und wissenswerte historische Grundlinien des Nationalbewußtseins präsentiert! Eine Publikation, die den Bogen von der Frühgeschichte des eigenen Volkes im Mittelalter bis zur unmittelbaren Gegenwart spannt! Eine solche Schrift mußte man lange suchen. Nunmehr ist sie zugänglich und eindringlich zur Lektüre zu empfehlen.
Der Germanist und Hochschullehrer Hartmut Fröschle, mittlerweile längst im neunten Lebensjahrzehnt stehend, erlitt 1997, als er aus seinem langjährigen Domizil Kanada nach Stuttgart zurückgekehrt war, einen Kulturschock. Um ihn herum breiteten sich kulturfremde Populationen aus verschiedenen Ländern aus, deren Zahl im letzten Vierteljahrhundert nicht kleiner geworden sein dürfte.
Der Trend, daß Deutsche zumindest in bestimmten Regionen sukzessive zur Minderheit im eigenen Land mutieren, hat für Fröschle Fragen nach den Gründen aufgeworfen. Einer davon ist der Niedergang eines gesunden Nationalbewußtseins, quasi als Umschwung des Pendels vom einst verbreiteten Nationalismus zur anderen Seite, der besonders von den Eliten betriebenen Selbstaufgabe des eigenen Volkes.
Dieser Tendenz setzt der Autor ein mutiges Panorama kollektiver Selbstvergewisserung entgegen. Am Anfang steht im 8. Jahrhundert eine primär sprachliche Verbundenheit verschiedener Volksstämme: Bayern, Franken, Sachsen und Langobarden. Im Laufe der Jahrhunderte erwuchsen weitere Gemeinsamkeiten, zu denen politische Symbole und Organisationsformen wie die Königswahl zählten.
Im weiteren Verlauf des Mittelalters blitzt auf vielfältige Weise der Charakter unterschiedlicher Völker auf. Im Laufe der Jahrhunderte wird das deutsche Nationalgefühl stärker, so in der Frühen Neuzeit, als Dokumente über die Taten der Germanen bekannt wurden und die Aversionen gegen Antik-Römisches von Ulrich von Hutten und seinen Mitstreitern eine neues nationales »Wir« entstehen ließen.
Fröschles Beschreibung der neuzeitlichen Historie des Nationalbewußtseins verdeutlicht das Auf und Ab des Zusammengehörigkeitsgefühls der Bevölkerung des »Reiches der Mitte«: Nach dem Dreißigjährigen Krieg zerfiel es staatsrechtlich in viele kleinere Territorialstaaten, die sich souverän wähnten, außenpolitisch aber kaum handlungsfähig waren. Aufklärung und Klassik brachten viele Zeugnisse genuin deutschen Geistes hervor, die sich indessen stark mit kosmopolitischem Gedankengut vermengten. Entsprechende Ambivalenzen sind nicht nur bei Hölderlin mit Händen zu greifen.
Erst nach dem Ende des Alten Reiches kommt es zum endgültigen Siegeszug des nationalen Gedankenguts in Literatur und Realpolitik, gipfelnd in der Gründung des Kaiserreiches von 1871. Diese Perioden werden vom Autor gut nachvollziehbar und mit Einfühlung in die handelnden Akteure erzählt, ebenso die Phase der Weimarer Republik. Die Zeit des Nationalsozialismus wird ausgewogen am Beispiel der Aussagen einiger verläßlicher Zeitzeugen dargestellt. Wie starker Tobak mutet es an, wenn Fröschle Verschwörer um den 20. Juli wie Admiral Canaris als Landesverräter bezeichnet.
Nach 1945 breiteten sich postnationale Sichtweisen allgemein aus. Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß führende Politiker der frühen Bundesrepublik, von Adenauer über Schumacher bis Gerstenmeier, gelegentlich noch die Bedeutung eines (wenn auch unverbindlichen) Patriotismus fürs Gemeinwesen exponierten. Der starke Wertewandel und die tendenziell einseitige Vergangenheitsbewältigung seit den 1960er Jahren lassen die eigene Vergangenheit für weite Bevölkerungsschichten nur noch negativ erscheinen.
Der Autor skizziert aber auch jene Tendenzen, Parteien und Medienorgane, die den Hauptstrom kritisieren. Auf diese Weise wird ein wenig Zuversicht geweckt. Bekannt ist, daß dieses Lager seit Jahrzehnten stark zersplittert ist. Nach 2015 / 16 hat es neue Aufschwünge erfahren.
Für die notwendige Stärkung nationaler Identität ist es nie zu spät.
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Hartmut Fröschle: Geschichte des deutschen Nationalbewußtseins, Lüdinghausen / Neuruppin: Landtverlag 2021. 167 S., 20 €
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