Vier Gedankenblöcke über die »Mosaik-Rechte«, einen folgenschweren Übergriff, den anschließenden Gerichtsprozeß und das Verhalten von Parteifunktionären.
- Das Mosaik
Ein politisches Milieu, das sich im Widerspruch zu den meinungsführenden Lagern befindet, und zwar in den Bereichen Gesellschaft, Politik und Wirtschaft gleichermaßen, ist angewiesen auf Kooperation und Arbeitsteilung, Sammlung und Professionalisierung.
Was links der herrschenden Mitte und ihrer linksliberalen Arme seit 2009 als »Mosaik-Linke« (Hans-Jürgen Urban) firmiert und unbeeindruckt vom Auf und Ab der Wahlerfolge ihrer Wahlparteien Die Linke und Die Grünen über eine real existierende Hegemonie mindestens im Kultur- und Medienbetrieb verfügt, wird seit einigen Jahren im nonkonform-alternativen Lager als »Mosaik-Rechte« gefaßt.
Für sie gilt das, was für jedes politisch an Wirkung interessierte Mosaik als Zusammenfügen verschiedener Akteure (Mosaiksteine) entscheidend ist: Man muß die »Eigenständigkeit der verschiedenen Bewegungen und Strömungen mit der strategischen Orientierung ihres Zusammenwirkens« verbinden, »um gegenhegemoniale Kraft und Macht zu entfachen« (Brigitte Aulenbacher et al.), man muß als Mosaik die »Ausstrahlungskraft als Gesamtwerk« entfalten, »obwohl seine Einzelteile als solche erkennbar bleiben« (Urban).
Das heißt, jenseits des politologischen Jargons: Verschiedene Protagonisten wirken auf ihrem Feld mit den dort typischen Haltungs- und Handlungsweisen in Richtung eines gemeinsamen (Minimal-)Ziels, das man als ein allen Gemeinsames fassen kann; im patriotischen Kontext sollte dieser Konsens im Bekenntnis zur Verteidigung des Eigenen und in einem positiven Vaterlandsbezug liegen.
Einige Beispiele im Rahmen des arbeitsteiligen Modells gestalten sich wie folgt: Eine Partei tritt als Wahlpartei an und wirbt, massenmedial vermittelt, in die Breite; eine Zeitschrift oder eine Zeitung läßt Positionen und Begriffe in den »Diskurs« einspeisen und greift weltanschaulich vor; eine Jugendgruppe führt Öffentlichkeit erzeugende Aktivitäten aus (»produktive Provokation« nennt dies Urban); ein Künstler schafft Symbole und bringt Ideen ästhetisch aufbereitet aufs Papier oder an die Wände; eine Tanzformation widmet sich der Brauchtumspflege und schafft Wertefundamente; jugendliche Sportbegeisterte prägen Subkulturen in Stadien … und eine Gewerkschaft versammelt Arbeitnehmer mit ähnlichen Interessen hinter ihrem Schutzschirm, der im Regelfall zwei Antagonisten kennt: die Konzernführung und konkurrierende Gewerkschaften.
Funktioniert das Mosaik überwiegend oder in Gänze, dann ist die wahrnehmbare Kooperation unterschiedlicher Mosaiksteine eine unverkennbare »Ermutigung«, die nahelegt, daß »es sich lohnt, nach intellektuellen Brücken über die Gräben der schwarz-weiß gezeichneten politischen Landschaft zu suchen« (Stephan Hebel). Im Kontext des rechten Mosaiks würde das bedeuten: Die von Gegnern eines vielschichtigen gegenhegemonialen Blocks so oft behauptete Dichotomie »Realpolitik« versus »Metapolitik« oder die sich angeblich ausschließenden Bausteine »Parteiakteure« versus »außerparlamentarische Kräfte« gibt es nicht.
Entscheidend ist vielmehr, daß man – dabei eine anlaßbezogene Projekthygiene bewahrend – begreift, daß eine vielgestaltige moderne Gesellschaft wie die bundesdeutsche eine vielgestaltige politische Rechte erforderlich macht, um auf jedem Feld und in jedem Metier eine alternative Positionierung »sichtbar« zu machen: There is no alternative, der Leitspruch der extremen Mitte, wird nur so tiefgreifend unterminiert; die Alternative materialisiert sich dann überall und kann im eigenen Milieu eine produktiv-konstruktive »Kultur der Hoffnung« (Michael Löwy) etablieren.
Dafür bedarf es aber, und das erweist sich weiterhin als das größte Manko dieser Theorie mosaikrechter Gegenmacht in der Praxis, bei jedem Spieler der Mannschaft eines grundlegenden Verständnisses für die entsprechende Sortierung und Kooperation. Daß der eine Akteur mehr Wirkungsmacht, Einfluß und auch Finanzen als der andere hat, ist der Natur der Sache geschuldet; daß daraus kein Gefälle der Ignoranz entstehen darf, das schließlich zu verweigerter Solidarität und offener Ächtung führt, ebenso. Der exemplarische Fall Andreas Ziegler, ein patriotischer Gewerkschafter, der am 16. Mai 2020 von Linksextremisten ins Koma geprügelt wurde, zeigt zweierlei: Wie es geht – und wie es nicht geht.
- Der Überfall
Andreas Ziegler, Gründungsmitglied der alternativen patriotischen Gewerkschaft Zentrum Automobil, befand sich an besagtem Tag zu Fuß auf dem Weg zur sogenannten Grundrechte-Demo in Stuttgart. Protestiert wurde auf dem Wasengelände gegen unverhältnismäßige Einschränkungen im Zuge der Lockdown-Politik von Land und Bund.
Plötzlich wurden er und zwei weitere Kollegen von rund 40 Linksextremisten überfallen, die sich, wie Analysen im Nachgang zeigten, vor allem aus deutschen und kurdischen Szeneangehörigen zusammensetzten. Augenzeugen teilten mit, daß dem bereits aufgrund der verabreichten Schläge und Tritte gegen den Kopf blutend auf der Straße liegenden Ziegler unaufhörlich zugesetzt wurde. Ein Täter hielt ihm eine Gaspistole an den lädierten Kopf.
Nach dem Übergriff lag Ziegler wochenlang im Koma und schwebte in Lebensgefahr, während bei seinen beiden Kollegen »lediglich« Nasenbein- und Fingerbruch, dazu Hämatome auf und hinter dem Auge festgestellt wurden. Trotz der Pistole, die mindestens als Schlagwaffe eingesetzt worden war und an der ein Haar eines mutmaßlichen Täters sichergestellt wurde, blieb das Presseecho mau – man kann sich leicht vorstellen, was sich bundesweit abgespielt hätte, wenn ein rechter Gewerkschafter einen Linken gegen den Kopf getreten und eine Pistole gezogen hätte.
Zu den wenigen Berichterstattern neben »Sezession im Netz«, Ein Prozent und Compact zählte die Wochenzeitung Junge Freiheit. Am 29. Mai 2020, zwei Wochen nach dem Anschlag, teilte sie mit: »Der Angriff auf Andreas Ziegler war nicht das einzige Gewaltdelikt an diesem Tag. Nicht nur die Laster gingen in Flammen auf, sondern an diesem Samstag wurden immer wieder Demonstrationsteilnehmer auf dem Weg zum Gelände angegriffen und Autoreifen zerstochen […]. Deshalb hat die Polizei jetzt zwei Ermittlungsgruppen eingerichtet. […] Polizeisprecher Widmann: ›Aufgrund der Schwere der Tat wurde von der Ermittlungsgruppe Wasen eine eigene Ermittlungsgruppe Arena abgetrennt.‹«
Diesen eingesetzten Polizeiexperten kam zupasse, daß Antifa-Akteure parallel ein Bekenntnis zur Gewalttat auf der linken Plattform »Indymedia« veröffentlichten: »Die Auseinandersetzung war nicht sportlich und fair – das sollte aber auch nicht der Charakter einer ernsthaften antifaschistischen Intervention sein.« Weiter heißt es, in einer bemerkenswert nüchternen Sprache: »Jede körperliche Auseinandersetzung birgt die Gefahr einer ungewollten Eskalation. Schon ein Faustschlag kann unter Umständen tödliche Folgen haben und trotz guter Vorbereitungen kann das Eskalationslevel vom Gegner in eine Höhe geschraubt werden, der man sich in der konkreten Situation nicht mehr entziehen kann.«
Es offenbart einiges über den derzeitigen Geisteszustand des bundesdeutschen Antifaschismus, wenn ein 40 (bewaffnet) gegen drei (unbewaffnet) immer noch dafür sorgt, daß man den Feind für das »Eskalationslevel« verantwortlich machen möchte; keine Zweifel an der Depravation des zeitgenössischen Antifaschismus zu einer Legitimationsideologie für politisch motivierten Totschlag läßt dann das Finale des Stuttgarter Bekennerschreibens übrig.
Dort heißt es, daß man es »aktuell [!] für die antifaschistische Bewegung für gefährlich und nicht durchführbar« halte, »den Konfrontationskurs mit den Faschisten gezielt auf die Ebene von schweren / tödlichen Verletzungen zu heben«. Der Grund ist nicht in der grundlegenden Ächtung potentiell tödlicher Gewalt zu suchen. Im Gegenteil, es geht einzig und allein um das Risiko für die eigenen Strukturen: »Wir gehen davon aus, daß wir als Bewegung momentan nicht stark genug wären, dieses Level in größeren Teilen und auf lange Sicht zu halten.
Das gilt auch für den Repressionsdruck, den es zweifellos mit sich bringen würde.« Man schließt damit, daß die Situation neu bewertet werden müsse, wenn es einen fortschreitenden Rechtsruck gäbe. In dieser Konstellation »können andere Kampfformen notwendig werden«, sprich: dann würde die Frage nach politisch motivierten Tötungen neu aufgeworfen.
Denkwürdig ist zweierlei: Das Antifa-Bekennerschreiben vom 27. Mai 2020 ist bis heute auf »Indymedia« frei abrufbar, man schämt sich bei den »undogmatischen« und »pluralen« Linken also nicht für offene Reflexionen über die Frage nach Sinn und Unsinn von Tötungsverbrechen, während man bei den Strafverfolgungsbehörden weiterhin keinen Anlaß zum Handeln zu verspüren scheint. Und der befürchtete »Repressionsdruck«, den ein versuchter Totschlag mit sich bringen würde, belastete fortan tatsächlich das südwestdeutsche Antifa-Milieu – trotz fehlender massenmedialer Aufklärung und ungeachtet des mangelnden Interesses der »zivilgesellschaftlich« dominierten Öffentlichkeit.
- 3. Der Prozeß
Im Juli 2020, Andreas Ziegler war erst wenige Wochen zuvor aus dem Koma erwacht, schlugen die Fahnder zu: Beamte unter Anleitung der Stuttgarter Kriminalpolizei durchsuchten Wohnungen von neun Tatverdächtigen in Stuttgart, Karlsruhe und kleineren Städten des »Ländles«. Beweismittel wurden beschlagnahmt, DNS-Proben der Beschuldigten genommen.
Die Ermittlungen nahmen Fahrt auf und mündeten neun Monate später in einen neuerlichen Stammheim-Prozeß, den man als einen der wichtigsten Gerichtsprozesse gegen Linksextremisten der letzten Jahrzehnte beschreiben könnte.
Die mutmaßlichen Haupttäter, zwei junge Männer aus dem Antifa-Milieu, zur Tatzeit 20 und 24 Jahre alt, standen ab April 2021 vor Gericht, einzelne »rechte« Pressevertreter nutzten die teils massive Polizeipräsenz für sichere An- und Abreisen, denn militante wie auch »bürgerliche« Antifaschisten aus der deutsch-kurdischen Mischszene und linken Gewerkschaftskreisen demonstrierten ihre Verbundenheit mit den Angeklagten.
Auf einer für die beiden Täter gestalteten Netzseite formuliert man offen die Unterstützung für Gewalttäter: »Antifaschismus heißt für uns, den Kampf gegen rechts selbst in die Hand zu nehmen«, was beinhalte, »Faschisten körperlich daran zu hindern, ihre Hetze zu verbreiten. Für eine solche konsequente antifaschistische Haltung sollen jetzt Jo und Dy stellvertretend für die gesamte antifaschistische Bewegung vor Gericht gezerrt werden. Es gilt weiterhin: Getroffen hat es die beiden, gemeint sind wir alle«.
Man müsse die Rechten bekämpfen, weil »auf diesen Staat kein Verlaß« sei; »Staat und Polizei sind nicht die Lösung, sondern Teil des Problems!«, was spätestens dann als groteske Wahrnehmung zu begreifen ist, wenn man sich vergegenwärtigt, daß in der Bundesrepublik gewerkschaftliche, linke und antifaschistische Gruppen aller Schattierung ohne staatliche Alimentierung im Zeichen der »Demokratieförderung« kaum überlebensfähig wären.
Aufschlußreich ist die breite Solidaritätswelle, die die linke Szene auslöste. Getragen wurde diese insbesondere durch die Rote Hilfe, einen eingetragenen Verein der Mosaik-Linken, der sich um von »Repression« betroffene Antifaschisten kümmert. 10 500 Mitglieder bundesweit und 50 Ortsgruppen – damit ist man, selbst nach Angaben des Verfassungsschutzes, eine »der größten und wichtigsten Gruppierungen im deutschen Linksextremismus«. Ihr ureigenes Metier sei die »Unterstützung von linksextremistischen Straftätern sowohl im Strafverfahren als auch während der Haftzeit«, um diese »zum ›Weiterkämpfen‹ zu motivieren«.
Vollkommen legal fordert die Rote Hilfe die Angeklagten aus der Szene »dazu auf, grundsätzlich die Zusammenarbeit mit Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden bei der Aufklärung von Straftaten zu verweigern«. Unterstützung erhält die Rote Hilfe dabei keineswegs nur aus dem unmittelbaren Antifa-Milieu, von linken Gewerkschaftern und durch Linkspartei-Kanäle. Auch die Jungsozialisten (Jusos) der SPD fuhren bereits Soli-Kampagnen mit dem Verein.
Noch unter der Führung von Kevin Kühnert (vgl. den Beitrag in vorliegendem Heft) verabschiedete man einen Antrag, der folgende Passage enthielt: »Wir solidarisieren uns mit der Roten Hilfe e.V. und sprechen uns gegen das Verbot der Roten Hilfe aus. Wir fordern die SPD auf, das angekündigte Verbot zu verhindern.« Das Verbot wurde selbstverständlich bis heute nicht vollzogen, trotz Stammheim-Prozeß und Co., und wenn die »Ampel« 2021 ff. regiert, hat die Rote Hilfe nicht nur ihre sozialdemokratischen Fürsprecher in Regierungsverantwortung, sondern zusätzlich auch grüne. Aus deren Parteijugend hieß es bereits, die Rote Hilfe sei »eine enorm wichtige linke Solidaritäts- und Hilfsorganisation, und wir rufen zur Unterstützung zum Beispiel durch Spenden auf«. Ein großer Landesverband rief gar die Parteifreunde unverhohlen zum Beitritt in den Verein auf.
Sich dieses Gefüge aus parteiübergreifender Solidarität mit linksextremen Strukturen zu verdeutlichen ist wichtig, um zu verstehen, weshalb sich die bisherigen Hauptangeklagten im Fall Ziegler – die in der Szene von Stuttgart bis Potsdam-Babelsberg gefeierten »Jo« und »Dy« – die unnachgiebige Haltung gegenüber ihren Gewaltopfern und dem Staat und seinen Behörden ohne weiteres leisten können, von künftigen Prozessen rund um die Leipziger »Hammerbande« (Lina E.) ganz zu schweigen.
Kaum vorstellbar, daß die im Oktober 2021 getroffenen Urteile daher zum Umdenken anregen: Vier und fünf Jahre müssen die Linksextremen ins Gefängnis (das Urteil ist gleichwohl noch nicht rechtskräftig); die Rote Hilfe wird sie nicht vergessen.
- 4. Die Partei
Vergessen – oder nie verstanden – haben indessen Teile der AfD, daß eine Partei immer mehr sein muß als nur die Kernorganisation.
Ohne vielgestaltige Vorfeldstrukturen, welche die Positionen und die Begriffe des eigenen politischen Beritts in die Gesellschaft tragen, hätte es beispielsweise, historisch betrachtet, niemals eine erfolgreiche deutsche Sozialdemokratie gegeben, die Linkspartei wäre eine isolierte Splitterformation, und eine heute so gesellschaftsprägende Kraft wie die Grünen wäre als ausschließliche Wahlpartei nichts im Vergleich zu dem, was sie heute aufgrund nahestehender »metapolitischer« pressure groups – von Greenpeace und Fridays for Future über linksorientierte Naturschutzverbände bis zu Journalisten- und Publizistennetzwerken – darstellt.
Doch bei der AfD, die sich vor allem in Westdeutschland stark aus alten christdemokratischen und betont »gutbürgerlichen« Zusammenhängen speist und über zu wenige »organische Politiker« verfügt, die aus patriotischen Strukturen in die Mandate »hineinwachsen« und dort ihre Erfahrungen und Kenntnisse einbringen können, vernimmt man immer wieder Abwehrreflexe schon allein gegenüber der prinzipiellen Idee des Vorfeldes. Man müsse doch der CDU zeigen, daß man ihre Positionen der 1990er (wahlweise auch der 1980er oder 1970er) vertrete, lautet eine gängige, stereotype Floskel, und da schickt es sich nicht, von vielfältiger Gegenkultur und aufzubauender Gegenmacht zu fabulieren, die vor einer eventuellen Regierungsbeteiligung in der Zukunft unverzichtbar seien; ein Zusammenhang, den eine grundsätzlich ausgerichtete Alternative zwingend nötig hätte.
Wenn dann noch innerparteiliche Konkurrenzkämpfe hinzutreten und der Kampf um Parteifunktionen eskaliert, ist das Vorfeld allenfalls noch geduldeter oder eben nichtgeduldeter Spielball von widerstreitenden Interessen.
Konkret auf das Zentrum Automobil von Andreas Ziegler und Co. gemünzt hieß das: Ein Parteiakteur wollte die patriotischen Gewerkschafter in die AfD aufnehmen lassen, weil er ihnen erstens politisch zugeneigt ist und sich zweitens wohl auch parteiintern eine potentiell zugeneigte Stimmenschar sichern will; das ist legitim, wenngleich (zu) stark individuell interessengeleitet.
Der parteiinterne Gegenspieler sah seine Bestände und Mehrheiten bröckeln und griff effektheischend auf den »Joker« namens »Rechtsextremismus« zurück, auf vermeintliche und tatsächliche extrem rechte Vergangenheiten einzelner Zentrums-Akteure, die er in einem Antifa-Recherche-ähnlichen Dossier zusammentrug; das ist illegitim, denn damit adaptiert man bewußt gegnerische Parameter und verleiht diesen ohne jede Not Gültigkeit für die eigene politische Hemisphäre.
Ergänzt wird aus diesen Reihen, daß eine AfD gar keine Gewerkschaft in ihrem Dunstkreis benötige, da dieses Prinzip »links« sei, womit man leidlich unter Beweis stellt, daß man einerseits blind für aktuelle Problemfelder wie Leih- und Zeitarbeit, Outsourcing und Produktionsverlagerung ins Ausland im Zeichen des ökonomischen Globalismus bleibt, und daß man andererseits nicht in der Lage ist, den Gewerkschaften des organisierten Linksspektrums jenen Widerstand auf ihrem ureigenen Terrain zu bieten, den sie verdient haben.
So kam es, daß die zweite Gruppe, die weiterhin den Landesvorstand in Baden-Württemberg und den Bundesvorstand der AfD dominiert, das Zentrum um Ziegler zu unerwünschten Personen in der Partei erklärte. Am 17. September 2021 traf man in Stuttgart die Entscheidung, Andreas Zieglers Mitgliedschaft in der Alternative zu annullieren, da er bei der Aufnahme verschwiegen habe, Zentrums-Mitglied zu sein.
Das Ironische daran: Der Unvereinbarkeitsbeschluß des Bundesvorstandes, der besagte, daß man nicht gleichzeitig AfD- und Zentrums-Mitglied sein könne, wurde selbstredend erst lange nach Zieglers AfD-Beitritt getroffen, konkret: Mitte Oktober 2021, bei einer Telefonkonferenz. Zwei Wochen später tagte der Parteikonvent (eine Art kleiner Parteitag von Funktionären aus dem ganzen Land). Dort wurde die Entscheidung des Bundesvorstandes harscher Kritik ausgesetzt: Durch eine inoffizielle Abstimmung (»Stimmungsbild«) sprach sich der Konvent einstimmig dafür aus, der Bundesvorstand möge seine Entscheidung noch vor dem Bundesparteitag im Dezember überdenken, um das vorhandene Eskalationspotential zu entschärfen.
Der Fall Ziegler als AfD-Fall bleibt damit ergebnisoffen, aber es geht um weit mehr als um ihn und die patriotische Gewerkschaft, der er angehört.
Es geht um die grundsätzliche Frage, ob es noch rechtzeitig gelingt, diesem großen Stein des patriotischen Mosaiks jene Logik der Mosaikstruktur rational zu vergegenwärtigen, die über ihn selbst hinausweist – und zwar dort, wo nötig, gegen die Widerstände apolitisch oder Unions-sozialisierter Funktionsträger. Gegenüber dem Block der Feindschaft, der die AfD und ihr Vorfeld umgibt und der über jene »Ideologischen Staatsapparate« (vgl. Sezession 104) verfügt, die dem patriotischen Milieu jedwede Zugänge zur Mitgestaltung verwehren, ist der Aufbau vielgestaltiger Gegenöffentlichkeiten mit allem, was dazugehört, unverzichtbar.
Dies erfordert indes einen Prozeß des »Solidarisch-Werdens« (Antonio Gramsci) mit den ideell nahestehenden patriotischen Strukturen anstelle egoistischer Pfründeorientierung und falscher, opportunistischer Anbiederung an CDU / CSU und FDP, an vermeintlich »bürgerlich-konservative« Milieus, die es in dieser Form längst nicht mehr gibt. Es geht hierbei nicht darum, daß ein patriotisches Mosaik wie sein linkes Pendant Gewalttäter stützen oder verherrlichen soll.
Sehr wohl verrät es aber einiges über mangelnde Politikfähigkeit patriotischer Politiker, wenn »Linke« selbst ihre Totschläger in spe nach außen hin geschlossen verteidigen (weil es eben »ihre Leute« seien), während »Rechte« bereits dann der selbstschwächenden »Distanzeritis« frönen, wenn ein heutiger Akteur des 2009 gegründeten Zentrums in den 1990er Jahren in einer Rechtsrockband gespielt hat. Ein Mosaik im Werden, dessen Bindekräfte noch nicht vollends ausgeprägt scheinen, kann nur durch selbstproduzierte Ausschlüsse beschädigt werden und schränkt so seinen »Möglichkeitsradius« (Michael Krätke) selbstverschuldet ein.
Anders gesagt: Das Mosaik kann nicht von außen zerstört werden, sondern, durch Repression, mediale Verächtlichmachung und gesellschaftliche Stigmatisierung, nur Risse verabreicht bekommen. Wie man mit diesen Rissen umgeht, ist das primär Entscheidende – ob man Kooperationsbereitschaft herstellt, das sekundäre.
Die realistischere Gefahr als eine gewaltsame Zerstörung des patriotischen Mosaiks ist folglich, daß sich einzelne Steine lösen, weil sie sich bereitwillig einreden lassen, man könnte dann neue, vermeintlich erfolgsversprechende Allianzen mit näher an der ominösen »Mitte« stehenden Liberalkonservativen und Alt-Christdemokraten schließen. Das Problem dabei: Diese Kreise waren gestern schon von gestern, und wer das Morgen gestalten will, kann das nicht mit Akteuren anstreben, die habituell, geistig und ideologisch immer noch das falsche Ganze mit sich tragen – oftmals aus kritikresistenter Überzeugung.
Für die Parteipraxis ergeben sich damit die inneren Ziele der kommenden Jahre von selbst: Bildung und Ausbildung der nachrückenden Funktionsträger, Herstellung eines Mindestmaßes an politischer Grundsatzbildung, Verzahnung und Vernetzung als Voraussetzung für eine gedeihliche »organische Solidarität« (Émile Durkheim) all jener, die sich nicht in allem ähnlich sein mögen, aber aufeinander angewiesen sind. Spätestens der Fall Ziegler mahnt zur Umkehr und zur Geschlossenheit.
Gegen den Vernichtungswillen, der allen patriotischen Akteuren gleichermaßen entgegenschlägt, hilft ausschließlich eine professionalisierte »Arbeitsweise, die auch Angriffen von Gegnern trotzt und sich nicht auseinanderdividieren läßt« (Ines Schwerdtner).
Diese Quintessenz gilt es, in der gesamten alternativen Szenerie zu verbreiten: Andreas Ziegler soll seine Gesundheit nicht umsonst riskiert und drangegeben haben.