Kritik der Woche (38): Selbstbehauptung

von Felix Dirsch - Der Politikwissenschaftler Heinz Theisen hat bereits eine Reihe wichtiger Abhandlungen zum Weltgeschehen vorgelegt.

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Dar­un­ter befin­det sich eine Stu­die über den »Wes­ten und die neue Welt­ord­nung«. Sein neu­es Buch, Selbst­be­haup­tung, darf als Zuspit­zung der Fra­ge­stel­lung gel­ten. Thei­sen, der bis zu sei­ner Pen­sio­nie­rung an der Katho­li­schen Hoch­schu­le Nord­rhein-West­fa­len lehr­te, wagt dar­in eine umfas­sen­de Deu­tung der glo­ba­len Gegen­warts­si­tua­ti­on. Die Ana­ly­sen gehen weit über die im Titel ange­deu­te­te The­ma­tik hinaus.

Zen­tra­ler Auf­hän­ger der Über­le­gun­gen ­Thei­sens ist das viel­fäl­ti­ge Phä­no­men der Gren­zen. Die prak­tisch unli­mi­tier­te Finan­zie­rungs­or­gie der Euro­päi­schen Zen­tral­bank, die einen nicht unwe­sent­li­chen Anteil an augen­blick­li­chen infla­tio­nä­ren Ten­den­zen im Euro­raum besitzt, zählt eben­so zu den Betrach­tungs­ob­jek­ten des Autors wie die Unfä­hig­keit vie­ler euro­pä­isch-west­li­cher Län­der, die eige­nen Gren­zen vor ille­ga­ler Migra­ti­on hin­rei­chend zu schützen.

Para­do­xer­wei­se kor­re­spon­diert damit das Ziel glo­ba­lis­tisch agie­ren­der Spit­zen­po­li­ti­ker in den USA wie Eu­ropa, in hyper­mo­ra­lis­ti­scher Poin­tie­rung die gan­ze Welt mit den angeb­li­chen Wohl­ta­ten eige­ner Wer­te zu über­schüt­ten. Nicht erst das Desas­ter in Afgha­ni­stan 2021 för­der­te offen zuta­ge, daß beson­ders die USA an einer Über­deh­nung lei­den. Zu Hau­se drin­gend benö­tig­te Gel­der wur­den in weit ent­fern­ten Regio­nen in den Sand gesetzt. Dazu kom­men vie­le Opfer unter den eige­nen Soldaten.

Pri­mä­res Ziel war ein Nati­on-buil­ding, vor allem im Nahen Osten, des­sen Umset­zung von vorn­her­ein illu­so­risch war. Es fehlt in die­sen Gegen­den, in denen zum Teil noch tra­di­tio­nel­le Stam­mes­struk­tu­ren vor­herr­schen, der kul­tu­rel­le Unter­bau für das Gelin­gen eines sol­chen monu­men­ta­len Unterfangens.

Der uni­ver­sa­lis­ti­sche Huma­ni­ta­ris­mus und sei­ne Illu­sio­nen sind um so gefähr­li­cher, als in vie­len Regio­nen der Erde (Ruß­land, Chi­na, isla­mi­sche Welt) durch­aus Kräf­te domi­nie­ren, die bereit sind, west­li­che Macht­struk­tu­ren zu desta­bi­li­sie­ren, etwa mit Hil­fe der Migrationswaffe.

Mit die­sen im Wes­ten ver­brei­te­ten Ten­den­zen der Selbst­über­schät­zung geht der nahe­lie­gen­de The­ra­pie­vor­schlag des Autors ein­her: Selbst­be­haup­tung und Selbst­be­gren­zung sind wich­ti­ge Anti­do­ta zu den Irr­we­gen der letz­ten Jahr­zehn­te. Ent­spre­chen­de Wei­chen­stel­lun­gen wie die Prio­ri­tät der eige­nen Nati­on (»Ame­ri­ca first«) sind schon seit eini­ger Zeit Gegen­stand inten­si­ve­rer Debat­ten, wer­den aber vor allem wegen des Wider­stands des polit­me­dia­len Estab­lish­ments nicht kon­se­quent und dau­er­haft umgesetzt.

Der im Wes­ten öfters prak­ti­zier­ten Auf­ga­be des Eige­nen wird eine »Ach­se der Selbst­be­haup­tung« gegen­über­ge­stellt, die die basa­len Errun­gen­schaf­ten unse­rer Zivi­li­sa­ti­on (Rechts­staat, Sozi­al­staat, öko­lo­gi­sche Grund­la­gen und so fort) nicht nur defi­niert, son­dern auch verteidigt.

Von die­sem nüch­tern-rea­lis­ti­schen Stand­punkt aus­ge­hend, erör­tert Thei­sen vie­le Gegen­warts­er­schei­nun­gen: den selbst­auf­lö­sen­den Trend der west­li­chen Kul­tur; par­ti­el­le anti­glo­ba­lis­ti­sche Gegen­re­ak­tio­nen wie den Pro­tek­tio­nis­mus; die Aus­wir­kun­gen der Kli­ma­po­li­tik; die Neu­aus­rich­tung der Euro­päi­schen Uni­on, die der Autor nach dem Vor­bild der Schweiz gestal­ten will; das janus­köp­fi­ge Gesicht Chi­nas. Vie­le wei­te­re Schwie­rig­kei­ten kom­men zur Sprache.

Thei­sen prä­sen­tiert dis­ku­ta­ble Vor­schlä­ge zur Lösung etli­cher der ange­spro­che­nen Pro­ble­me. Dazu zählt der Hin­weis auf eine ver­stärk­te regio­na­le Gestal­tung des Glo­ba­li­sie­rungs­pro­zes­ses, aber auch auf eine Renais­sance der Bür­ger­lich­keit. Sol­che Ten­den­zen wur­den in letz­ter Zeit oft benannt, schwie­ri­ger dage­gen ist eine adäqua­te Umset­zung. Dar­über hin­aus stellt der Autor die Rele­vanz des (frei­lich immer stär­ker schwä­cheln­den) insti­tu­tio­na­li­sier­ten christ­li­chen Glau­bens heraus.

Her­vor­zu­he­ben sind die deut­li­chen Wor­te zur augen­blick­li­chen Lage oft­mals ver­wirrt anmu­ten­der deut­scher All­tags­de­bat­ten. Außer­dem ver­die­nen sei­ne (wie immer) dif­fe­ren­zier­ten Aus­füh­run­gen zum Ukrai­ne­krieg Lob. Thei­sen hat also eine Abhand­lung vor­ge­legt, die zeigt, wie sehr ein kla­rer und gut begrün­de­ter Stand­punkt hel­fen kann, die viel­schich­ti­ge Welt bes­ser zu ver­ste­hen. Die Lek­tü­re berei­chert ungemein.

– – –

Selbst­be­haup­tung. War­um Euro­pa und der Wes­ten sich begren­zen müs­sen, Rein­bek: Lau Ver­lag 2022. 389 S., 24 € – hier bestel­len.

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Kommentare (98)

Freichrist343

18. Oktober 2022 16:41

Der Sieg Melonis in Italien löst eine konservative Kettenreaktion aus.

Im nächsten Jahr sind die wichtigen Wahlen in Bayern und Hessen. Dabei werden die CDU und die AfD zulegen, so dass eine Bundestagsneuwahl wahrscheinlich ist.

Wir brauchen eine öko-konservative Politik gemäß Herbert Gruhl und eine Erneuerung des Christentums gemäß C. G. Jung.

Niekisch

18. Oktober 2022 18:06

"eine Renaissance der Bürgerlichkeit."

Ersticken wir nicht schon in einer komatösen Bürgerlichkeit?

Laurenz

18. Oktober 2022 19:37

@FD

Herr Theisen scheint die SiN zu lesen. So, wie Sie die Inhalte Seines neuesten Werkes beschreiben, ist das im Prinzip der heißdebattierte Faden, an dem die SiN sich seit Jahren entlang hangelt, mit all den Konflikten & Konfrontationen, die Sie in Ihrem Artikel nur andeuten. Eine Europäische Föderation nach dem vor-bonapartistischen Model der Schweiz, ist hier vielleicht nicht Konsens, aber sicher doch schon seit langem breit vertreten.

Darüber hinaus stellt der Autor die Relevanz des (freilich immer stärker schwächelnden) institutionalisierten christlichen Glaubens heraus.

Der Zug ist einfach abgefahren. Natürlich werden Kirchen noch geduldet, weil 48% der vor allem älteren Wähler immer noch Mitglieder sind. Aber die jährlichen Austritte & Skandale sind tödlich. Desweiteren haben die Kirchen längst die eigene politische Werte-Basis aufgegeben, weil die Abhängigkeit in der Finanzierung sie zur Anpassung an den politischen Zeitgeist erpreßt. Seit Adolf Hitler sind die Kirchen gekauft. Längst wurden Ersatz-Religionen, wie Gender, Klima oder Equality geschaffen, die allesamt nach demselben totalitären Prinzip, wie etablierte Religionen funktionieren. Es existiert keine Möglichkeit die sterbenden Alt-Religionen zu retten. Vielmehr müßte man etwas Neues erschaffen, über was man Deutungshoheit gewinnt.

RMH

18. Oktober 2022 19:46

"Ersticken wir nicht schon in einer komatösen Bürgerlichkeit?"

@Niekisch,

bitte Untertänigkeit nicht mit Bürgerlichkeit verwechseln.

 

Laurenz

18. Oktober 2022 19:50

@Niekisch

Ersticken wir nicht schon in einer komatösen Bürgerlichkeit?

Werter Niekisch, Sie müssen da schon genauer werden. Ich unterstelle, daß das, was Sie meinen, eine rein materielle Bürgerlichkeit feststellt. Herr Theisen meint aber Bürgerlichkeit eben als Renaissance einer Werte-Bürgerlichkeit des II. Reichs oder BRD 60er Jahre. Und wenn wir die materielle Bürgerlichkeit betrachten, die Sie meinen, so ist diese augenscheinlich nur noch sehr kurzlebig, im Westen vielleicht noch 30 Jahre, wenn die Substanz aus dem Erbe verbraucht sein wird. Diejenigen Bürgerlichen, die ihre Bürgerlichkeit noch privat erwirtschaften (werden immer weniger), sind genau, wie die staatlich finanzierte Kaste an Apparatschiks von den anderen abhängig, die immer ärmer werden. Da die Halbwertszeit der Politik immer kürzer wird, können wir zB davon ausgehen, daß ein Beamtentum oder ein Öffentlicher Dienst in 10 Jahren in der jetzigen Form nicht mehr zu halten sein wird. Das wird alles privatisiert werden & deren Ansprüche an den Staat werden über eine Währungsreform gelöscht werden. Hatten wir schon mal.

Gracchus

18. Oktober 2022 22:19

Ich bin enttäuscht. Ich hatte erwartet: EK bespricht Kim de l'Horizon.

Zur Buchbesprechung:

Klingt der Besprechung nach wie ein Meinungsbuch. Dafür sind 400 S. (zu?) viel. Klingt nach konservativ im Sinne von Achse und Tichys. 

Was ist Bürgerlichkeit? Der eine denkt spiess-, der andere bildungsbürgerlich oder an Hegels bürgerliche Gesellschaft oder an gutbürgerliche Küche. An: Citoyen oder Bourgois? Man müsste Bürgerlichkeit also definieren. 

Freichrist343: Wieso denn "gemäß C. G. Jung"?

Volksdeutscher

19. Oktober 2022 10:06

@Laurenz - "Längst wurden Ersatz-Religionen, wie Gender, Klima oder Equality geschaffen, die allesamt nach demselben totalitären Prinzip, wie etablierte Religionen funktionieren."

Sie scheinen wieder abgehoben zu sein.... Warum bringen Sie ständig Kirchenpolitik mit christlicher Lehre durcheinander? Zeigen Sie uns bitte eine Stelle in der Lehre Christi, die von Totalitarismus zeugt. Die katholische Kirche (wie auch die protestantische) hat das Paktum mit dem Nationalsozialismus überlebt und es hat ihr nichts geschadet. In Ostblockstaaten paktierten beide Kirchen mit den kommunistischen Machthabern, was man ihnen aus irgendeinem mir nicht bekannten Grunde nicht nachträgt. Ich halte das in beiden Fällen für falsch. Wer steht aber hinter dieser Doppelmoral der unterschiedlichen Beurteilung und Bewertung? Sogenannte "Ersatzreligionen" sind überdies keine echten Religionen, sondern lediglich Ideologien, die im religiösen Gestus vorgetragen werden, sie können die echten Religionen nicht ersetzen. Und ich kann mich auch nicht daran erinnern, wann die Meinung von Atheisten in Religionsfragen jemals relevant war.

Blue Angel

19. Oktober 2022 10:10

Gracchus, falls Sie Interesse an der Definition von Bürgerlichkeit eines Ex-Linken haben: Für mich als ehemaligen Möchte-gern-68er war es bis vor einigen Jahren der Inbegriff von Bigotterie, begrenztem Horizont, reaktionärem, bzw. gar keinem eigenen Denken, selbstgewählter Beschränkung auf Interesse am eigenem materiellem Wohlergehen und dem der direkten Nachkommen, Spießigkeit par excellence...

Jetzt steht Bürgerlichkeit sowohl für Eigenverantwortung als auch Verantwortungübernahme für die erweiterte Lebenskreis-Gemeinschaft (bis hin zum derzeit nicht existierenden Staat), (notfalls auch wehrhafte) Solidarität damit, Kontinuität in der Kette der Vorfahren und Nachkommen, Schutz des Eigenen in jeder Hinsicht u. v. m. 

Nicht mehr Bourgeois sondern Citoyen sozusagen. Plus Stolz auf die eigene Familiengeschichte. 

 

Laurenz

19. Oktober 2022 13:03

@Gracchus

EK hatte sich wohl entschieden, ein anderes Buch zu rezensieren, Tödliche Torheit von Kleine-Hartlage über die Ukraine-Krise. https://www.youtube.com/watch?v=2goN0fCY6aY

Aber vielleicht kommt ja nochwas.....

dojon86

19. Oktober 2022 13:50

@Laurenz 18.10.2022 19:50 Ich weiß, wenn es um christliche Religion, vor allem um die katholische Kirche geht, werden sie emotional. Was sie dabei übersehen, ist dass sie sich diesbezüglich in einer unheiligen Partnerschaft mit den MSM Medien befinden, die seit Jahrzehnten ähnliches verbreiten  Ich sehe das anders. Hierzu nur eine Beobachtung, meine Partnerin unterrichtete fast 20 Jahre in einer schlechteren Gegend. Obwohl selbst feministisch orientiert, machte sie die Beobachtung, dass mit wenigen Ausnahmen nur religiöse Familien imstande waren, sich gegen die Medienmanipulation zu behaupten und intakte Familienstrukturen zu bewahren. Und zwar egal, ob es sich um Adventisten, Zeugen Jehovas, Moslems, Freikirchen etc. handelte. Dazu passt übrigens was ich neulich las, die einzige autochthone Bevölkerungsgruppe, die noch nennenswert Kinder bekommt, ist im deutschen Raum der katholische ländliche Kleinadel. Ich persönlich habe an sich ja für den Adel nicht viel übrig, er hat die Einigung Deutschlands jahrhundertelang verhindert. Sie haben natürlich recht, die katholische Kirche ist am sterben, die Lutheraner liegen bereits im Koma. Aber worauf wollen sie Neues begründen ? Auf die unterschwellig rassistische Bürgerlichkeit des 2. Reiches. Dazu ist Deutschland bereits viel zu heterogen. Auf ein ungenießbares Gemisch von Aufklärung, Gender und Klimahysterie ? Oder wollen wir das Grundgesetz in den Rang einer Religion heben. Na vielleicht kommt ja mal wer wie Mohammed, der mit seinem Charisma die Stämme der arabischen Halbinsel einte ? (Hoffentlich nicht)

Laurenz

19. Oktober 2022 14:50

@Volksdeutscher @L. (2)

Sogenannte "Ersatzreligionen" sind überdies keine echten Religionen, sondern lediglich Ideologien, die im religiösen Gestus vorgetragen werden, sie können die echten Religionen nicht ersetzen.

Das kann man nicht debattieren. Für mich als Nicht-Abrahamiten unterscheiden sich alle diese neuen Religionen in keiner Weise von den alten. Es macht nur für die jeweiligen Gläubigen einen Unterschied. Sie haben das entscheidende, gemeinsame Merkmal aller dieser Religionen selbst benannt, einerseits die Exklusivität, der Besitz der einzig gültigen Wahrheit & die linke Ausgrenzung Andersdenkender, die Sie hiermit postulierten:

& ich kann mich auch nicht daran erinnern, wann die Meinung von Atheisten in Religionsfragen jemals relevant war.

1. Bin ich kein Atheist. 2. Meine Familie bestand nicht aus luschigen Christen, wie hier auf der SiN. Die Katholiken hatten Hornhaut an den Knien, die Protestanten konnten stundenlang still stehen, prädestinierte Wachsoldaten & die 7-Tage-Adventisten arbeiteten tatsächlich nicht am Samstag, dafür am Sonntag.

Also, habe ich mich mit dem Glauben meiner Familie ausgiebig beschäftigt. Man sollte wissen, woher man kommt.

dojon86

19. Oktober 2022 15:09

@Volksdeutscher 10:06 So ganz stimmt das mit dem Pakt der Kirchen mit den Nationalsozialisten und den Kommunisten nicht. Allgemein bekannt ist, das die Nazis bei den letzte wirklich freien Wahlen 1933 in Deutschland die wenigsten Stimmen in traditionell katholischen Gebieten erhielten. Auch die führende Rolle der polnischen Kirche beim Widerstand gegen die kommunistische Herrschaft dürfte bekannt sein. Auch in der DDR stellte 1989 die evangelische Kirche die zumindest räumliche Infrastruktur den Dissidenten zur Verfügung. Ich würde die Haltung der Kirchen in beiden Fällen eher als (sehr) vorsichtige Opposition umschreiben. Und die vielgehaßte Kirchensteuer war in meinem Land (die bumdesrepublikanischen Verhältnisse kenne ich zu wenig) eher eine Waffe der Nazis gegen die Kirche. Zuvor wurde die kirchliche Infrastruktur nämlich aus den Mitteln des Religionsfonds bezahlt, der ursprünglich durch den Verkauf konfiszierter Kirchengüter unter Josef den Zweiten entstand. Das dieser Religionsfond natürlich 1938 de facto längst nicht mehr exitierte und die Infrastruktur direkt vom Staat bezahlt wurde, ist natürlich klar. Jeder hier weiß, wie der Staat mit ihm anvertrautem Vermögen umgeht,

Allnichts

19. Oktober 2022 15:15

Laurenz:

Das Buch habe ich nicht gelesen, aber Ellen Kositzas Besprechung respektive die - legitime - Werbung für ein Buch aus dem eigenen Verlag macht eines der Probleme der neurechten, rechten Darstellung des Ukraine-Krieges bzw. des gesamten Konfliktes deutlich, nämlich die weitgehende Einseitigkeit.

In dem gesamten Video fällt nicht ein einziges negatives Wort über Russland. Es geht nur um die westlichen Eliten, die deutschen vor allem, und deren Propaganda und Fehler, während russische Propaganda und Fehler vollkommen unter den Tisch fallen. Zur "Hitler-Hysterie" des Westens: Hat Russland seinen Einmarsch nicht u.a. auch mit dem Ziel der Entnazifizierung der Ukraine begründet?

Wohwollend könnte das als einseitige Gegendarstellung zur oft einseitigen Darstellung der Systemmedien akzeptiert werden, allerdings befürchte ich, die Wahrnehmung an sich ist derart einseitig.

Maiordomus

19. Oktober 2022 16:39

Laurenz/Volksdeutscher. Das Kirchensteuersystem, gegen das Freikirchen, aber auch gläubige Katholiken, letztere zwar noch nicht lange, immer wieder angegangen sind, ist Erbe des Feudalismus. Aalso keine Folge von 1933, wo es Goebbels u. Co.klar war, dass der Kirchenkampf auf die Zeit nach dem "Endsieg" zu verschieben war.Es bleibt aber dabei, dass die sich Volkskirche nennende Systemkirche auf Selbsterhaltung aus war, und dass diese mit dem Gemeindeleben zur Zeit Christi und der Apostel mit Ausnahme der Herrenmahltradition kaum mehr was gemein hatte .Vgl. noch Carsten Thiede, Jesus, der Glaube, die Fakten (2002), eine transparente Einführungen ins historische frühe Christentum einschliesslich der notwendigen Kenntnisse des Judentums und der Verhältnisse vor Ort im 1. u. 2. Jahrhundert. Die Systemkirche ist, wie es sich gezeigt hat, so wenig reformierbar wie der realexistierende Sozialismus; im Gegenteil, auf diesem System begründete sich eine Parasitenklasse, die mit der Freiheit des Christenmenschen kaum etwas gemein hatte, wobei Luther mit seinen polit. Bündnissen, ohne die er zwar das Schicksal von Hus erlitten hätte, die Kirche vom Regen in die Traufe geführt hat. Die weltanschauliche Substanz des Christentums, z.B. die christliche Mystik, auch spirituelle Errungenschaften wie die Lehre v. der Person, deren Kern die Teilhabe an der Dreifaltigkeit ist, bleiben potentiell Elemente der Weltanschauung freiheitsfähiger Menschen. Hier lohnt sich ein Weiterdenken z.B. im Sinne von Kierkegaard.  

Imagine

19. Oktober 2022 17:42

1/2

„Blue Angel  19. Oktober 2022 10:10
„…Definition von Bürgerlichkeit eines Ex-Linken … Für mich als ehemaligen Möchte-gern-68er war es bis vor einigen Jahren der Inbegriff von Bigotterie, begrenztem Horizont, reaktionärem, bzw. gar keinem eigenen Denken, selbstgewählter Beschränkung auf Interesse am eigenem materiellem Wohlergehen und dem der direkten Nachkommen, Spießigkeit par excellence...“

Sie verwechseln – wie viele der damaligen 68er Linken – „Bürgertum“ mit Kleinbürgerexistenz.

Der echte freie Bürger verfügt über gesellschaftliche Autonomie und Macht durch sein Vermögen und seine gesellschaftliche Stellung, d.h. durch Führungs- und Leitungsfunktionen. Ein Lohnabhängiger – sei es als Arbeiter, subalterner Funktionsinhaber oder fremdbestimmter Manager - gehört nicht zum „Bürgertum“.

„Jetzt steht Bürgerlichkeit sowohl für Eigenverantwortung als auch Verantwortungsübernahme für die erweiterte Lebenskreis-Gemeinschaft (bis hin zum derzeit nicht existierenden Staat), (notfalls auch wehrhafte) Solidarität damit, Kontinuität in der Kette der Vorfahren und Nachkommen, Schutz des Eigenen in jeder Hinsicht u. v. m.
Nicht mehr Bourgeois sondern Citoyen sozusagen.“

Nein, derartige Bürgerlichkeit existiert nur in der Phantasie und Ideologie. Real herrscht eine plutokratische Oligarchie und die hat kein Gemeinwohlinteresse.

Imagine

19. Oktober 2022 17:43

2/2

Zum echten Citoyen gehört die reale Macht, im Gemeinwohlinteresse das politische Geschehen beeinflussen zu können.

Deutschland war nie eine „bürgerliche Gesellschaft“.

Das Gerede von der angeblichen „bürgerlichen Herrschaft“ bei vielen der 68er-Linken war aus wissenschaftlicher Sicht Nonsens. Die Blütezeit der bürgerlichen Hochkultur liegt lange zurück und diese Kultur ist untergegangen und herrschend wurde die „Kultur des Kapitalismus“.

Es lohnt sich, das Phänomen der Entbürgerlichung in den kapitalistischen Gesellschaften zu verstehen.

Der freie und mündige Bürger war ein Erziehungsideal des späten 18. und frühen 19-Jahrhunderts. Diese Erziehung war in Deutschland nie Realität, vor über 50 Jahren hat man sich auch vom Ideal getrennt.

Niekisch

19. Oktober 2022 17:45

"Werter Niekisch, Sie müssen da schon genauer werden. Ich unterstelle, daß das, was Sie meinen, eine rein materielle Bürgerlichkeit feststellt." 

@ Laurenz 18.10. 19:50: Werter Laurenz, der Rezensent schreibt: "erörtert Theisen viele Gegenwartserscheinungen....Theisen präsentiert diskutable Vorschläge zur Lösung etlicher der angesprochenen Probleme."

Wieso sollte ich mich da auf eine rein materielle Bürgerlichkeit beschränkt haben? Ich meine schon den Büger in all seinen Facetten. Ist er nicht weit überwiegend saturiert, ängstlich, feige, desinformiert, kulturprimitiv, Geschichtslügen nachplappernd, Ahnenvergessen , doppelmoralisierend in jeder Hinsicht? 

Auf ihn kann niemand mehr bauen, es sei denn ein Lieferant oder Kreditgeber.

"@Niekisch,

bitte Untertänigkeit nicht mit Bürgerlichkeit verwechseln."

@ RMH 18.10. 19:46: Gibt es noch den tapferen, freien Mann wie 1848 auf den Dresdner Barrikaden, in deren Nähe sich zumindest noch Richard Wagner aufhielt?

 

Laurenz

19. Oktober 2022 18:12

@Allnichts @L.

Habe das nur gepostet, weil ich mir alle Buchbesprechungen EKs anschaue, also einen Überblick genieße. Diese Buchbesprechungen sind auch oder gerade für Nicht-Literatur-Kenner bereichernd. Das Buch Klein-Hartlages bildet ja auch eine Ausnahme. Die wenigsten von EK vorgestellten Bücher sind rein politische Bücher, wie dieses. Ihre Kritik trifft nicht wirklich, da die Rezension an sich sehr neutral gehalten ist. Und was Sie hierbei vergessen, ist der oppositionelle Aspekt. Wir werden Tag für Tag mit russophober & ukrainophiler Propaganda berieselt. Insofern muß geistige Opposition auch oppositionell berichten. Das andere kennen wir bereits zur Genüge. Ich lese meist 2 us amerikanische Blogs, die im Prinzip genauso argumentieren, wie die Opposition hierzulande. In den USA ist aber der Spielraum von Meinungsfreiheit immer noch größer als hier, auch wenn es dort günstig ist, genauer zu arbeiten als Bannon.

RMH

19. Oktober 2022 18:18

@Allnichts,

so ist das eben hier. An allem ist der böse Angelsachse schuld und Mütterchen Russland kann ja nicht anders als es macht. Mal im Archiv der Sezession blättern zeigt, dass man früher in jeder Hinsicht gedanklich etwas flexibler und vom Autorenspektrum breiter aufgestellt war. Aber im Krieg mag keiner mehr Schmetterling auf der Blumenwiese sein, der von Blüte zu Blüte fliegt, da darf man dann nur noch auf der richtigen Seite der Wiese seinen Nektar sammeln - falls es noch welchen gibt. Sparsamkeit ist eine deutsche Tugend und Naschen ist verboten.

@Gracchus, 

der mit der Besprechung von Kim de l'Horizon war gut :) - kann jemand hier wenigsten mal den richtigen Namen der nonbinären Person petzen?

Gracchus

19. Oktober 2022 18:45

@Blue Angel: Da treffen wir uns. Früher dachte ich auch wie Sie, jetzt würde ich mir mehr Bürgerlichkeit wünschen, eine, die sich gegen staatliche Übergriffigkeit wehrt. Statt Bürgerlichkeit haben wir eine vom Staat installierte "Zivilgesellschaft". 

@Laurenz I: Wahrscheinlich wird Kim de l'Horizon heute schon oder morgen vergessen sein.

@Laurenz II: Die (großen) Kirchen machen ja nicht allein die Christenheit aus. 

@Allnichts: EK sagt doch, das Buch sei keine Putin-Apologie. 

dojon86

19. Oktober 2022 19:49

@Imagine 17:43 Wo war denn der freie und mündige Bürger Realität ? 

dojon86

19. Oktober 2022 20:07

@RMH 18:18. Es geht doch nicht um Russland. Es geht darum, dass die Kolonie Deutschland eine multipolare Ordnung braucht um zumindest wieder Teilsouveränität zu erlangen. Wäre Russland nicht im aktuellen Krieg zumindest derzeit der Schwächere, würde ich es mit den VS halten. Diskussionen auf SIN neigen dazu, immer im Grundsätzlichen stecken zu bleiben. Ich halte es auf Grund dieser Erfahrung für keinen Zufall, das Deutschland nie einen praktischen politischen Denker wie Machiavelli hervorgebracht hat.

RMH

19. Oktober 2022 21:03

"Wir werden Tag für Tag mit russophober & ukrainophiler Propaganda berieselt. Insofern muß geistige Opposition auch oppositionell berichten."

@Laurenz,

Ihnen scheint es also in erster Linie um das Dagegensein zu gehen (Opposition) und nicht um solch schnöde alte deutschen Tugenden wie Mut zur Wahrheit (wer hat nochmal gleich diesen Slogan verwendet?), Ehrlichkeit und zumindest das Bemühen oder Streben nach Tatsachen. Ich denke, von den hier Lesenden und Hörenden kann jeder Realitäten vertragen und braucht keine "Oppositionsberieselung". Apropos "Russophobie" - ich vermute, die meisten von uns wissen recht wenig über Russland und seine geistigen Bewegungen. Nachdem der recht postmoderne Herr Dugin sowie eine in eine Rede gepackte Zusammenwürfelung von antiglobalistischen Versatzstücken seitens Putins jeweils eine ganze Artikelserie bekommen haben, würde ich mir wünschen, wenn man wieder Grundlegenderes angeht und bzgl. Russland bspw. einmal russische soziale Bewegungen des 19 Jhdts., wie die Narodniki, oder Autorenportraits über Kropotkin, Bakunin etc. bringen würde.

anatol broder

19. Oktober 2022 21:37

theisen hat sein buch auch schon selbst vorgestellt. in dem vortrag erklärte er, wer für ihn bürger ist.

Volksdeutscher

19. Oktober 2022 21:52

@Maiordomus - "Die weltanschauliche Substanz des Christentums, z.B. die christliche Mystik, auch spirituelle Errungenschaften wie die Lehre v. der Person, deren Kern die Teilhabe an der Dreifaltigkeit ist, bleiben potentiell Elemente der Weltanschauung freiheitsfähiger Menschen."

Ich möchte mich als formal katholisch, aber als keinen starken Kirchengänger bezeichnen. Ich werde jedoch unabhängig davon immer, wo ich nur kann, die katholische Kirche, die gepredigte Lebensweise, die Soziallehre und sogar die Dogmen verteidigen, selbst wenn ich (in der  Regel) nicht danach lebe und so Manches nicht nachvollziehe, weil widersprüchlich finde. Das sind unter anderen jene lebenswerte Inhalte, Gedanken und Gedankentraditionen, die Sie, zwar nicht vollumfänglich, aber beispielhaft zusammengefaßt haben.

Volksdeutscher

19. Oktober 2022 22:08

@Laurenz

Ich grenze keinen Atheisten aus, die Kirche steht ja außerdem auch Atheisten offen. Mein Hinweis hat dem Umstand gegolten, daß der nichtgläubige Atheist sich selbst ausgrenzt, sich selbst von Gott und Glauben absondert (nicht die Gläubigen, nicht die Kirche, nicht Gott), während er gleichzeitig eine negative Theologie erschafft. Wie die von ihm kritisierten Gottesgläubigen versucht er in seinem missionarischen Eifer zu beweisen, daß es keinen Gott gäbe. Sie werden wissen: Ohne Gott gibt es keinen Atheisten.

Gracchus

20. Oktober 2022 00:25

@Maiordomus: Hoffe, Sie haben sich gut erholt.

Was Sie über Systemkirche und Christentum sagen, ist sehr gut auf den Punkt gebracht. In dem Zusammenhang empfehle ich - da gerade wiedergelesen - die Schrift von Walter Nigg über Rembrandt. Nigg stellt darin Rembrandt - sehr anschaulich und plausibel - als mystischen Christen vor und dar. 

Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich die europäische oder deutsche Christenheit langfristig gesehen in eine solche mystisch-freiheitliche, aber keineswegs traditionslose Richtung entwickelt. Hierzu schreibt auch Barkhoff Erhellendes im Briefwechsel mit CS. 

Das Versagen der Kirche war auch im Corona-Chose zu sehen. Ebenso wie die - worauf @Imagine anspielt - die Aufgabe des Ideals des mündigen Bürgers. 

 

Gracchus

20. Oktober 2022 00:33

@imagine: Blue Angel habe ich so verstanden, jedenfalls ich meinte den Citoyen bzw. mündigen Bürger als Ideal, nicht als Realität. Während meiner Schulzeit  wurde dies noch als Ideal im Mund geführt.

Dass Bürgerlichkeit Autonomie kraft (materiellem?) Vermögen voraussetze - zu viel Kant? gelesen - würde ich bestreiten. Dann wären Bürger immer nur Minderheit, und Sie wären ja bei Ihrer Oligarchie. Die Autonomie ist ohnehin illusorisch, zum Beispiel im Falle eines Krieges oder Inflation. 

 

Laurenz

20. Oktober 2022 00:59

@Gracchus & Maiordomus

Wie Sie an meiner Nummerierung sehen konnten, hatte ich dem Teilnehmer @Volksdeutscher auch mit der Schrift geantwortet. Daß, was Sie, Maiordomus an Inhalt benannt haben, ist mir bekannt, ohne mich jetzt Kirchenhistoriker zu nennen. Ich habe quasi direkt Apostel oder den Herrn der Christen zitiert. Die Redaktion wollte aber wohl keine Schrift-Debatte aufkommen lassen, Ihr gutes Recht.

Aber was ich mich frage, ist, warum lesen Sie Beide, wie auch Volksdeutscher den Artikel so ungenau?

Zitat:

Darüber hinaus stellt der Autor die Relevanz des (freilich immer stärker schwächelnden) institutionalisierten christlichen Glaubens heraus.

-Zitatende

Welche Institutionen sind denn hier gemeint, wenn nicht die Kirchen? Erleuchten Sie mich bitte.

Imagine

20. Oktober 2022 09:04

1/2
90+ % der Menschen in unserer Gesellschaft wachsen im Rahmen einer proletarisch-kleinbürgerlichen Mischkultur auf und haben mit dem, was traditionell als Bürgertum und als bürgerliche Kultur bezeichnet wird, keine Erfahrungen und nichts gemein. Dieses Bürgertum ist weitgehend untergangen oder marginalisiert. Man weiß nicht (mehr), welch gutes Leben im Bürgertum möglich war und bei einer Minderheit von geschätzt ca. 1 % noch möglich ist.

Es gab in den ersten zwei Nachkriegsjahrzehnten in West-Deutschland so etwas eine (bildungs)bürgerliche Renaissance, das Wort von Intellektuellen hatte noch Gewicht. Deutschland – auch Ostdeutschland – hatte noch einige Intellektuelle und Wissenschaftler, die Weltniveau aufwiesen und in der Welt akzeptiert waren.

Seit den 70-er Jahren ist Deutschland eine Loser-Nation, die keine großen Intellektuellen, Wissenschaftler, Erfinder und Ingenieure auf Weltniveau mehr hervorbringt.

Das Ganze ist selbstverschuldet, die Politik hat auf Drängen der Wirtschaft die traditionellen Bildungs- und Universitätsstrukturen zerstört.

Zerstört wurde durch durch Repressionen und die Berufsverbote der Wissenschaftsdiskurs. Früher gab es öffentliche interessante Diskussion zwischen Marktwirtschaftlern und Marxisten, aber danach wurde alle systemkritischen Wissenschaftler unterdrückt und exkludiert.

Freien wissenschaftlichen Diskurs gibt es nicht mehr, nur noch markt- und systemkonforme Einheitswissenschaft.

Imagine

20. Oktober 2022 09:06

2/2

Gegen den Niedergang der Klasse der geistig Arbeitenden richtete sich die Studentenbewegung, was heute weder links noch rechts verstanden wird.

Inzwischen befindet sich Deutschland im Zustand eines intellektuellen Totalschadens.

Einige kleinbürgerliche Akademiker mögen sich trotzdem heute noch in eine Citoyen-Rolle hineinphantasieren.

Aber diese Möchtegern-Intellektuellen und -Citoyens sind lächerliche Gestalten, da sie politisch, ökonomisch und wissenschaftlich impotent sind. Sie können das politische Geschehen nicht beeinflussen und keine wirkliche Gegenmacht bilden.

Ihnen bleibt vor allem nur das virtuelle Second Life im Internet, wo sie geschwätzig ihre Phantasien ausleben können. Hingegen in der realen Welt sind sie ohnmächtige Einzelne, unfähig zur effektiven politischen Gegenorganisation. Daher praktizieren sie Formen des symbolischen Aktionismus, in wirkungslosen Aktionen, Demonstrationen etc.

Imagine

20. Oktober 2022 09:51

@Laurenz  18. Oktober 2022 19:50
„Da die Halbwertszeit der Politik immer kürzer wird, können wir zB davon ausgehen, daß ein Beamtentum oder ein Öffentlicher Dienst in 10 Jahren in der jetzigen Form nicht mehr zu halten sein wird. “

Ein Staat, der nicht zum „Failed State“ werden will, braucht einen funktionierenden Staatsapparat. In Thailand werden die mit den besten Schulabschlüssen für den Staatsdienst rekrutiert.

Die in dieser Hinsicht schizophren Deutschen wollen zwar einerseits einen paternalistischen Staat („Vater Staat“), aber zugleich wollen sie die Staatsausgaben für Infrastruktur und Sozialstaat reduzieren. Genau dies ist der Weg in Richtung zu einem „Failed State“.

Tatsächlich braucht Deutschland für den Öffentlich Dienst erstklassig ausgebildete und engagierte Bewerber, die natürlich auch entsprechend alimentiert werden müssen. Aber das „Geiz-ist-geil“-Deutschland macht das Gegenteil.

Nicht nur Pflegekräfte und Ärzte, auch Polizisten, Richter und andere Berufe sind frustriert und demoralisiert.

Profite und Löhne verhalten sich umgekehrt proportional. Hohe Löhne schmälern die Profite, niedrige erhöhen diese. Deshalb die Bezeichnung als antagonistische Klassengesellschaft. Die gewinnabhängige Klasse will die Löhne drücken, die lohnabhängige Klasse hingegen erhöhen.

Kurativ

20. Oktober 2022 10:13

Vorteil des katholischen Gottglaubens ist es, dass man nicht selber auf die Idee kommt, gottgleich zu sein und entsprechend zu handeln um Grenzen zu überschreiten. Nachteil ist, dass die Spitzen des hierarchisch organisierten römisch-katholischen Glaubens korrumpierbar sind und zum Beispiel in der Ukraine dem US-Imperium gerne geholfen haben. Kulturelle Grenzen können nur übertreten werden, wenn die angegriffenen Einwohner ihrer Kultur/Religion nicht bewusst sind oder sie bereit sind, ihre Kultur/Religion durch iPhones und Schnitzel für 2€ zu ersetzen bereit sind, wenn es denn nötig ist.

Blue Angel

20. Oktober 2022 10:13

I

Gracchus: "...jetzt würde ich mir mehr Bürgerlichkeit wünschen, eine, die sich gegen staatliche Übergriffigkeit wehrt."

Zustimmung und auch zum Citoyen-Ideal.

Imagine: "Gegen den Niedergang der Klasse der geistig Arbeitenden richtete sich die Studentenbewegung, was heute weder links noch rechts verstanden wird."

- Dann bitte ich um nähere Erklärung der Aussage. Zumindest mir als "zu spät Gekommenem" ist diese Zielsetzung bisher nicht bekannt. 

Ansonsten: Von Akademikern hatte ich nichts geschrieben. Meine Vorfahren waren überwiegend Handwerker und Landwirte, für Sie also Kleinbürger und evtl. "Kapitalisten".  

Die mütterliche Familie hat sich durch härteste Arbeit nach ihrer Vertreibung aus Pommern im Rheinland, später in der Eifel, sehr schnell (lange vor dem Lastenausgleich) eine neue, bescheidene Existenz aufgebaut ("Großbürger" gab es in meiner Familie kaum). Ermöglicht haben den Erfolg dieser Kraftanstrengung vor allem die von mir eingangs geschilderten bürgerlichen Denk- und Verhaltensweisen.

Ebenso das gute und weitestgehend "saubere" Durchkommen der Handwerkerfamilie väterlicherseits durch die Nazi- und Nachkriegszeit.

Blue Angel

20. Oktober 2022 10:15

II

Natürlich setzt das bürgerliche Ideal eigenen Besitz voraus, bzw. die Möglichkeit, sich aus eigener Kraft (wieder) welchen zu erarbeiten. Eine Werkstatt und/oder ein Häuschen mit Garten reichen dafür aber aus, es muß kein "Kapital" oder großes Industrie-Unternehmen sein. "Klein"- aber *Bürger*. - Darum arbeiten bestimmte Interessengruppen ja darauf hin, jeden zum abhängigen Systemsklaven zu machen ("You will own nothing.."). 

Gesellschaftliches Gestaltungsvermögen äußert sich täglich millionenfach in lokalen, beruflichen und sozialen Umfeldern. Es nur Menschen mit viel Geld und entsprechenden Netzwerken zuzuschreiben (was diese natürlich gerne so hätten) deutet m. E. auf eine überholte Betrachtungsweise hin. 

Umlautkombinat

20. Oktober 2022 11:05

@Volksdeutscher

"daß der nichtgläubige Atheist sich selbst ausgrenzt, sich selbst von Gott und Glauben absondert [...] während er gleichzeitig eine negative Theologie erschafft. Wie die von ihm kritisierten Gottesgläubigen versucht er in seinem missionarischen Eifer zu beweisen, daß es keinen Gott gäbe. Sie werden wissen: Ohne Gott gibt es keinen Atheisten."

Das ist Unsinn. Ich z.B. bin Agnostiker, aber auch Atheist (das ist einfach eine der beiden wesentlichen Grundhaltungen von Agnostikern). Der Witz ist gerade, dass ich keinen missionarischen Eifer beweise (ich sage ja immer: die wirkliche Beleidigung eines Glaeubigen, denn so ein purer Atheist bestaetigt einem wenigsten die Wichtigkeit der Frage des eigenen Glaubens) und bestimmt keine negative (wenn Sie nicht demagogisch verstanden werden wollen, verwenden Sie besser "gegensaetzliche", sonst ist es eben doch eine Wertung) Theologie erschaffe. Und wenn wir das "A" in beiden Begriffen einmal wegnehmen, haben sich auch Gnostiker und Theisten irgendwann einmal abgegrenzt, das war halt frueher.

 

Niekisch

20. Oktober 2022 12:54

"Diskussionen auf SIN neigen dazu, immer im Grundsätzlichen stecken zu bleiben."

@ dojon86 19.10. 20:07: Dazu müßten sie aber zunächst das Grundsätzliche erreichen, also bis auf den Grund gehen. Angesichts des schnellen Artikelzuflusses ist das doch kaum möglich. Wo die Wurzeln sind, da ist zudem der Boden mit dem Gift des Unsagbaren durchtränkt.

Volksdeutscher

20. Oktober 2022 13:49

@Imagine

Das Phänomen ist nichts Neues. Anfang des 19. Jahrhunderts entstand ein neuer Sozialtypus, der des Dandy, der erfolgreich versuchte, den im Untergang begriffenen Adel durch Nachahmung dessen Manieren, Bildung und Kleidung nachzuahmen. Was Sie da beklagen, haben schon viele vor Ihnen beklagt. Die Bilanz, die Sie erstellen, mag niederschmetternd sein, aber es ist nun mal so, wie es ist. Haben Sie einen Entwurf, in welche Richtung die Entwicklung gehen würde/könnte? Was ließe sich unter den gegebenen Verhältnissen ohne Illusionen daraus machen? Wie könnte man diesen diesen Prozess zum Besseren wenden oder zumindest so kanalisieren, daß das eine erträgliche(re) Gestalt annimmt? Oder meinen Sie, die Entwicklung sei noch lange nicht abgeschlossen, um eine endgültige Prognosen aufzustellen? Denn ich meine: Die Patrizier der Antike gingen unter, doch das Christentum erzeugte von Neuem eine Klasse der Patrizier. Also müßte es, sofern die rationale Schlußfolgerung nicht trügt, erneut möglich sein, daß ein neuer Adel entsteht: nicht ein Adel der Abkunft, sondern einer der Gesinnung wie auch Nietzsche es forderte.

Volksdeutscher

20. Oktober 2022 14:02

@Niekisch - "Wo die Wurzeln sind, da ist zudem der Boden mit dem Gift des Unsagbaren durchtränkt."

Womöglich wies ich auf dasselbe Phänomen hin, als ich unlängst schrieb, daß man keinen Krieg führen könne, solange man den Gegner nicht benenne, weil man ihn nicht bennen dürfe. Holt man ihn nicht aus seiner Deckung der Unsagbarkeit heraus, hat man gegen ihn keine Chance. Jean-Marie Le Pen wagte noch, was seine Tochter sich schamhaft verkniff.

Imagine

20. Oktober 2022 14:13

1/2

dojon86   19. Oktober 2022 19:49
„Wo war denn der freie und mündige Bürger Realität ?“

Um freier Bürger zu sein, muss ein Mensch sich zunächst von Sklaverei und Leibeigenschaft befreien und Eigentum am eigenen Körper besitzen.

Zweitens braucht er Eigentum an Produktionsmitteln, also ein eigenes Land, eine eigene Produktionsstätte (als Schneider, Schmied, Handwerker usw.) und/oder ein eigenes Geschäft (Kaufladen, Wirtschaft etc.).

Das alles traf und trifft für den Lohnarbeiter nicht zu, der sich als Ware (Arbeitskraft) für fremdbestimmte Arbeit anbieten und verkaufen muss. Die Lohnarbeiter waren die neue Arbeitssklavenklasse. Lohnarbeiter sind keine freien Bürger, zudem werden sie gezielt unmündig gehalten, damit verhindert wird, dass sie revoltieren.

Zum freien Bürger gehört auch die Möglichkeit zur direkten Einflussnahme auf die Gestaltung des Gemeinwesens in Form von direkter Demokratie.

Damit ist klar, was die Voraussetzung sind, ein freier und mündiger Bürger zu sein. Man muss sich vom Zwang zur fremdbestimmten Lohnarbeit befreien, über eigene Produktionsmittel verfügen und die Möglichkeit zur direkten Demokratie besitzen.

Demokratie als politische Form der Freiheit der Mitbestimmung über das Gemeinwesen.

 

Imagine

20. Oktober 2022 14:23

2/2

Frei zu werden war der „American Dream“ – vom Tellerwäscher zum eigenen Unternehmer und Millionär zu werden.

Am ehesten gab es in den USA den freien und mündigen Bürger, allerdings nur als gesellschaftliche Minderheit, natürlich auf Basis von massenhaftem Völkermord, Sklaverei und Lohnarbeit.

Den freien und mündigen Bürger gab es zeitweilig und in gewissem Umfang auch in der Schweiz.

 

Imagine

20. Oktober 2022 15:32

1/2

@Blue Angel   20. Oktober 2022 10:13
„ ‚Gegen den Niedergang der Klasse der geistig Arbeitenden richtete sich die Studentenbewegung, was heute weder links noch rechts verstanden wird.‘
Dann bitte ich um nähere Erklärung der Aussage. Zumindest mir als "zu spät Gekommenem" ist diese Zielsetzung bisher nicht bekannt.“

Die geistige Arbeit war früher eine sehr privilegierte und selbstbestimmte Arbeit. Man konnte die Arbeitszeit frei wählen, man verdiente sehr viel, arbeitete zeitlich wenig und man hatte viel Freizeit. Die bessere Gesellschaft" hatte Ammen, Hauspersonal, Kinderfrauen, Gärtner etc.

Im Sommer fuhr man aus der Stadt hinaus für ein längere Zeit ins Sommerhaus. Z.B. Freud reichte ein Patient pro Tag zum guten Auskommen.

In den USA reich(t)en für einen niedergelassenen Arzt 5 Patienten pro Tag zum Leben in Wohlstand.

Die Akademiker waren der Wirtschaft als Arbeitnehmer zu teuer, also forderte man in den 60er Jahren eine „Industrialisierung der Hochschulen“.

Während der Studentenbewegung klagten viele über die Perspektive des Zwangs zu „entfremdeter, nicht selbstbestimmter Arbeit“, also über die Charakteristika von fremdbestimmter lebenslanger Lohnarbeit.

Imagine

20. Oktober 2022 15:36

2/2

Es entwickelten sich Aussteigergruppen, die aus der Industriegesellschaft flüchteten, wie die Hippies, andere wollten vor allem schnelles Geld machen, um dann als Kapitalist ein arbeits- und leistungsloses Einkommen zu erzielen. Oder eine andere sozialparasitäre Stellung mit wenig Leistung einnehmen (Banker, Trader, Manager, Politiker, Wohnungsmakler, Werbefuzzi, Comedian etc.).

Es gab in der Studentenbewegung sowohl die einen, die ein sozialistische Transformation wollten und dafür kämpften und litten, wie auch die anderen, welche im System aufsteigen wollten und ihre verbalsozialistische Ideologie schnell hinter sich ließen und Karriere machten. Man kennt diese Typen, die wenn sie oben sind, ganz schnell nach unten treten. So wie die Sozialheuchler bei den Linken, Grünen und in den Gewerkschaften.

Die Studentenbewegung war heterogen, sie hatte sowohl eine liberalistische wie auch sozialistische Tendenz.

„Meine Vorfahren waren überwiegend Handwerker und Landwirte, für Sie also Kleinbürger und evtl. "Kapitalisten".,

Nein, Kapitalisten sind – wie der Name sagt – jene, sie nicht selbst arbeiten, sondern ihr Kapital „arbeiten lassen“ und ein leistungsloses Einkommen durch ihr Vermögen erzielen, sei es durch Vermietung und Verpachtung, sei es durch Geldverleih, sei es durch Investitionen in profitable Geschäftsmodelle etc. Oder wie heute, höchste Profite durch „Crimes Against Humanity“ machen.

 

Niekisch

20. Oktober 2022 15:50

"müßte es, sofern die rationale Schlußfolgerung nicht trügt, erneut möglich sein, daß ein neuer Adel entsteht: nicht ein Adel der Abkunft, sondern einer der Gesinnung wie auch Nietzsche es forderte."

@ Volksdeutscher 13:49: Wenn ich Herrn Theißen in dem verlinkten Vortrag recht verstehe, dann hält er einen "Neuadel des Bürgertums" für fähig, seine Idee des "Glokalismus" umzusetzen ( youtube-video ab min. 38 ). 

Ernst Niekisch betrachtete während seiner Widerstandstätigkeit einen durch die Verstädterung seit 1800 hervorgebrachten Menschentypus als den Hauptfeind all seiner Bestrebungen: den städtisch-bürgerlichen Menschen mit grenzenlosem Persönlichkeitsbewußtsein. Seither könne es kein allgemein anerkanntes "Überpersönliches" mehr geben. Der Mensch betrachte sich nun selbst als Maß aller Dinge, wolle von sämtlichen Bindungen frei sein, sich aus "metaphysischen Fesseln" loslösen, nichts mehr als unverrückbar sehen, alle Dinge nach Verwertbarkeit für sich als Individuum bewerten, wobei verwertbar nur sei, was er als sein privates Eigentum betrachten könne. Nichts außer Reichtum müsse mehr erkämpft werden. Individualismus und Materialismus geghörten zusammen wie "siamesische Zwillinge" ( vgl. Sauermann, Uwe, Ernst Niekisch, Zwischen allen Fronten, Herbig 1980, S. 19 f. unter Hinweis auf die Primärliteratur ) 

weiter II.

Niekisch

20. Oktober 2022 16:15

II.

Dabei gleiche der Materialismus dem "Stab, an dem sich der Individualismus aufrichtet und aufrechterhält". Das "eigentumshungrige Individuum", der "Städter", das ist für Niekisch der bürgerliche Mensch. Den liberalen Bürger ( und damit sicher auch den Ordoliberalen, Niekisch ) bezeichnet Niekisch als den Menschen der  "Wirtschaftsgesinnung" ( ebenda, S. 21 f. )

Heinz Theißen erweitert den "Bürger" um eine kulturelle, christliche, soziale, aber auch eine "atlantische" Komponente, was aber nicht darüber hinwegtäuschen kann, daß der heutige Bürger auch als Idealbild Materialist ist. Schon Ernst Niekisch erkannte schon in der Weimarer Republik, daß das das kapitalistische System, das dem "Bürger" den Nährboden schenkt, "sterbenskrank" ist und systemisch abgelöst werden muß. 

Theißen weist auf die Herkunft des Wortes "Bürger" von Burg hin. Damit sehe ich eine Parallele zu meiner Forderung, Wagenburgen zum Verteidigen des Eigenen zu bilden.

Die Hoffnung auf "den Bürger" ist aber eine trügerische.

Volkstreuer Idealismus war zuletzt am stärksten verankert nicht im "Bürger", sondern im entrechteten "kleinen Mann", insbesondere in denen, die man früher teils Proletarier nannte, Arbeiter, Kleingewerbetreibende und existenzgefährderte Angestellte.So wird es auch jetzt wieder sein.

Sandstein

20. Oktober 2022 17:02

@BlueAngel Gracchus und Andere

"Früher dachte ich auch wie Sie"

..die etwas ketzerische Frage: kann es vielleicht sein, dass hier in diesem Forum zu einem Gutteil genau jene Generationen diskutieren, die an der aktuellen Lage eine gewisse "Schuld" tragen? 

Als Wendekind find ich es verblüffend, wie viele sich hier als "Alt-68" oder "Möchtegern-68" bezeichnen. War das damals so ausweglos, dass man auf diesen Zug aufspringen musste als junger Mensch?

Volksdeutscher

20. Oktober 2022 17:38

1. @Niekisch - "....insbesondere in denen, die man früher teils Proletarier nannte, Arbeiter, Kleingewerbetreibende und existenzgefährderte Angestellte."

Römisches Recht, 1.0: Was macht einen römischen Bürger aus? Ein römischer Bürger hat Eigentum (proprietas), das Recht, an den öffentlichen Angelegenheiten teilzunehmen (ius suffragi, ius communites), Herkunft (origines) und - was in modernen Demokratien oft vergessen wird - Pflichten (officium). Der Proletarier hat jedoch nichts von alledem. Er hat kein Vermögen, weil er arm und/oder faul ist, keine Herkunft, weil er "zwei Väter" oder "zwei Mütter" hat, kein Wahlrecht, weil er dumm, ungebildet, unehrlich und unzuverlässig ist. Dafür hat er auch keine Pflichten (z.B. Wehrpflicht). Niemand nimmt ihn ernst und seine Wut ist ohne Macht nichts wert. Aber natürlich hat er das Recht, zu arbeiten, Reichtum, Eigentum, einen Namen zu erwerben, vielleicht als Soldat, Künstler, Wissenschaftler oder Politiker Anerkennung zu finden, wenn er das Wissen, den Willen, den Fleiß und die Ehre hat, und mit einem Male ist er kein Prolet mehr.

Volksdeutscher

20. Oktober 2022 17:48

2. @Niekisch

Die Identifizierung und Gleichsetzung von Proletarier und Arbeiter ist ein semantischer Trick und eine alte Lüge des Kommunismus, sie wurde den Menschen eingetrichtert, aber so, daß sie auch 33 Jahre nach dem Verschwinden des Regimes immernoch in den Köpfen herumgeistert. Das ist etwa so, als würde man ein Gleichheitszeichen zwischen Anklage und Verleumdung setzen.

Gracchus

20. Oktober 2022 18:04

@Niekisch: Warum sprechen Sie plötzlich von sich in der 3. Person? 

Da ist natürlich was dran, was "Ihr" Niekisch sagt. Nur: so sind die Menschen. 

 

Gracchus

20. Oktober 2022 18:05

P. S. @Niekisch: Sie hatte ich zwar unter Kollektivist, gleichwohl Materialist verbucht.

RMH

20. Oktober 2022 18:41

"einen durch die Verstädterung seit 1800 hervorgebrachten Menschentypus als den Hauptfeind all seiner Bestrebungen: den städtisch-bürgerlichen Menschen mit grenzenlosem Persönlichkeitsbewußtsein."

@niekisch,

passt fast ein bisschen zu den von mir angesprochenen Narodniki.

Maiordomus

20. Oktober 2022 19:01

@imagine. Kann Ihre Vorstellungen vom konkreten mündigen Bürger, bei dem es nebst Bildungsbereitschaft (ist noch mehr wert als Diplombildung) auch einen ökonomischen Background braucht, eher Mittelstand als Proletariat, jedenfalls einen Spielraum für Selbständigkeit. Wichtig ist auch ein gesellschaftliches Umfeld, z.B. dasjenige, in dem Rousseau in Genf aufgewachsen ist: bei 20 000 Einwohnern 40 Buchhandlungen, deren Kunden die über 3000 Uhrmacher, Gerätehersteller, Textilbetriebe usw. waren, nicht zu vergessen deren Frauen, neben anständigen öffentlichen Schulen hochqualifizierter Privatunterricht, auch in Mathematik u. Physik mit genial Begabten in praktisch jedem Jahrgang, so auch in Basel. Diese Leute trauten sich im Ernst zu, über alle wichtigen polit. Geschäfte mitreden zu können, so über den mordsteuren Festungsbau. Die immer hin gegen 4000 erwachsene Männer umfassende Versammlung der Vollbürger wurde indes zunehmend entmachtet, durfte gerade noch über Brot- und Weinpreise entscheiden, nicht hingegen über die grossen Geschäfte. So gab es denn immer wieder unterdrückte Volksaufstände, auch demokratische Revolutionen, die aber auf halbem Wege stecken blieben. Demokraten waren vorhanden, aber noch nicht Demokratie, so wie wir heute vielfach formale Demokratie ohne Demokraten haben im heutigen Europa. Demokratie heisst nämlich: im Ernst etwas zu sagen haben. Dazu braucht es den Bürger, auch die Bürgerin, welche(n) Sie meinen. 

Niekisch

20. Oktober 2022 19:33

"kann es vielleicht sein, dass hier in diesem Forum zu einem Gutteil genau jene Generationen diskutieren, die an der aktuellen Lage eine gewisse "Schuld" tragen?"

@ Sandstein 17:02: Gegenfrage: Bestanden die Ursachen und wirkten die Urheber der jetzigen Lage nicht überwiegend schon vor den 68iger Jahren? 

"Römisches Recht, 1.0: Was macht einen römischen Bürger aus?"

@ Volksdeutscher 17:38: Römisches Recht hatte ich im 2. Staatsexamen. Und was hat das nun mit der Frage zu tun, ob ein runderneuerter Bürger Heinz Theisens Glokalismus durchsetzen kann?

"Gleichsetzung von Proletarier und Arbeiter" 17:48: Ich schrieb 16:15 "die man früher  t e i l s  Proletarier nannte", also nicht ohne Einschränkung.

"@Niekisch: Warum sprechen Sie plötzlich von sich in der 3. Person?"

@ Gracchus 18:04:  Sie meinen sicher das hier: "ist für Niekisch der bürgerliche Mensch. Den liberalen Bürger ( und damit sicher auch den Ordoliberalen, Niekisch ) bezeichnet Niekisch als den Menschen der  "Wirtschaftsgesinnung" ( ebenda, S. 21 f. )"

Erst Ernst Niekisch, in Klammern ich zum Erläutern, dann Ernst Niekisch. Klar so?

"Nur: so sind die Menschen." Ja, vielfach, aber nicht alle und die letzteren müssen kämpfen.

 "P. S. @Niekisch: Sie hatte ich zwar unter Kollektivist, gleichwohl Materialist verbucht." 

Wieso denn das, @ Gracchus?

Volksdeutscher

20. Oktober 2022 19:55

@Niekisch - "Und was hat das nun mit der Frage zu tun, ob ein runderneuerter Bürger Heinz Theisens Glokalismus durchsetzen kann?"

Ich habe mir Theisens Vortrag angeschaut, aber nicht behauptet, daß die Frage mit seinen Ausführungen irgndetwas zu tun habe. Ich wollte nur darauf hinweisen, daß man das Wort "Proletarier" nicht inflationär und dann auch noch in falschem Kontext benutzen sollte. Aber so kommt es mir vor, wenn ich die Kommentare hier durchlese.

Niekisch

20. Oktober 2022 19:59

"@niekisch,

passt fast ein bisschen zu den von mir angesprochenen Narodniki."

@ RMH 18:41: Ja, denn sie wandten sich vom Bürgerlichen ab. Es müßte mal geprüft werden, inwieweit sie von "Auflösern aller Dinge" durchsetzt waren. Von Alexander Herzen meine ich es einmal gelesen zu haben.

Maiordomus

20. Oktober 2022 20:39

@Maiordomus/Imagine. Zum 2. Satz. Kann Ihre Vorstellungen vom mündigen Bürger mit den entsprechenden Voraussetzungen, siehe oben, s e h r  g u t  nachvollziehen und begrüsse es zumal, dass Sie sich hier als unabhängige Stimme wieder an der Debatte beteiligen. Unter "unabhängig" verstehe ich die Weigerung, sich automatisch einem bestimmten Lager zurechnen lassen zu wollen. Sie tragen jedoch, wie etliche andere, dazu bei, dass hier von einer Debatte auf intellektuellem Niveau wohl noch und noch die Rede sein kann. Hier mitzudiskutieren ist deswegen angebracht, weil stets dort, wo Stimmen unterdrückt werden, der Verdacht besteht, nicht nur das gelegentlich schlecht Begründete oder im Einzelfall Unbelehrbare abzulehnen, sondern auch die mit der Debatte verbundenen halben und sogar ganzen unbequemen Wahrheiten. Dieser Bereich ist am stärksten gefürchtet. Gegen Dummheit, auch Borniertheit, die jeder in seinem eigenen Lager kennt, würde die Regierung keinen VS "benötigen"..

dojon86

20. Oktober 2022 22:49

@Niekisch 20.10.2022 12:54 Ihre Beobachtung ist sicher richtig.  Zum wirklich Grundsätzlichem kommen wir selten und es ist auch für jeden Diskutanten offensichtlich etwas anderes. Ich würde darüber auch nicht zuviel reden, denn Diskussionen über Grundsätze sind ein hervorragendes Mittel, die Rechte in einander bekämpfende Sekten zu spalten. Alexis de Tocqueville, schrieb vor 180 Jahren in seinem Buch über die zeitgenössische amerikanische Demokratie, der Hang großer politischer Denker zum Grundsätzlichen korreliert mit ihrer real totalen Machtlosigkeit, die sie zwingt, sich mit den Problemen einer Regierung nur in der Theorie zu befassen. Kein Zufall also, dass wir uns, da praktisches Handeln für die Rechte schwierig ist, hauptsächlich im theoretischen Bereich bewegen. Nur sollten wir uns nicht in dem verlieren, was die Franzosen als Querelles Allemandes bezeichnen. Also volksnahe formuliert, in Streitereien um des Kaisers Bart.

Franz Bettinger

21. Oktober 2022 03:43

@Imagine schreibt 15:36 (hier verfranzelnd verdeutlicht): „Kapitalist ist, wer nicht selbst arbeitet, sondern der sein Erspartes (Kapital) arbeiten lässt durch Vermietung und Verpachtung oder durch Geldverleih (Zinsen) oder durch Investitionen in profitable Geschäftsmodelle.“

Imagine fände gut, wenn solche Dinge verboten würden: Vermietung, Zinsen und Investitionen; es sei denn letztere wären unprofitabel. Dieser ausgemachte Blödsinn, an dem sogar @MD Geschmack findet, bringt mich immer wieder auf die Palme. Die ewigen Linken können nichts wachsen und gedeihen sehen. Sie können nichts stehen lassen; und bei ihrem Versuch, sich die Gesellschaft zurechtzubiegen zerbrechen sie sie regelmäßig. Dahinter steckt nichts als: Neid.  Imagine’s Welt wäre unmenschlicher als die uns vom WEF zugedachte.

Franz Bettinger

21. Oktober 2022 05:57

Als ob die Dandys & Playboys je ein Problem gewesen wären! Lachhaft. Auch in dem Bereich der Prinzen und Prinzessinnen - die geliebten ! Märchen zeugen davon - ist die Welt überreich und Gottlob (wie mit Energie und Bodenschätzen) verschwenderisch angelegt. Nicht die Kaprizen der Royals oder eines Boris Becker (der seine Mitgefangenen grad in Sachen Lebensklugheit, Mädchen Geldanlage Augenringe und Ernährung berät) sind je eine Belastung für normale Menschen gewesen.

Nein. Erst wenn ein Verbrechen systematisch als (dann) systemischer Fehler ins System verbaut wird, wird dies wie manches Steuergesetz zum Problem aller. Die Werbe-Slogans der UN-Agenda 2030 sind bekannt, und sie sind verräterisch. Gutgläubige halten das immer noch für eine Verschwörungs-Theorie, obwohl sich die Punkte auf der Agenda Schlag auf Schlag erfüllen. Das Neue Normal wird nachhaltig & widerstandsfähig werden, oh ja: Für die kleine Clique der Nutznießer. Nicht für den Rest. Der Rest wird schauen, wohin er immer schon schaute. In die Röhre. 

Franz Bettinger

21. Oktober 2022 06:36

Was sich hinter den schönen Worten des UN-Programms Agenda 2030 versteckt  (offtopic, aber es muss mal auf's Tapet):

(1) Armut bekämpfen —> Einzel-Individuen, aber auch ganze Völker werden mit Krediten, die nie zurück gezahlt werden können, angefüttert und unter  Kontrolle gebracht. Damit hat man jeden im Griff. 

(2) Hunger beenden, gute Ernährung & Landwirtschaft  —> Zerstörung unabhängiger Bauern.

(3) Gesundheit —> Impf- & andere Zwangsmaßnahmen. Unterdrückung kritischer Stimmen in der Medizin. Wer sich nicht impfen (und damit tot spritzen) lässt, wird von der Zentral-Regierung der NWO kein Geld bekommen. Gleichzeitig wird das Ziel einer massiven Bevölkerung-Reduktion erreicht. Medizinisch verschleierter Genozid. 

(4) Inklusive & gerechte Bildung —> Mit einer Kern-Erziehung (common core education) wird allen Jugendlichen der gleiche ideologische Inhalt eingetrichtert. Abrichtung zu Sklaven. ff

Franz Bettinger

21. Oktober 2022 06:37

(5) Chancengleichheit & Selbstbestimmung von Frauen —> Noch mehr Frauen werden in Lohnarbeit gepresst & ihre Kinder vom Staat erzogen. Zerstörung der Familie. 

(6) Nachhaltige Wasser-Bewirtschaftung —> Konzerne  monopolisieren und kontrollieren die Wasser-Versorgung. Wasser ("Three Waters") in jeder Form (Regen-, Trink- & Abwasser) wird teuerer. NZ scheint hier Vorreiter spielen zu sollen. Über nichts mehr soll frei und privat verfügt werden dürfen. 

(7) Nachhaltige Energie —> Ineffektive "Erneuerbaren" ersetzen Bewährtes. Energie wird künstlich verknappt; Strompreise steigen. 

(8) Nachhaltige Industrialisierung, Vollbeschäftigung —> Großkonzerne schreiben Arbeitsbedingungen vor. Klein- und Mittelbetriebe gehen kaputt. Arbeitsmigration zertört Volk und Nation und jede Art von Selbstbestimmung.

(9) Ungleichheit zwischen Ländern verringern —>  Absenkung des Zivilisationsniveaus auch durch  Massen-Migration. Enteignungen. ff
 

Franz Bettinger

21. Oktober 2022 06:37

(10) Städte inklusiv und sicher machen —> Die von Kriminalität gebeutelten Multikulti-Gesellschaften können nur durch einen Polizeistaat und ein totales Überwachungs-System ruhig gehalten werden. Weitere Entwaffnung, um Bürger völlig wehrlos zu machen.

(11) Unter dem Vorwand von Umwelt- & Klimaschutz werden viele Freiheiten abgeschafft (Autofahren, Reisen, Fliegen, Fleisch...). Das Absinken des Wohlstandes wird als notwendige Umweltmaßnahme verkauft. 

(12) Klimawandel-Bekämpfung —> Durch die pseudo-wissenschaftliche Zivilreligion wird die Gleichschaltung der Menschen zu Sklaven und die Macht-Sicherung der Elitioten nachhaltig (sic) vorangetrieben.

(13) Friedliche und inklusive Gesellschaften —>  Verschärfung von Meinungs-Verboten, Zensur und Kriminalisierung von Kritik. Quoten für Migranten in allen Lebensbereichen. Vermögens-Umverteilung.

Ende

Blue Angel

21. Oktober 2022 07:37

I Sandstein: "War das damals so ausweglos, dass man auf diesen Zug aufspringen musste als junger Mensch?"

- Es gab tief empfundene Wut und Verzweiflung über den Vietnamkrieg, daher große Sympathien für die Proteste dagegen. Dazu jugendliche Rebellion gegen als zu starr empfundene elterliche und gesellschaftliche Regeln. 

Imagine, natürlich gab es bei den 68ern solche und solche. Herr Fischer ist ein abstoßendes Beispiel für diejenigen, die die ursprüngliche Intention vieler (s. o.) in ihr Gegenteil verkehrt haben und natürlich nicht das einzige.

Die beschriebenen Reaktionen auf den Vietnamkrieg (weshalb bei den späteren US-Kriegen ja "embedded journalism" eingeführt wurde) waren m. E. ein stärkerer Beweggrund für 68er-Anhänger als potentielle Verteidigungs-/Schutzgründe geistiger Arbeit. Aber danke für die interessante Sichtweisen-Ergänzung. 

 

Blue Angel

21. Oktober 2022 07:37

II Die meisten Hippies und Aussteiger, die ich persönlich kennen gelernt habe, sind später übrigens doch Bürger geworden, z. B. als Bio-Landwirte, Handwerker, Musiker oder Gewerbetreibende. Nur ein kleinerer Teil hat die Kurve nicht gekriegt. 

Wichtig ist m. E., die ursprüngliche und richtige Intention (Widerstand gegen ungerechte Fremdherrschaft) von dem zu trennen, was daraus gemacht wurde (ein Instrument zur Zerstörung natürlicher Ordnung). Diese Ursprungsintention passt dann auch sehr gut zum Bürgerlichen, dessen Wert sich den meisten erst mit zunehmendem Alter erschließt (manchen leider auch gar nicht).

- Im Alters-Rückblick rundet sich das Bild zu einem heilen Ganzen, eine sehr schöne Erfahrung.

Dieter Rose

21. Oktober 2022 08:49

@Franz Bettinger

jeweils auf den Punkt gebracht.

Würde für den Lehrplan reichen, müsste aber auch noch zusätzlich regelmäßig in den Medien verbreitet werden (dürfen)!

Maiordomus

21. Oktober 2022 09:51

@blue angel. In meinem "Altersrückblick" gibt es absolut kein Bild von einem "heilen Ganzen", welches ich trotz Lektüre von Werner Bergengruen auch vor 60 Jahren nicht erblicken konnte, aber doch einige "schöne Erfahrungen". Als Anit-68er schon seit 1966 war es für mich Jahrzehnte später eine stupende Überraschung, mit dem einst im  Luzerner Parlament und in der Öffentlichkeit führenden damaligen 68er, einem Arzt, der seine Überzeugungen auch lebte, in eine zunehmende Gesinnungsgemeinschaft zu treten, ohne dass jener Alt-68er die Kurve der Anpassung genommen hätte, schon fast im Gegenteil, vielfach radikalisierte er sich noch mit Ausnahme der Einsicht, dass es in einem reflektierten Konservativismus bedeutende globalisierungskritische Elemente, nicht bloss Versatzstücke, gibt. Auch verabschiedete er sich vom herkömmlichen Antifaschismus als schematischem Feindbild. Dass ein radikaler Föderalismus, einschliesslich z.B. der Hoheit der Gemeinden, Einbürgerungen betreffend (in der Schweiz unterdessen weitgehend beseitigt), trotz und inklusive der Gefahr einer gewissen Selbstbornierung, ein Bollwerk gegen die Globalisierung darstellt, ist natürlich eine politische Selbstverständlichkeit. Usw. 

dojon86

21. Oktober 2022 09:58

@Sandstein 20.10.2022 17:02, @Blue Angel 21.10.2022 07:37. Ich bin JG 54 und habe zumindest die 70ger schon politisch bewusst erlebt. Ich war so etwas wie ein etwas aktiverer Mitläufer. Im Nachhinein ist meine Beurteilung dieser Zeit eher negativ. Wir glaubten, und zwar einschließlich von bereits Teilen unserer Lehrerschaft, dass das Paradies auf Erden gleich um die Ecke liegt, indem wir den unwahrscheinlichen Aufschwung der 60ger einfach in die Zukunft fortschrieben. Bei der Basis der Bewegung die in Österreich (wie auch das Wurtschaftswunder) etwas zeitversetzt kam, war das ganze einfach ein sehr wirrer, kulturell amerikanisierter Hedonismus. Ich zitiere aus einem Pop Song der Zeit " We war the world and we want it now." Ein österreichischer konservativer Journalist hat viele Jahre später den Satz geprägt, die Opfer der 68ger liegen auf dem Friedhof, befinden sich in Psychiatrien, sind in Drogenentziehungsanstalten oder Umschulungskursen des Arbeitsamtes. Ich empfehle das Buch " Die RAF hat euch lieb" von Bettina Röhl, der Tochter von Ulrike Meinhof. Sie schreibt da nicht nur über die RAF, sondern auch etwas über den damaligen Zeitgeist der Jugendbewegten. Zum Abschluss, der medial sehr präsente Vietnamkrieg war natürlich auch ein Grund, aber für viele leider eher ein Vorwand.

dojon86

21. Oktober 2022 10:24

@Sandstei @Blue Angel, ich empfehle auch die Arte Doku "Summer of Love" über den Hippie trail. Was in der Doku nicht erwähnt wird, ich aber hinzufüge, ist, dass das ganze für die losfahrende Jugend ein unglaubliches Erlebnis war. Die Zeit der 14 Tage Reisen zum Schnäppchenpreis war damals noch nicht angebrochen. Nur 10 Jahre, bevor ich zu dieser Reise aufbrach, wäre so eine Fahrt für einen Jugendlichen meines sozialen Hintergrundes wie eine Reise auf die Rückseite des Mondes gewesen.  (auch hier also als unabdingbare Vorraussetzung dieser Jugendbewegung das vorangegangene Wirtschaftswunder)

Laurenz

21. Oktober 2022 10:57

@Niekisch, Imagine & sonstige am Bürger Interessierte

Muß mich schon wundern, wie Sie Beide die Herkunft des Bürgertums ignorieren. Der Bürger als Stand oder Schicht, stammt aus den mittelalterlichen Städten, man befreite sich von der germanischen Willkür des Adels, um sich teils dem römischen Diktat auszusetzen. Wir haben hier neben den freien Reichsstädten, die Stadtstaaten Norditaliens & die Hanse. Der materielle Besitz schuf überhaupt erst die Voraussetzung für Bildung & Wehrhaftigkeit gegenüber dem territorialen Adel & der Kirche. Der eklatanteste Unterschied, da muß man @Franz Bettinger unterstützen, liegt im Mittelerwerb. Adel & Kirche nahmen Steuern & die Untertanen mußten erwirtschaften. Die Bürger gingen ins ökonomische Risiko. Die Hanse kannte zwar Verordnungen, aber keine Verfassung, man stimmte germanisch ab. Von daher ist es eine vollkommene, nicht entschuldbare Fehlleistung, wenn hier das Erwerbsleben des historischen Bürgertums in Frage gestellt wird. Wir können natürlich weiter zurückgehen & uns auf die nicht-adligen Freien reduzieren. Hier war das Recht Waffen zu tragen, entscheidend. Die größte Einbuße dieses Stands erfolgte während der Kreuzzüge. Viele Freie konnten weder jemanden nach Palästina schicken, noch sich überhaupt die Reise leisten, was dann den Verlust des Freien Seins bedeutete.

dojon86

21. Oktober 2022 14:16

@Laurenz 10:57 Eine sehr gute und präzise Zusammenfassung des Unterschieds zwischen Adel und Bürgertum. Vor allem die Feststellung, Adel und Kirche lebten von Steuern, das Bürgertum durch eigene Leistung und Risiko, ist treffend. Bloß der Schluss ist nicht richtig. Kein Freier verlor den Status der Freiheit durch Nichtteilnahme am Kreuzzug. Es gab unzählige Adelige, die weder einen Ersatzmann stellten, noch selbst ins heilige Land zogen und ihren Status trotzdem nicht verloren. Der Grund für den Statusverlust war ein anderer. Die Hauptwaffe des hohen Mittelalters waren die schwerbewaffneten und gerüsteten Reiterkrieger. Deren Ausrüstung und Ausbildung war unglaublich teuer, das konnte sich ein Gemeinfreier niemals leisten. Den mittelalterlichen Fußtruppen fehlte aber die Disziplin z.b römischer Armeen. Als Ergebnis dieser Entwicklung waren mäßig bewaffnete Aufgebote von Gemeinfreien militärisch wertlos. Der Status eines Freien war damals aber untrennbar mit seiner Selbstverteidigungsfähigkeit verknüpft.

Imagine

21. Oktober 2022 14:37

@Franz Bettinger   21. Oktober 2022 03:43
Imagine fände gut, wenn solche Dinge verboten würden: Vermietung, Zinsen und Investitionen; es sei denn letztere wären unprofitabel. Dieser ausgemachte Blödsinn, an dem sogar @MD Geschmack findet, bringt mich immer wieder auf die Palme. Die ewigen Linken können nichts wachsen und gedeihen sehen.“

Wie auch bei vielen Vulgärmarxisten sowie soziologischen Ignoranten wird auch hier Kapitalist = Unternehmer gesetzt, was völliger Nonsens ist.

Es ist der Unternehmer, der wirtschaftliches Wachstum und gesellschaftlichen Fortschritt erzeugt.

Der Kapitalist hingegen setzt sein Geld dort ein, wo er größten Profit erwartet, bevorzugt in unproduktiven Bereichen, wie Waffen- und Drogenhandel, Pharmaindustrie, Immobilienspekulation etc. Für das Investment ist nur die Größe des Profts entscheiden, ob es der Gesellschaft oder der Ökologie nützt oder schadet, ist dem Kapitalisten völlig gleichgültig. Typisch der Corona-Terror und die Gen-Injektionen. Oder die Waffenlieferungen zur Kriegseskalation.

Häufig weiß er gar nicht, worin er investiert, das überlässt er Profis der Vermögensverwaltung, ihn interessiert nur, dass sein Geld möglichst maximal vermehrt wird.

Imagine

21. Oktober 2022 14:57

@Sandstein   20. Oktober 2022 17:02
„Als Wendekind find ich es verblüffend, wie viele sich hier als "Alt-68" oder "Möchtegern-68" bezeichnen. War das damals so ausweglos, dass man auf diesen Zug aufspringen musste als junger Mensch?“

Es erschien für viele so.

Damals gab es einen breiten gesellschaftlichen Konsens: „Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus!“ und für eine Gesellschaft in Freiheit und Wohlstand.

Mit den Notstandsgesetzen wurden bisherige bürgerliche Freiheitsrechte eingeschränkt und sie waren Vorratsgesetze zu Abschaffung von Demokratie und Errichtung einer Diktatur.

Der Mord an einem friedlichen Demonstranten durch einen Polizisten namens Kurras hat eine Paranoia ausgelöst. Man sah sich unmittelbar durch Faschismus bedroht.

Das war nicht völlig falsch war, denn das Establishment war bereit, Faschismus herzustellen, um seine Herrschaft und das System zu erhalten. Chile 1973 hat dies dann ganz klar belegt.

Niekisch

21. Oktober 2022 15:42

"nicht behauptet, daß die Frage mit seinen Ausführungen irgndetwas zu tun habe. Ich wollte nur darauf hinweisen, daß man das Wort "Proletarier" nicht inflationär und dann auch noch in falschem Kontext benutzen sollte."

@ Volksdeutscher 20.10. 19:55: Ihr Hinweis auf das Römische Recht hat mich zu meiner Frage bewogen. War das unangemessen, so tut es mir leid. 

@Niekisch, Imagine & sonstige am Bürger Interessierte

"Muß mich schon wundern, wie Sie Beide die Herkunft des Bürgertums ignorieren."

@ Laurenz 10:57: Für mich kann ich sagen, daß ich lediglich äußerte, der "Bürger" in der heutigen Verfassung sei nicht in der Lage, Theisens "Glokalismus" zu verwirklichen. 

"germanischen Willkür des Adels" 

Wenn der gernaische "Adel" willkürlich handelte, dann gegenüber "Unfreien". generelle Willkür gab es nicht, in vielen Bereichen sogar das Gegenteil, nämlich sittlich gründende Verantwortungsbewußtheit.

Gracchus

21. Oktober 2022 16:19

@Sandstein: Ich bin erst nach 68 geboren. 

@Niekisch: Vertreten Sie nicht die materialistische Ansicht, die Seele gehe hervor und vergehe mit neuronalen Hirnvorgängen?

 

dojon86

21. Oktober 2022 18:47

@Imagine 14:57 @Blue Angel, @Sandstein Der Tod von Benno Ohnesorg hat die Entwicklung mit Sicherheit beschleunigt. Das recht zahme bundesdeutsche Establishment der späten 60ger allerdings mit der gewaltbereiten Elite eines Schwellenlandes wie Chile zu vergleichen war völlig realitätsblind. So könnte z.b in den frühen 70ger Jahren einer meiner Lehrer  (es herrschte damals ein derartiger Lehrermangel, dass in naturwissenschaftlichen Fächern manchmal Studenten unterrichteten) ohne Schwierigkeit im Stil des Mescalero Briefes die Taten der RAF entschuldigen.Man stelle sich heute vor, ein Gymnasiallehrer würde in der Klasse Propaganda für die AFD machen. Man frage bei Herrn Bosselmann nach, was dann passieren würde. Im übrigen, der betreffende Lehrer ging dann auf die Universität zurück und beendete seine Berufslaufbahn als Universitätsprofessor. Zugegeben, einen Radikalenerlass gab es in Österreich nie.  Insgesamt bin ich der Meinung, ein Typ wie Joschka Fischer war und ist für die 68ger typisch. Diese Einsicht entstand über die Jahrzehnte aus persönlichem Erleben.

Imagine

21. Oktober 2022 19:00

@Laurenz   21. Oktober 2022 10:57
Muß mich schon wundern, wie Sie Beide die Herkunft des Bürgertums ignorieren. Der Bürger als Stand oder Schicht, stammt aus den mittelalterlichen Städten, man befreite sich von der germanischen Willkür des Adels, um sich teils dem römischen Diktat auszusetzen.“

Der freie und mündige Bürger, wie er hier thematisiert wird, unterscheidet sich ganz wesentlich vom Stadtbürger des Mittelalters.

Gemeint ist das bürgerliche Individuum, ein neuer kulturanthropologischer Typus von menschlicher Entwicklung, wie es diesen nur in Europa gab. Wesentlich dafür sind Renaissance und Aufklärung sowie die Entwicklung von Technik und eines neuen gesamtgesellschaftlichen Wirtschaftssystems.

Blue Angel

21. Oktober 2022 20:16

I 1968 war ich neun Jahre alt und extrem entsetzt über die Fernsehbilder aus Vietnam. Natürlich sind Gaukeleien über "völlige Freiheit" und "Wir sind diejenigen, die alle Ungerechtigkeit für immer überwinden" auch sehr verführerisch, insbesondere für streng erzogene Jugendliche. Für viele waren sie (und sind es bis heute) zerstörerisch. 

Dojon: "...war das ganze einfach ein sehr wirrer, kulturell amerikanisierter Hedonismus."

Zustimmung: Pop-Kultur und Konsumismus als süße Hülle für ein bitteres Programm zur Zerstörung des Grundlegenden und Eigenen: "Freedom is just another word for nothing left to lose" (Janis Joplin). Mündend in den Zielsetzungen der von Franz Bettinger aufgeführten Agenda.

 

 

Blue Angel

21. Oktober 2022 20:28

II  Als jemand, der bezüglich "Irgendwo ganz dazu gehören" komplett talentfrei ist und dank glücklicher Umstände (wie z. B. bürgerlicher Erziehung) immer mehr faszinierter Beobachter als "mittendrin" war, wertschätze ich die ursprüngliche Intention weiterhin und distanziere mich vom Rest. "Eklektizismus" ist für mich positiv besetzt..

Maiordomus, mich überrascht es nicht mehr, wenn Menschen verschiedenster, politischer Herkünfte bezüglich bestimmter (insbesondere aktueller) Geschehnisse zu den selben Schlüssen kommen, aber es freut mich natürlich auch immer wieder.

Mit dem "heilen Ganzen" ist eine Art Synthese gemeint, die sich aus der "These" einer sehr konservativen Erziehung und der "Anti-These" des Rebellentums (u. a.) dagegen ergeben hat: Alles war sinnvoll, genau richtig so und passt jetzt perfekt zusammen. Ein weiterer Grund, sehr dankbar zu sein. 

 

 

Gracchus

21. Oktober 2022 20:47

Meine private Feldforschung hat ergeben, dass weder meine Eltern noch Verwandte noch Freunde - obwohl jahrgangsmässig passend - keine 68er waren. 

 

Als Nachgeborener ist meine Sicht nicht so negativ. 68 beschränkt sich ja nicht auf Politik. Im Nachhinein sieht es so aus, dass damals viel mehr möglich gewesen ist. Solche ästhetischen oder hochtheoretischen Debatten finden heutzutage ja gar nicht mehr statt, ja, sind verpönt. 

An der Verleihung des völlig irrelevanten deutschen Buchpreises - niemand verbindet damit literarische Qualität, selbst wenn ein Preisträger sie haben sollte - an Kim de l'Horizon berührte vor allem das vergebliche Bemühen, daraus etwas Provokantes zu machen, die Veranstaltung wirkte neobürgerlich. Geradezu verklemmt. 

Gracchus

21. Oktober 2022 20:50

Den mündigen Bürger braucht eben keine Sau. Der Mensch muss funktionieren. Ich fände es erträglicher, wenn man in unseren Breiten zugeben würde, dass einen dieses Konzept überfordert und man lieber unmündig bleiben möchte. 

dojon86

21. Oktober 2022 23:09

@Gracchus 21.10.2022 20:50 Den mündigen Bürger in der Art, wie ihn sich deutsche Schriftsteller erträumten, gab es nie. Was es immer gab, war der am Eigennutz orientierte Bürger (Mensch). Das ist natürlich auch eine Art von Mündigkeit. Früher hätte man als guter Christ gesagt, das ist eben die conditio humanae, niemand kann wirklich sündenfrei sein, ich tendiere mehr zur Auffassung, das ist die Bedingtheit der menschlichen Anthropologie. Seltsam dünkt es mich, das selbst Marxisten (also Anhängern des Satzes "Das Sein bestimmt das Bewusstsein") wie Imagine letztlich von einem idealistischen Menschenbild ausgehen.

Laurenz

22. Oktober 2022 00:52

@Imagine @L.

Wesentlich dafür sind Renaissance und Aufklärung sowie die Entwicklung von Technik und eines neuen gesamtgesellschaftlichen Wirtschaftssystems.

Sie widersprechen, obwohl Sie mich hier bestätigen. Das Bürgertum, vordergründig die Kaufleute sorgten für diese Entwicklung. Deren Herkunft läßt sich eindeutig aus den mittelalterlichen Kommunen nachweisen, inklusive der religiösen, wie politischen Einflußnahme.

@Imagine @Franz Bettinger

Für das Investment ist nur die Größe des Profts entscheiden, ob es der Gesellschaft oder der Ökologie nützt oder schadet, ist dem Kapitalisten völlig gleichgültig.

Sie haben vielleicht insofern Recht, daß es für die großen institutionellen Anleger, wie Blackrock, keinen moralischen Hintergrund gibt. Aber faktisch ist Ihre Aussage falsch. Mittlerweile fallen viele Investitionen ohne Öko- oder Nachhaltigkeits-Siegel aus den Fondsvermögen raus.

Volksdeutscher

22. Oktober 2022 01:01

@Gracchus - "Als Nachgeborener ist meine Sicht nicht so negativ. 68 beschränkt sich ja nicht auf Politik."

Beschränkt sich in der Tat nicht auf Politik, aber gerade ihr Einfluß und ihre Wirkung in der politischen und kulturellen Sphäre prägt unser Bild von ihnen. Das, was sie in Kultur und Politik taten, führt schnurgerade auf uns zu. Was sie aus beiden Sphären machten, erzeugte das, wogegen wir heute ankämpfen, was wir heute bekämpfen müssen - falls wir zu Veränderungen noch die Zeit haben. Das ist das, woran wir jene Leute beurteilen und bewerten müssen und nichts außerdem. Anders gesagt: Alles andere erscheint daneben als unbedeutend.

Laurenz

22. Oktober 2022 01:02

@Niekisch @L.

Wenn der germaische "Adel" willkürlich handelte, dann gegenüber "Unfreien". Generelle Willkür gab es nicht, in vielen Bereichen sogar das Gegenteil, nämlich sittlich gründende Verantwortungsbewußtheit.

Ja, natürlich gibt es überall solche & solche. Machen Sie es Sich einfach, schauen Sie auf die Vita des Götz im Endkampf um deutsches Recht. Interessant hierbei ist die Anzahl der Fehden, die einen höheren Finanzierungsbedarf entwickelten, als sie brachten. Zu wessen Lasten?

@Dojon86 @L.

Den mittelalterlichen Fußtruppen fehlte aber die Disziplin z.b römischer Armeen. Als Ergebnis dieser Entwicklung waren mäßig bewaffnete Aufgebote von Gemeinfreien militärisch wertlos.

Das ist nicht korrekt. In Hastings verloren die zu Fuß kämpfenden Angelsachsen natürlich aufgrund Ihrer Disziplinlosigkeit gegen die reitenden Normannen. Aber an sich war diese Taktik sehr wohl erfolgreich. Oder nehmen Sie die Schlacht von Azincourt, wo französische & deutsche Ritter im Matsch & Pfeilhagel umkamen. Bezüglich der gesellschaftlichen Entwicklung während der Kreuzzüge muß ich mich erst orientieren. Es ist mehr als 20 Jahr her, daß ich darüber gelesen hatte. Die extreme Schwere ritterlicher Kavallerie entwickelte sich erst relativ spät unter Otto dem Großen.

Imagine

22. Oktober 2022 08:30

@Gracchus   21. Oktober 2022 20:50
„Den mündigen Bürger braucht eben keine Sau. Der Mensch muss funktionieren. Ich fände es erträglicher, wenn man in unseren Breiten zugeben würde, dass einen dieses Konzept überfordert und man lieber unmündig bleiben möchte.“

Die Gesellschaft braucht die „bürgerlichen Individuen“, die selbständig und kreativ ihren Verstand gebrauchen können. Denn aus ihnen entstehen die großen Denker, Erfinder, Wissenschaftler, Ingenieure, Entdecker, Staatsführer etc.

Die Massen funktionieren im System, sie erhalten es, aber es braucht auch jene Menschen, die durch ihren Geist Fortschritt ermöglichen.

dojon86

22. Oktober 2022 09:02

@Blue Angel 21.10.2022 20:16 Berichtigung, Mein Zitat (dojon86 21.10.2022 09:58) "We are the world and we want it now" muss ich berichtigen. Es lautete "we want the world and we want it now" und ist von "the Doors" 1967.

 

 

 

Gracchus

22. Oktober 2022 11:13

Fundstück: Ausgerechnet Ulf Poschardt erinnert die Linke an ihre Pflicht die Klassenfrage zu stellen - im Rückgriff auf Karl Held (Autor von "Das bürgerliche Individuum") und den Konkret-Kongress 1993:

https://www.welt.de/kultur/plus241405017/Ulf-Poschardt-Der-Suendenfall-der-Linken-Sie-hat-die-Klassenfrage-vergessen.html

Dazu repliziert K. Bittermann als Pohrt-Advokat:

https://www.welt.de/kultur/article241580205/Wolfgang-Pohrt-war-alles-andere-als-ein-Salonkommunist-Klaus-Bittermann-antwortet-Ulf-Poschardt.html

Gracchus

22. Oktober 2022 11:33

@Imagine:

Das stimmt zwar in gewissem Sinne. Ihnen zufolge wären "bürgerliche Individuen eine  elitäre Minderheit. Die Rechtsordnung sieht dies aber anders. Verfassung und BGB gelten auch für die Masse. Demokratie in einem empathischen Sinn setzt den mündigen Bürger voraus. Das ist natürlich ein Ideal.

Die Funktionssysteme haben - wie bei Luhmann nachzulesen - einen gewissen konservativen Mechanismus eingebaut. 

Wenn die Masse dumm und an Erhaltung interessiert ist, wie akzeptiert sie "kreative Lösungen" - oder wer entscheidet, ob eine Lösung kreativ ist oder deppert. 

Im Grunde ist Ihre Position die Apologie des Status quo: Die Masse ist dumm, und man muss ihr die "richtige Lösung" verkaufen; wenn sie das nicht schluckt, muss man es ihr besser kommunizieren. 

 

dojon86

22. Oktober 2022 11:39

@Laurenz, Otto der Erste stand am Ende des Frühmittelalters,  Azincourt ist nicht hohes Mittelalter sondern kurz vor Beginn der Neuzeit. Und deutsche Ritter waren in Azincourt nicht beteiligt

Gracchus

22. Oktober 2022 11:58

@Volksdeutscher: Was meinen Sie konkret, was Sie bekämpfen müssen? Und mit welchem Ziel? Das, was der Büchse der 68er-Pandora entflohen ist, wieder zurückzustopfen? Schließt "schnurgerade" Kontingenz aus? Oder impliziert "schnurgerade", dass es sich um einen intentionalen Vorgang handelt? Auch hier wieder die Einsicht Luhmanns, dass die moderne Gesellschaft keine Trivialmaschine ist. 

dojon86

22. Oktober 2022 22:45

@Gracchus 22.10.2022 11:33 Ihre Replik auf Imagine ist ein Volltreffer. "Die Masse ist dumm und man muss ihr die richtige Lösung verkaufen; wenn sie das nicht schluckt, muss man ihr es besser kommunizieren". Das hätte mein stockkonservativer deutschnationaler Großvater sinngemäß genau so ausgedrückt, er hätte bloß nicht das Wort kommunizieren verwendet sondern bloß eine Einschränkung des allgemeinen Wahlrechtes auf die wissenden (= besitzenden) Klassen gefordert. Ich erkannte vor etlichen Jahrzehnten, dass die Linke keinen Klassenkampf, sondern nur einen Elitentausch wollte. Das war der Punkt meines Ausstiegs.

Laurenz

23. Oktober 2022 01:09

@Dojon86 @L.

In Acincourt gab es noch keine Feuerwaffen. Wie wir Otto den Großen definieren mag dahingestellt bleiben. Aber Seine schwere Reiterei setzte sich gegen die Hunnen, mit Bogen reitend, durch.

Imagine

23. Oktober 2022 11:53

@Gracchus   22. Oktober 2022 11:33
„Das stimmt zwar in gewissem Sinne. Ihnen zufolge wären "bürgerliche Individuen eine  elitäre Minderheit. Die Rechtsordnung sieht dies aber anders. Verfassung und BGB gelten auch für die Masse. Demokratie in einem empathischen Sinn setzt den mündigen Bürger voraus. Das ist natürlich ein Ideal.“

Die Gleichheit im Recht ist jedoch etwas völlig andres als die Gleichheit im Wissen, im Können und in der Kompetenz.

Selbstverständlich schützt das BGB jeden Bürger gleichermaßen. Ob reich oder arm, ob dumm oder hochintelligent, jeder ist z.B. zur Vertragstreue verpflichtet, niemand hat das Privileg, davon abzuweichen oder andere zu betrügen.

Und das StGB schützt die körperliche Unversehrtheit und das Eigentum jedes Bürgers.

Aber es gibt eben Bereiche, in der Wissenschaft, in der Politik und in der Wirtschaft, wo es auf Wissen, Können und Kompetenz ankommt. Deswegen gibt es Sachautoritäten und sachlich begründete Hierarchien.

Der Erwerb von Wissen, Können und Kompetenz setzt Lern-, Leistungs- und Leidensbereitschaft voraus. Nur wenige sind zu Spitzenleistungen in der Lage. Es braucht Elitenbildung.

Ohne Elitenbildung kommt so etwas heraus wie das heutige Deutschland, ein Staat mit Tendenz zum Failed State, der von Inkompetenten und Dilettanten beherrscht wird.

Laurenz

23. Oktober 2022 14:55

@Dojon86 @L.

Kein Freier verlor den Status der Freiheit durch Nichtteilnahme am Kreuzzug. Es gab unzählige Adelige, die weder einen Ersatzmann stellten, noch selbst ins heilige Land zogen und ihren Status trotzdem nicht verloren.

Ihre Aussage ist falsch.

Sie finden auf jeden Fall in den entsprechenden Prophyläen, aber auch in jedem anderen tauglichen Geschichtsbuch, entsprechende Hinweise. Adlige konnten über die Teilnahme an einer militärischen Aktion mit dem eigenen Lehensherrn, im Falle von Freien Reichsrittern war das der Kaiser selbst, verhandeln & sich ggf. freistellen lassen. Freie, meist Bauern oder Handwerker, konnten das zwar auch, meist aber änderte sich der Status des Freien, er wurde dadurch zum Minderfreien, weil er den materiellen Wert seines militärischen Anteils am Projekt nicht leisten konnte, wurde also erbuntertänig, zahlte dann für die Schuld Pacht. Wenn Sie mehr über den Unterschied vom Freien zum Minderfreien oder zum Leibeigenen wissen wollen, schreiben Sie das, aber das können Sie auch Selbst recherchieren.

Laurenz

23. Oktober 2022 15:34

@Imagine @Gracchus   

Selbstverständlich schützt das BGB jeden Bürger gleichermaßen. Niemand hat das Privileg, davon abzuweichen oder andere zu betrügen. Das StGB schützt die körperliche Unversehrtheit und das Eigentum jedes Bürgers.

Das gilt nur für natürliche & juristische Personen, die kein Kirchenamt innehaben oder kein Kirchenamt verbriefen. Ab 1933 bis zum heutigen Tage bekamen die staatlich anerkannten Kirchen durch Adolf Hitler einen Staat im Staate geschenkt. Dazu zählen heute auch die Organe der Jüdischen Gemeinden.

Gracchus

23. Oktober 2022 15:52

@Imagine

Dann war es nur eine Frage der Terminologie. 

Dass es Eliten gibt und braucht, stelle ich auch gar nicht in Abrede. Es ist aber nicht zu übersehen, dass eine Spannung zwischen Experto- und Demokratie besteht. Umso mehr ein Witz, wie sogenannte Experten bei Corona versagt haben (ob nun fachlich oder moralisch). 

Demokratie zielt ihrem Ideal nach darauf, dass die Bürger ihre Angelegenheiten selber regeln und Angelegenheiten von allgemeiner Relevanz gemeinsam. Experten können dabei beraten. 

Wenn die Masse dazu - wohlinformierte Entscheidungen zu treffen - nicht oder nur rudimentär in der Lage ist, muss "man" sie dazu in die Lage versetzen. Der Versuch wird aber nicht mal mehr unternommen, im Gegenteil, die Massenmedien haben sich vom Ideal der Aufklärung weit, weit entfernt, aufgrund objektiver Berichterstattung den Bürgern ein fundiertes Urteil zu ermöglichen. 

Gracchus

23. Oktober 2022 19:30

@Laurenz: Sie reden (wieder) Unsinn. Ein Kirchenmann, der ein Auto kauft (ob für sich oder als Kirchenvertreter), muss er natürlich den Kaufpreis zahlen. Er schließt einen ganz normalen Vertrag ab. Oder wie meinen Sie, bezahlen Priester im Supermarkt? Und wenn er den Laden überfällt, begeht er eine Straftat nach StGB. 

Besonderheiten gibt es im Arbeitsrecht. 

Laurenz

24. Oktober 2022 02:40

@Dojon @L.

Deutsche Ritter waren in Azincourt nicht beteiligt.

Soweit ich nachgeschlagen habe, mußte ich feststellen, daß mir (und anderen) mein Gedächtnis wohl einen Streich gespielt hatte. König Johann von Böhmen fiel in der Schlacht von Crézy, 1346. Allerdings dürfen wir festhalten, daß der Französischen Adel fast zu 100% aus Franken bestand. Da König Karl VI schon in den 90ern des 14. Jahrhunderts quasi als Regent ausgefallen war, bestimmte seine Frau, Elisabeth von Bayern, zum großen Teil die Geschicke Frankreichs.

@Gracchus @L.

Entscheidend sind Artikel 1, 4, 31 & 33. In 33 ist der entscheidende Satz: Die auf kirchliche Personen oder kirchliche Dinge bezüglichen Materien, die in den vorstehenden Artikeln nicht behandelt wurden, werden für den kirchlichen Bereich dem geltenden kanonischen Recht gemäß geregelt.

Was Ihren Würdenträger bei Aldi angeht, so gilt, im Gegensatz zu uns beiden, daß gegen seine Einkünfte kein Titel erworben werden kann (Art. 8).

Oder auch geil in Art. 1

Es anerkennt das Recht der katholischen Kirche, innerhalb der Grenzen des für alle geltenden Gesetzes, ihre Angelegenheiten selbständig zu ordnen und zu verwalten und im Rahmen ihrer Zuständigkeit für ihre Mitglieder bindende Gesetze und Anordnungen zu erlassen.