Daniela Krien: Der Brand

Dieses Buch darf man sicher als einen waschechten »Frauenroman« – für die gehobene Klasse! – bezeichnen.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Er ist aus meh­re­ren Grün­den phä­no­me­nal. Danie­la Kri­en (Jahr­gang 1975) ist ein ech­ter Senk­recht­star­ter. Ihr roman­ti­scher Erst­ling, Irgend­wann wer­den wir uns alles erzäh­len (2012; 17jährige ent­brennt für einen deut­lich älte­ren Mann), ent­fach­te einen ein­hel­li­gen Jubel selbst im Qua­li­täts­feuil­le­ton und wur­de in 17 Spra­chen über­setzt. Und so wei­ter: Der 2019 erschie­ne­ne Roman Die Lie­be im Ernst­fall wur­de bis dato rund 180 000 mal ver­kauft. Die­ser Neu­ling hier, Der Brand, ist bereits in der Verfilmung.

Wor­um geht es? Die fast drei­ßig­jäh­ri­ge Ehe einer wech­sel­jäh­ri­gen Frau namens Rahel Wun­der­lich (nein, es han­delt sich um eine athe­is­ti­sche Sip­pe) steht auf der Kip­pe. Rahel und Peter schät­zen sich nach wie vor. Aber Peter, ohne­hin eher ein Schwei­ger, hat sich zurück­ge­zo­gen – nach einem Vor­fall an der Uni in Dres­den, wo er ger­ma­nis­tisch doziert. Sein Semi­nar titel­te »Geschlech­ter­rol­len in der Lite­ra­tur des neun­zehn­ten Jahrhunderts«.

Daß Peter dort anmahn­te, ob sich in soge­nann­ten Kli­schees über Män­ner und Frau­en nicht auch Wahr­hei­ten fin­den lie­ßen, war nicht das eigent­li­che Pro­blem. Zum Stol­per­stein wur­de ihm, daß er a) Frau­en dafür lob­te, »nicht macht­hung­rig« zu sein, und daß er b) eine gegen die­se Ein­sicht pro­tes­tie­ren­de Stu­den­tin namens Oli­via P. als »Frau P.« ange­spro­chen hat­te. Oli­via P., eine sich als »nicht-binär« emp­fin­den­de Per­son, hat­te hart gegen die­se Anre­de protestiert.

Rahel fand es klein­lich, daß ihr Mann die­se »arme Per­son« nicht ein­fach so nann­te, wie er / sie es will. Sie hat die Gemenge­la­ge aber unter­schätzt. Bald wird eine gro­ße über­re­gio­na­le Tages­zei­tung Peters Ver­feh­lung the­ma­ti­sie­ren. Wasch­ech­tes Ossi-Bas­hing: »Die ehe­mals Indok­tri­nier­ten haben das freie und offe­ne Den­ken noch immer nicht gelernt.«

Peter ver­kriecht sich, weil er fin­det, sei­ne Frau sei ihm in den Rücken gefal­len. Er, so darf man es sagen, ver­wei­gert sich sexu­ell. Das aber ist kei­nes­wegs das ein­zi­ge Pro­blem, das hier ver­han­delt wird. Auf 270 Sei­ten geht es um fast alle The­men, die für intel­lek­tua­li­sier­te (Rahel ist Psy­cho­the­ra­peu­tin), nicht­lin­ke Frau­en »um die Fünf­zig« von Belang sein dürf­ten. Es geht um die Toch­ter, die selbst früh Mut­ter wur­de, aber pro­mis­kui­tiv ist und ihre Kin­der anti­au­to­ri­tär erzieht. Den Klei­nen wird das Essen unter dem Tisch gereicht, weil das Unter-dem-Tisch-Essen eine »nor­ma­le Pha­se« sei und Mahl­zei­ten nie mit Zwang ver­knüpft sein dürften.

Es geht um Rahels schnee­flo­cken­ar­ti­ge Pati­en­ten, die mit Luxus­pro­ble­men vor ihr sit­zen. Loser, die »jeden zwei­ten Satz mit ›es ist mein gutes Recht … ‹ begin­nen«, Frau­en, die sich trau­ma­ti­siert wäh­nen, weil eine gewünsch­te Haus­ge­burt (gott­lob!) in der Kli­nik ende­te. Leu­te, die fröh­lich gelaunt und fesch fri­siert in ihren »Depres­sio­nen« schwel­gen, weil sie sonst kein Allein­stel­lungs­merk­mal haben. Rahel emp­fin­det die­se sie umge­ben­de Welt als eini­ger­ma­ßen ver­rückt. Wohin sind wir denn eigent­lich gekommen?

Die Roman­fi­gur Rahel ist eine Stell­ver­tre­te­rin für die ganz nor­ma­le, dabei kei­nes­wegs spie­ßi­ge, durch­aus sehr lei­den­schaft­li­che und gut­ge­bil­de­te Frau in der Mit­te ihres Lebens. Es scheint, als habe Danie­la Kri­en hier­mit eine lite­ra­ri­sche Leer­stel­le aus­ge­füllt. Anders als vie­ler­orts geht es hier nicht um eine weib­li­che Hyä­nen­fi­gur oder ande­re tra­gi­sche Weibs­bil­der wie Cla­ri­ce Lis­pec­tor oder Vir­gi­nia Woolf, wenn­gleich Kri­en der letz­te­ren frap­pie­rend ähnelt.

Nein, in die­sem Buch tritt die ganz nor­ma­le weib­li­che Innen­welt hin­zu, wo die »frü­he Son­ne ost­sei­tig« durchs Küchen­fens­ter strahlt, Bli­cke sich tref­fen und die Prot­ago­nis­tin in »boden­lo­se Schwer­mut« gezo­gen wird. »Halt mich fest, sagt sie. Und er tut es und küßt ihr Haar, und in ihr wird es wie­der ruhig.« Es wird viel »geschmun­zelt« in die­sem Roman. Und unend­lich viel ver­han­delt: nicht nur Gefüh­le, son­dern – und zwar beacht­lich hand­fest, näm­lich aus einer erstaun­lich sta­bi­len kon­ser­va­ti­ven Posi­ti­on her­aus – der soge­nann­te Zeitgeist.

Man möch­te solch geho­be­ne Unter­hal­tung auch all jenen Frau­en ans Herz legen, die seit andert­halb Jahr­zehn­ten sich in den noto­ri­schen Huren- und Heb­am­men­ro­ma­nen ver­lus­tiert haben! Der Titel bleibt obskur. ­Rahel und Gat­te ver­brin­gen die erzähl­te Zeit in der Ucker­mark, weil das ursprüng­lich in der Fer­ne gebuch­te Feri­en­haus einem Brand zum Opfer gefal­len ist. Mag sein, daß sich »Brand« auch auf das aus­ge­dürs­te­te Geschlechts­le­ben bezieht. Man­che Frau­en mögen sol­che Kalauer.

Im Mai 2021 wur­de der bereits viel­fach preis­ge­krön­ten Danie­la Kri­en der Säch­si­sche Litera­turpreis zuge­dacht. Man soll­te sich ihre Dan­kes­re­de, leicht auf You­Tube zu fin­den, gründ­lich anhö­ren. Fast schüch­tern auf ihr Manu­skript fixiert, beklagt Frau Kri­en hier tap­fer alles, was am rezen­ten Lite­ra­tur­be­trieb zu bekla­gen ist: Wie Schrift­stel­ler heu­te zu poli­ti­schen Akti­vis­ten wer­den. Wie man »über­vor­sich­tig« schreibt, um »anschluß­fä­hig« zu blei­ben. Wie man stets prü­fe, ob man nicht mit die­ser oder jener Wen­dung eine Per­so­nen­grup­pe ver­let­zen kön­ne. Wie sol­che Über­vor­sich­tig­keit gute Lite­ra­tur ver­hin­dern kön­ne – weil die Furcht, »Ver­dacht zu erre­gen«, den Figu­ren die Kon­tu­ren neh­me und sie zahm mache.

Jede Gale­rie, jeder Ver­lag kön­ne sich heu­te der »Unbe­que­men« leicht ent­le­di­gen. Der Bei­spie­le man­gelt es nicht an Zahl. Kunst aber, ruft Danie­la Kri­en, müs­se doch frei sein!

»Sat­te Zei­ten brin­gen schwa­che Men­schen her­vor, denkt sie, ohne sich davon aus­zu­neh­men«, schreibt Kri­en an einer Stel­le über Rahel.

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Danie­la Kri­en: Der Brand. Roman, Zürich: Dio­ge­nes Ver­lag 2021. 271 S., 22 €

 

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Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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