Die erste Fassung des Romans Der Doppelgänger aus dem Jahr 1846, die noch nie in deutscher Sprache erschienen ist. Sie ist kein Zwilling oder Doppelgänger des 1866 publizierten »Remakes«, sondern ein völlig eigenständiges Werk. In seinem Nachwort plädiert Nitzberg dafür, diesen ersten Wurf als den gelungeneren anzuerkennen. »In einem Guß geschrieben und gewissermaßen am Puls der Zeit«, schwelgt der Roman in »wilder Romantik« und einer surrealen Phantastik, die das psychotische Innenleben des »Helden« Goljadkin bis in die kleinsten Verästelungen widerspiegelt.
Dieser begegnet eines Tages seinem titelgebenden Alter ego, das fortan wie selbstverständlich mit ihm Arbeitsplatz und Wohnung teilt und zunehmend zum dämonischen Antagonisten wird. Dostojewskis tour de force durch die Abgründe eines gespaltenen Bewußtseins, gespickt mit einem wahnwitzigen schwarzen Humor, ist von einer verblüffenden Modernität. Die Originalität des Sujets findet ihr Gegenstück in einem kühn manierierten Stil, der von bewußten Wortwiederholungen nur so strotzt; Nitzberg nennt das Werk eine »Symphonie der Redundanz«.
Experimente dieser Art mißfielen allerdings den tonangebenden Intellektuellen dieser Zeit, die von der Literatur »Naturalismus« und sozialkritische »Nützlichkeit« einforderten. Dostojewski ließ sich von diesen Stimmen allmählich zermürben, und als er zwei Jahrzehnte später den Stoff wieder aufgriff, um ihn zu »verbessern«, hatte er die Fühlung zu seinen ursprünglichen Impulsen weitgehend verloren.
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Fjodor Dostojewski: Der Doppelgänger. Die Urfassung. Übersetzt von Alexander Nitzberg, Berlin: Galiani 2021. 336 S., 24 €
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