Gretchenfrage und Konsequenz

PDF der Druckfassung aus Sezession 105/ Dezember 2021

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

Ein Abon­nent frag­te per Mail: »Geben Sie den Lesern der Sezes­si­on eine Ein­schät­zung der Regie­rung? Baer­bock sorgt sich um das Diplo­ma­ti­sche Corps, Habeck ist jetzt Kli­ma- und Wirt­schafts­mi­nis­ter sowie Vize­kanz­ler. Es dro­hen fins­te­re Tage.«

Ist das so? Gibt es so etwas wie fins­te­rer als fins­ter? Oder war es die letz­ten vier Jah­re noch etwas hel­ler? Ste­hen wir erst jetzt am Abgrund, wur­de in der Ära Mer­kel noch eini­ges, man­ches, immer­hin etwas rich­tig gemacht? Ist die Christ­demokratie min­des­tens nur das klei­ne­re Übel oder sogar, mit Blick auf die fins­te­ren Tage, die nun dro­hen, gar kei­nes, und gewinnt Maas plötz­lich an Grö­ße, wenn man ihn neben Baer­bock stellt?

Man kann sol­che Fra­gen ernst­haft zu beant­wor­ten ver­su­chen oder sie abtun mit einem Ver­weis dar­auf, daß man auf den Beginn der gro­ßen Ret­tungs­er­zäh­lung aus dem Mun­de der Uni­on kei­nes­falls her­ein­fal­len dür­fe. Es sind Poli­ti­ker wie Söder, Merz und Spahn, die nun von der auf­hal­ten­den, der beson­ne­ne­ren Kraft ihrer Par­tei zu erzäh­len begin­nen und die dar­auf bau­en kön­nen, daß etli­chen beim Zuhö­ren aus dem Gedächt­nis rutscht, wer regier­te, als in der Banken‑, der Flüchtlings‑, der Kli­ma- und der Coro­na­kri­se gene­ra­tio­nen­über­grei­fen­de, irrever­si­ble Wei­chen­stel­lun­gen vor­ge­nom­men wor­den sind.

Es geht eben immer irgend­wie wei­ter in einem so rei­chen und noch immer so gut orga­ni­sier­ten Land wie dem unse­ren. Sta­bi­li­sie­ren, mit­ma­chen oder Sand ins Getrie­be, wo es nur geht? Selbst unser doch recht über­sicht­li­ches Lager kommt an sol­chen Punk­ten zu dia­me­tral zuein­an­der ste­hen­den Beur­tei­lun­gen und For­de­run­gen. Jüngs­tes Beispiel?

In einem Bei­trag für die Jun­ge Frei­heit vom 26. Novem­ber ver­merkt Karl­heinz Weiß­mann, der Mit­be­grün­der unse­rer Zeit­schrift, daß die »Frei­heit, die wir genie­ßen, weder Him­mels­ga­be noch Selbst­ver­ständ­lich­keit ist. Sie beruht auf Bedin­gun­gen, vor allem dem Vor­han­den­sein staat­li­cher Ord­nung. Das Wesen sol­cher Ord­nung ist, daß sie die Frei­heit des Indi­vi­du­ums regu­liert und ein­schränkt. Auch wenn das unter nor­ma­len Umstän­den kaum spür­bar ist, fügt sie den Men­schen ein und zwingt ihn not­falls zum Fügen.

Man mag die Regeln in Fra­ge stel­len und kann treff­lich dar­über strei­ten, wie das Ein­fü­gen kon­kret von­stat­ten zu gehen hat und dar­über, ob ein Not­fall besteht oder nicht. Aber an dem Zusam­men­hang selbst dürf­te kein Zwei­fel bestehen. Auch dar­an nicht, daß er für einen moder­nen Staat mit einer Mas­sen­be­völ­ke­rung eine beson­de­re wich­ti­ge Bedeu­tung hat.«

Bis hier­her: Staats­bür­ger­kun­de aus der Feder eines Ord­nungs­den­kers. Bloß war das nur der Anlauf: Weiß­mann ver­han­delt in sei­nem Text die Fra­ge nach der Impf­pflicht und plä­diert für sie. Sofort bekom­men sei­ne Aus­füh­run­gen einen ganz ande­ren Schwung, und wir ahnen das Ziel der Argu­men­ta­ti­on: »Der Staats- und Ver­wal­tungs­recht­ler Ernst Forst­hoff (1902 – 1974) sprach davon, daß der heu­ti­ge Staat nicht nur wie jeder Staat zuvor sei­ne eige­ne Dau­er siche­re, son­dern auch ›Daseins­vor­sor­ge‹ zu leis­ten habe. Zu den wesent­li­chen Berei­chen sol­cher ›Daseins­vor­sor­ge‹ gehört die Volks­ge­sund­heit. Ist sie gefähr­det, muß der Staat ein­grei­fen. Ist die Impf­pflicht das Mit­tel der Wahl, um sie zu schüt­zen, dann hat der Staat sie durch­zu­set­zen und darf über die Vor­be­hal­te, die Unein­sich­tig­keit oder den Unwil­len ein­zel­ner hin­weg­ge­hen, um das Gemein­wohl zu schüt­zen. Also: Ärmel hoch!«

Das (selbst die fade Dop­pel­deu­tig­keit am Schluß) schreibt einer der wirk­lich klu­gen Köp­fe, die hin­ter der Sezes­si­on steck­ten. Und nun? Man will ja sofort Fra­gen stel­len, bei­spiels­wei­se eine nach der »Volks­ge­sund­heit« (wel­ches Volk eigent­lich?), die Weiß­mann in Gefahr sieht, obwohl er es sta­tis­tisch nicht unter­füt­tern kann. Ist für ihn der Lock­down nur ein Lock­down, nicht auch ein Test­lauf? Wie­viel von der »Volks­ge­sund­heit« ist dadurch rui­niert wor­den, daß man die Leu­te seit bald zwei Jah­ren im Zustand der Angst hal­ten will? Fra­gen, Fragen …

Es ist wohl am bes­ten, die­ses Plä­doy­er als das eines Staats­die­ners zu begrei­fen, der Staat, Insti­tu­tio­nen, Ord­nung, Gehor­sam und die Bereit­schaft zur Unter­ord­nung auch dann geschützt und geför­dert sehen will, wenn sich all das gegen das Volk gekehrt hat. Wer sein Leben lang Leh­rer war, Beam­ter mit Leib und See­le, und nun eine Pen­si­on bezieht, der kann Gret­chen­fra­gen wohl nicht anders beant­wor­ten – es sei denn, er wäre bereit, die Kon­se­quen­zen zu tragen.

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

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