Wer war … Sebastian Kurz?

PDF der Druckfassung aus Sezession 105/ Dezember 2021

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

Das Aus­maß der Illu­sio­nen, das man­che deut­sche Kon­ser­va­ti­ve immer noch über Sebas­ti­an Kurz hegen, ist über­aus erhei­ternd. »Was auch immer man Kurz noch zur Last legen wird«, schrieb etwa Nor­bert Bolz auf Twit­ter anläß­lich des Rück­tritts des öster­rei­chi­schen Bun­des­kanz­lers, »er war der ein­zi­ge moder­ne Kon­ser­va­ti­ve in der euro­päi­schen Poli­tik.« Klaus Kel­le nann­te Kurz den »vor­letz­ten Hoff­nungs­trä­ger«, übrig blei­be nur noch ­Vik­tor Orbán als »Licht­ge­stalt für ­Men­schen wie mich.«

Der Sau­ber­mann­lack der »poli­ti­schen Desi­gner­dro­ge für Bür­ger­lich-Kon­ser­va­ti­ve« (Mar­tin Sell­ner über Kurz) hat nun etli­che Krat­zer abbe­kom­men. Sei­nen Wahl­sieg im Jahr 2017 ver­dank­te er einer schlau­en Aneig­nung des »FPÖ-Tickets«, indem er The­men wie »Öster­rei­chi­sche Iden­ti­tät und Sicher­heit« in ein salon­fä­hi­ges Gewand klei­de­te. Das Maga­zin Frei­lich hat in der Stu­die »Die gel­ben Fle­cken der ÖVP« Aus­sa­gen von Kurz und ande­ren ÖVP-Poli­ti­kern zu The­men wie Migra­ti­on, Bevöl­ke­rungs­aus­tausch und Isla­mi­sie­rung mit ent­spre­chen­den Stel­lung­nah­men der Iden­ti­tä­ren Bewe­gung Öster­reich ver­gli­chen und dabei eine Viel­zahl von ver­blüf­fen­den Über­ein­stim­mun­gen ent­deckt. Den­noch – oder gera­de des­we­gen – erreich­te die Ver­fol­gung der IBÖ unter der tür­kis-blau­en Koali­ti­on ihren Höhepunkt.

Von einer ech­ten innen­po­li­ti­schen Wen­de war unter Kurz wenig zu spü­ren. »Sein ganz gro­ßes Anlie­gen war und ist die Kar­rie­re des Sebas­ti­an Kurz«, schrieb das kon­ser­va­ti­ve Urge­stein Albert Pethö in sei­ner Flug­schrift Die wei­ße Rose über den Kanz­ler, »ein poli­ti­sches Pro­jekt, das er mit gro­ßer Umtrie­big­keit und Raf­fi­nes­se ver­folgt, unbe­las­tet von welt­an­schau­li­chen Grund­sät­zen.« Kurz gehör­te 2019 zu den trei­ben­den Kräf­ten, die im Zuge der »Ibi­za-Affä­re« dar­auf abziel­ten, nicht nur Vize­kanz­ler Stra­che, son­dern den gesam­ten blau­en Koali­ti­ons­part­ner abzu­sä­gen. Anschlie­ßend hol­te er sich die inter­na­tio­nal image­freund­li­che­ren Grü­nen ins Koali­ti­ons­boot, die sich als Gegen­leis­tung für ihren Platz an der Son­ne will­fäh­rig der Linie der Tür­ki­sen unter­ord­ne­ten. Im Mai 2019 schrieb ich auf ­»Sezes­si­on im Netz«: »Wo Stra­che immer noch ein B‑Mo­vie-Dilet­tant ist, ist Kurz inzwi­schen ein Voll­pro­fi«, näm­lich im Aus­bau eines Mafia­net­zes, das sich auch dick in die Pres­se ein­ge­kauft hat. Wie recht Stra­che mit sei­ner Ibi­za-Aus­sa­ge »Jour­na­lis­ten sind die größ­ten Huren« hat­te, zeig­te sich dras­tisch ab März 2020, als sich mit Regie­rungs­gel­dern üppig gefüt­ter­te Blät­ter wie die Kro­nen Zei­tung oder oe24 in Coro­na-­Praw­das ver­wan­del­ten, die Kurz als heroi­schen Füh­rer durch die medi­al auf­ge­bausch­te Virus­kri­se fei­er­ten und die Maß­nah­men­ty­ran­nei sei­ner Regie­rung mit einem pseu­do­pa­trio­ti­schen Zucker­guß verschönerten.

Schließ­lich hol­te Kurz das Kar­ma von Ibi­za ein. Der »Ibi­za-Unter­su­chungs­aus­schuß« nahm Wit­te­rung Rich­tung Volks­par­tei auf. Im Febru­ar 2021 erfolg­te eine Raz­zia bei Finanz­mi­nis­ter Ger­not Blü­mel, im Okto­ber in der ÖVP-Par­tei­zen­tra­le. Der Sturz kam schließ­lich mit der Ver­öf­fent­li­chung von Whats­App-Chats von einem beschlag­nahm­ten Han­dy des selbst­er­klär­ten Kurz-»Prätorianers« Tho­mas Schmid, die tie­fe Ein­bli­cke in den zyni­schen Umgangs­ton der »Fami­lie« um den Kanz­ler boten.

Kurz und sei­nem Umfeld wird nun vor­ge­wor­fen, Steu­er­gel­der zur Finan­zie­rung von fri­sier­ten Umfra­gen ver­wen­det zu haben. »Öster­reichs Bür­ger haben sich ihre eige­ne Des­in­for­ma­ti­on finan­ziert«, for­mu­lier­te tref­fend ein Kom­men­ta­tor in der Wie­ner Zei­tung. Mit sei­nem Rück­tritt, den er als selbst­lo­ses Opfer für das Vater­land hin­stell­te, konn­te Kurz die Koali­ti­on gera­de noch ret­ten. Es zwei­felt jedoch nie­mand dar­an, daß er immer noch als »Schat­ten­kanz­ler« hin­ter Alex­an­der Schal­len­berg steht. Am 6. Novem­ber berich­te­te oe24 über »Geheim­rei­sen« von Kurz nach Dub­lin und in die USA und spe­ku­lier­te: »Folgt statt Par­la­ment nun Sili­con-Val­ley-Job?«, denn immer­hin sei er »bes­tens ver­netzt« mit der »welt­wei­ten Tech-Bran­che«. Ver­ges­sen wir auch nicht, daß Kurz 2018 die aus Ungarn ver­trie­be­nen Open Socie­ty Foun­da­ti­ons des Geor­ge Sor­os mit offe­nen Armen in Wien emp­fan­gen hat. Er war und ist ein Glo­ba­lis­ten­la­kai im kon­ser­va­ti­ven Anzug, und als sol­cher wird er gewiß wie­der eine lukra­ti­ve Beschäf­ti­gung finden.

 

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

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