Bruno Preisendörfer: Als Deutschland erstmals einig wurde

Nach den Reisen in die Luther-, die Bach- und die Goethe­zeit nimmt Bruno Preisendörfer (*1957) in seinem neuesten Buch Kurs auf die Epoche der Reichsgründung.

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

Damit beschließt der Autor sein Pro­jekt einer Kul­tur­ge­schich­te der Deut­schen zwi­schen dem 16. und 19. Jahr­hun­dert mit einem Band, der in vie­lem unse­rer Gegen­wart bereits so nahe kommt, daß sich in den gewohnt kurz­wei­li­gen Plau­der­ton die ein oder ande­re Här­te ein­schleicht. Dabei folgt das Buch dem Mus­ter sei­ner Vor­gän­ger, wenn Prei­sen­dör­fer mit Blick auf den All­tag der Men­schen wie neben­bei die poli­ti­schen und welt­an­schau­li­chen Grund­fra­gen der dama­li­gen Zeit behandelt.

Und wie immer weiß er den Leser mit manch unbe­kann­tem Detail, manch tref­fen­dem Zitat und erhel­len­dem Ver­gleich zu über­ra­schen. Der Wert die­ser Bücher für die kul­tur­ge­schicht­li­che Bil­dung der Gegen­warts­deut­schen kann gar nicht hoch genug geschätzt wer­den. Wer die­se Bücher gele­sen hat, weiß nicht nur mehr über die Ver­gan­gen­heit sei­nes Vol­kes, son­dern auch über sei­ne Vor­fah­ren. Es fällt ihm dann even­tu­ell leich­ter, in ihnen nicht vor­de­mo­kra­ti­sche Unge­heu­er zu erbli­cken, son­dern seinesgleichen.

Es ist klar, daß die­se Her­an­ge­hens­wei­se schwie­ri­ger bei­zu­be­hal­ten ist, je näher man der Gegen­wart kommt. Inso­fern ist es zu begrü­ßen, daß Prei­sen­dör­fer kein wei­te­res Buch unter dem Titel »Als Deutsch­land vom Ras­sen­wahn befal­len war. Eine Rei­se in die Hit­ler­zeit« ange­kün­digt hat. Denn schon bei sei­ner Rei­se in die Bis­marck­zeit ste­hen Din­ge im Mit­tel­punkt, die uns heu­te als pro­ble­ma­tisch erschei­nen: die sozia­le Ungleich­heit, der macht­lo­se Par­la­men­ta­ris­mus, die Frau­en- und die Juden­fra­ge. Zwei­fel­los waren die­se Din­ge damals virulent.

Aber sie blei­ben schwer ein­zu­ord­nen, wenn man nicht weiß, wie es damals in ande­ren Län­dern aus­sah. Neben die von Prei­sen­dör­fer oft expli­zit ange­führ­te Per­spek­ti­ve unse­rer Gegen­wart (wenn er etwa erwähnt, daß ein Arbei­ter damals für ein Brot eine Stun­de arbei­ten muß­te, was heu­te selbst bei Min­dest­lohn nur weni­ge Minu­ten in Anspruch nimmt) tritt nur sel­ten die­je­ni­ge des dama­li­gen Aus­lands in Erschei­nung (vor­wie­gend der Fran­zo­se Vic­tor Tis­sot, aber bei­spiels­wei­se nie Mark Twain).

Wenn man mit jeman­dem auf Rei­sen geht, muß man ihm ver­trau­en. Das ist um so wich­ti­ger, je selbst­ver­ständ­li­cher die Rei­se­rou­te von ihm bestimmt ist. Manch­mal geben dann Klei­nig­kei­ten Anlaß zu Miß­trau­en; etwa wenn Preisen­dörfer Bur­schen­schaft­ler statt Bur­schen­schaf­ter schreibt, oder wenn er behaup­tet, der His­to­ri­ker Treit­sch­ke hät­te sei­nen Auf­satz »Unse­re Aus­sich­ten« (1879) mit dem oft zitier­ten Satz »Die Juden sind unser Unglück« beendet.

Die­ser Satz steht zwar im hin­te­ren Teil des Tex­tes, der letz­te Satz lau­tet aber ganz anders: »Gebe Gott, daß wir aus der Gärung und dem Unmut die­ser ruhe­lo­sen Jah­re eine stren­ge­re Auf­fas­sung vom Staa­te und sei­nen Pflich­ten, ein gekräf­tig­tes Natio­nal­ge­fühl davon­tra­gen.« Die­se Klei­nig­kei­ten wach­sen sich dann zu einem Pro­blem aus, wenn Prei­sen­dör­fer die »gro­ßen Män­ner« behan­delt. Bei Bis­marck, des­sen Ver­eh­rung ihm unan­ge­mes­sen vor­kommt, wünscht er sich mehr »Kam­mer­die­ner­ver­stand« der Zeit­ge­nos­sen, um bei Karl Marx auf jede Legen­de her­ein­zu­fal­len, die Mar­xis­ten in den letz­ten 150 Jah­ren in die Welt gesetzt haben.

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Bru­no Prei­sen­dör­fer: Als Deutsch­land erst­mals einig wur­de. Rei­se in die Bis­marck­zeit, Ber­lin: Galia­ni 2021. 447 S., 25 €

 

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Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

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