Gerd Krumeich: Jeanne d’Arc

von Felix Dirsch

Die Nation und die ihr gegenüber fällige Loyalität einerseits und der international ausgerichtete katholische Glaube andererseits standen und stehen grundsätzlich in einem Spannungsverhältnis.

Daß die­ses in Frank­reich stets gerin­ger aus­ge­prägt war als in Deutsch­land ist auch einer bis heu­te volks­tüm­li­chen Hei­li­gen zu ver­dan­ken: Jean­ne d’Arc. Man kann ihr Wir­ken als »pro­to-natio­na­les« Enga­ge­ment deu­ten, das die eng­li­schen Besat­zer mit allen Mit­teln aus dem eige­nen Vater­land ver­trei­ben wollte.

Gerd Krum­eich wur­de wäh­rend sei­nes pro­duk­ti­ven Gelehr­ten­da­seins vor allem mit vie­len Publi­ka­tio­nen zum Ers­ten Welt­krieg und des­sen Hin­ter­grün­den bekannt. Der eme­ri­tier­te Hoch­schul­leh­rer ver­faß­te vor Jahr­zehn­ten eine Habi­li­ta­ti­ons­schrift über die Jung­frau von Orlé­ans. Zuletzt hat er sich wie­der mit die­sem Gegen­stand beschäftigt.

Das Objekt die­ser For­schun­gen ist kein ein­fa­ches. Die Schwie­rig­kei­ten lie­gen in ers­ter Linie in der unab­ding­ba­ren Ver­schrän­kung der geist­lich-theo­lo­gi­schen mit der welt­lich-his­to­ri­schen Mate­rie. Ein jun­ges Mäd­chen bäu­er­li­cher Her­kunft steht an der Spit­ze eines Hee­res, besiegt Eng­län­der und Bur­gun­der. In beson­de­rer Wei­se bedeut­sam ist die Befrei­ung von Orlé­ans. Ihr Ver­hält­nis zum Dau­phin, den sie zur Königs­sal­bung beglei­te­te, war nicht unpro­ble­ma­tisch. Im Rah­men der Schlacht von Com­piè­g­ne erlei­det die tap­fe­re und furcht­lo­se Heer­füh­re­rin eine Nie­der­la­ge und wird gefan­gen­ge­nom­men. Bis heu­te wird von Ver­rat gemunkelt.

Es folgt ein kaum nach­voll­zieh­ba­rer Lei­dens­weg. Jean­ne wird als Hexe und Teu­fels­an­be­te­rin ange­klagt. Im Inqui­si­ti­ons­pro­zeß von Rouen beschul­digt man sie wei­ter der Ket­ze­rei. Zu den Ankla­ge­punk­ten zählt ihre Gepflo­gen­heit, Män­ner­klei­dung zu tra­gen. Ihre Nähe zum fran­zö­si­schen König war selbst­re­dend dem Kriegs­geg­ner ein Dorn im Auge. Weder für die sei­ner­zei­ti­gen Anklä­ger noch für spä­te­re Geschichts­wis­sen­schaft­ler ist es ein­fach, ihre zu Pro­to­koll gege­be­ne haupt­säch­li­che Inspi­ra­ti­ons­quel­le zu fas­sen: die gött­li­che Ein­ge­bung, die auch im Pro­zeß gegen sie immer wie­der zur Spra­che kommt.

Johan­na sprach immer von den Stim­men der hei­li­gen Katha­ri­na und der hei­li­gen Mar­ga­ret, von denen sie gelei­tet wer­de. Ange­sichts sol­cher »Tat­sa­chen« ist frag­lich, ob eine rein quel­len­kri­tisch aus­ge­rich­te­te Erhel­lung der Hand­lun­gen ­Johan­nas wei­ter­füh­rend ist, wie sie auch Krum­eich ver­sucht. Nichts­des­to­we­ni­ger sind die Akten des Ver­dam­mungs­pro­zes­ses noch im 20. Jahr­hun­dert so inter­es­sant, daß sie ein Lite­rat wie Bert Brecht, der weder beson­ders an fran­zö­si­scher Geschich­te noch an katho­li­schen Hei­li­gen inter­es­siert war, aus­führ­lich in sei­nem Stück Die hei­li­ge Johan­na der Schlacht­hö­fe zitiert.

Nicht zuletzt die eng­li­sche Sei­te dürf­te über das Urteil, Tod auf dem Schei­ter­hau­fen, erfreut gewe­sen sein. Zur Tra­gik zähl­te ihr stän­di­ges Chan­gie­ren zwi­schen geist­li­chen und welt­li­chen Macht­ha­bern. Die 19jährige starb mit dem Namen Jesu auf den Lip­pen. Wäh­rend ihre Anhän­ger ihr tra­gi­sches Ende nicht ver­hin­dern konn­ten, so erwie­sen sie sich als stark genug, ab Mit­te des 15. Jahr­hun­derts, zwei Jahr­zehn­te nach ihrem Tod, ein Revi­si­ons­ver­fah­ren durch­zu­set­zen. Es ende­te mit der Reha­bi­li­tie­rung und Hei­lig­spre­chung der »Pucel­le«, wie Vol­taire sie ehr­furchts­voll nann­te. Zu den Hin­ter­grün­den die­ser Wen­de dürf­te auch der Sieg Karls VII. über die Eng­län­der bei­tra­gen haben. Nun­mehr däm­mer­te es eini­gen der Gro­ßen des Lan­des, wer zu die­sem Erfolg maß­geb­lich bei­getra­gen hatte.

Natür­lich kann man eine Gestalt wie Jean­ne d’Arc nicht ohne ihr ruhm­rei­ches Nach­le­ben beschrei­ben. Krum­eich geht aus­führ­lich auf vie­le Zeug­nis­se der Male­rei wie der Dich­tung ein, eben­so auf das Medi­um Film. Selbst in den Kon­tro­ver­sen des spä­ten 19. Jahr­hun­derts, die vor allem zwi­schen den lai­zis­ti­schen Erben der Fran­zö­si­schen Revo­lu­ti­on und deren roya­lis­tisch-katho­li­schen Geg­nern aus­ge­tra­gen wur­den, spiel­te sie kei­ne unter­ge­ord­ne­te Rolle.

Obwohl die Stu­die als popu­lär­wis­sen­schaft­lich gedacht ist, zitiert der Autor eine grö­ße­re Zahl an Quel­len. Trotz sei­nes Bemü­hens um Distanz läßt er immer wie­der Sym­pa­thie für die Jung­frau durch­bli­cken. Unge­ach­tet akri­bi­scher Quel­len­stu­di­en von vie­len Ken­nern der Mate­rie, ist nicht dar­an zu zwei­feln, daß man­ches von der »Frau des Jahr­tau­sends« für immer im dun­keln blei­ben wird. Eini­ge Details wird der Fach­mann an der vor­lie­gen­den Abhand­lung bemän­geln. Dazu zählt die feh­len­de Dis­kus­si­on über die ein­fluß­rei­che, wenn­gleich im ein­zel­nen feh­ler­haf­te Bio­gra­phie von Vita Sack­ville-West, eben­so die Unter­schla­gung man­cher Theo­rien wie der vom Hirn­tu­mor. Gleich­wohl ist die Arbeit allen Inter­es­sier­ten ans Herz zu legen.

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Gerd Krum­eich: Jean­ne d’Arc: Sehe­rin, Krie­ge­rin, Hei­li­ge. Eine Bio­gra­phie, Mün­chen: Ver­lag C.H. Beck 2021. 399 S., 28 €

 

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