Christoph Rohde: Das Kreuz und der Krieg

Es gibt eine Art des konservativen Denkens, die trotz Realismus realitätsblind ist.

Caroline Sommerfeld

Caroline Sommerfeld ist promovierte Philosophin und dreifache Mutter.

Sol­ches Den­ken wen­det sich völ­lig zu Recht gegen Open-bor­ders-Hyper­mo­ra­lis­mus in der Migra­ti­ons­po­li­tik, gegen Kli­ma- und Gen­der­wahn, gegen eine »bun­te Trup­pe« als Armee und gegen einen – typisch deut­schen – wohl­fei­len Pazi­fis­mus in geo- und außen­po­li­ti­schen Belangen.

Wie ist es mög­lich, daß jemand die argu­men­ta­ti­ven Grund­la­gen für die­se sys­tem­kri­ti­schen Posi­tio­nen rezi­piert hat, gleich­zei­tig aber die katho­li­sche Amts­kir­che seit dem Zwei­ten Vati­ka­num für »kari­ta­tiv, demo­kra­tie­för­dernd und in der Unter­stüt­zung von Frie­dens­pro­zes­sen tätig« betrach­tet, eben­so die NATO für frie­dens­si­chernd hält, Hen­ry Kis­sin­ger und Papst Fran­zis­kus »glo­ba­le mora­li­sche Auto­ri­tät« zuspricht, weil letz­te­rer gemein­sam mit dem UN-Gene­ral­se­kre­tär im »Kampf gegen Armut, dem Ein­satz für Frie­den und Frei­heit und dem Enga­ge­ment für einen offe­nen Dia­log zwi­schen den Reli­gio­nen und Kul­tu­ren« unter­wegs sei?

Es geht noch wei­ter: Chris­toph Roh­de glaubt, die deut­sche Staats­rä­son sei »Nie wie­der Ausch­witz« und der 8. Mai der »Tag der Befrei­ung«. Er hält »Anti­dis­kri­mi­nie­rungs­re­ge­lun­gen« für rich­tig, meint, »Coro­na« sei ein Ereig­nis, das »die Not­wen­dig­keit von Kri­sen­prä­ven­ti­on in jeder Hin­sicht auf­zeigt«, und bewun­dert den Ostern 2020 ein­sam am Peters­platz beten­den Papst. Er for­mu­liert, Ruß­land lei­de unter dem »Putin-Regime« wie wei­land Jugo­sla­wi­en unter Miloše­vić; er glaubt, die Ras­sen­un­ru­hen in den USA sei­en wegen »Tötung schwar­zer Bür­ger« ent­stan­den, hält die Glo­ba­li­sie­rung für »eine gro­ße Chan­ce« und 9 / 11 für den Ter­ror­an­schlag eines »ein­zel­nen Bösewichts«.

Offen­sicht­lich denkt und schreibt hier ein Libe­ral­kon­ser­va­ti­ver, der wesent­li­che links­glo­ba­lis­ti­sche Nar­ra­ti­ve geschluckt hat. Bestimm­te Ein­zel­hei­ten hin­ter­fragt der Poli­tik­wis­sen­schaft­ler, bei­spiels­wei­se die Steue­rung der deut­schen Frie­dens­be­we­gung durch die DDR, die Hin­ter­grün­de der Befrei­ungs­theo­lo­gie (wobei er sich zur Ehren­ret­tung des amtie­ren­den Paps­tes nicht sicher sein will, ob Fran­zis­kus die­ser anhängt) oder die Gefah­ren des social engi­nee­ring, ins­be­son­de­re des nud­ging.

Roh­de befin­det sich, bild­lich aus­ge­drückt, kurz hin­ter dem Ein­gang des Kanin­chen­baus – lie­fe er wei­ter, gäbe es noch aller­hand zu sehen, das sein Ver­trau­en in vie­le gro­ße Frie­dens­stif­ter und die über sie ver­brei­te­ten Nar­ra­ti­ve irri­tie­ren dürf­te. Dabei ist sein theo­lo­gi­scher Ansatz, an Augus­ti­nus’ Zwei-Rei­che-Leh­re (ver­mit­telt über Luther und den pro­tes­tan­ti­schen ame­ri­ka­ni­schen Theo­lo­gen Rein­hold Nie­buhr, über den Roh­de bereits publi­ziert hat) Maß zu neh­men, außer­or­dent­lich fruchtbar.

Mit Augus­ti­nus läßt sich erken­nen, wie der ein­zel­ne Christ, aber auch wie Staa­ten und Armeen in der »ver­fal­le­nen Welt« rich­tig han­deln kön­nen: »Die bibli­sche Anthro­po­lo­gie, auf die Augus­ti­nus sei­ne poli­ti­sche Theo­lo­gie grün­de­te, ver­mei­det die Illu­sio­nen eines zu ein­sei­ti­gen Idea­lis­mus einer­seits und die zyni­schen Kal­ku­la­tio­nen eines Macht zum Selbst­zweck erklä­ren­den Zynis­mus ande­rer­seits, weil sie die Mus­ter der kor­rum­pier­ten mensch­li­chen Frei­heit offen­legt, ohne sie damit mora­lisch zu akzep­tie­ren.« Sei­ne Aus­füh­run­gen zu »frie­dens­ethisch« wir­ken­den kirch­li­chen Insti­tu­tio­nen im Wan­del der Zeit blei­ben eher lexikalisch.

Her­vor­he­bens­wert ist das Schluß­ka­pi­tel, in dem Roh­de den mili­tä­ri­schen Ein­satz von Droh­nen vom Stand­punkt sei­ner (nich­t­uti­li­ta­ris­ti­schen, das ist hier ent­schei­dend: Todes­op­fer­zah­len gegen­rech­nen ist unchrist­lich!) Ethik aus beurteilt.

Fazit: Die mensch­li­che Frei­heit ist noch viel, viel kor­rum­pier­ter, als der Autor zu glau­ben bereit ist. Ich wür­de mir das­sel­be Buch geschrie­ben wün­schen von jeman­dem mit mehr Wis­sen um Hin­ter­grund­struk­tu­ren und ‑mäch­te – dann wäre es wirk­lich »rea­lis­tisch«.

– –

Chris­toph Roh­de: Das Kreuz und der Krieg. Prä­mis­sen einer rea­lis­ti­schen katholischen
Frie­dens­ethik,
Rück­ers­dorf: Lepan­to Ver­lag 2021. 368 S., 18,50 €

 

Die­ses Buch kön­nen Sie auf antaios.de bestellen.

 

Caroline Sommerfeld

Caroline Sommerfeld ist promovierte Philosophin und dreifache Mutter.

Nichts schreibt sich
von allein!

Das Blog der Zeitschrift Sezession ist die wichtigste rechtsintellektuelle Stimme im Netz. Es lebt vom Fleiß, von der Lesewut und von der Sprachkraft seiner Autoren. Wenn Sie diesen Federn Zeit und Ruhe verschaffen möchten, können Sie das mit einem Betrag Ihrer Wahl tun.

Sezession
DE58 8005 3762 1894 1405 98
NOLADE21HAL

Kommentare (0)