Die AfD erreicht bundesweit in Umfragen (wieder) 15 Prozent, in Ostdeutschland ist sie mit 27 Prozent stärkste Kraft.
Ich gehe persönlich von einem Drittelprinzip aus:
Vereinfacht gesagt heißt das in bezug auf die AfD: Ein Drittel der Stimmungslage hängt von objektiven Gegebenheiten ab, vom allgemeinen politischen Zustand des Landes, der Wirtschaft, damit verbunden insbesondere auch vom Vertrauen der Menschen in die Herrschenden – doch dazu gleich mehr.
Ein zweites Drittel hängt von der »Performance« der politischen Gegner ab. Welche Skandale liegen vor, was ging schief, wo liegt totales Versagen vor (aktuell: Berlinwahldesaster, Nord Stream 2‑Schweigen usf.) – oder wo gelingt es der Wahlkonkurrenz, Positives zu gestalten oder zu inszenieren.
Und ein drittes Drittel: Das hat man selbst in der Hand. Die AfD kann und muß dieses selbst gestalten, offensiv, mutig, vorwärtsdrängend.
Sie profitiert insofern deshalb automatisch (erstes und zweites Drittel), als daß sie die einzige parlamentarische Kraft verkörpert, die zweifellos keinen Anteil an der Konvergenz der Krisen, wie wir sie nun erleben, besitzt. Sie war und ist »Dagegen«, sie ist kein Teil des hegemonialen Apparates, sie herrscht(e) nicht.
Was sie tun muß, ergibt sich aus der Natur der Dinge: als parlamentarische Interessenvertretung der Bürgerproteste wirken und entsprechend Druck ausüben. Zudem gilt es, »ins Volk zu gehen«, also nicht abseits zu stehen, wo sich Menschen versammeln. Vielmehr muß man überall, wo nötig, selbst die Initiative ergreifen und ganz grundsätzlich in der Fläche Präsenz zeigen – was in Ostdeutschland bereits jetzt immer besser funktioniert.
In der Leipziger Volkszeitung (v. 29.9.2022) findet man einen von vielen (!) Gründen für diese Ost-West-Divergenz anhand einer brandaktuellen Umfrage erläutert:
Während beispielsweise bei den drängendsten Problemen im Westen Klima und Umwelt genannt wurden, waren das im Osten soziale Gerechtigkeit und Inflation,
und beides kann man als volksverbundene Opposition glaubhafter thematisieren als auf den inhaltlich schwierigen, politisch naturgemäß grün bemannten klimaideologischen Zug aufzuspringen, der nicht der unsere ist.
Von diesem Thema abgesehen: Zupasse kommt der AfD im besonderen und der patriotischen Szenerie im allgemeinen der erstmals in einer besonderen Intensität zunehmende Vertrauensverlust breiter Gesellschaftsschichten in die herrschenden Verhältnisse und deren Gestalter.
Die FAZ (v. 29.9.2022) vermeldet, daß nur noch 42 Prozent der Deutschen mit der politischen Situation im Land »alles in allem zufrieden« seien:
Das sind zehn Prozentpunkte weniger als 2020, ergab eine repräsentative Umfrage unter 4000 Personen im Juli und August im Auftrag des Ostbeauftragten der Bundesregierung, Carsten Schneider,
also noch vor Beginn der Volksproteste insbesondere in Sachsen, Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Sachsen-Anhalt.
Doch zugleich berichtet die FAZ, daß diese Entwicklung kein Ostphänomen sei:
Der Rückgang sei in allen Teilen Deutschlands deutlich, heißt es in dem am Mittwoch in Berlin vorgestellten Bericht.
Auch die konkrete Zufriedenheit mit der Regierung sinkt:
Waren 2020 noch 53 Prozent der Deutschen mit ihr zufrieden, sind es heute noch 35 Prozent, im Osten gar nur 26 Prozent,
was dann doch die Sonderrolle des patriotischen Hoffnungsraumes akzentuiert.
Auch bezüglich der Frage, wie die Deutschen es derweil mit der parlamentarischen, repräsentativen Demokratie halten, sind West-Ost-Unterschiede festzustellen.
Denn es zeigen sich
59 Prozent der West‑, aber nur 39 Prozent der Ostdeutschen zufrieden
mit der
Demokratie, so wie sie in Deutschland funktioniert.
Keine Überraschung ist indes die Wahrnehmung der Befragten hinsichtlich der gefühlten Meinungsfreiheit in der BRD:
Nur noch 43 Prozent der Ost und 58 Prozent der Westdeutschen vertreten die Auffassung, dass man in hierzulande seine Meinung stets frei sagen könne, ‘ohne Ärger zu bekommen’,
was das herrschende Kartell aus Liberalen und Linken aller Art nur allzu gerne mit dem Verweis »kontert«, man dürfe alles sagen, nur muss man dann halt manchmal mit Konsequenzen rechnen (Dunja Hayali, ZDF). Dies scheint mir als ein fortgesetzter Affront gegenüber allen Menschen in dieser Republik, die die Konsequenzen – von Antifa-Übergriffen bis zu Jobverlusten – bereits erfahren durften.
Das neue deutschland (v. 29.9.2022) verweist unterdessen auf eine weitere interessante Zahl aus der Studie des Ostbeauftragten der Bundesregierung:
Nur noch 32 Prozent der Ostdeutschen äußerten die Ansicht, dass den Politikerinnen und Politikern das Wohl unseres Landes wichtig sei. Im Westen waren dies noch 42 Prozent.
Es ist für Akteure, die seit Jahren politisch aktiv sind, eine Binsenweisheit, und doch kommt sie erst durch Habecks und Baerbocks massenmedial vermitteltes Fremdeln mit deutschen Interessen ans Tageslicht:
Wer als einzelner Mensch das »große Ganze«, seine Heimat und sein Vaterland nicht schätzt, wird für die Angehörigen desselben keine wechselseitige Verantwortung empfinden. Er handelt dann diesen grundsätzlich eigenen Interessen zuwider – und vertritt andere, d. h.: fremde Interessen.
Diesen Sachverhalt bemerkt das politisch wachere Volk im Osten überwiegend stärker als der saturierte Bürger in weiten Teilen Westdeutschlands. In der Süddeutschen Zeitung (v. 29.9.2022) greift man anläßlich der Schneider-Studie diesen Umstand auf:
Dass die neuen Bundesländer eine ‘durchgängig skeptischere, distanziertere und auch kritischer ausgeprägte Grundeinstellung gegenüber Politik und Demokratie’ kennzeichne, hatte schon im vergangenen Jahr Schneiders Vorgänger im Amt des Ostbeauftragten, Marco Wanderwitz (CDU), konstatiert.
Wanderwitz, dies zur Erinnerung, sorgte im Osten für wütende Reaktionen, als er die dort zahlreichen AfD-Sympathisanten pauschal diskreditierte:
Wenn ich eine rechtsradikale Partei wähle, dann ist doch was nicht in Ordnung mit mir,
was viele Bürger im Osten der BRD nicht »in Ordnung«, sondern ein wenig übergriffig empfanden – Wanderwitz verlor weiter an Rückhalt und in der Folge dessen auch sein Mandat. Still wurde es um ihn dennoch nicht: Er wirbelt in der Christdemokratie weiter, diesmal geht es gegen potentielle Abweichler vom transatlantischen Weg.
Die Freie Presse aus Chemnitz (v. 29.9.2022) berichtet zu diesem Themenkomplex zunächst, daß Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer durch seine Verhandlungsforderungen mit Rußland und kritische Bemerkungen zur Ampel-Koalition in der Union anecke.
Parteichef Friedrich Merz hatte mehrfach betont, dass Kretschmers Position nicht die der CDU Deutschlands sei. Im Osten gebe es eine ‘etwas naive Haltung gegenüber Russland’, erklärte Merz etwas süffisant,
wobei er zu vergessen scheint, daß man im Osten auf »süffisante« Überheblichkeiten eher allergisch reagiert, zumal man im selben Atemzug die nicht nur »etwas«, sondern manifeste »naive Haltung« vieler Westbürger den USA gegenüber herausstreichen sollte, was für den Kurs der BRD seit Jahrzehnten erheblich bedenklichere Wirkungen mit sich bringt.
Wo aber Kritik am Merz-Kurs geäußert wird, ist Marco Wanderwitz nicht weit:
Es gebe Positionen, die nicht Mehrheitspositionen sind und für die man sehr viel Applaus von den falschen Leuten bekommt,
zitiert man ihn. Weiter Wanderwitz über seinen sächsischen Parteifreund Kretschmer:
Wenn man als CDU-Politiker vom AfD-Bundesvorsitzenden Tino Chrupalla und der Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht namentlich gelobt wird, hat man etwas verkehrt gemacht,
sagt der jeder öffentlichen Selbstkritik unverdächtige Politiker, der die naheliegende Gegenfrage nicht einpreist, nämlich: Was sagt es eigentlich über die CDU (und Wanderwitz) aus, wenn ihre Standpunkte in der aktuellen Ukraine- und Energieversorgungskrise nur in Nuancen von der linksliberalen Ampel differieren?
Wanderwitz ficht derlei nicht an. Im Gegenteil: Er teilt gegen Kretschmer aus, der – durchaus entgegen des Bundestrends – in Sachsen weiter unangefochten über 30 Prozent in Umfragen steht:
Er agiert wie ein Geisterfahrer, der aber glaubt, nicht er, sondern alle anderen würden in die falsche Richtung fahren.
Nun, mit einem solchen Modell dürfte just Wanderwitz ja an sich keine Probleme haben. Als von 2013 bis Herbst 2021 seine Partei mit der SPD die Geschicke der BRD verantwortete, dachten viele Nachbarländer, daß die BRD der Geisterfahrer sei, »der aber glaubt, nicht er, sondern alle anderen würden in die falsche Richtung fahren«.
Die Folgen der gescheiterten Coronamaßnahmenpolitik, der gescheiterten Migrationspolitik und der gescheiterten Energiepolitik – wir alle sehen sie erst heute so markant wie möglich vor uns.
Die Ampel-Koalition spitzt die Probleme zu und treibt sie der Eskalation entgegen. Doch die Voraussetzungen schuf die Elite der Christdemokraten rund um Marco Wanderwitz. Sie haben aus ihren Fehlern nichts gelernt.
Auch das verstärkt den Volksprotest im Osten. Man kann nur hoffen, daß er im weiteren Verlauf des Herbstes endlich auch den Westen erreicht.
Mitleser2
Gerade wurde ein 200 Mrd. Ruhigstellungspaket verkündet - ob es wirkt?
Aber ernsthaft: Solange so viel Geld gedruckt und verteilt wird (natürlich auf Kredit) wird es im Westen schwer, was zu aktivieren. Seh ich an meinem Umfeld. Da sind immer noch viele sorglos.