Der »Verfassungsschutz« (VS) von Sachsen-Anhalt hat, CDU-geführt, bekanntlich das Institut für Staatspolitik (IfS) als »gesichert rechtsextreme Gruppierung« eingestuft.
Insbesondere die »Begründung«, das IfS bemühe sich, den »Raum des Sagbaren« auszudehnen, sollte jedem, für den Meinungsfreiheit und ‑pluralismus von Bedeutung sind, endgültig klargemacht haben, daß der VS durch einen rechtsstaatlichen Staatsschutz ersetzt werden muß. Mit dieser von Linksliberalen (vgl. Leggewie / Meier: Nach dem Verfassungsschutz, 2012) aufgestellten Forderung sollte die politische Rechte keine Probleme haben, schon weil davon ausgegangen werden kann, daß im Normalfall ihre Chancen, sich politisch durchzusetzen, bei freieren Verhältnissen steigen. Das belegt schon der Vergleich der BRD mit Österreich und der Schweiz.
Als Bezugspunkt für den Wechsel von einem ideologischen VS zu einem rechtsstaatlichen Staatsschutz bietet sich Japan an. Das Kaiserreich hatte 1925 beim Übergang zum gleichen (Männer-)Wahlrecht im Rahmen der Meiji-Verfassung von 1889, die der preußischen Verfassung von 1850 nachgebildet war, als Kompromiß einer Demokratisierungspolitik (sog. Taishō-Demokratie) gleichzeitig ein Gesetz zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit (engl. Peace Preservation Law) erlassen, das einem Verfassungsumsturz mit legalem Anstrich entgegenwirken sollte, indem es der Vereinigungsfreiheit Grenzen setzte.
Seiner Struktur nach handelte es sich um ein Strafgesetz, das diejenigen belangt, welche eine Vereinigung bilden, die das Ziel hat, die Verfassungsordnung / Staatsgrundlage (kokutai) zu ändern oder ein privatrechtliches Eigentumssystem abzulehnen. In der Praxis stellte das Gesetz die Grundlage dafür dar, abgestützt durch staatsanwaltliche Ermittlungsverfahren mit Drohung der Anklageerhebung, die allerdings selten durchführt wurde und somit auch nur zu relativ wenigen Verurteilungen führte, ein VS-System effektiv umzusetzen. Das Friedenswahrungsgesetz wurde also als VS-Gesetz mit dem Ziel implementiert, Anhängern politisch falscher Auffassung die »Umkehr« zu ermöglichen.
Diese Polizeiarbeit setzte an der Gedankenkontrolle an, was offen als »Gedankenpolizei« bezeichnet wurde. Zur Steuerung der administrativen Handhabung des Vorgehens gegen Gedankenvergehen wurden vom Justizministerium »Gedankenpolizeiberichte« erstellt. In diesen Studien nahmen kommunistische und nationalistisch-proletarische sowie vergleichbare politische Bewegungen die erste Stelle ein. Letztlich wurde damit eine »religionslose Religion« (Verfassungsideologie) geschützt, die dabei selbst zu Kriegszeiten in einer Weise umgesetzt wurde, die einen Vergleich mit der heutigen BRD legitim macht: »There was no mass terror in Japan […]. Political rivals in Japan did not assassinate each other, nor did the government liquidate its opponents. Except for communists, who were jailed, most dissenters remained free. The worst that happened to people who disagreed with the government was usually that they had to renounce public office […]. No liberal lost his life because of his opinion. Liberal writers or politicans […] were restricted in their public utterances, but were neither arrested nor exiled.« – »Es gab in Japan keinen Massenterror. Weder haben sich politische Rivalen in Japan gegenseitig hingerichtet, noch hat die Regierung ihre Gegner ausgelöscht. Von den Kommunisten, die in Haft genommen wurden, abgesehen, behielten die meisten Dissidenten ihre Freiheit. Das Schlimmste, das mit Menschen passierte, die eine von der Regierung abweichende Meinung vertraten, war in der Regel, daß sie von ihren öffentlichen Ämtern zurücktreten mußten […]. Kein Liberaler verlor aufgrund seiner Meinung sein Leben. Liberale Autoren oder Politiker […] waren in ihrer öffentlichen Meinungsäußerung eingeschränkt, wurden aber weder gefangengenommen noch ins Exil getrieben.« (Beer: Freedom of Expression in Japan. A Study in Comparative Law, Politics, and Society, 1984) Das Gesetz beeinträchtigte jedoch zunehmend allgemein die politische Freiheit, da Gedanken nicht auf bestimmte Gruppierungen beschränkt werden können.
Bereits unter amerikanischer Besatzung erfolgte die Aufhebung des VS-Gesetzes von 1925, allerdings wurden gleichzeitig aufgrund der Regierungsverordnung zur Kontrolle politischer Organisationen von 1949, die dem Generalstaatsanwalt die Befugnis zur Auflösung antidemokratischer Organisationen einräumte, zahlreiche Vereinigungsverbote gegen rechts ausgesprochen. Eine Vereinigungsfreiheit ohne Abstriche konnte erst nach Beendigung der US-Besatzung durch das Gesetz von 1952 zur Verhinderung umstürzlerischer Aktivitäten verwirklicht werden (Uyehara: The Subversive Activities Prevention Law of Japan. It’s Creation 1951 – 52, 2010).
Auch wenn die kommunistische Bedrohung (Korea-Krieg) für zahlreiche Politiker und Beamte, die entsprechend der von der US-Besatzung formal wenig unterbrochenen Kontinuität der japanischen Vorkriegs- und Nachkriegszeit bereits unter dem Gesetz von 1925 tätig gewesen waren, eine Neuauflage des Gesetzes nahegelegt hätte, einigte man sich auf ein der weltanschaulichen Neutralität verpflichtetes Staatsschutzrecht. Das damit verbundene Ziel, die Beschränkung der politischen Freiheit zu vermeiden, ohne den Staat schutzlos zu lassen, ist durch die Ausrichtung von Vereinigungsverboten auf die Abwehr terroristischer Aktivitäten (Art. 7), die im allgemeinen Strafgesetz als solche definiert sind, und der Organisation gewaltsamer Aufstände erreicht worden.
Die Voraussetzung für Vereinsverbote ist eine »gegenwärtige Gefahr« im Sinne der present danger doctrine nach US-Recht, wenn diese durch geringfügigere Verbote gegenüber Funktionären einer entsprechenden Vereinigung gemäß Art. 5 (Verbot gewaltsamer Demonstrationen) nicht mehr abgewendet werden kann. Die zwingende Strafrechtsakzessorietät des polizeilichen VS steht außerdem unter dem strikten Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nach Art. 2, ergänzt durch Art. 3 mit dem rigorosen Gebot der Vermeidung unnötiger Grundrechtseingriffe.
Auch wenn es aufgrund der Gewaltbereitschaft der Kommunistischen Partei nachvollziehbare Gründe zum Parteiverbot gegeben hätte, wie dies noch die US-Besatzungsmacht in Japan (anders als in der BRD) gewollt hatte, ist dieses Verbot mit der Erwägung abgelehnt worden, daß die Gefahr nicht so groß sei, daß man ihr nicht durch Vorgehen gegen strafrechtlich in Erscheinung tretende Kommunisten begegnen könne, so daß man von der Kollektivstrafe Parteiverbot Abstand nahm. Es gab in der Folge nur wenige Gerichtsverfahren, seit 1971 überhaupt keine mehr, und erst recht keine Maßnahmen gegen »gewalttätig destruktive Organisationen«.
Das schon fast vergessene Gesetz ist nach dem Giftgasanschlag vom 20. März 1995, bei dem fünf Mitglieder der Endzeitsekte Aum Shinrikyo in der U‑Bahn Tokios 13 Menschen töteten und Hunderte verletzten, wieder ins Bewußtsein getreten. Die japanische Politik hat allerdings entschieden, das auf politische Bestrebungen ausgerichtete Gesetz nicht auf religiös motivierte Organisationen anzuwenden, und erließ statt dessen ein neues Gesetz zur Kontrolle von Gruppierungen, die Akte wahllosen Massenmords verübt haben. Aufgrund der Anknüpfung an einen schwerwiegenden Straftatbestand kann diese Kontrolle nicht mit der VS-Überwachung in der BRD gleichgestellt werden, bei der als Eingriffsvoraussetzung bereits die Pflege falscher Ideologie genügt.
»The actions that the Japanese government did not take are perhaps even more instructive than the actions taken. First, they did not outlaw or ban Aum. […] members guilty of criminal acts were arrested, and the group as a whole fell under increased surveillance, but the group was not forced to disband. […] the government did not pass general laws targeting all religious groups.« – »Die Maßnahmen, die die japanische Regierung nicht ergriff, sind vielleicht sprechender als die, die sie tatsächlich umsetzte. Zum einen wurde Aum nicht für verfassungswidrig erklärt oder verboten. […] Mitglieder, die Straftaten begangen hatten, wurden verhaftet, und die Gruppe als Ganzes wurde unter verstärkte Beobachtung gestellt, aber nicht gezwungen, sich aufzulösen. […] Die Regierung verabschiedete keine allgemeinen Gesetze gegen alle religiösen Gruppen.« (Grimm / Finke: The Price of Freedom Denied, 2010)
Man kann sich gut ausmalen, was sich in der BRD bei einem derartigen Anschlag einer Sektenorganisation zugetragen hätte. Was erklärt den Unterschied? Ausgangspunkt für die politische Freiheit in Japan ist die Erkenntnis: »Parties against the democratic constitutional order are not, as in West Germany, restricted« (Beer).
»Im Gegensatz zur deutschen Staatsrechtslehre der Vorkriegszeit ist die japanische Staatsrechtslehre der Nachkriegszeit zu der zeitgenössischen deutschen Staatsrechtslehre vorläufig auf Distanz gegangen. Der Stein des Anstoßes war das Prinzip der streitbaren Demokratie. Die japanische Staatsrechtslehre hat den Hintergrund dieses Prinzips gut verstehen können. Sie hat trotzdem dieses Prinzip als Rechtfertigung dafür verstanden, dem Volk den vom Staat festgesetzten Wert aufzuzwingen und Druck auf das Gewissen der einzelnen auszuüben, und ist stolz darauf gewesen, daß die japanische Verfassung ein solches Problem nicht enthält und ein solches Prinzip nicht institutionalisiert.
Unter diesem Gesichtspunkt wurde das Bundesverfassungsgericht betrachtet, es wurde sogar als der typische Ausdruck dieses Prinzips angesehen, zumal es mit der Befugnis zum Parteiverbot ausgestattet ist. Daß das Bundesverfassungsgericht in der Anfangsperiode seiner Tätigkeit zweimal diese Befugnis ausgeübt hat, hat die kritische Haltung der japanischen Staatsrechtslehre verstärkt« (Kuriki: »Über die Tätigkeit der Japanischen Forschungsgesellschaft für das deutsche Verfassungsrecht«, in: Jahrbuch des öffentlichen Rechts N.F., 2002).
Dies macht deutlich, wo bei der Sicherung der politischen Freiheit in der BRD anzusetzen ist.