David Engels: Oswald Spengler

Daß Oswald Spenglers Werk derzeit wieder intensiver diskutiert wird,...

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

ist nicht zuletzt das Ver­dienst von David Engels (*1979), der bis 2018 an der Uni­ver­si­tät Brüs­sel einen Lehr­stuhl für Römi­sche Geschich­te innehatte.

Seit­her ist er als For­schungs­pro­fes­sor am West-Insti­tut in Posen tätig, das dem pol­ni­schen Minis­ter­prä­si­den­ten unter­steht. Damit ist Engels, Ange­hö­ri­ger der deut­schen Min­der­heit in Bel­gi­en, nicht nur Teil der natio­nal­kon­ser­va­ti­ven Bewe­gung in Polen, son­dern tritt euro­pa­weit in Erschei­nung, wenn es dar­um geht, eine Alter­na­ti­ve zum west­li­chen Uni­ver­sa­lis­mus zu formulieren.

Mit sei­nem Enga­ge­ment für Speng­ler sorg­te er aller­dings schon vor sei­nem Wech­sel nach Polen für Auf­se­hen, als er 2013 zunächst in fran­zö­si­scher, ein Jahr spä­ter in deut­scher Spra­che sein Buch Auf dem Weg ins Impe­ri­um? ver­öf­fent­lich­te, in dem er his­to­ri­sche Par­al­le­len zwi­schen der Kri­se der Euro­päi­schen Uni­on und dem Unter­gang der römi­schen Repu­blik herausarbeitete.

In dem neu­en Buch legt Engels so etwas wie die Sum­me sei­ner Aus­ein­an­der­set­zung mit ­Oswald Speng­ler und des­sen Werk vor. Es ent­hält sieb­zehn zwi­schen 2009 und 2020 publi­zier­te Auf­sät­ze zu ein­zel­nen Aspek­ten von Speng­ler, ergänzt um einen bis­lang unver­öf­fent­lich­ten Auf­satz zu den Gemein­sam­kei­ten zwi­schen Juli­us Cäsar und Cecil Rho­des sowie eine eigens für den Band ver­faß­te Ein­lei­tung und eine Zusammenfassung.

Was im ers­ten Moment wenig spek­ta­ku­lär klingt, ent­puppt sich für den Leser, dem die­se oft an ent­le­ge­nen Stel­len publi­zier­ten Auf­sät­ze bis­lang unbe­kannt waren, als eine Fund­gru­be neu­er Ein­sich­ten, die geeig­net sind, der Speng­ler-For­schung neue Impul­se zu ver­mit­teln. Was Engels dabei aus­zeich­net, ist die Lust, Speng­ler wei­ter­zu­den­ken und ihn nicht ein­fach als ein Fos­sil der Zwi­schen­kriegs­zeit zu betrach­ten, das man aus anti­qua­ri­schem Inter­es­se in die absur­des­ten Bezü­ge stellt.

Am kon­ven­tio­nells­ten sind die Bei­trä­ge, die sich mit der Speng­ler-Rezep­ti­on befas­sen, auch wenn Engels hier eher unge­wöhn­li­che Rezi­pi­en­ten unter­sucht. Bei den eng­lisch­spra­chi­gen Schrift­stel­lern F. Scott Fitz­ge­rald, H. P. Love­craft und Hen­ry Mil­ler wird deut­lich, daß Speng­lers Werk durch eine Über­set­zung schon früh und vor allem nach­hal­tig Ein­gang in die dor­ti­gen Debat­ten fand, so daß es für pes­si­mis­ti­sche Intel­lek­tu­el­le nahe­lie­gend war, sich bei ihm Bestä­ti­gung zu holen. Hier bringt Engels sowohl indi­rek­te Bezug­nah­men in den Wer­ken der Autoren als auch per­sön­li­che Zeugnisse.

Neu­es Mate­ri­al prä­sen­tiert Engels im Fall des fran­zö­si­schen Scho­pen­hau­er-For­schers André Fau­con­net, der noch vor dem Erschei­nen der ers­ten fran­zö­si­schen Über­set­zung Speng­lers für eine, von Speng­ler gelob­te, Zusam­men­fas­sung von des­sen Gedan­ken sorg­te und ihn unmit­tel­bar nach Kriegs­en­de 1945 gegen den Vor­wurf des Natio­nal­so­zia­lis­mus in Schutz nahm.

Das Herz­stück des Ban­des sind aller­dings die Auf­sät­ze, die Speng­ler wei­ter­den­ken. Nicht in einem skla­vi­schen, son­dern in einem phi­lo­so­phi­schen Sin­ne, der die Grund­an­nah­me Speng­lers vom zeit­lich begrenz­ten und sich in ver­gleich­ba­ren Stu­fen voll­zie­hen­den Wer­den und Ver­ge­hen ein­zel­ner Kul­tu­ren einer gründ­li­chen Prü­fung und Modi­fi­zie­rung unter­zieht. Engels grenzt sich mit sei­ner an Hegel geschul­ten »dia­lek­tisch-idea­lis­ti­schen« Inter­pre­ta­ti­on von den übli­chen, rein his­to­ri­sie­ren­den oder gar mora­li­sie­ren­den Ansät­zen ab und kann als umfas­send ori­en­tier­ter His­to­ri­ker die Lücken in Speng­lers Argu­men­ta­ti­on schließen.

Von his­to­ri­schen Ein­zel­fra­gen aus­ge­hend, die sich vor allem um die pro­ble­ma­ti­sche Stel­lung und Glie­de­rung der »magi­schen Kul­tur« küm­mern, kommt Engels zu den wich­tigs­ten Kapi­teln des Ban­des: »Speng­ler im 21. Jahr­hun­dert« und »Über­le­gun­gen zu einer neu­en kom­pa­ra­tis­ti­schen Geschichtsphilosophie«.

Von der Grund­an­nah­me aus­ge­hend, daß die Speng­ler­schen Hoch­kul­tu­ren über ihren klar umgrenz­ten Ein­fluß­be­reich iden­ti­fi­zier­bar sind und daß sie über die von Speng­ler pos­tu­lier­te Zeit­lich­keit ver­fü­gen, ist es durch die For­schungs­er­geb­nis­se der letz­ten 100 Jah­re not­wen­dig gewor­den, die Acht- oder Neun­zahl Speng­lers auf min­des­ten fünf­zehn Hoch­kul­tu­ren zu erweitern.

Speng­lers am Jah­res­ver­lauf ori­en­tier­ten Ent­wick­lungs­gang der Kul­tu­ren unter­füt­tert Engels dia­lek­tisch, indem er die ein­zel­nen Stu­fen der Kul­tu­ren in eine in sich noch­mals gestuf­te Abfol­ge von drei Pha­sen (The­se, Anti­the­se und Syn­the­se) faßt, die es ihm erlau­ben, den Wan­del der Kul­tu­ren genau­er zu bestim­men. Eine sol­che Neu­fas­sung Speng­lers soll­te nach Mei­nung Engels’ auch an den Uni­ver­si­tä­ten gelehrt wer­den, weil der kul­tur­ver­glei­chen­de Ansatz den rea­lis­ti­schen Blick auf die Welt fördert.

Der kur­ze Essay »Von der Ein­sam­keit des Speng­le­ria­ners« ist das per­sön­lichs­te Bekennt­nis des Autors zu Speng­ler und des­sen deter­mi­nis­ti­scher Leh­re, die ihre Anhän­ger in einer Welt von Fort­schritts­op­ti­mis­ten not­wen­dig zur Ein­sam­keit verdammt.

Trost bie­tet Engels zwei­er­lei: Die Ableh­nung Speng­lers bewei­se zuneh­mend die Rich­tig­keit sei­ner Annah­men, da die lebens­feind­li­chen Ideo­lo­ge­me der Gegen­wart die kul­tu­rel­le Auf­lö­sung des Wes­tens beleg­ten. Und: Das Ver­däm­mern des Wes­tens ste­he außer Fra­ge, aller­dings sei die Form, in der sich die­ser Nie­der­gang voll­zie­hen wird, völ­lig offen.

Der Speng­le­ria­ner wird sich immer auf die Sei­te der­je­ni­gen stel­len, die »für die altern­de euro­päi­sche Zivi­li­sa­ti­on ein Ende wün­schen, das ihrer ver­gan­ge­nen Grö­ße gerecht wird …«

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David Engels: Oswald Speng­ler. Werk, Deu­tung, Rezep­ti­on, Stutt­gart: Kohl­ham­mer 2021. 489 S., 68 €

 

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Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

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