Partei und Vorfeld: Der Fall Ziegler

PDF der Druckfassung aus Sezession 105/ Dezember 2021

Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

Vier Gedan­ken­blö­cke über die »Mosa­ik-Rech­te«, einen fol­gen­schwe­ren Über­griff, den anschlie­ßen­den Gerichts­pro­zeß und das Ver­hal­ten von Parteifunktionären.

 

  1. Das Mosaik

Ein poli­ti­sches Milieu, das sich im Wider­spruch zu den mei­nungs­füh­ren­den Lagern befin­det, und zwar in den Berei­chen Gesell­schaft, Poli­tik und Wirt­schaft glei­cher­ma­ßen, ist ange­wie­sen auf Koope­ra­ti­on und Arbeits­tei­lung, Samm­lung und Professionalisierung.

Was links der herr­schen­den Mit­te und ihrer links­li­be­ra­len Arme seit 2009 als »Mosa­ik-Lin­ke« (Hans-Jür­gen Urban) fir­miert und unbe­ein­druckt vom Auf und Ab der Wahl­er­fol­ge ihrer Wahl­par­tei­en Die Lin­ke und Die Grü­nen über eine real exis­tie­ren­de Hege­mo­nie min­des­tens im Kul­tur- und Medi­en­be­trieb ver­fügt, wird seit eini­gen Jah­ren im non­kon­form-alter­na­ti­ven Lager als »Mosa­ik-Rech­te« gefaßt.

Für sie gilt das, was für jedes poli­tisch an Wir­kung inter­es­sier­te Mosa­ik als Zusam­men­fü­gen ver­schie­de­ner Akteu­re (Mosa­ik­stei­ne) ent­schei­dend ist: Man muß die »Eigen­stän­dig­keit der ver­schie­de­nen Bewe­gun­gen und Strö­mun­gen mit der stra­te­gi­schen Ori­en­tie­rung ihres Zusam­men­wir­kens« ver­bin­den, »um gegen­he­ge­mo­nia­le Kraft und Macht zu ent­fa­chen« (Bri­git­te Aulen­ba­cher et al.), man muß als Mosa­ik die »Aus­strah­lungs­kraft als Gesamt­werk« ent­fal­ten, »obwohl sei­ne Ein­zel­tei­le als sol­che erkenn­bar blei­ben« (Urban).

Das heißt, jen­seits des poli­to­lo­gi­schen Jar­gons: Ver­schie­de­ne Prot­ago­nis­ten wir­ken auf ihrem Feld mit den dort typi­schen Hal­tungs- und Hand­lungs­wei­sen in Rich­tung eines gemein­sa­men (Minimal-)Ziels, das man als ein allen Gemein­sa­mes fas­sen kann; im patrio­ti­schen Kon­text soll­te die­ser Kon­sens im Bekennt­nis zur Ver­tei­di­gung des Eige­nen und in einem posi­ti­ven Vater­lands­be­zug liegen.

Eini­ge Bei­spie­le im Rah­men des arbeits­tei­li­gen Modells gestal­ten sich wie folgt: Eine Par­tei tritt als Wahl­par­tei an und wirbt, mas­sen­me­di­al ver­mit­telt, in die Brei­te; eine Zeit­schrift oder eine Zei­tung läßt Posi­tio­nen und Begrif­fe in den »Dis­kurs« ein­spei­sen und greift welt­an­schau­lich vor; eine Jugend­grup­pe führt Öffent­lich­keit erzeu­gen­de Akti­vi­tä­ten aus (»pro­duk­ti­ve Pro­vo­ka­ti­on« nennt dies Urban); ein Künst­ler schafft Sym­bo­le und bringt Ideen ästhe­tisch auf­be­rei­tet aufs Papier oder an die Wän­de; eine Tanz­for­ma­ti­on wid­met sich der Brauch­tums­pfle­ge und schafft Wer­te­fun­da­men­te; jugend­li­che Sport­be­geis­ter­te prä­gen Sub­kul­tu­ren in Sta­di­en … und eine Gewerk­schaft ver­sam­melt Arbeit­neh­mer mit ähn­li­chen Inter­es­sen hin­ter ihrem Schutz­schirm, der im Regel­fall zwei Ant­ago­nis­ten kennt: die Kon­zern­füh­rung und kon­kur­rie­ren­de Gewerkschaften.

Funk­tio­niert das Mosa­ik über­wie­gend oder in Gän­ze, dann ist die wahr­nehm­ba­re Koope­ra­ti­on unter­schied­li­cher Mosa­ik­stei­ne eine unver­kenn­ba­re »Ermu­ti­gung«, die nahe­legt, daß »es sich lohnt, nach intel­lek­tu­el­len Brü­cken über die Grä­ben der schwarz-weiß gezeich­ne­ten poli­ti­schen Land­schaft zu suchen« (Ste­phan Hebel). Im Kon­text des rech­ten Mosa­iks wür­de das bedeu­ten: Die von Geg­nern eines viel­schich­ti­gen gegen­he­ge­mo­nia­len Blocks so oft behaup­te­te Dicho­to­mie »Real­po­li­tik« ver­sus »Meta­po­li­tik« oder die sich angeb­lich aus­schlie­ßen­den Bau­stei­ne »Par­tei­ak­teu­re« ver­sus »außer­par­la­men­ta­ri­sche Kräf­te« gibt es nicht.

Ent­schei­dend ist viel­mehr, daß man – dabei eine anlaß­be­zo­ge­ne Pro­jekt­hy­gie­ne bewah­rend – begreift, daß eine viel­ge­stal­ti­ge moder­ne Gesell­schaft wie die bun­des­deut­sche eine viel­ge­stal­ti­ge poli­ti­sche Rech­te erfor­der­lich macht, um auf jedem Feld und in jedem Metier eine alter­na­ti­ve Posi­tio­nie­rung »sicht­bar« zu machen: The­re is no alter­na­ti­ve, der Leit­spruch der extre­men Mit­te, wird nur so tief­grei­fend unter­mi­niert; die Alter­na­ti­ve mate­ria­li­siert sich dann über­all und kann im eige­nen Milieu eine pro­duk­tiv-kon­struk­ti­ve »Kul­tur der Hoff­nung« (Micha­el Löwy) etablieren.

Dafür bedarf es aber, und das erweist sich wei­ter­hin als das größ­te Man­ko die­ser Theo­rie mosa­ik­rech­ter Gegen­macht in der Pra­xis, bei jedem Spie­ler der Mann­schaft eines grund­le­gen­den Ver­ständ­nis­ses für die ent­spre­chen­de Sor­tie­rung und Koope­ra­ti­on. Daß der eine Akteur mehr Wir­kungs­macht, Ein­fluß und auch Finan­zen als der ande­re hat, ist der Natur der Sache geschul­det; daß dar­aus kein Gefäl­le der Igno­ranz ent­ste­hen darf, das schließ­lich zu ver­wei­ger­ter Soli­da­ri­tät und offe­ner Äch­tung führt, eben­so. Der exem­pla­ri­sche Fall Andre­as Zieg­ler, ein patrio­ti­scher Gewerk­schaf­ter, der am 16. Mai 2020 von Links­extre­mis­ten ins Koma geprü­gelt wur­de, zeigt zwei­er­lei: Wie es geht – und wie es nicht geht.

 

  1. Der Überfall 

Andre­as Zieg­ler, Grün­dungs­mit­glied der alter­na­ti­ven patrio­ti­schen Gewerk­schaft Zen­trum Auto­mo­bil, befand sich an besag­tem Tag zu Fuß auf dem Weg zur soge­nann­ten Grund­rech­te-Demo in Stutt­gart. Pro­tes­tiert wur­de auf dem Wasen­ge­län­de gegen unver­hält­nis­mä­ßi­ge Ein­schrän­kun­gen im Zuge der Lock­down-Poli­tik von Land und Bund.

Plötz­lich wur­den er und zwei wei­te­re Kol­le­gen von rund 40 Links­extre­mis­ten über­fal­len, die sich, wie Ana­ly­sen im Nach­gang zeig­ten, vor allem aus deut­schen und kur­di­schen Sze­ne­an­ge­hö­ri­gen zusam­men­setz­ten. Augen­zeu­gen teil­ten mit, daß dem bereits auf­grund der ver­ab­reich­ten Schlä­ge und Trit­te gegen den Kopf blu­tend auf der Stra­ße lie­gen­den Zieg­ler unauf­hör­lich zuge­setzt wur­de. Ein Täter hielt ihm eine Gas­pis­to­le an den lädier­ten Kopf.

Nach dem Über­griff lag Zieg­ler wochen­lang im Koma und schweb­te in Lebens­ge­fahr, wäh­rend bei sei­nen bei­den Kol­le­gen »ledig­lich« Nasen­bein- und Fin­ger­bruch, dazu Häma­to­me auf und hin­ter dem Auge fest­ge­stellt wur­den. Trotz der Pis­to­le, die min­des­tens als Schlag­waf­fe ein­ge­setzt wor­den war und an der ein Haar eines mut­maß­li­chen Täters sicher­ge­stellt wur­de, blieb das Pres­se­echo mau – man kann sich leicht vor­stel­len, was sich bun­des­weit abge­spielt hät­te, wenn ein rech­ter Gewerk­schaf­ter einen Lin­ken gegen den Kopf getre­ten und eine Pis­to­le gezo­gen hätte.

Zu den weni­gen Bericht­erstat­tern neben »Sezes­si­on im Netz«, Ein Pro­zent und Com­pact zähl­te die Wochen­zei­tung Jun­ge Frei­heit. Am 29. Mai 2020, zwei Wochen nach dem Anschlag, teil­te sie mit: »Der Angriff auf Andre­as Zieg­ler war nicht das ein­zi­ge Gewalt­de­likt an die­sem Tag. Nicht nur die Las­ter gin­gen in Flam­men auf, son­dern an die­sem Sams­tag wur­den immer wie­der Demons­tra­ti­ons­teil­neh­mer auf dem Weg zum Gelän­de ange­grif­fen und Auto­rei­fen zer­sto­chen […]. Des­halb hat die Poli­zei jetzt zwei Ermitt­lungs­grup­pen ein­ge­rich­tet. […] Poli­zei­spre­cher Wid­mann: ›Auf­grund der Schwe­re der Tat wur­de von der Ermitt­lungs­grup­pe Wasen eine eige­ne Ermitt­lungs­grup­pe Are­na abgetrennt.‹«

Die­sen ein­ge­setz­ten Poli­zei­ex­per­ten kam zupas­se, daß Anti­fa-Akteu­re par­al­lel ein Bekennt­nis zur Gewalt­tat auf der lin­ken Platt­form ­»Indy­me­dia« ver­öf­fent­lich­ten: »Die Aus­ein­an­der­set­zung war nicht sport­lich und fair – das soll­te aber auch nicht der Cha­rak­ter einer ernst­haf­ten anti­fa­schis­ti­schen Inter­ven­ti­on sein.« Wei­ter heißt es, in einer bemer­kens­wert nüch­ter­nen Spra­che: »Jede kör­per­li­che Aus­ein­an­der­set­zung birgt die Gefahr einer unge­woll­ten Eska­la­ti­on. Schon ein Faust­schlag kann unter Umstän­den töd­li­che Fol­gen haben und trotz guter Vor­be­rei­tun­gen kann das Eskalations­level vom Geg­ner in eine Höhe geschraubt wer­den, der man sich in der kon­kre­ten Situa­ti­on nicht mehr ent­zie­hen kann.«

Es offen­bart eini­ges über den der­zei­ti­gen Geis­tes­zu­stand des bun­des­deut­schen Anti­fa­schis­mus, wenn ein 40 (bewaff­net) gegen drei (unbe­waff­net) immer noch dafür sorgt, daß man den Feind für das »Eska­la­ti­ons­le­vel« ver­ant­wort­lich machen möch­te; kei­ne Zwei­fel an der Deprava­ti­on des zeit­ge­nös­si­schen Anti­fa­schis­mus zu einer Legi­ti­ma­ti­ons­ideo­lo­gie für poli­tisch moti­vier­ten Tot­schlag läßt dann das Fina­le des Stutt­gar­ter Beken­ner­schrei­bens übrig.

Dort heißt es, daß man es »aktu­ell [!] für die anti­fa­schis­ti­sche Bewe­gung für gefähr­lich und nicht durch­führ­bar« hal­te, »den Kon­fron­ta­ti­ons­kurs mit den Faschis­ten gezielt auf die Ebe­ne von schwe­ren / töd­li­chen Ver­let­zun­gen zu heben«. Der Grund ist nicht in der grund­le­gen­den Äch­tung poten­ti­ell töd­li­cher Gewalt zu suchen. Im Gegen­teil, es geht ein­zig und allein um das Risi­ko für die eige­nen Struk­tu­ren: »Wir gehen davon aus, daß wir als Bewe­gung momen­tan nicht stark genug wären, die­ses Level in grö­ße­ren Tei­len und auf lan­ge Sicht zu halten.

Das gilt auch für den Repres­si­ons­druck, den es zwei­fel­los mit sich brin­gen wür­de.« Man schließt damit, daß die Situa­ti­on neu bewer­tet wer­den müs­se, wenn es einen fort­schrei­ten­den Rechts­ruck gäbe. In die­ser Kon­stel­la­ti­on »kön­nen ande­re Kampf­for­men not­wen­dig wer­den«, sprich: dann wür­de die Fra­ge nach poli­tisch moti­vier­ten Tötun­gen neu aufgeworfen.

Denk­wür­dig ist zwei­er­lei: Das Anti­fa-Beken­ner­schrei­ben vom 27. Mai 2020 ist bis heu­te auf »Indy­me­dia« frei abruf­bar, man schämt sich bei den »undog­ma­ti­schen« und »plu­ra­len« Lin­ken also nicht für offe­ne Refle­xio­nen über die Fra­ge nach Sinn und Unsinn von Tötungs­ver­bre­chen, wäh­rend man bei den Straf­ver­fol­gungs­be­hör­den wei­ter­hin kei­nen Anlaß zum Han­deln zu ver­spü­ren scheint. Und der befürch­te­te »Repres­si­ons­druck«, den ein ver­such­ter Tot­schlag mit sich brin­gen wür­de, belas­te­te fort­an tat­säch­lich das süd­west­deut­sche Anti­fa-Milieu – trotz feh­len­der mas­sen­me­dia­ler Auf­klä­rung und unge­ach­tet des man­geln­den Inter­es­ses der »zivil­ge­sell­schaft­lich« domi­nier­ten Öffentlichkeit.

 

  1. 3. Der Prozeß

Im Juli 2020, Andre­as Zieg­ler war erst weni­ge Wochen zuvor aus dem Koma erwacht, schlu­gen die Fahn­der zu: Beam­te unter Anlei­tung der Stutt­gar­ter Kri­mi­nal­po­li­zei durch­such­ten Woh­nun­gen von neun Tat­ver­däch­ti­gen in Stutt­gart, Karls­ru­he und klei­ne­ren Städ­ten des »Länd­les«. Beweis­mit­tel wur­den beschlag­nahmt, DNS-Pro­ben der Beschul­dig­ten genommen.

Die Ermitt­lun­gen nah­men Fahrt auf und mün­de­ten neun Mona­te spä­ter in einen neu­er­li­chen Stamm­heim-Pro­zeß, den man als einen der wich­tigs­ten Gerichts­pro­zes­se gegen Links­extre­mis­ten der letz­ten Jahr­zehn­te beschrei­ben könnte.

Die mut­maß­li­chen Haupt­tä­ter, zwei jun­ge Män­ner aus dem Anti­fa-Milieu, zur Tat­zeit 20 und 24 Jah­re alt, stan­den ab April 2021 vor Gericht, ein­zel­ne »rech­te« Pres­se­ver­tre­ter nutz­ten die teils mas­si­ve Poli­zei­prä­senz für siche­re An- und Abrei­sen, denn mili­tan­te wie auch »bür­ger­li­che« Anti­fa­schis­ten aus der deutsch-kur­di­schen Misch­sze­ne und lin­ken Gewerk­schafts­krei­sen demons­trier­ten ihre Ver­bun­den­heit mit den Angeklagten.

Auf einer für die bei­den Täter gestal­te­ten Netz­sei­te for­mu­liert man offen die Unter­stüt­zung für Gewalt­tä­ter: »Anti­fa­schis­mus heißt für uns, den Kampf gegen rechts selbst in die Hand zu neh­men«, was beinhal­te, »Faschis­ten kör­per­lich dar­an zu hin­dern, ihre Het­ze zu ver­brei­ten. Für eine sol­che kon­se­quen­te anti­fa­schis­ti­sche Hal­tung sol­len jetzt Jo und Dy stell­ver­tre­tend für die gesam­te anti­fa­schis­ti­sche Bewe­gung vor Gericht gezerrt wer­den. Es gilt wei­ter­hin: Getrof­fen hat es die bei­den, gemeint sind wir alle«.

Man müs­se die Rech­ten bekämp­fen, weil »auf die­sen Staat kein Ver­laß« sei; »Staat und Poli­zei sind nicht die Lösung, son­dern Teil des Pro­blems!«, was spä­tes­tens dann als gro­tes­ke Wahr­neh­mung zu begrei­fen ist, wenn man sich ver­ge­gen­wär­tigt, daß in der Bun­des­re­pu­blik gewerk­schaft­li­che, lin­ke und anti­fa­schis­ti­sche Grup­pen aller Schat­tie­rung ohne staat­li­che Ali­men­tie­rung im Zei­chen der »Demo­kra­tie­för­de­rung« kaum über­le­bens­fä­hig wären.

Auf­schluß­reich ist die brei­te Soli­da­ri­täts­wel­le, die die lin­ke Sze­ne aus­lös­te. Getra­gen wur­de die­se ins­be­son­de­re durch die Rote Hil­fe, einen ein­ge­tra­ge­nen Ver­ein der Mosa­ik-Lin­ken, der sich um von »Repres­si­on« betrof­fe­ne Anti­fa­schis­ten küm­mert. 10 500 Mit­glie­der bun­des­weit und 50 Orts­grup­pen – damit ist man, selbst nach Anga­ben des Ver­fas­sungs­schut­zes, eine »der größ­ten und wich­tigs­ten Grup­pie­run­gen im deut­schen Links­extre­mis­mus«. Ihr urei­ge­nes Metier sei die »Unter­stüt­zung von links­extre­mis­ti­schen Straf­tä­tern sowohl im Straf­ver­fah­ren als auch wäh­rend der Haft­zeit«, um die­se »zum ›Wei­ter­kämp­fen‹ zu motivieren«.

Voll­kom­men legal for­dert die Rote Hil­fe die Ange­klag­ten aus der Sze­ne »dazu auf, grund­sätz­lich die Zusam­men­ar­beit mit Sicher­heits- und Straf­ver­fol­gungs­be­hör­den bei der Auf­klä­rung von Straf­ta­ten zu ver­wei­gern«. Unter­stüt­zung erhält die Rote Hil­fe dabei kei­nes­wegs nur aus dem unmit­tel­ba­ren Anti­fa-Milieu, von lin­ken Gewerk­schaf­tern und durch Links­par­tei-Kanä­le. Auch die Jung­so­zia­lis­ten (Jusos) der SPD fuh­ren bereits Soli-Kam­pa­gnen mit dem Verein.

Noch unter der Füh­rung von Kevin Küh­nert (vgl. den Bei­trag in vor­lie­gen­dem Heft) ver­ab­schie­de­te man einen Antrag, der fol­gen­de Pas­sa­ge ent­hielt: »Wir soli­da­ri­sie­ren uns mit der Roten Hil­fe e.V. und spre­chen uns gegen das Ver­bot der Roten Hil­fe aus. Wir for­dern die SPD auf, das ange­kün­dig­te Ver­bot zu ver­hin­dern.« Das Ver­bot wur­de selbst­ver­ständ­lich bis heu­te nicht voll­zo­gen, trotz Stamm­heim-Pro­zeß und Co., und wenn die »Ampel« 2021 ff. regiert, hat die Rote Hil­fe nicht nur ihre sozial­demokratischen Für­spre­cher in Regie­rungs­ver­ant­wor­tung, son­dern zusätz­lich auch grü­ne. Aus deren Par­tei­ju­gend hieß es bereits, die Rote Hil­fe sei »eine enorm wich­ti­ge lin­ke Soli­da­ri­täts- und Hilfs­or­ga­ni­sa­ti­on, und wir rufen zur Unter­stüt­zung zum Bei­spiel durch Spen­den auf«. Ein gro­ßer Lan­des­ver­band rief gar die Par­tei­freun­de unver­hoh­len zum Bei­tritt in den Ver­ein auf.

Sich die­ses Gefü­ge aus par­tei­über­grei­fen­der Soli­da­ri­tät mit links­extre­men Struk­tu­ren zu ver­deut­li­chen ist wich­tig, um zu ver­ste­hen, wes­halb sich die bis­he­ri­gen Haupt­an­ge­klag­ten im Fall Zieg­ler – die in der Sze­ne von Stutt­gart bis Pots­dam-Babels­berg gefei­er­ten »Jo« und »Dy« – die unnach­gie­bi­ge Hal­tung gegen­über ihren Gewalt­op­fern und dem Staat und sei­nen Behör­den ohne wei­te­res leis­ten kön­nen, von künf­ti­gen Pro­zes­sen rund um die Leip­zi­ger »Ham­mer­ban­de« (Lina E.) ganz zu schweigen.

Kaum vor­stell­bar, daß die im Okto­ber 2021 getrof­fe­nen Urtei­le daher zum Umden­ken anre­gen: Vier und fünf Jah­re müs­sen die Links­extre­men ins Gefäng­nis (das Urteil ist gleich­wohl noch nicht rechts­kräf­tig); die Rote Hil­fe wird sie nicht vergessen.

 

  1. 4. Die Partei

Ver­ges­sen – oder nie ver­stan­den – haben indes­sen Tei­le der AfD, daß eine Par­tei immer mehr sein muß als nur die Kernorganisation.

Ohne viel­ge­stal­ti­ge Vor­feld­struk­tu­ren, wel­che die Posi­tio­nen und die Begrif­fe des eige­nen poli­ti­schen Beritts in die Gesell­schaft tra­gen, hät­te es bei­spiels­wei­se, his­to­risch betrach­tet, nie­mals eine erfolg­rei­che deut­sche Sozi­al­de­mo­kra­tie gege­ben, die Links­par­tei wäre eine iso­lier­te Split­ter­for­ma­ti­on, und eine heu­te so gesell­schafts­prä­gen­de Kraft wie die Grü­nen wäre als aus­schließ­li­che Wahl­par­tei nichts im Ver­gleich zu dem, was sie heu­te auf­grund nahe­ste­hen­der »meta­po­li­ti­scher« pres­su­re groups – von Green­peace und Fri­days for Future über links­ori­en­tier­te Natur­schutz­ver­bän­de bis zu Jour­na­lis­ten- und Publi­zis­ten­netz­wer­ken – darstellt.

Doch bei der AfD, die sich vor allem in West­deutsch­land stark aus alten christ­de­mo­kra­ti­schen und betont »gut­bür­ger­li­chen« Zusam­men­hän­gen speist und über zu weni­ge »orga­ni­sche Poli­ti­ker« ver­fügt, die aus patrio­ti­schen Struk­tu­ren in die Man­da­te »hin­ein­wach­sen« und dort ihre Erfah­run­gen und Kennt­nis­se ein­brin­gen kön­nen, ver­nimmt man immer wie­der Abwehr­re­fle­xe schon allein gegen­über der prin­zi­pi­el­len Idee des Vor­fel­des. Man müs­se doch der CDU zei­gen, daß man ihre Posi­tio­nen der 1990er (wahl­wei­se auch der 1980er oder 1970er) ver­tre­te, lau­tet eine gän­gi­ge, ste­reo­ty­pe Flos­kel, und da schickt es sich nicht, von viel­fäl­ti­ger Gegen­kul­tur und auf­zu­bau­en­der Gegen­macht zu fabu­lie­ren, die vor einer even­tu­el­len Regie­rungs­be­tei­li­gung in der Zukunft unver­zicht­bar sei­en; ein Zusam­men­hang, den eine grund­sätz­lich aus­ge­rich­te­te Alter­na­ti­ve zwin­gend nötig hätte.

Wenn dann noch inner­par­tei­li­che Kon­kur­renz­kämp­fe hin­zu­tre­ten und der Kampf um Par­tei­funk­tio­nen eska­liert, ist das Vor­feld allen­falls noch gedul­de­ter oder eben nicht­ge­dul­de­ter Spiel­ball von wider­strei­ten­den Interessen.

Kon­kret auf das Zen­trum Auto­mo­bil von Andre­as Zieg­ler und Co. gemünzt hieß das: Ein Par­tei­ak­teur woll­te die patrio­ti­schen Gewerk­schaf­ter in die AfD auf­neh­men las­sen, weil er ihnen ers­tens poli­tisch zuge­neigt ist und sich zwei­tens wohl auch par­tei­in­tern eine poten­ti­ell zuge­neig­te Stim­men­schar sichern will; das ist legi­tim, wenn­gleich (zu) stark indi­vi­du­ell interessengeleitet.

Der par­tei­in­ter­ne Gegen­spie­ler sah sei­ne Bestän­de und Mehr­hei­ten brö­ckeln und griff effekt­hei­schend auf den »Joker« namens »Rechts­extre­mis­mus« zurück, auf ver­meint­li­che und tat­säch­li­che extrem rech­te Ver­gan­gen­hei­ten ein­zel­ner Zen­trums-Akteu­re, die er in einem Anti­fa-Recher­che-­ähn­li­chen Dos­sier zusam­men­trug; das ist ille­gi­tim, denn damit adap­tiert man bewußt geg­ne­ri­sche Para­me­ter und ver­leiht die­sen ohne jede Not Gül­tig­keit für die eige­ne poli­ti­sche Hemisphäre.

Ergänzt wird aus die­sen Rei­hen, daß eine AfD gar kei­ne Gewerk­schaft in ihrem Dunst­kreis benö­ti­ge, da die­ses Prin­zip »links« sei, womit man leid­lich unter Beweis stellt, daß man einer­seits blind für aktu­el­le Problem­felder wie Leih- und Zeit­arbeit, Out­sour­cing und Pro­duk­ti­ons­ver­la­ge­rung ins Aus­land im Zei­chen des öko­no­mi­schen Glo­ba­lis­mus bleibt, und daß man ande­rer­seits nicht in der Lage ist, den Gewerk­schaf­ten des orga­ni­sier­ten Links­spek­trums jenen Wider­stand auf ihrem urei­ge­nen Ter­rain zu bie­ten, den sie ver­dient haben.

So kam es, daß die zwei­te Grup­pe, die wei­ter­hin den Lan­des­vor­stand in Baden-Würt­tem­berg und den Bun­des­vor­stand der AfD domi­niert, das Zen­trum um Zieg­ler zu uner­wünsch­ten Per­so­nen in der Par­tei erklär­te. Am 17. Sep­tem­ber 2021 traf man in Stutt­gart die Ent­schei­dung, Andre­as ­Zieg­lers Mit­glied­schaft in der Alter­na­ti­ve zu annul­lie­ren, da er bei der Auf­nah­me ver­schwie­gen habe, Zen­trums-Mit­glied zu sein.

Das Iro­ni­sche dar­an: Der Unver­ein­bar­keits­be­schluß des Bun­des­vor­stan­des, der besag­te, daß man nicht gleich­zei­tig AfD- und Zen­trums-Mit­glied sein kön­ne, wur­de selbst­re­dend erst lan­ge nach Zieg­lers AfD-Bei­tritt getrof­fen, kon­kret: Mit­te Okto­ber 2021, bei einer Tele­fon­kon­fe­renz. Zwei Wochen spä­ter tag­te der Par­tei­kon­vent (eine Art klei­ner Par­tei­tag von Funk­tio­nä­ren aus dem gan­zen Land). Dort wur­de die Ent­schei­dung des Bun­des­vor­stan­des har­scher Kri­tik aus­ge­setzt: Durch eine inof­fi­zi­el­le Abstim­mung (»Stim­mungs­bild«) sprach sich der Kon­vent ein­stim­mig dafür aus, der Bun­des­vor­stand möge sei­ne Ent­schei­dung noch vor dem Bun­des­par­tei­tag im Dezem­ber über­den­ken, um das vor­han­de­ne Eska­la­ti­ons­po­ten­ti­al zu entschärfen.

Der Fall Zieg­ler als AfD-Fall bleibt damit ergeb­nis­of­fen, aber es geht um weit mehr als um ihn und die patrio­ti­sche Gewerk­schaft, der er angehört.

Es geht um die grund­sätz­li­che Fra­ge, ob es noch recht­zei­tig gelingt, die­sem gro­ßen Stein des patrio­ti­schen Mosa­iks jene Logik der Mosa­ik­struk­tur ratio­nal zu ver­ge­gen­wär­ti­gen, die über ihn selbst hin­aus­weist – und zwar dort, wo nötig, gegen die Wider­stän­de apo­li­tisch oder Uni­ons-sozia­li­sier­ter Funk­ti­ons­trä­ger. Gegen­über dem Block der Feind­schaft, der die AfD und ihr Vor­feld umgibt und der über jene »Ideo­lo­gi­schen Staats­ap­pa­ra­te« (vgl. Sezes­si­on 104) ver­fügt, die dem patrio­ti­schen Milieu jed­we­de Zugän­ge zur Mit­ge­stal­tung ver­weh­ren, ist der Auf­bau viel­ge­stal­ti­ger Gegen­öf­fent­lich­kei­ten mit allem, was dazu­ge­hört, unverzichtbar.

Dies erfor­dert indes einen Pro­zeß des »Soli­da­risch-Wer­dens« (Anto­nio Gramsci) mit den ideell nahe­ste­hen­den patrio­ti­schen Struk­tu­ren anstel­le ego­is­ti­scher Pfrün­de­ori­en­tie­rung und fal­scher, oppor­tu­nis­ti­scher Anbie­de­rung an CDU / CSU und FDP, an ver­meint­lich »bür­ger­lich-kon­ser­va­ti­ve« Milieus, die es in die­ser Form längst nicht mehr gibt. Es geht hier­bei nicht dar­um, daß ein patrio­ti­sches Mosa­ik wie sein lin­kes Pen­dant Gewalt­tä­ter stüt­zen oder ver­herr­li­chen soll.

Sehr wohl ver­rät es aber eini­ges über man­geln­de Politik­fähigkeit patrio­ti­scher Poli­ti­ker, wenn »Lin­ke« selbst ihre Tot­schlä­ger in spe nach außen hin geschlos­sen ver­tei­di­gen (weil es eben »ihre Leu­te« sei­en), wäh­rend »Rech­te« bereits dann der selbst­schwä­chen­den »Distan­ze­ri­tis« frö­nen, wenn ein heu­ti­ger Akteur des 2009 gegrün­de­ten Zen­trums in den 1990er Jah­ren in einer Rechts­rock­band gespielt hat. Ein Mosa­ik im Wer­den, des­sen Bin­de­kräf­te noch nicht voll­ends aus­ge­prägt schei­nen, kann nur durch selbst­pro­du­zier­te Aus­schlüs­se beschä­digt wer­den und schränkt so sei­nen »Mög­lich­keits­ra­di­us« (Micha­el Krät­ke) selbst­ver­schul­det ein.

Anders gesagt: Das Mosa­ik kann nicht von außen zer­stört wer­den, son­dern, durch Repres­si­on, media­le Ver­ächt­lich­ma­chung und gesell­schaft­li­che Stig­ma­ti­sie­rung, nur Ris­se ver­ab­reicht bekom­men. Wie man mit die­sen Ris­sen umgeht, ist das pri­mär Ent­schei­den­de – ob man Koope­ra­ti­ons­be­reit­schaft her­stellt, das sekundäre.

Die rea­lis­ti­sche­re Gefahr als eine gewalt­sa­me Zer­stö­rung des patrio­ti­schen Mosa­iks ist folg­lich, daß sich ein­zel­ne Stei­ne lösen, weil sie sich bereit­wil­lig ein­re­den las­sen, man könn­te dann neue, ver­meint­lich erfolgs­ver­spre­chen­de Alli­an­zen mit näher an der omi­nö­sen »Mit­te« ste­hen­den Libe­ral­kon­ser­va­ti­ven und Alt-Christ­de­mo­kra­ten schlie­ßen. Das Pro­blem dabei: Die­se Krei­se waren ges­tern schon von ges­tern, und wer das Mor­gen gestal­ten will, kann das nicht mit Akteu­ren anstre­ben, die habi­tu­ell, geis­tig und ideo­lo­gisch immer noch das fal­sche Gan­ze mit sich tra­gen – oft­mals aus kri­tik­re­sis­ten­ter Überzeugung.

Für die Par­tei­pra­xis erge­ben sich damit die inne­ren Zie­le der kom­men­den Jah­re von selbst: Bil­dung und Aus­bil­dung der nach­rü­cken­den Funk­ti­ons­trä­ger, Her­stel­lung eines Min­dest­ma­ßes an poli­ti­scher Grund­satz­bil­dung, Ver­zah­nung und Ver­net­zung als Vor­aus­set­zung für eine gedeih­li­che »orga­ni­sche Soli­da­ri­tät« (Émi­le Durk­heim) all jener, die sich nicht in allem ähn­lich sein mögen, aber auf­ein­an­der ange­wie­sen sind. Spä­tes­tens der Fall Zieg­ler mahnt zur Umkehr und zur Geschlossenheit.

Gegen den Ver­nich­tungs­wil­len, der allen patrio­ti­schen Akteu­ren glei­cher­ma­ßen ent­ge­gen­schlägt, hilft aus­schließ­lich eine pro­fes­sio­na­li­sier­te »Arbeits­wei­se, die auch Angrif­fen von Geg­nern trotzt und sich nicht aus­ein­an­der­di­vi­die­ren läßt« (Ines Schwerdtner).

Die­se Quint­essenz gilt es, in der gesam­ten alter­na­ti­ven Sze­ne­rie zu ver­brei­ten: Andre­as Zieg­ler soll sei­ne Gesund­heit nicht umsonst ris­kiert und dran­ge­ge­ben haben.

 

Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

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