­be­am­te aus der dro­hen­den Schlin­ge der Beob­ach­tung durch den Ver­fas­sungs­schutz ent­zie­hen woll­ten. Die letz­te Aus­tritts­wel­le erfolg­te anläß­lich der Auf­stel­lung der Wahl­lis­ten für 2021, bei der die bei­den nicht reüs­sie­ren­den Holl­na­gel und Hes­senkem­per die Par­tei ver­lie­ßen. Eine Aus­nah­me bil­det der Abge­ord­ne­te Frank Pase­mann, der auf­grund von faden­schei­ni­gen Anschul­di­gun­gen aus der Par­tei aus­ge­schlos­sen wurde.

Für die poli­ti­sche Aus­rich­tung der Bun­des­tags­frak­ti­on sind die Vor­ge­schich­ten der ein­zel­nen Abge­ord­ne­ten in ande­ren Par­tei­en von Inter­es­se. Da auf der Unver­ein­bar­keits­lis­te der AfD die Par­tei­en feh­len, die Deutsch­land in die Situa­ti­on gebracht haben, in der wir uns heu­te befin­den, liegt es nahe, daß vie­le Abge­ord­ne­te, so sie über­haupt par­tei­po­li­tisch aktiv waren, dort über län­ge­re oder kür­ze­re Pha­sen ihre poli­ti­sche Hei­mat hat­ten. Zur Bun­des­tags­frak­ti­on selbst lie­gen dazu lei­der kei­ne Unter­su­chun­gen vor, die Anga­ben aus dem Hand­buch des Bun­des­ta­ges sind unvoll­stän­dig. Was die Gesamt­par­tei betrifft, gab es 2019 eine Erhe­bung durch die Bun­des­ge­schäfts­stel­le, die ein über­schau­ba­res Ergeb­nis brach­te. Dem­nach waren ledig­lich 6,2 Pro­zent der Mit­glie­der vor­her in der CDU, 3,3 in der SPD und zwei Pro­zent in der FDP aktiv.

Nur weni­ge tau­send Mit­glie­der haben also eine ent­spre­chen­de Vor­ge­schich­te, die meis­ten fan­den erst durch Euro- und Flücht­lings­kri­se zum Enga­ge­ment in einer Par­tei. Stich­pro­ben legen aller­dings nahe, daß der Anteil unter den Man­dats­trä­gern wesent­lich höher ist. Aus­nah­men bil­den dar­un­ter Abge­ord­ne­te wie Gau­land und Hoh­mann, die es geschafft haben, in oder mit der CDU Kar­rie­re zu machen, bevor sie in die AfD ein­tra­ten. Die ande­ren haben sich bei ihren vori­gen Par­tei­en nicht beson­ders her­vor­ge­tan. Im Frak­ti­ons­vor­stand gibt es ehe­ma­li­ge FDP-Mit­glie­der (Storch, Kom­ning), aber auch Mit­glie­der von Par­tei­en, die man als Vor­läu­fer der AfD bezeich­nen könn­te: Repu­bli­ka­ner (Fel­ser), Frei­heit (Mün­zen­mei­er), Schill-Par­tei (Kom­ning) und Freie Wäh­ler (Fröm­ming). Die­sen Vor­läu­fern gelang es nie, in den Bun­des­tag ein­zu­zie­hen, was den Erfolg der AfD durch­aus zu einem his­to­ri­schen macht.

Auch wenn man­che den Erfolg der AfD mit dem der Grü­nen ver­glei­chen – auf­grund der Gemein­sam­keit, daß es sich jeweils um eine völ­lig neue Par­tei im Par­la­ment han­del­te, die auf Vor­be­hal­te der Alt­par­tei­en stieß –, gibt es in der ent­schei­den­den Fra­ge einen unüber­brück­ba­ren Unter­schied. Den Grü­nen gelang die Eta­blie­rung auf einer Wel­le des Zeit­geists, die sie bis in die Regie­rung trug, die AfD hat es deut­lich schwe­rer und muß gegen den Strom schwimmen.

Ähn­lich his­to­risch wie das Wahl­er­geb­nis waren die Ver­su­che der Alt­par­tei­en, die­sen Erfolg par­la­men­ta­risch nicht zur Gel­tung kom­men zu las­sen. Die­se ein­ma­li­gen Vor­gän­ge began­nen bereits im Vor­feld der kon­sti­tu­ie­ren­den Sit­zung des 19. Bun­des­ta­ges, die tra­di­tio­nell vom Alters­prä­si­den­ten eröff­net wird.

Unter die­sem ver­stand man bis dahin den lebens­ältesten Abge­ord­ne­ten, was im Okto­ber 2017 der AfD-Abge­ord­ne­te ­Wil­helm von Gott­berg war. Da die Alt­par­tei­en unbe­dingt ver­hin­dern woll­ten, daß die AfD gleich zu Beginn die­ses Podi­um nut­zen könn­te, änder­te man ein­fach die Geschäfts­ord­nung, so daß jetzt der­je­ni­ge Abge­ord­ne­te als der ältes­te galt, der am längs­ten dem Bun­des­tag ange­hört. Das konn­te kein AfD-Mit­glied sein, son­dern es war Wolf­gang Schäub­le, der als Bun­des­tags­prä­si­dent die­se Rol­le an den Nächst­dienst­äl­tes­ten, Otto Solms von der FDP, abtrat. Um den Vor­gang ein­ord­nen zu kön­nen, muß man wis­sen, daß die PDS zwei­mal den Alters­prä­si­den­ten stell­te, ohne daß jemand des­we­gen die Geschäfts­ord­nung geän­dert hätte.

Ähn­lich his­to­risch ist die Wei­ge­rung der ande­ren Abge­ord­ne­ten, der AfD den ihr zuste­hen­den Vize­prä­si­den­ten­pos­ten zu gewäh­ren. Sechs­mal schick­te die AfD einen Kan­di­da­ten ins Ren­nen, sechs­mal ver­wei­ger­te ihm der Bun­des­tag das Amt. Die Geschäfts­ord­nung stößt im Fall der AfD an ihre Gren­zen. Bis­lang war sie näm­lich so ange­legt, daß bei der Beset­zung der Ämter von einem über­frak­tio­nel­len Kon­sens aus­ge­gan­gen wur­de: Die Frak­tio­nen konn­ten ihre Kan­di­da­ten für die ihnen nach dem Pro­porz zuste­hen­den Pos­ten selbst bestim­men, die ande­ren Frak­tio­nen ver­hin­der­ten die­se Ent­schei­dung nicht. Ledig­lich die Links­par­tei muß­te mit ihren Kan­di­da­ten gele­gent­lich durch zwei Wahlgänge.

Die AfD ent­schloß sich daher zu einem recht frü­hen Zeit­punkt, den Spieß umzu­dre­hen und den Kon­sens ihrer­seits dort auf­zu­kün­di­gen, wo es in ihrer Macht lag. Das ist auf­grund des Mehr­heits­prin­zips für die AfD nur an einer Stel­le mög­lich. Wenn zu spä­ter Stun­de die Ple­nar­sit­zung ihrem Ende ent­ge­gen­däm­mert, sind in der Regel nicht mehr genü­gend Abge­ord­ne­te anwe­send, um beschluß­fä­hig zu sein (min­des­tens die Hälf­te). Solan­ge nie­mand eine Fest­stel­lung der Beschluß­fä­hig­keit ver­langt, ist das egal, und bis­her war das Kon­sens. Die AfD bean­trag­te jedoch im Janu­ar 2018 eben­die­se Fest­stel­lung und, wie sich her­aus­stell­te, man war nicht mehr beschluß­fä­hig, was dazu führ­te, daß Abstim­mun­gen nach­ge­holt und ver­scho­ben wer­den muß­ten. Die Alt­par­tei­en tob­ten und führ­ten zu ihrer Ent­schul­di­gung an, daß die eigent­li­che Arbeit ja in den Aus­schüs­sen erfol­ge, was der AfD als popu­lis­ti­scher Par­tei aber egal sei.

Die Arbeit in den Aus­schüs­sen fin­det in der Tat weit­ge­hend im ver­bor­ge­nen statt, was sie für eine Oppo­si­ti­ons­par­tei als Büh­ne unge­eig­net macht. Immer­hin konn­te die AfD mit Peter Boeh­rin­ger den Vor­sitz im Haus­halts­aus­schuß ein­neh­men, der tra­di­tio­nell der stärks­ten Oppo­si­ti­ons­par­tei zusteht. Eines wei­te­ren Vor­sit­zes ging die AfD wie­der ver­lus­tig, als Ste­phan Brand­ner als Vor­sit­zen­der des Rechts­aus­schus­ses abge­wählt wur­de, weil man ihm unan­ge­mes­se­ne Äuße­run­gen in den sozia­len Medi­en vor­warf. Da der Vor­sitz der AfD zustand, blieb der Pos­ten unbesetzt.

Die Arbeit in den Aus­schüs­sen ist dar­über hin­aus kaum The­ma in den weni­gen der AfD wohl­ge­son­ne­nen Medi­en gewe­sen. Aller­dings scheint die Arbeit der AfD-Frak­ti­on hier, im Gegen­satz zum Ple­num, vom »par­la­men­ta­ri­schen Prag­ma­tis­mus« (MdB Mün­zen­mei­er) geprägt zu sein, wenn man einer unwi­der­spro­che­nen Stu­die der Rosa-Luxem­burg-Stif­tung Glau­ben schen­ken darf. Danach wer­den die AfD-Initia­ti­ven dort zwar grund­sätz­lich abge­lehnt, die AfD stimm­te hin­ge­gen in einer Viel­zahl von Fäl­len mit der Regie­rung oder der FDP.

Daß das nicht wei­ter auf­fällt, hat nicht nur damit zu tun, daß die Aus­schüs­se nicht im Fokus der Öffent­lich­keit ste­hen, son­dern auch damit, daß die AfD den Ple­nar­de­bat­ten als Medi­um der poli­ti­schen Aus­ein­an­der­set­zung zu einer neu­en Bedeu­tung ver­hol­fen hat, so daß sich sowohl Für- als auch Gegen­spre­cher vor allem dar­auf stür­zen. Das ent­spricht auch den Erwar­tun­gen, die man rea­lis­ti­scher­wei­se an eine Oppo­si­ti­ons­frak­ti­on haben soll­te, da deren Mög­lich­kei­ten beschränkt sind. Sie ver­fügt über kei­ner­lei eige­ne Gestal­tungs­mög­lich­kei­ten, son­dern kann ledig­lich für eine wirk­sa­me Kon­trol­le der Regie­rung sor­gen, indem sie die­se mit Fra­gen löchert und die Öffent­lich­keit über die Ergeb­nis­se informiert.

Die par­la­men­ta­ri­sche Kon­troll­tä­tig­keit beschränkt sich für die Frak­ti­on auf das Stel­len von Klei­nen und Gro­ßen Anfra­gen, hin­zu kommt die Mög­lich­keit für jeden Abge­ord­ne­ten, Ein­zel­fra­gen zu for­mu­lie­ren. Zu Beginn der Legis­la­tur­pe­ri­ode gelang es der AfD hier, eini­ge Fak­ten zuta­ge zu för­dern, die für eine grö­ße­re Öffent­lich­keit von Inter­es­se waren und die ent­spre­chend ver­brei­tet wur­den. Mit zuneh­men­der Dau­er gin­gen die The­men aus, und die Bun­des­re­gie­rung ent­wi­ckel­te eine beträcht­li­che Meis­ter­schaft dar­in, die Fra­gen zu beant­wor­ten, ohne sie zu beantworten.

Neben der Infor­ma­ti­ons­be­schaf­fung bleibt der Oppo­si­ti­on noch die Mög­lich­keit, durch eige­ne Initia­ti­ven wie Anträ­ge oder Gesetz­ent­wür­fe dem Wäh­ler zu zei­gen, daß man eige­ne Ideen hat und in der Lage ist, eine Alter­na­ti­ve zur gegen­wär­ti­gen Poli­tik zu for­mu­lie­ren. Da die­se Initia­ti­ven grund­sätz­lich abge­lehnt wer­den, steht hier neben der Schau­fens­ter­funk­ti­on vor allem das Vor­füh­ren des Geg­ners im Mit­tel­punkt. Indem man eine Initia­ti­ve for­mu­liert, die der Geg­ner gewis­ser­ma­ßen kaum ableh­nen kann, weil der dort geäu­ßer­te Sach­ver­halt eigent­lich sei­ner Agen­da ent­spricht, zwingt man ihn, gegen sei­ne eige­ne Inten­ti­on abzu­stim­men. Da die AfD nur über einen beschränk­ten Zugang zu den eta­blier­ten Medi­en ver­fügt, ist es aller­dings schwie­rig, mit sol­chen Initia­ti­ven Bür­ger zu errei­chen, die sich noch nicht in der eige­nen Bla­se aufhalten.

Im Lau­fe der Legis­la­tur­pe­ri­ode stell­te sich aller­dings die Fra­ge, ob die AfD-Frak­ti­on sich nicht zu sehr dar­auf kon­zen­triert hat, Inhal­te zu ver­tre­ten, die sich an der Kern­wäh­ler­schaft vor­bei­be­we­gen und die in kei­ner Wei­se geeig­net sind, den Anfangs zitier­ten Anspruch Gau­lands zu erfül­len. Die Auf­ar­bei­tung des­sen, was seit 2015 über Deutsch­land gekom­men ist, stand in den vier Jah­ren im Mit­tel­punkt der Arbeit der AfD-Fraktion.

Immer wie­der wur­den dazu Anfra­gen gestellt und Anträ­ge ein­ge­bracht. Die Auf­klä­rungs­ar­beit funk­tio­nier­te hier vor­bild­lich, stieß aber an sei­ne Gren­zen, sobald die poli­ti­schen Kon­se­quen­zen der mas­sen­haf­ten Ein­wan­de­rung beim Namen genannt wer­den soll­ten. Das lag nicht zuletzt dar­an, daß das Bun­des­amt für Ver­fas­sungs­schutz die Par­tei stär­ker in den Fokus nahm und mit­tels der Kon­struk­ti­on »Ver­stoß gegen die Men­schen­wür­de« jede Pau­schal­aus­sa­ge über Ein­wan­de­rer unmög­lich machte.

Eben­so stand das Behar­ren auf dem bis 2000 gel­ten­den Staats­bür­ger­schafts­recht in dem Ver­dacht, einen »eth­ni­schen Volks­be­griff« zu ver­tre­ten, den das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt 2017 für ver­fas­sungs­wid­rig erklärt hat­te. Inwie­weit man sich die­sen Beschrän­kun­gen unter­wer­fen müs­se, ist die Streit­fra­ge, an der sich die Geis­ter in der AfD schei­den und die durch die Wühl­ar­beit des Ver­fas­sungs­schut­zes andau­ernd befeu­ert wird.

Der Vor­stand der AfD-Bun­des­tags­frak­ti­on ent­schloß sich daher, eine aus fünf Mit­glie­dern bestehen­de »Arbeits­grup­pe Ver­fas­sungs­schutz« ein­zu­set­zen, die durch Roland Hart­wig gelei­tet wur­de. Drei Auf­ga­ben soll­ten im Mit­tel­punkt der Arbeit ste­hen: Sie soll­te Infor­ma­tio­nen über den Ver­fas­sungs­schutz bereit­stel­len, um den inter­nen Umgang mit der dro­hen­den Beob­ach­tung zu koordinieren.

Par­al­lel soll­te die juris­ti­sche Ver­tei­di­gung vor­be­rei­tet wer­den. Und schließ­lich soll­te sie Trans­pa­renz gegen­über der Öffent­lich­keit her­stel­len und den Unter­stel­lun­gen durch Auf­klä­rung die Spit­ze abbre­chen. Als exter­ner Exper­te konn­te der Ver­fas­sungs­recht­ler Diet­rich Murs­wiek gewon­nen wer­den, der dem Gut­ach­ten des Ver­fas­sungs­schut­zes über die Fra­ge, ob man die AfD als Prüf­fall behan­deln dür­fe, jeg­li­che Aus­sa­ge­kraft absprach. Von den ange­führ­ten 400 Beleg­stel­len sei­en für die Bewer­tung nur sechs relevant.

Trotz die­ses ein­deu­ti­gen Ergeb­nis­ses konn­te der Druck des Ver­fas­sungs­schut­zes sei­ne Wir­kung ent­fal­ten, weil Tei­le von Par­tei und Frak­ti­on dar­in nicht zu Unrecht eine Unter­stüt­zung ihrer Hal­tung ver­mu­te­ten, die auf eine Anglei­chung der AfD an die Gepflo­gen­hei­ten der ande­ren Par­tei­en hin­aus­läuft. Die­se Situa­ti­on sorg­te nicht nur für per­so­nel­le Kon­se­quen­zen, son­dern lang­fris­tig tat­säch­lich für eine Anpas­sung der Posi­tio­nen und die Akzep­tanz von Sprach­ver­bo­ten. Der Linie des VS wur­de auch dann ent­spro­chen, als die noch unter Hans-Georg Maa­ßen ins Visier genom­me­ne Iden­ti­tä­re Bewe­gung als Beob­ach­tungs­fall ein­ge­stuft wur­de und prompt auf der Unver­ein­bar­keits­lis­te landete.

Anpas­sungs­leis­tun­gen wur­den auch auf einem ande­ren, für die Kern­wäh­ler­schaft der AfD wich­ti­gen The­men­feld erbracht. Die Geschichts­po­li­tik, die ja nach der Ansa­ge von Gau­land ein zen­tra­les Anlie­gen war und durch die­sen im Wahl­kampf durch Stolz auf die Leis­tun­gen der Wehrmachts­soldaten noch befeu­ert wur­de, spiel­te in den Bun­des­tags­re­den vor allem bei Gedenk­stun­den eine Rol­le, aber auch dann, wenn es all­ge­mein um den Dau­er­bren­ner Ver­gan­gen­heits­be­wäl­ti­gung ging. Als die Regie­rungs­ko­ali­ti­on eine Dokumentations‑, Bil­dungs- und Erin­ne­rungs­stät­te errich­ten woll­te, die der Auf­ar­bei­tung des Zwei­ten Welt­kriegs und der natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Besat­zungs­herr­schaft gewid­met sein soll­te, ent­hielt sich die AfD-Fraktion.

Mit »Nein« kön­ne man nicht stim­men, so MdB Jon­gen, da man aner­ken­ne, daß »in dem von den Natio­nal­so­zia­lis­ten ent­fes­sel­ten tota­len Krieg« schwers­te Ver­bre­chen began­gen wor­den sei­en, die wei­ter­hin erforscht wer­den müß­ten. Aller­dings wand­te sich Jon­gen gegen den »Sühne­stolz«, den er in den Unter­tö­nen des Antrags ver­mu­te­te, und kon­sta­tier­te eine »heil­lo­se Schief­la­ge« der Erin­ne­rungs­po­li­tik. Bei der Gedenk­stun­de zum 80. Jah­res­tag des Beginns des Deutsch-Sowje­ti­schen Krie­ges 1941 sprach Gau­land vom »Über­fall auf die Sowjet­uni­on« und rela­ti­vier­te im Ver­lauf sei­ner Rede den Anteil der Sowjet­uni­on am Aus­bruch des Krieges.

Im Hin­ter­grund sol­cher Anpas­sungs­leis­tun­gen steht aber eine außen­po­li­ti­sche Fra­ge, die inner­halb der AfD umstrit­ten ist. Soll man sich zukünf­tig wei­ter­hin aus­schließ­lich auf die USA ver­las­sen, oder wäre nicht eine Annä­he­rung an Ruß­land geeig­net, für etwas Beweg­lich­keit in der deut­schen Außen­po­li­tik zu sorgen?

Einer star­ken Frak­ti­on der Atlan­ti­ker ste­hen mit Gau­land und Chrup­al­la zwei Leu­te gegen­über, von denen letz­te­rer sogar zu einem Besuch in Mos­kau weil­te, als der Jah­res­tag des 22. Juni 1941 anstand. Wenn es aller­dings dar­um geht, aus die­ser Hal­tung eine poli­ti­sche For­de­rung abzu­lei­ten, ist man weit­aus vor­sich­ti­ger. Als die Links­par­tei in einem Antrag den Abzug aller US-Sol­da­ten aus Deutsch­land for­der­te, stimm­te die AfD dage­gen, obwohl das Grund­satz­pro­gramm der Par­tei besagt, daß sich die AfD für einen Abzug aller frem­den Trup­pen auf deut­schem Boden ein­set­zen wird. Die Ableh­nung erfolg­te unter dem Hin­weis, daß man erst die Ver­tei­di­gungs­be­reit­schaft wie­der­her­stel­len müs­se, bevor man auf die frem­den Trup­pen ver­zich­ten könne.

Und die Fei­er­stun­de zum 70jährigen Bestehen des Staa­tes Isra­el wur­de von ­Gau­land für die Aus­sa­ge genutzt, daß man es für rich­tig hal­te, daß Isra­el ein Teil der deut­schen Staats­rä­son ist. Mit dem Satz »Das heißt für uns aber auch, daß die Exis­tenz­si­che­rung am Bran­den­bur­ger Tor beginnt« wur­den die übli­chen Refle­xe bedient, die in jeder anti­is­la­mi­schen Posi­ti­on eine rich­ti­ge Posi­ti­on sehen. Was man in ande­ren Fäl­len, wie beim Kult um Homo­se­xu­el­le, Libe­ra­lis­mus­fal­le genannt hat, wirkt hier als Isra­el­fal­le, da man hofft, für sol­cher­lei Aus­sa­gen durch Akzep­tanz belohnt zu wer­den. Aber sol­che Hoff­nun­gen waren seit jeher vergeblich.

Unter dem Strich wird man kon­sta­tie­ren kön­nen, daß sich die AfD-Bun­des­tag­frak­ti­on dem in der gan­zen Par­tei zu spü­ren­den Zug in die Mit­te nicht ent­zie­hen konn­te. Sie ist als mäch­tigs­te Ein­heit der AfD oben­drein nicht nur von Anpas­sungs­leis­tun­gen, son­dern auch von Olig­ar­chi­sie­rungs­ten­den­zen geprägt, denen sich kei­ne Par­tei und schon gar kei­ne Frak­ti­on ent­zie­hen kann, die so sehr in den Genuß des­sen kommt, was die Par­tei­en als ihren Anteil dekla­rier­ten, als sie sich den Staat zur Beu­te mach­ten. Dadurch wer­den nicht nur die ein­zel­nen Abge­ord­ne­ten kor­rum­piert, son­dern die gan­ze Frak­ti­on betä­tigt sich, unter­stützt von Über­läu­fern der Alt­par­tei­en an den Schalt­he­beln, lie­ber als Teil der Par­la­ments­ma­schi­ne­rie, als gegen oder über die­se hin­aus zu arbeiten.

Die par­la­men­ta­ri­sche Pflicht hat die AfD im Bun­des­tag sehr ordent­lich gemeis­tert und den Rah­men der Mög­lich­kei­ten aus­ge­schöpft. Was sie nicht geleis­tet hat und ver­mut­lich auch nicht leis­ten woll­te: die Stär­kung des vor­po­li­ti­schen Rau­mes und die Auf­nah­me des meta­po­li­ti­schen Kamp­fes. Für bei­des fehl­ten der Wil­le, den Rah­men des Par­la­men­ta­ris­mus durch intel­li­gen­te Schach­zü­ge aus­zu­wei­ten, und der Mut, sich dem Zeit­geist in den wich­ti­gen Lebens­fra­gen ent­ge­gen­zu­stel­len, egal ob das dem Ver­fas­sungs­schutz gefällt oder nicht.

Beson­ders tra­gisch sind die­se ver­paß­ten Mög­lich­kei­ten, weil die Frak­ti­on jähr­lich ca. 17 Mil­lio­nen Euro vom Steu­er­zah­ler bekommt, ohne daß es hier zu einem nen­nens­wer­ten Abfluß ins Vor­feld gekom­men wäre. Das haben die ande­ren Par­tei­en bes­ser hin­be­kom­men. Eine Anpas­sung an die­se Gepflo­gen­hei­ten ist für den Erfolg des Milieus, das die AfD reprä­sen­tiert, zwin­gend notwendig.

 

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

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