In diesem Buch will Frau Black zeigen, daß Nachkriegsdeutschland weniger eine neugeborene Demokratie denn eine schmählich besiegte Nation gewesen sei. Die »völlig orientierungslose Bevölkerung« habe ihr Heil in Magiern, apokalyptischen Visionen, Gesundbetern und messianischen Hoffnungen gesucht.
Frau Black reiht Fundstelle an Fundstelle und wissenschaftlichen Befund an Befund und bleibt dabei auf teils verstörend wirre Art unschlüssig, ob nun gerade die ehemaligen »Täter« oder doch die potentiellen Opfer Besserung oder Genesung suchten. Alles steht hier mäßig sortiert und in oft grauenhaftem Sprachstil nebeneinander.
Man weiß ohne Kenntnis des Originals nicht, ob diese Stilblüten dem Übersetzer Werner Roller (der hier mit Sicherheit einiges verbockt hat) oder der Autorin zu verdanken sind. Man weiß nur, daß der »innere Schweinehund«, den es nach Ansicht eines Heilers zu überwinden gelte, kein »als starke Beleidigung empfundener Begriff« ist, der »einen ähnlichen Beiklang hat wie bastard im Englischen«; und daß es ulkig ist, wenn die Autorin ihr »eigenes Fach, das Fach Geschichte«, als »äußerst stimulierenden Ort für Lehre und Forschung« beschreibt.
Es gibt hier ungezählte konfuse Sätze. Ob der Zweite Weltkrieg wirklich der »nihilistischste Konflikt der Menschheitsgeschichte« war? »Daß manche Leute, obwohl sie stärker in das NS-Regime verstrickt waren als andere, oft keineswegs häufiger mit einer Bestrafung zu rechnen hatten?« Manche, die stärker, oft keineswegs häufiger – hier ist viel Kauderwelsch.
Unversehens und stilbrüchig wird – punktuell – sogar der Leser selbst angesprochen: »Stellen Sie sich einmal vor, Sie leben in einer Kleinstadt, in der der Hausarzt der Familie auch nach dem Krieg derselbe Mann ist, der dem NS-Staat empfohlen hat, Sie zu sterilisieren.«
Und: Gerechterweise hätte das Buch »Bruno Gröning und andere Wunderheiler der deutschen Nachkriegszeit« titeln müssen, denn es geht in der Hauptsache um den frommen Heiler, Frauenheld und Trinker Gröning.
Nachdem man sich widerstrebend in das holprige Wort- und Gedankengefüge eingelesen hat, profitiert man doch sehr von der Lektüre. Es ist ein Thema, das von der Forschung kaum berührt wurde – die Bedeutung von Heilern und Propheten in der frühen Nachkriegszeit. Fast alle hier geschilderten »magischen« Ereignisse spielen in den Jahren 1949 bis 1952.
Wir lesen fasziniert von den Wirkungen, die charismatische Wunderdoktoren wie Gröning (zunächst im westfälischen Herford, dann in München, später auf Wangerooge: Zehntausende warteten vor seiner Wohnstatt, harrten im Regen aus!), der Astrologe und Telepath Léon Hardt oder ein Düsseldorfer Friseur namens Pietro Tranti auslösten. Oder die rund 3000 Visionen (nicht nur von der Muttergottes, sondern auch von diversen Engeln und Heiligen), von denen die »Sehermädchen« aus dem fränkischen Heroldsbach berichteten. Anderthalb Millionen Menschen sollen zwischen 1949 und 1952 verzweifelt betend dorthin gepilgert sein.
Es gab hier wie auch in den Fällen Gröning et al. massenhafte Heilungen, oft höchst erstaunliche, zu verzeichnen. Interessant ist auch die Geschichte des Luftfahrtpioniers Gottlob Espenlaub und des Solinger Rasierklingenherstellers Hermann Zaiss. Die beiden Erweckungsprediger (Ende der 1950er Jahre gab es noch etwa 300 »Zaiss-Gemeinden«) hatten besonders die »Täter«-Gemeinde und deren schlechtes Gewissen im Fokus: »Man hat sechs Millionen Juden totgeschlagen, und zwar unser Volk hat das getan.« Hier sammelten sich, anders als bei Gröning und anderen magischen Antennen, die definitiv Reumütigen, die Schuldbekenner.
Es spricht für die Forscherin Black, daß sie dergleichen nicht bewertet, sondern recht nüchtern rekapituliert. Hier schlug eigentlich die Stunde der psychosomatischen Medizin, was Frau Black durchaus verdeutlicht. Worunter litten all diese hilfesuchenden Kranken nämlich häufig? Unter Mutismus, unter plötzlicher Blindheit, unter unerklärlichen Lähmungen und unter anderen Symptomen, für die die Schulmedizin keine plausible Erklärung fand.
Das Schuldgefühl, so Black, konnte neben eigenen Taten auch einfach auf diesem Gedanken beruhen: »Wieso sind sie tot, und ich bin am Leben?« Vergleichende Daten, wie sehr magischer Glaube an anderen Orten und Zeiten wirksam war, liefert die Autorin nur am Rande. Wie interessant wäre es gewesen, zu erfahren, was seinerzeit in der sowjetisch besetzten Zone vor sich ging! Black kapriziert sich zudem reichlich naiv darauf, daß die »Kollektivschuld« ein Vorwurf gewesen sei, den eigentlich »niemand erhoben« habe, auf den aber heftig reagiert worden sei.
Dies – daß es gar keinen »Vorwurf« gab – ist natürlich Kappes. Eine renommierte Forscherin sollte es besser wissen. Interessant ist aber ihr Ausblick auf die deutsche Tradition der Laienheilkunde und der magischen Medizin. Otto von Bismarck: »Wem Gott und die Natur die Fähigkeit zum Heilen gegeben haben, dem darf sie die Polizei nicht nehmen.« Als 1933 die NDSAP zur Macht gelangte, kamen auf zehn Ärzte etwa drei Heilpraktiker.
Trotz einiger Mängel ist dies ein empfehlenswertes, mit Sicherheit nie langweiliges Buch zu einem kaum erforschten Phänomen.
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Monica Black: Deutsche Dämonen. Hexen, Wunderheiler und die Geister der Vergangenheit im Nachkriegsdeutschland, Stuttgart: Klett-Cotta 2021. 423 S., 26 €
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