Die Bilder von einem vollen Marktplatz in Magdeburg sind stark, der Aufbau war professionell, die Strukturen stehen, die Politiker rund um Fraktionschef Kirchner und Landeschef Reichardt sind gut vorbereitet, wollen auf die Straße gehen und den Protest in die Regionen tragen.
Aber wir waren nicht in Magdeburg, sondern in Leipzig. Dort war es unschön, dort standen sich Linke und Rechte gegenüber, aber nicht, wie sonst, weil die eine Seite verhindern wollte, was die andere vorhatte. Diesmal ging es um die Frage, ob die gemeinsame Gegnerschaft ausreichen würde, um die Grenzen zwischen den politischen Lagern wenigstens zu verwischen.
Denn wenn die Linke um ihren Spitzenredner Gregor Gysi unter dem Slogan “Wir frieren nicht für euren Krieg” antrat, dann war das nicht weit von dem entfernt, was die “Freien Sachsen” forderten und durch Redner wie Jürgen Elsässer, Martin Kohlmann und – ganz am Ende – Anselm Lenz vortragen ließen.
Um es gleich zu sagen: Aus der erträumten Querfront wurde an diesem Abend nichts, und das war abzusehen, schon bevor sich die beiden Gruppen sammelten. Die Aufteilung des Augustusplatzes in Leipzig war symbolisch: Vor dem Opernhaus die Linke, professioneller, mit guten Lautsprecheranlagen, vor dem Gewandhaus die Freien Sachsen – mehr Improvisation. Schon der Umstand, daß man die Redner nicht verstand, wenn man sich nicht dicht bei den Lautsprechern aufhielt, sorgte dafür, daß sich nichts bündelte und ausrichtete.
Die Linke grenzte sich nach rechts mit einem unversöhnlichen Banner ab, die Rechte betonte mit einem Spruchband das Gemeinsame. Aber zwischen den beiden Bannern, den Absperrbarrieren und den Polizeiketten, zwischen dem also, was eh schon trennte, rollte die Straßenbahn weiter, durchtrennte die Mitte die Platz-Hälften, wurde der Pendelverkehr zwischen den Lagern unterbunden.
Vermutlich sind solche Bilder viel zu romantisch für den prosaischen Vorgang, daß hier nichts zusammenfand, nicht zusammenfinden wird und vor allem nichts zusammenfinden soll. Nichts spielt den Machthabern besser in die Karten als die Aufspaltung derer, die ein gemeinsames Ziel aushandeln könnten.
Es wird also anders kommen: Der Stärkere wird sich durchsetzen und Leute auf seine Seite ziehen können, mit denen er heute noch nicht rechnen kann. Das war bei den Corona-Maßnahmen-Protesten ja auch so: daß plötzlich das Thema doch größer war als der Richtungszwang.
Leipzig: Ein Protestzug setzte sich in Marsch, man zog auf den Ring, wir zogen mit, um zu sehen, was sich ereignen würde. Aber wir ahnten es ja schon, und so kam es auch. Solche Protestzüge stocken, man läuft nach vorn, um das, was man weiß, noch einmal mit eigenen Augen zu sehen: Eine dünne Kette nicht einmal besonders mutiger Antifas konnte sich seelenruhig auf der Straße niederlassen, geduldet von den Polizisten, die wiederum von jenen angewiesen wurden, denen genau dieses Bild in die Hände spielte.
Die Frauenstimme aus dem Einsatzwagen wusch sanft über wenig blechern eingestellte Lautsprecher die Hände ihres anwesenden Berufsstandes in Unschuld und rief 3000 stehende Bürger zu Geduld, Einsicht und Zuversicht auf: Man dürfe weiterziehen, sobald die Blockade geräumt sei. Aber niemand räumte, und das war das Signal in die andere Richtung: Bleibt geschützt durch die Staatsmacht noch ein Weilchen auf der Straße sitzen. Wir wissen zwar, daß ihr es seid, die morgen (oder gleich nachher) wieder Steine und Flaschen auf uns werft, aber jetzt gerade macht ihr das im Rahmen unserer Strategie richtig gut, denn die Rechten werden nicht dem Staat, sondern euch die Schuld daran geben, daß es nicht voran ging.
Was passiert solange dort, wo gestanden werden muß? Immer dasselbe: Die Leute grummeln, die Leute skandieren, die Leute murmeln etwas von ihrem guten Recht, von Unerhörtem und davon, daß man nun etwas machen müsse. Dieses Machen besteht darin, daß ein Teil den Rückweg antritt, ein anderer die Polizeikette und die Sitzblockade zu umgehen versucht (bloß: wohin dann? Es sieht ja jenseits der Antifa nicht besser aus…). Der weitaus größte Teil bleibt stehen und eine ganz kleine Gruppe versucht zu drängeln und zu drücken und schiebt eine Beule in die Polizeikette.
Diesen Vorgang erlebten wir weit vorn mit und sahen vor allem eines: extrem gut geschulte, sächsische Polizei, die in Wellen den Druck solange mal abbranden ließ, mal erwiderte, bis die Lage tatsächlich deeskaliert war. Daß sie dies vermochte, war ein Glücksfall: Die schlechte Presse wäre mit desaströsen Bildern unterlegt worden.
Es war dann auch vorbei, wir gingen zurück zum Augustusplatz. Wirre Stunde, widersprüchliche Ansätze, ausgefranstes Ende, wir hatten genug gesehen. So geht es nicht.
Wie oft will man die Leute noch aufheizen (und damit verbrennen), indem man Knast für die Regierung fordert und zur Attacke auf das “System” bläst, wenn man noch nicht einmal einen Plan B hat, falls man aufläuft. PEGIDA hat das damals aus dem Stand heraus besser hingekriegt und eben deutlich weniger gefordert. Man muß führen, wenn 3000 Leute Anweisungen folgen. Man darf keine Sackgassen aufsuchen, aus denen man nur entweder frustriert oder mit genau den Bildern zurückkommt, die man nicht bieten wollte.
Was gut war: Die Linke hat sich über dem richtigen Umgang mit der rechten Offerte weiterhin zu beschäftigen, und sie ahnt, daß sie nicht als Anführerin in den Herbst gehen wird. Sie ahnt auch, daß sie als akzeptierter Teil eines Bündnisses aus Altparteien, kapitalintensivem Gesellschaftsumbau und Machtzynismus nicht im Ansatz so frei agieren kann wie die Opposition von rechts. Die Ausladung von Sahra Wagenknecht ist symptomatisch für diese Fesselung.
Dennoch: In Magdeburg – das ist mein Eindruck – wollte man fürs erste weniger und tat gut daran. Man entließ die Bürger mit dem glaubhaften Versprechen, dies sei die Anfangsfanfare gewesen, nach der nun das ganze Orchester einsetze. Ich bin auf das Zusammenspiel gespannt.
– – –
Bleiben Sie auf dem neuesten Stand:
Abonnieren Sie hier unseren Telegramm-Kanal.
Abonnieren Sie uns hier bei twitter.
Tragen Sie sich hier in unseren Rundbrief ein.
Niekisch
"wurde der Pendelverkehr zwischen den Lagern unterbunden."
Warum in dieser Lage eine eigene Veranstaltung? Warum sickerte der Schwächere nicht in die Kundgebung des Stärkeren völlig zivil ein, wie wir das hier im Westen machen? Da lassen sich Parolen variieren, in deren Sprache nationale Impulse einflechten, Kontakte knüpfen.
Süßwasserfische können im neutraisierten Salzwasser schwimmen.