Das Ausmaß der Illusionen, das manche deutsche Konservative immer noch über Sebastian Kurz hegen, ist überaus erheiternd. »Was auch immer man Kurz noch zur Last legen wird«, schrieb etwa Norbert Bolz auf Twitter anläßlich des Rücktritts des österreichischen Bundeskanzlers, »er war der einzige moderne Konservative in der europäischen Politik.« Klaus Kelle nannte Kurz den »vorletzten Hoffnungsträger«, übrig bleibe nur noch Viktor Orbán als »Lichtgestalt für Menschen wie mich.«
Der Saubermannlack der »politischen Designerdroge für Bürgerlich-Konservative« (Martin Sellner über Kurz) hat nun etliche Kratzer abbekommen. Seinen Wahlsieg im Jahr 2017 verdankte er einer schlauen Aneignung des »FPÖ-Tickets«, indem er Themen wie »Österreichische Identität und Sicherheit« in ein salonfähiges Gewand kleidete. Das Magazin Freilich hat in der Studie »Die gelben Flecken der ÖVP« Aussagen von Kurz und anderen ÖVP-Politikern zu Themen wie Migration, Bevölkerungsaustausch und Islamisierung mit entsprechenden Stellungnahmen der Identitären Bewegung Österreich verglichen und dabei eine Vielzahl von verblüffenden Übereinstimmungen entdeckt. Dennoch – oder gerade deswegen – erreichte die Verfolgung der IBÖ unter der türkis-blauen Koalition ihren Höhepunkt.
Von einer echten innenpolitischen Wende war unter Kurz wenig zu spüren. »Sein ganz großes Anliegen war und ist die Karriere des Sebastian Kurz«, schrieb das konservative Urgestein Albert Pethö in seiner Flugschrift Die weiße Rose über den Kanzler, »ein politisches Projekt, das er mit großer Umtriebigkeit und Raffinesse verfolgt, unbelastet von weltanschaulichen Grundsätzen.« Kurz gehörte 2019 zu den treibenden Kräften, die im Zuge der »Ibiza-Affäre« darauf abzielten, nicht nur Vizekanzler Strache, sondern den gesamten blauen Koalitionspartner abzusägen. Anschließend holte er sich die international imagefreundlicheren Grünen ins Koalitionsboot, die sich als Gegenleistung für ihren Platz an der Sonne willfährig der Linie der Türkisen unterordneten. Im Mai 2019 schrieb ich auf »Sezession im Netz«: »Wo Strache immer noch ein B‑Movie-Dilettant ist, ist Kurz inzwischen ein Vollprofi«, nämlich im Ausbau eines Mafianetzes, das sich auch dick in die Presse eingekauft hat. Wie recht Strache mit seiner Ibiza-Aussage »Journalisten sind die größten Huren« hatte, zeigte sich drastisch ab März 2020, als sich mit Regierungsgeldern üppig gefütterte Blätter wie die Kronen Zeitung oder oe24 in Corona-Prawdas verwandelten, die Kurz als heroischen Führer durch die medial aufgebauschte Viruskrise feierten und die Maßnahmentyrannei seiner Regierung mit einem pseudopatriotischen Zuckerguß verschönerten.
Schließlich holte Kurz das Karma von Ibiza ein. Der »Ibiza-Untersuchungsausschuß« nahm Witterung Richtung Volkspartei auf. Im Februar 2021 erfolgte eine Razzia bei Finanzminister Gernot Blümel, im Oktober in der ÖVP-Parteizentrale. Der Sturz kam schließlich mit der Veröffentlichung von WhatsApp-Chats von einem beschlagnahmten Handy des selbsterklärten Kurz-»Prätorianers« Thomas Schmid, die tiefe Einblicke in den zynischen Umgangston der »Familie« um den Kanzler boten.
Kurz und seinem Umfeld wird nun vorgeworfen, Steuergelder zur Finanzierung von frisierten Umfragen verwendet zu haben. »Österreichs Bürger haben sich ihre eigene Desinformation finanziert«, formulierte treffend ein Kommentator in der Wiener Zeitung. Mit seinem Rücktritt, den er als selbstloses Opfer für das Vaterland hinstellte, konnte Kurz die Koalition gerade noch retten. Es zweifelt jedoch niemand daran, daß er immer noch als »Schattenkanzler« hinter Alexander Schallenberg steht. Am 6. November berichtete oe24 über »Geheimreisen« von Kurz nach Dublin und in die USA und spekulierte: »Folgt statt Parlament nun Silicon-Valley-Job?«, denn immerhin sei er »bestens vernetzt« mit der »weltweiten Tech-Branche«. Vergessen wir auch nicht, daß Kurz 2018 die aus Ungarn vertriebenen Open Society Foundations des George Soros mit offenen Armen in Wien empfangen hat. Er war und ist ein Globalistenlakai im konservativen Anzug, und als solcher wird er gewiß wieder eine lukrative Beschäftigung finden.