Wolfgang Streeck: Zwischen Globalismus und Demokratie

Hans-Georg Maaßen ist ehemaliger Verfassungsschutzchef, Verantwortlicher für den dortigen Schwenk...

Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

in Rich­tung begin­nen­der Beob­ach­tung von AfD, IB und Neu­er Rech­ten, CDU-Spit­zen­kan­di­dat in Süd­thü­rin­gen und bis heu­te instän­dig davon über­zeugt, man könn­te mit einem neu­er­li­chen Uni­ons­kanz­ler uni­ons­fa­bri­zier­te Pro­ble­me lösen.

Es gibt folg­lich aus­rei­chend Grün­de, Maa­ßen als poli­ti­sche Figur abzu­leh­nen (vgl. dazu Sezes­si­on 103). Der schlech­tes­te von ihnen, der streng­ge­nom­men gar kein Grund ist, lös­te im Früh­som­mer 2021 einen veri­ta­blen Skan­dal aus: Maa­ßen hat­te den Ter­mi­nus »Glo­ba­lis­mus« ver­wen­det, wor­auf­hin ihm die ver­ei­nig­te Links­pres­se und der par­la­ments­po­li­ti­sche Ein­heits­block »anti­se­mi­ti­sche« Wort­wahl vorwarfen.

Das liegt ins­be­son­de­re dar­an, daß der Glo­ba­lis­mus­be­griff im deut­schen Sprach­raum bis vor kur­zem kaum popu­la­ri­siert wur­de, und wenn doch, dann eher im ver­schwö­rungs­ideo­lo­gi­schen Kon­text. Inter­na­tio­nal gilt »Glo­ba­lis­mus« längst als satis­fak­ti­ons­fä­hig. Der Begriff dient der Beschrei­bung einer links­li­be­ra­len (bis »woken«), neo­li­be­ra­len (bis markt­ra­di­ka­len) und US-gepräg­ten Form der Globalisierung.

Nach dem welt­weit rezi­pier­ten Glo­ba­lis­mus­kri­ti­ker Quinn Slo­bo­di­an (vgl. Glo­ba­lis­ten. Das Ende der Impe­ri­en und die Geburt des Neo­li­be­ra­lis­mus, Ber­lin 2019) legt nun mit Wolf­gang Stre­eck auch der eme­ri­tier­te Direk­tor am Max-Planck-Insti­tut für Gesell­schafts­for­schung in Köln eine Schlüs­sel­schrift vor, die Begriff und Bedeu­tung des »Glo­ba­lis­mus« als ele­men­ta­re Bestand­tei­le einer wis­sen­schaft­li­chen Ana­ly­se enthält.

Erscheint bereits dies »anrü­chig« für das ­Jus­te milieu, ver­stärkt des­sen Skep­sis, daß Stre­eck gar vom Ziel der »Ent­glo­ba­li­sie­rung als Ermäch­ti­gung des Loka­len und Natio­na­len« spricht, die er dem glo­ba­lis­ti­schen Furor ­ent­ge­gen­zu­stel­len bereit ist. Sein Aus­gangs­punkt ist dabei jene The­se, daß der Haupt­wi­der­spruch der Gegen­wart und der nahen Zukunft zwi­schen Volks­herr­schaft und Glo­ba­lis­mus ver­lau­fe. Wider­stand gegen die Zen­tra­lis­mus- und Mono­po­lis­mus­ten­den­zen des letz­te­ren kom­me »mal von links, mal von rechts, immer aber ›von unten‹«.

Das heißt auf inter­na­tio­na­ler Ebe­ne: Wer den Glo­ba­lis­mus als Haupt­geg­ner erkennt, wis­se um die Not­wen­dig­keit der »Ver­tei­di­gung des Natio­nal­staats und der in ihm poten­ti­ell gege­be­nen popu­lär-demo­kra­ti­schen Ein­fluß­chan­cen« und hege stärks­te »Zwei­fel an deren Ver­la­ger­bar­keit ›nach oben‹«.

Da aber die libe­ral­ka­pi­ta­lis­ti­sche Zeit­ten­denz »ins Welt­of­fe­ne« stre­be, wür­den »Halte­seile« benö­tigt – im rech­ten Duk­tus wären das: Auf­hal­ter im Sin­ne Carl Schmitts –, die den imma­nen­ten Feh­lern der »kos­mo­po­li­ti­schen Illu­si­on« wir­kungs­voll begeg­nen: Mit Stre­eck gedacht, sind das demo­kra­tisch ver­faß­te Natio­nal­staa­ten, für deren Reha­bi­li­tie­rung respek­ti­ve Renais­sance er ein Plä­doy­er von über 500 Sei­ten vorlegt.

Daß er damit in sei­nem eige­nen Milieu – der 1946 gebo­re­ne For­scher kann als Grand­sei­gneur lin­ker Sozi­al­wis­sen­schaf­ten gel­ten – aneckt, scheint ihn kei­nes­wegs zu stö­ren; selbst den her­auf­dräu­en­den Vor­wurf des »Natio­na­lis­mus« plant Stre­eck mit ein. Er betrach­tet einen sol­chen schlicht als »Bezeich­nung für auf den Natio­nal­staat bezo­ge­nes und gestütz­tes poli­ti­sches Han­deln«, womit das The­ma erle­digt wäre.

Was bei der Lek­tü­re anschlie­ßend auf­fällt, ist die Zwit­ter­na­tur die­ses tief­schür­fen­den Werks: einer­seits wis­sen­schaft­lich-empi­ri­sche Stu­die (was man erwar­ten durf­te), ande­rer­seits poli­tisch-pole­mi­sche Zuspit­zung (was über­rascht). Da ist von »glo­ba­li­sie­rungs­af­fi­nen Kos­mo­mo­ra­lis­ten« die Rede, von einer »Glo­ba­li­sie­rungs-Ein­heits­front«, von »Hof­poe­ten der Brüs­se­ler Kom­mis­si­on« (Stre­eck schilt so u. a. den Schrift­stel­ler Robert Men­as­se) und der »Ver­kit­schung« Euro­pas im Zei­chen markt­li­be­ra­ler EU-Ideologie.

Mehr noch ärgern dürf­te sich der durch­schnitt­li­che lin­ke und / oder libe­ra­le Leser über uner­war­te­te Autoren, die Stre­eck als Refe­ren­zen anführt und deren Erkennt­nis­se er in sein Ideen­system ein­baut. Carl Schmitt ist prä­sent, Wer­ner Som­bart wird reak­ti­viert, und selbst ein Hans Wer­ner Neu­len, den ledig­lich ­Cri­ticón- und ­Sezes­si­on-­Stamm­le­ser ken­nen dürf­ten, taucht auf.

Blei­ben John May­nard Keynes und Karl ­Pol­anyi zwar die offen­kun­di­gen Haupt­be­zugs­punk­te der Tra­di­ti­ons­li­nie des Stre­eck­schen Nach­den­kens, ist doch bemer­kens­wert, wie geis­tig beweg­lich und undog­ma­tisch Stre­eck Bezü­ge her­stellt und in sei­ne luzi­de Argu­men­ta­ti­ons­wei­se inte­griert. Denn daß Stre­ecks Vor­ge­hen nichts mit Name drop­ping, sehr viel aber mit Ideen­syn­the­se und dem Ein­rei­ßen von Lager­gren­zen zu tun hat, wird auch dann augen­fäl­lig, wenn er – und selbst sei­ne ehe­ma­li­gen »Aufstehen«-Genossen Sahra Wagen­knecht und Bernd Ste­ge­mann ver­mei­den dies tun­lichst – von Natio­nen und Völ­kern als »his­to­risch gewach­se­nen Erfah­rungs- und Ver­stän­di­gungs­ge­mein­schaf­ten« aus­geht, deren »gemein­sa­me Spra­che« und »Erin­ne­run­gen« erst die (für jeden Anti­glo­ba­lis­mus ja not­wen­di­gen) »kol­lek­ti­ven Iden­ti­tä­ten« begründen.

Daß dann noch »einer reak­ti­vier­ten natio­na­len Wirt­schafts­po­li­tik«, einer »par­ti­el­len Aut­ar­kie« (Som­bart dixit) und gar dem Prin­zip »rela­ti­ver Homo­ge­ni­tät« als Stär­kungs­fak­tor für wech­sel­sei­ti­ges »Ver­ant­wor­tungs­ge­fühl« das Wort gere­det wird, wirft am Ende die Fra­ge auf, was Wolf­gang Stre­eck noch von der libe­ra­lis­mus- und kapi­ta­lis­mus­kri­ti­schen Strö­mung inner­halb der Neu­en Rech­ten tren­nen soll.

Viel kann es nicht sein.

– –

Wolf­gang Stre­eck: Zwi­schen Glo­ba­lis­mus und Demo­kra­tie. Poli­ti­sche Öko­no­mie im aus­ge­hen­den Neo­li­be­ra­lis­mus, Ber­lin: Suhr­kamp Ver­lag 2021. 538 S., 28 €

 

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