Rechtsstaatlicher Staatsschutz – Vorbild Japan

von Josef Schüßlburner

PDF der Druckfassung aus Sezession 105/ Dezember 2021

Der »Ver­fas­sungs­schutz« (VS) von Sach­sen-Anhalt hat, CDU-geführt, bekannt­lich das Insti­tut für Staats­po­li­tik (IfS) als »gesi­chert rechts­extre­me Grup­pie­rung« eingestuft.

Ins­be­son­de­re die »Begrün­dung«, das IfS bemü­he sich, den »Raum des Sag­ba­ren« aus­zu­deh­nen, soll­te jedem, für den Mei­nungs­frei­heit und ‑plu­ra­lis­mus von Bedeu­tung sind, end­gül­tig klar­ge­macht haben, daß der VS durch einen rechts­staat­li­chen Staats­schutz ersetzt wer­den muß. Mit die­ser von Links­li­be­ra­len (vgl. Leg­ge­wie / Mei­er: Nach dem Ver­fas­sungs­schutz, 2012) auf­ge­stell­ten For­de­rung soll­te die poli­ti­sche Rech­te kei­ne Pro­ble­me haben, schon weil davon aus­ge­gan­gen wer­den kann, daß im Nor­mal­fall ihre Chan­cen, sich poli­tisch durch­zu­set­zen, bei freie­ren Ver­hält­nis­sen stei­gen. Das belegt schon der Ver­gleich der BRD mit Öster­reich und der Schweiz.

Als Bezugs­punkt für den Wech­sel von einem ideo­lo­gi­schen VS zu einem rechts­staat­li­chen Staats­schutz bie­tet sich Japan an. Das Kai­ser­reich hat­te 1925 beim Über­gang zum glei­chen (Männer-)Wahlrecht im Rah­men der Mei­ji-Ver­fas­sung von 1889, die der preu­ßi­schen Ver­fas­sung von 1850 nach­ge­bil­det war, als Kom­pro­miß einer Demo­kra­ti­sie­rungs­po­li­tik (sog. Tais­hō-Demo­kra­tie) gleich­zei­tig ein Gesetz zur Auf­recht­erhal­tung der öffent­li­chen Sicher­heit (engl. Peace Pre­ser­va­ti­on Law) erlas­sen, das einem Ver­fas­sungs­um­sturz mit lega­lem Anstrich ent­ge­gen­wir­ken soll­te, indem es der Ver­ei­ni­gungs­frei­heit Gren­zen setzte.

Sei­ner Struk­tur nach han­del­te es sich um ein Straf­ge­setz, das die­je­ni­gen belangt, wel­che eine Ver­ei­ni­gung bil­den, die das Ziel hat, die Ver­fas­sungs­ord­nung / Staats­grund­la­ge ­(koku­tai) zu ändern oder ein pri­vat­recht­li­ches Eigen­tums­sys­tem abzu­leh­nen. In der Pra­xis stell­te das Gesetz die Grund­la­ge dafür dar, abge­stützt durch staats­an­walt­li­che Ermitt­lungs­ver­fah­ren mit Dro­hung der Ankla­ge­er­he­bung, die aller­dings sel­ten durch­führt wur­de und somit auch nur zu rela­tiv weni­gen Ver­ur­tei­lun­gen führ­te, ein VS-Sys­tem effek­tiv umzu­set­zen. Das Frie­dens­wah­rungs­ge­setz wur­de also als VS-Gesetz mit dem Ziel imple­men­tiert, Anhän­gern poli­tisch fal­scher Auf­fas­sung die »Umkehr« zu ermöglichen.

Die­se Poli­zei­ar­beit setz­te an der Gedan­ken­kon­trol­le an, was offen als »Gedan­ken­po­li­zei« bezeich­net wur­de. Zur Steue­rung der admi­nis­tra­ti­ven Hand­ha­bung des Vor­ge­hens gegen Gedan­ken­ver­ge­hen wur­den vom Jus­tiz­mi­nis­te­ri­um »Gedan­ken­po­li­zei­be­rich­te« erstellt. In die­sen Stu­di­en nah­men kom­mu­nis­ti­sche und natio­na­lis­tisch-pro­le­ta­ri­sche sowie ver­gleich­ba­re poli­ti­sche Bewe­gun­gen die ers­te Stel­le ein. Letzt­lich wur­de damit eine »reli­gi­ons­lo­se Reli­gi­on« (Ver­fas­sungs­ideo­lo­gie) geschützt, die dabei selbst zu Kriegs­zei­ten in einer Wei­se umge­setzt wur­de, die einen Ver­gleich mit der heu­ti­gen BRD legi­tim macht: »The­re was no mass ter­ror in Japan […]. Poli­ti­cal rivals in Japan did not ass­as­si­na­te each other, nor did the govern­ment liqui­da­te its oppon­ents. Except for com­mu­nists, who were jai­led, most dis­sen­ters remain­ed free. The worst that hap­pen­ed to peo­p­le who dis­agreed with the govern­ment was usual­ly that they had to renoun­ce public office […]. No libe­ral lost his life becau­se of his opi­ni­on. Libe­ral wri­ters or poli­ti­cans […] were rest­ric­ted in their public utteran­ces, but were neither arres­ted nor exi­led.« – »Es gab in Japan kei­nen Mas­sen­ter­ror. Weder haben sich poli­ti­sche Riva­len in Japan gegen­sei­tig hin­ge­rich­tet, noch hat die Regie­rung ihre Geg­ner aus­ge­löscht. Von den Kom­mu­nis­ten, die in Haft genom­men wur­den, abge­se­hen, behiel­ten die meis­ten Dis­si­den­ten ihre Frei­heit. Das Schlimms­te, das mit Men­schen pas­sier­te, die eine von der Regie­rung abwei­chen­de Mei­nung ver­tra­ten, war in der Regel, daß sie von ihren öffent­li­chen Ämtern zurück­tre­ten muß­ten […]. Kein Libe­ra­ler ver­lor auf­grund sei­ner Mei­nung sein Leben. Libe­ra­le Autoren oder Poli­ti­ker […] waren in ihrer öffent­li­chen Mei­nungs­äu­ße­rung ein­ge­schränkt, wur­den aber weder gefan­gen­ge­nom­men noch ins Exil getrie­ben.« (Beer: Free­dom of Expres­si­on in Japan. A Stu­dy in Com­pa­ra­ti­ve Law, Poli­tics, and Socie­ty, 1984) Das Gesetz beein­träch­tig­te jedoch zuneh­mend all­ge­mein die poli­ti­sche Frei­heit, da Gedan­ken nicht auf bestimm­te Grup­pie­run­gen beschränkt wer­den können.

Bereits unter ame­ri­ka­ni­scher Besat­zung erfolg­te die Auf­he­bung des VS-Geset­zes von 1925, aller­dings wur­den gleich­zei­tig auf­grund der Regie­rungs­ver­ord­nung zur Kon­trol­le poli­ti­scher Orga­ni­sa­tio­nen von 1949, die dem Gene­ral­staats­an­walt die Befug­nis zur Auf­lö­sung anti­de­mo­kra­ti­scher Orga­ni­sa­tio­nen ein­räum­te, zahl­rei­che Ver­ei­ni­gungs­ver­bo­te gegen rechts aus­ge­spro­chen. Eine Ver­ei­ni­gungs­frei­heit ohne Abstri­che konn­te erst nach Been­di­gung der US-Besat­zung durch das Gesetz von 1952 zur Ver­hin­de­rung umstürz­le­ri­scher Akti­vi­tä­ten ver­wirk­licht wer­den (Uye­ha­ra: The Sub­ver­si­ve Acti­vi­ties Pre­ven­ti­on Law of Japan. It’s Crea­ti­on 195152, 2010).

Auch wenn die kom­mu­nis­ti­sche Bedro­hung (Korea-Krieg) für zahl­rei­che Poli­ti­ker und Beam­te, die ent­spre­chend der von der US-Besat­zung for­mal wenig unter­bro­che­nen Kon­ti­nui­tät der japa­ni­schen Vor­kriegs- und Nach­kriegs­zeit bereits unter dem Gesetz von 1925 tätig gewe­sen waren, eine Neu­auf­la­ge des Geset­zes nahe­ge­legt hät­te, einig­te man sich auf ein der welt­an­schau­li­chen Neu­tra­li­tät ver­pflich­te­tes Staats­schutz­recht. Das damit ver­bun­de­ne Ziel, die Beschrän­kung der poli­ti­schen Frei­heit zu ver­mei­den, ohne den Staat schutz­los zu las­sen, ist durch die Aus­rich­tung von Ver­ei­ni­gungs­ver­bo­ten auf die Abwehr ter­ro­ris­ti­scher Akti­vi­tä­ten (Art. 7), die im all­ge­mei­nen Straf­ge­setz als sol­che defi­niert sind, und der Orga­ni­sa­ti­on gewalt­sa­mer Auf­stän­de erreicht worden.

Die Vor­aus­set­zung für Ver­eins­ver­bo­te ist eine »gegen­wär­ti­ge Gefahr« im Sin­ne der ­pre­sent dan­ger doc­tri­ne nach US-Recht, wenn die­se durch gering­fü­gi­ge­re Ver­bo­te gegen­über Funk­tio­nä­ren einer ent­spre­chen­den Ver­ei­ni­gung gemäß Art. 5 (Ver­bot gewalt­sa­mer Demons­tra­tio­nen) nicht mehr abge­wen­det wer­den kann. Die zwin­gen­de Straf­rechts­ak­zess­orie­tät des poli­zei­li­chen VS steht außer­dem unter dem strik­ten Ver­hält­nis­mä­ßig­keits­grund­satz nach Art. 2, ergänzt durch Art. 3 mit dem rigo­ro­sen Gebot der Ver­mei­dung unnö­ti­ger Grundrechtseingriffe.

Auch wenn es auf­grund der Gewalt­be­reit­schaft der Kom­mu­nis­ti­schen Par­tei nach­voll­zieh­ba­re Grün­de zum Par­tei­ver­bot gege­ben hät­te, wie dies noch die US-Besat­zungs­macht in Japan (anders als in der BRD) gewollt hat­te, ist die­ses Ver­bot mit der Erwä­gung abge­lehnt wor­den, daß die Gefahr nicht so groß sei, daß man ihr nicht durch Vor­ge­hen gegen straf­recht­lich in Erschei­nung tre­ten­de Kom­mu­nis­ten begeg­nen kön­ne, so daß man von der Kol­lek­tiv­stra­fe Par­tei­ver­bot Abstand nahm. Es gab in der Fol­ge nur weni­ge Gerichts­ver­fah­ren, seit 1971 über­haupt kei­ne mehr, und erst recht kei­ne Maß­nah­men gegen »gewalt­tä­tig destruk­ti­ve Organisationen«.

Das schon fast ver­ges­se­ne Gesetz ist nach dem Gift­gas­an­schlag vom 20. März 1995, bei dem fünf Mit­glie­der der End­zeit­sek­te Aum Shin­rikyo in der U‑Bahn Toki­os 13 Men­schen töte­ten und Hun­der­te ver­letz­ten, wie­der ins Bewußt­sein getre­ten. Die japa­ni­sche Poli­tik hat aller­dings ent­schie­den, das auf poli­ti­sche Bestre­bun­gen aus­ge­rich­te­te Gesetz nicht auf reli­gi­ös moti­vier­te Orga­ni­sa­tio­nen anzu­wen­den, und erließ statt des­sen ein neu­es Gesetz zur Kon­trol­le von Grup­pie­run­gen, die Akte wahl­lo­sen Mas­sen­mords ver­übt haben. Auf­grund der Anknüp­fung an einen schwer­wie­gen­den Straf­tat­be­stand kann die­se Kon­trol­le nicht mit der VS-Über­wa­chung in der BRD gleich­ge­stellt wer­den, bei der als Ein­griffs­vor­aus­set­zung bereits die Pfle­ge fal­scher Ideo­lo­gie genügt.

»The actions that the Japa­ne­se govern­ment did not take are per­haps even more ins­truc­ti­ve than the actions taken. First, they did not out­law or ban Aum. […] mem­bers guil­ty of cri­mi­nal acts were arres­ted, and the group as a who­le fell under increased sur­veil­lan­ce, but the group was not forced to dis­band. […] the govern­ment did not pass gene­ral laws tar­ge­ting all reli­gious groups.« – »Die Maß­nah­men, die die japa­ni­sche Regie­rung nicht ergriff, sind viel­leicht spre­chen­der als die, die sie tat­säch­lich umsetz­te. Zum einen wur­de Aum nicht für ver­fas­sungs­wid­rig erklärt oder ver­bo­ten. […] Mit­glie­der, die Straf­ta­ten began­gen hat­ten, wur­den ver­haf­tet, und die Grup­pe als Gan­zes wur­de unter ver­stärk­te Beob­ach­tung gestellt, aber nicht gezwun­gen, sich auf­zu­lö­sen. […] Die Regie­rung ver­ab­schie­de­te kei­ne all­ge­mei­nen Geset­ze gegen alle reli­giö­sen Grup­pen.« (Grimm / Fin­ke: The Pri­ce of Free­dom Denied, 2010)

Man kann sich gut aus­ma­len, was sich in der BRD bei einem der­ar­ti­gen Anschlag einer Sekten­organisation zuge­tra­gen hät­te. Was erklärt den Unter­schied? Aus­gangs­punkt für die ­poli­ti­sche Frei­heit in Japan ist die Erkennt­nis: »Par­ties against the demo­cra­tic con­sti­tu­tio­nal order are not, as in West Ger­ma­ny, rest­ric­ted« (Beer).

»Im Gegen­satz zur deut­schen Staats­rechts­leh­re der Vor­kriegs­zeit ist die japa­ni­sche Staats­rechts­leh­re der Nach­kriegs­zeit zu der zeit­ge­nös­si­schen deut­schen Staats­rechts­leh­re vor­läu­fig auf Distanz gegan­gen. Der Stein des Ansto­ßes war das Prin­zip der streit­ba­ren Demo­kra­tie. Die japa­ni­sche Staats­rechts­leh­re hat den Hin­ter­grund die­ses Prin­zips gut ver­ste­hen kön­nen. Sie hat trotz­dem die­ses Prin­zip als Recht­fer­ti­gung dafür ver­stan­den, dem Volk den vom Staat fest­ge­setz­ten Wert auf­zu­zwin­gen und Druck auf das Gewis­sen der ein­zel­nen aus­zu­üben, und ist stolz dar­auf gewe­sen, daß die japa­ni­sche Ver­fas­sung ein sol­ches Pro­blem nicht ent­hält und ein sol­ches Prin­zip nicht institutionalisiert.

Unter die­sem Gesichts­punkt wur­de das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt betrach­tet, es wur­de sogar als der typi­sche Aus­druck die­ses Prin­zips ange­se­hen, zumal es mit der Befug­nis zum Par­tei­ver­bot aus­ge­stat­tet ist. Daß das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt in der Anfangs­pe­ri­ode sei­ner Tätig­keit zwei­mal die­se Befug­nis aus­ge­übt hat, hat die kri­ti­sche Hal­tung der japa­ni­schen Staats­rechts­leh­re ver­stärkt« (Kuri­ki: »Über die Tätig­keit der Japa­ni­schen For­schungs­ge­sell­schaft für das deut­sche Ver­fas­sungs­recht«, in: Jahr­buch des öffent­li­chen Rechts N.F., 2002).

Dies macht deut­lich, wo bei der Siche­rung der poli­ti­schen Frei­heit in der BRD anzu­set­zen ist.

 

Nichts schreibt sich
von allein!

Das Blog der Zeitschrift Sezession ist die wichtigste rechtsintellektuelle Stimme im Netz. Es lebt vom Fleiß, von der Lesewut und von der Sprachkraft seiner Autoren. Wenn Sie diesen Federn Zeit und Ruhe verschaffen möchten, können Sie das mit einem Betrag Ihrer Wahl tun.

Sezession
DE58 8005 3762 1894 1405 98
NOLADE21HAL

Kommentare (0)