»Wir werden sie jagen. Wir werden Frau Merkel oder wen auch immer jagen, und wir werden uns unser Land und unser Volk zurückholen«, sagt der Spitzenkandidat Alexander Gauland am Wahlabend im September 2017, als sich das Ergebnis von deutlich über zwölf Prozent abzeichnet. Er spricht auch von einem »großen Tag in unserer Parteiengeschichte. Wir haben es geschafft. Wir werden dieses Land verändern.«
Diese euphorischen Sätze waren eine Kampfansage an den politischen Gegner: Man würde die neugewonnene Macht im Bundestag zu nutzen wissen. An die Anhänger signalisierte man, daß man deren Erwartungen nicht enttäuschen würde. Das schürte beim Gegner Befürchtungen und entfachte bei den Anhängern Hoffnungen auf einen Wandel.
Daß sich weder die einen noch die anderen erfüllt haben, liegt in der Natur der Sache. Ein Wahlkampf ist geprägt von Aussagen, die irrationale Hoffnungen wecken, dann aber im politischen Alltag in den Hintergrund treten. Die damalige Werbekampagne der AfD stand unter dem Motto »Trau Dich, Deutschland«. Sie appellierte damit an den Mut der Wahlbürger, der Alternative ihre Stimme zu geben und so einen gesellschaftspolitischen Wandel herbeizuführen.
Aus dieser Kampagne resultierte ein Wahlergebnis, das sich sehen lassen konnte, war die AfD vier Jahre vorher doch noch an der Fünfprozenthürde gescheitert. In den Jahren zwischen 2013 und 2017 ereigneten sich Dinge, die nicht nur die politische Stimmung in Deutschland, sondern auch die AfD gründlich veränderte.
Durch die vom politmedialen Komplex beklatschte Grenzöffnung im Sommer 2015 und die dadurch initiierte »Flüchtlingskrise« erhielt die Anti-Euro-Partei AfD die Möglichkeit, sich in dieser Frage ein Alleinstellungsmerkmal zu geben, das bis dahin eher von Parteien wie der NPD gepflegt wurde. Die Mischung aus Staatsversagen, moralischer Bevormundung und den tatsächlichen Konsequenzen aus dieser illegalen Masseneinwanderung entfremdete viele Wahlbürger von ihren Parteien.
Die konservative Position, die der »Flügel« innerhalb der AfD seit März 2015 vertrat, kam dem entgegen. In der Folge entspann sich ein Machtkampf, der im Juli schließlich zum Austritt von Bernd Lucke, einem der Parteigründer, führte. Die Lagerkämpfe waren auch in der Listenaufstellung für die Bundestagswahl spürbar, insbesondere von den Medien wurde ihnen starke Aufmerksamkeit geschenkt. Das Sortieren zwischen gemäßigten und radikalen Kandidaten hat seither nicht aufgehört. Das Gerangel um die Plätze war vor allem deshalb so stark, weil alle das Momentum spürten, das zu einem guten Ergebnis führen könnte. Und allen war klar, daß die Bundestagsfraktion das neue Machtzentrum der Partei bilden würde und die bis dahin im Fokus stehenden Landtagsfraktionen kaum noch überregional wahrgenommen werden dürften.
Ihre stärksten Ergebnisse erzielte die AfD 2017 in den mitteldeutschen Bundesländern, das beste mit 27 Prozent in Sachsen, wo sie sogar drei Direktmandate erringen konnte. Die westdeutschen Bundesländer lagen mit ihren Ergebnissen deutlich hinter dem schlechtesten mitteldeutschen (18,6 in Mecklenburg-Vorpommern). Dennoch stellten Nordrhein-Westfalen (15), Bayern (14) und Baden-Württemberg (11) die größten Landesgruppen in der Fraktion, gefolgt von Sachsen (11) und Niedersachsen (7). Insgesamt zogen 94 Abgeordnete für die AfD in den Bundestag ein. Im Verlauf der Legislaturperiode verlor die Fraktion insgesamt acht Mandate durch Austritt oder Ausschluß aus der Partei und damit aus der Fraktion. Den Anfang machte die Parteichefin Frauke Petry, die noch vor der Konstituierung der Fraktion unter Hinweis auf rechte Tendenzen ihren Austritt bekanntgab. Der Fraktionschef Alexander Gauland sprach daher von der Fraktion als einem »gärigen Haufen«.
In der Summe klingen acht verlorene Mandate für eine so von inneren Richtungsstreitigkeiten geprägte AfD nicht besonders viel, in der Geschichte des bundesrepublikanischen Parlamentarismus ist diese Zahl allerdings mit Abstand die größte. Die Gründe für die Abgänge folgten zumeist der von Frauke Petry vorgegebenen Argumentation, zumindest bei den beiden zeitlich nächsten (Mieruch und Kamann); bei den dann folgenden Herrmann und Hartmann kam hinzu, daß sie sich als Polizeibeamte aus der drohenden Schlinge der Beobachtung durch den Verfassungsschutz entziehen wollten. Die letzte Austrittswelle erfolgte anläßlich der Aufstellung der Wahllisten für 2021, bei der die beiden nicht reüssierenden Hollnagel und Hessenkemper die Partei verließen. Eine Ausnahme bildet der Abgeordnete Frank Pasemann, der aufgrund von fadenscheinigen Anschuldigungen aus der Partei ausgeschlossen wurde.
Für die politische Ausrichtung der Bundestagsfraktion sind die Vorgeschichten der einzelnen Abgeordneten in anderen Parteien von Interesse. Da auf der Unvereinbarkeitsliste der AfD die Parteien fehlen, die Deutschland in die Situation gebracht haben, in der wir uns heute befinden, liegt es nahe, daß viele Abgeordnete, so sie überhaupt parteipolitisch aktiv waren, dort über längere oder kürzere Phasen ihre politische Heimat hatten. Zur Bundestagsfraktion selbst liegen dazu leider keine Untersuchungen vor, die Angaben aus dem Handbuch des Bundestages sind unvollständig. Was die Gesamtpartei betrifft, gab es 2019 eine Erhebung durch die Bundesgeschäftsstelle, die ein überschaubares Ergebnis brachte. Demnach waren lediglich 6,2 Prozent der Mitglieder vorher in der CDU, 3,3 in der SPD und zwei Prozent in der FDP aktiv.
Nur wenige tausend Mitglieder haben also eine entsprechende Vorgeschichte, die meisten fanden erst durch Euro- und Flüchtlingskrise zum Engagement in einer Partei. Stichproben legen allerdings nahe, daß der Anteil unter den Mandatsträgern wesentlich höher ist. Ausnahmen bilden darunter Abgeordnete wie Gauland und Hohmann, die es geschafft haben, in oder mit der CDU Karriere zu machen, bevor sie in die AfD eintraten. Die anderen haben sich bei ihren vorigen Parteien nicht besonders hervorgetan. Im Fraktionsvorstand gibt es ehemalige FDP-Mitglieder (Storch, Komning), aber auch Mitglieder von Parteien, die man als Vorläufer der AfD bezeichnen könnte: Republikaner (Felser), Freiheit (Münzenmeier), Schill-Partei (Komning) und Freie Wähler (Frömming). Diesen Vorläufern gelang es nie, in den Bundestag einzuziehen, was den Erfolg der AfD durchaus zu einem historischen macht.
Auch wenn manche den Erfolg der AfD mit dem der Grünen vergleichen – aufgrund der Gemeinsamkeit, daß es sich jeweils um eine völlig neue Partei im Parlament handelte, die auf Vorbehalte der Altparteien stieß –, gibt es in der entscheidenden Frage einen unüberbrückbaren Unterschied. Den Grünen gelang die Etablierung auf einer Welle des Zeitgeists, die sie bis in die Regierung trug, die AfD hat es deutlich schwerer und muß gegen den Strom schwimmen.
Ähnlich historisch wie das Wahlergebnis waren die Versuche der Altparteien, diesen Erfolg parlamentarisch nicht zur Geltung kommen zu lassen. Diese einmaligen Vorgänge begannen bereits im Vorfeld der konstituierenden Sitzung des 19. Bundestages, die traditionell vom Alterspräsidenten eröffnet wird.
Unter diesem verstand man bis dahin den lebensältesten Abgeordneten, was im Oktober 2017 der AfD-Abgeordnete Wilhelm von Gottberg war. Da die Altparteien unbedingt verhindern wollten, daß die AfD gleich zu Beginn dieses Podium nutzen könnte, änderte man einfach die Geschäftsordnung, so daß jetzt derjenige Abgeordnete als der älteste galt, der am längsten dem Bundestag angehört. Das konnte kein AfD-Mitglied sein, sondern es war Wolfgang Schäuble, der als Bundestagspräsident diese Rolle an den Nächstdienstältesten, Otto Solms von der FDP, abtrat. Um den Vorgang einordnen zu können, muß man wissen, daß die PDS zweimal den Alterspräsidenten stellte, ohne daß jemand deswegen die Geschäftsordnung geändert hätte.
Ähnlich historisch ist die Weigerung der anderen Abgeordneten, der AfD den ihr zustehenden Vizepräsidentenposten zu gewähren. Sechsmal schickte die AfD einen Kandidaten ins Rennen, sechsmal verweigerte ihm der Bundestag das Amt. Die Geschäftsordnung stößt im Fall der AfD an ihre Grenzen. Bislang war sie nämlich so angelegt, daß bei der Besetzung der Ämter von einem überfraktionellen Konsens ausgegangen wurde: Die Fraktionen konnten ihre Kandidaten für die ihnen nach dem Proporz zustehenden Posten selbst bestimmen, die anderen Fraktionen verhinderten diese Entscheidung nicht. Lediglich die Linkspartei mußte mit ihren Kandidaten gelegentlich durch zwei Wahlgänge.
Die AfD entschloß sich daher zu einem recht frühen Zeitpunkt, den Spieß umzudrehen und den Konsens ihrerseits dort aufzukündigen, wo es in ihrer Macht lag. Das ist aufgrund des Mehrheitsprinzips für die AfD nur an einer Stelle möglich. Wenn zu später Stunde die Plenarsitzung ihrem Ende entgegendämmert, sind in der Regel nicht mehr genügend Abgeordnete anwesend, um beschlußfähig zu sein (mindestens die Hälfte). Solange niemand eine Feststellung der Beschlußfähigkeit verlangt, ist das egal, und bisher war das Konsens. Die AfD beantragte jedoch im Januar 2018 ebendiese Feststellung und, wie sich herausstellte, man war nicht mehr beschlußfähig, was dazu führte, daß Abstimmungen nachgeholt und verschoben werden mußten. Die Altparteien tobten und führten zu ihrer Entschuldigung an, daß die eigentliche Arbeit ja in den Ausschüssen erfolge, was der AfD als populistischer Partei aber egal sei.
Die Arbeit in den Ausschüssen findet in der Tat weitgehend im verborgenen statt, was sie für eine Oppositionspartei als Bühne ungeeignet macht. Immerhin konnte die AfD mit Peter Boehringer den Vorsitz im Haushaltsausschuß einnehmen, der traditionell der stärksten Oppositionspartei zusteht. Eines weiteren Vorsitzes ging die AfD wieder verlustig, als Stephan Brandner als Vorsitzender des Rechtsausschusses abgewählt wurde, weil man ihm unangemessene Äußerungen in den sozialen Medien vorwarf. Da der Vorsitz der AfD zustand, blieb der Posten unbesetzt.
Die Arbeit in den Ausschüssen ist darüber hinaus kaum Thema in den wenigen der AfD wohlgesonnenen Medien gewesen. Allerdings scheint die Arbeit der AfD-Fraktion hier, im Gegensatz zum Plenum, vom »parlamentarischen Pragmatismus« (MdB Münzenmeier) geprägt zu sein, wenn man einer unwidersprochenen Studie der Rosa-Luxemburg-Stiftung Glauben schenken darf. Danach werden die AfD-Initiativen dort zwar grundsätzlich abgelehnt, die AfD stimmte hingegen in einer Vielzahl von Fällen mit der Regierung oder der FDP.
Daß das nicht weiter auffällt, hat nicht nur damit zu tun, daß die Ausschüsse nicht im Fokus der Öffentlichkeit stehen, sondern auch damit, daß die AfD den Plenardebatten als Medium der politischen Auseinandersetzung zu einer neuen Bedeutung verholfen hat, so daß sich sowohl Für- als auch Gegensprecher vor allem darauf stürzen. Das entspricht auch den Erwartungen, die man realistischerweise an eine Oppositionsfraktion haben sollte, da deren Möglichkeiten beschränkt sind. Sie verfügt über keinerlei eigene Gestaltungsmöglichkeiten, sondern kann lediglich für eine wirksame Kontrolle der Regierung sorgen, indem sie diese mit Fragen löchert und die Öffentlichkeit über die Ergebnisse informiert.
Die parlamentarische Kontrolltätigkeit beschränkt sich für die Fraktion auf das Stellen von Kleinen und Großen Anfragen, hinzu kommt die Möglichkeit für jeden Abgeordneten, Einzelfragen zu formulieren. Zu Beginn der Legislaturperiode gelang es der AfD hier, einige Fakten zutage zu fördern, die für eine größere Öffentlichkeit von Interesse waren und die entsprechend verbreitet wurden. Mit zunehmender Dauer gingen die Themen aus, und die Bundesregierung entwickelte eine beträchtliche Meisterschaft darin, die Fragen zu beantworten, ohne sie zu beantworten.
Neben der Informationsbeschaffung bleibt der Opposition noch die Möglichkeit, durch eigene Initiativen wie Anträge oder Gesetzentwürfe dem Wähler zu zeigen, daß man eigene Ideen hat und in der Lage ist, eine Alternative zur gegenwärtigen Politik zu formulieren. Da diese Initiativen grundsätzlich abgelehnt werden, steht hier neben der Schaufensterfunktion vor allem das Vorführen des Gegners im Mittelpunkt. Indem man eine Initiative formuliert, die der Gegner gewissermaßen kaum ablehnen kann, weil der dort geäußerte Sachverhalt eigentlich seiner Agenda entspricht, zwingt man ihn, gegen seine eigene Intention abzustimmen. Da die AfD nur über einen beschränkten Zugang zu den etablierten Medien verfügt, ist es allerdings schwierig, mit solchen Initiativen Bürger zu erreichen, die sich noch nicht in der eigenen Blase aufhalten.
Im Laufe der Legislaturperiode stellte sich allerdings die Frage, ob die AfD-Fraktion sich nicht zu sehr darauf konzentriert hat, Inhalte zu vertreten, die sich an der Kernwählerschaft vorbeibewegen und die in keiner Weise geeignet sind, den Anfangs zitierten Anspruch Gaulands zu erfüllen. Die Aufarbeitung dessen, was seit 2015 über Deutschland gekommen ist, stand in den vier Jahren im Mittelpunkt der Arbeit der AfD-Fraktion.
Immer wieder wurden dazu Anfragen gestellt und Anträge eingebracht. Die Aufklärungsarbeit funktionierte hier vorbildlich, stieß aber an seine Grenzen, sobald die politischen Konsequenzen der massenhaften Einwanderung beim Namen genannt werden sollten. Das lag nicht zuletzt daran, daß das Bundesamt für Verfassungsschutz die Partei stärker in den Fokus nahm und mittels der Konstruktion »Verstoß gegen die Menschenwürde« jede Pauschalaussage über Einwanderer unmöglich machte.
Ebenso stand das Beharren auf dem bis 2000 geltenden Staatsbürgerschaftsrecht in dem Verdacht, einen »ethnischen Volksbegriff« zu vertreten, den das Bundesverfassungsgericht 2017 für verfassungswidrig erklärt hatte. Inwieweit man sich diesen Beschränkungen unterwerfen müsse, ist die Streitfrage, an der sich die Geister in der AfD scheiden und die durch die Wühlarbeit des Verfassungsschutzes andauernd befeuert wird.
Der Vorstand der AfD-Bundestagsfraktion entschloß sich daher, eine aus fünf Mitgliedern bestehende »Arbeitsgruppe Verfassungsschutz« einzusetzen, die durch Roland Hartwig geleitet wurde. Drei Aufgaben sollten im Mittelpunkt der Arbeit stehen: Sie sollte Informationen über den Verfassungsschutz bereitstellen, um den internen Umgang mit der drohenden Beobachtung zu koordinieren.
Parallel sollte die juristische Verteidigung vorbereitet werden. Und schließlich sollte sie Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit herstellen und den Unterstellungen durch Aufklärung die Spitze abbrechen. Als externer Experte konnte der Verfassungsrechtler Dietrich Murswiek gewonnen werden, der dem Gutachten des Verfassungsschutzes über die Frage, ob man die AfD als Prüffall behandeln dürfe, jegliche Aussagekraft absprach. Von den angeführten 400 Belegstellen seien für die Bewertung nur sechs relevant.
Trotz dieses eindeutigen Ergebnisses konnte der Druck des Verfassungsschutzes seine Wirkung entfalten, weil Teile von Partei und Fraktion darin nicht zu Unrecht eine Unterstützung ihrer Haltung vermuteten, die auf eine Angleichung der AfD an die Gepflogenheiten der anderen Parteien hinausläuft. Diese Situation sorgte nicht nur für personelle Konsequenzen, sondern langfristig tatsächlich für eine Anpassung der Positionen und die Akzeptanz von Sprachverboten. Der Linie des VS wurde auch dann entsprochen, als die noch unter Hans-Georg Maaßen ins Visier genommene Identitäre Bewegung als Beobachtungsfall eingestuft wurde und prompt auf der Unvereinbarkeitsliste landete.
Anpassungsleistungen wurden auch auf einem anderen, für die Kernwählerschaft der AfD wichtigen Themenfeld erbracht. Die Geschichtspolitik, die ja nach der Ansage von Gauland ein zentrales Anliegen war und durch diesen im Wahlkampf durch Stolz auf die Leistungen der Wehrmachtssoldaten noch befeuert wurde, spielte in den Bundestagsreden vor allem bei Gedenkstunden eine Rolle, aber auch dann, wenn es allgemein um den Dauerbrenner Vergangenheitsbewältigung ging. Als die Regierungskoalition eine Dokumentations‑, Bildungs- und Erinnerungsstätte errichten wollte, die der Aufarbeitung des Zweiten Weltkriegs und der nationalsozialistischen Besatzungsherrschaft gewidmet sein sollte, enthielt sich die AfD-Fraktion.
Mit »Nein« könne man nicht stimmen, so MdB Jongen, da man anerkenne, daß »in dem von den Nationalsozialisten entfesselten totalen Krieg« schwerste Verbrechen begangen worden seien, die weiterhin erforscht werden müßten. Allerdings wandte sich Jongen gegen den »Sühnestolz«, den er in den Untertönen des Antrags vermutete, und konstatierte eine »heillose Schieflage« der Erinnerungspolitik. Bei der Gedenkstunde zum 80. Jahrestag des Beginns des Deutsch-Sowjetischen Krieges 1941 sprach Gauland vom »Überfall auf die Sowjetunion« und relativierte im Verlauf seiner Rede den Anteil der Sowjetunion am Ausbruch des Krieges.
Im Hintergrund solcher Anpassungsleistungen steht aber eine außenpolitische Frage, die innerhalb der AfD umstritten ist. Soll man sich zukünftig weiterhin ausschließlich auf die USA verlassen, oder wäre nicht eine Annäherung an Rußland geeignet, für etwas Beweglichkeit in der deutschen Außenpolitik zu sorgen?
Einer starken Fraktion der Atlantiker stehen mit Gauland und Chrupalla zwei Leute gegenüber, von denen letzterer sogar zu einem Besuch in Moskau weilte, als der Jahrestag des 22. Juni 1941 anstand. Wenn es allerdings darum geht, aus dieser Haltung eine politische Forderung abzuleiten, ist man weitaus vorsichtiger. Als die Linkspartei in einem Antrag den Abzug aller US-Soldaten aus Deutschland forderte, stimmte die AfD dagegen, obwohl das Grundsatzprogramm der Partei besagt, daß sich die AfD für einen Abzug aller fremden Truppen auf deutschem Boden einsetzen wird. Die Ablehnung erfolgte unter dem Hinweis, daß man erst die Verteidigungsbereitschaft wiederherstellen müsse, bevor man auf die fremden Truppen verzichten könne.
Und die Feierstunde zum 70jährigen Bestehen des Staates Israel wurde von Gauland für die Aussage genutzt, daß man es für richtig halte, daß Israel ein Teil der deutschen Staatsräson ist. Mit dem Satz »Das heißt für uns aber auch, daß die Existenzsicherung am Brandenburger Tor beginnt« wurden die üblichen Reflexe bedient, die in jeder antiislamischen Position eine richtige Position sehen. Was man in anderen Fällen, wie beim Kult um Homosexuelle, Liberalismusfalle genannt hat, wirkt hier als Israelfalle, da man hofft, für solcherlei Aussagen durch Akzeptanz belohnt zu werden. Aber solche Hoffnungen waren seit jeher vergeblich.
Unter dem Strich wird man konstatieren können, daß sich die AfD-Bundestagfraktion dem in der ganzen Partei zu spürenden Zug in die Mitte nicht entziehen konnte. Sie ist als mächtigste Einheit der AfD obendrein nicht nur von Anpassungsleistungen, sondern auch von Oligarchisierungstendenzen geprägt, denen sich keine Partei und schon gar keine Fraktion entziehen kann, die so sehr in den Genuß dessen kommt, was die Parteien als ihren Anteil deklarierten, als sie sich den Staat zur Beute machten. Dadurch werden nicht nur die einzelnen Abgeordneten korrumpiert, sondern die ganze Fraktion betätigt sich, unterstützt von Überläufern der Altparteien an den Schalthebeln, lieber als Teil der Parlamentsmaschinerie, als gegen oder über diese hinaus zu arbeiten.
Die parlamentarische Pflicht hat die AfD im Bundestag sehr ordentlich gemeistert und den Rahmen der Möglichkeiten ausgeschöpft. Was sie nicht geleistet hat und vermutlich auch nicht leisten wollte: die Stärkung des vorpolitischen Raumes und die Aufnahme des metapolitischen Kampfes. Für beides fehlten der Wille, den Rahmen des Parlamentarismus durch intelligente Schachzüge auszuweiten, und der Mut, sich dem Zeitgeist in den wichtigen Lebensfragen entgegenzustellen, egal ob das dem Verfassungsschutz gefällt oder nicht.
Besonders tragisch sind diese verpaßten Möglichkeiten, weil die Fraktion jährlich ca. 17 Millionen Euro vom Steuerzahler bekommt, ohne daß es hier zu einem nennenswerten Abfluß ins Vorfeld gekommen wäre. Das haben die anderen Parteien besser hinbekommen. Eine Anpassung an diese Gepflogenheiten ist für den Erfolg des Milieus, das die AfD repräsentiert, zwingend notwendig.