Monica Black: Deutsche Dämonen

Gut, Buchklappe: Monica Black »gilt als eine der bedeutendsten Koryphäen der deutschen wie der europäischen Sozial- und Kunstgeschichte.«

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

In die­sem Buch will Frau Black zei­gen, daß Nach­kriegs­deutsch­land weni­ger eine neu­ge­bo­re­ne Demo­kra­tie denn eine schmäh­lich besieg­te Nati­on gewe­sen sei. Die »völ­lig ori­en­tie­rungs­lo­se Bevöl­ke­rung« habe ihr Heil in Magi­ern, apo­ka­lyp­ti­schen Visio­nen, Gesund­be­tern und mes­sia­ni­schen Hoff­nun­gen gesucht.

Frau Black reiht Fund­stel­le an Fund­stel­le und wis­sen­schaft­li­chen Befund an Befund und bleibt dabei auf teils ver­stö­rend wir­re Art unschlüs­sig, ob nun gera­de die ehe­ma­li­gen »Täter« oder doch die poten­ti­el­len Opfer Bes­se­rung oder Gene­sung such­ten. Alles steht hier mäßig sor­tiert und in oft grau­en­haf­tem Sprach­stil nebeneinander.

Man weiß ohne Kennt­nis des Ori­gi­nals nicht, ob die­se Stil­blü­ten dem Über­set­zer Wer­ner Rol­ler (der hier mit Sicher­heit eini­ges ver­bockt hat) oder der Autorin zu ver­dan­ken sind. Man weiß nur, daß der »inne­re Schwei­ne­hund«, den es nach Ansicht eines Hei­lers zu über­win­den gel­te, kein »als star­ke Belei­di­gung emp­fun­de­ner Begriff« ist, der »einen ähn­li­chen Bei­klang hat wie bas­tard im Eng­li­schen«; und daß es ulkig ist, wenn die Autorin ihr »eige­nes Fach, das Fach Geschich­te«, als »äußerst sti­mu­lie­ren­den Ort für Leh­re und For­schung« beschreibt.

Es gibt hier unge­zähl­te kon­fu­se Sät­ze. Ob der Zwei­te Welt­krieg wirk­lich der »nihi­lis­tischs­te Kon­flikt der Mensch­heits­ge­schich­te« war? »Daß man­che Leu­te, obwohl sie stär­ker in das NS-Regime ver­strickt waren als ande­re, oft kei­nes­wegs häu­fi­ger mit einer Bestra­fung zu rech­nen hat­ten?« Man­che, die stär­ker, oft kei­nes­wegs häu­fi­ger – hier ist viel Kauderwelsch.

Unver­se­hens und stil­brü­chig wird – punk­tu­ell – sogar der Leser selbst ange­spro­chen: »Stel­len Sie sich ein­mal vor, Sie leben in einer Klein­stadt, in der der Haus­arzt der Fami­lie auch nach dem Krieg der­sel­be Mann ist, der dem NS-Staat emp­foh­len hat, Sie zu sterilisieren.«

Und: Gerech­ter­wei­se hät­te das Buch »Bru­no Grö­ning und ande­re Wun­der­hei­ler der deut­schen Nach­kriegs­zeit« titeln müs­sen, denn es geht in der Haupt­sa­che um den from­men Hei­ler, Frauen­held und Trin­ker Gröning.

Nach­dem man sich wider­stre­bend in das holp­ri­ge Wort- und Gedan­ken­ge­fü­ge ein­ge­le­sen hat, pro­fi­tiert man doch sehr von der Lek­tü­re. Es ist ein The­ma, das von der For­schung kaum berührt wur­de – die Bedeu­tung von Hei­lern und Pro­phe­ten in der frü­hen Nach­kriegs­zeit. Fast alle hier geschil­der­ten »magi­schen« Ereig­nis­se spie­len in den Jah­ren 1949 bis 1952.

Wir lesen fas­zi­niert von den Wir­kun­gen, die cha­ris­ma­ti­sche Wun­der­dok­to­ren wie Grö­ning (zunächst im west­fä­li­schen Her­ford, dann in Mün­chen, spä­ter auf Wan­ger­oo­ge: Zehn­tau­sen­de war­te­ten vor sei­ner Wohn­statt, harr­ten im Regen aus!), der Astro­lo­ge und Tele­path Léon Hardt oder ein Düs­sel­dor­fer Fri­seur namens Pie­tro Tran­ti aus­lös­ten. Oder die rund 3000 Visio­nen (nicht nur von der Mut­ter­got­tes, son­dern auch von diver­sen Engeln und Hei­li­gen), von denen die »Seher­mäd­chen« aus dem frän­ki­schen Herolds­bach berich­te­ten. Andert­halb Mil­lio­nen Men­schen sol­len zwi­schen 1949 und 1952 ver­zwei­felt betend dort­hin gepil­gert sein.

Es gab hier wie auch in den Fäl­len ­Grö­ning et al. mas­sen­haf­te Hei­lun­gen, oft höchst erstaun­li­che, zu ver­zeich­nen. Inter­es­sant ist auch die Geschich­te des Luft­fahrt­pio­niers Gott­lob Espen­laub und des Solin­ger Rasier­klin­gen­her­stel­lers Her­mann Zaiss. Die bei­den Erwe­ckungs­pre­di­ger (Ende der 1950er Jah­re gab es noch etwa 300 »Zaiss-Gemein­den«) hat­ten beson­ders die »Täter«-Gemeinde und deren schlech­tes Gewis­sen im Fokus: »Man hat sechs Mil­lio­nen Juden tot­ge­schla­gen, und zwar unser Volk hat das getan.« Hier sam­mel­ten sich, anders als bei Grö­ning und ande­ren magi­schen Anten­nen, die defi­ni­tiv Reu­mü­ti­gen, die Schuldbekenner.

Es spricht für die For­sche­rin Black, daß sie der­glei­chen nicht bewer­tet, son­dern recht nüch­tern reka­pi­tu­liert. Hier schlug eigent­lich die Stun­de der psy­cho­so­ma­ti­schen Medi­zin, was Frau Black durch­aus ver­deut­licht. Wor­un­ter lit­ten all die­se hil­fe­su­chen­den Kran­ken näm­lich häu­fig? Unter Mutis­mus, unter plötz­li­cher Blind­heit, unter uner­klär­li­chen Läh­mun­gen und unter ande­ren Sym­pto­men, für die die Schul­me­di­zin kei­ne plau­si­ble Erklä­rung fand.

Das Schuld­ge­fühl, so Black, konn­te neben eige­nen Taten auch ein­fach auf die­sem Gedan­ken beru­hen: »Wie­so sind sie tot, und ich bin am Leben?« Ver­glei­chen­de ­Daten, wie sehr magi­scher Glau­be an ande­ren Orten und Zei­ten wirk­sam war, lie­fert die Autorin nur am Ran­de. Wie inter­es­sant wäre es gewe­sen, zu erfah­ren, was sei­ner­zeit in der sowje­tisch besetz­ten Zone vor sich ging! Black kapri­ziert sich zudem reich­lich naiv dar­auf, daß die »Kol­lek­tiv­schuld« ein Vor­wurf gewe­sen sei, den eigent­lich »nie­mand erho­ben« habe, auf den aber hef­tig reagiert wor­den sei.

Dies – daß es gar kei­nen »Vor­wurf« gab – ist natür­lich Kap­pes. Eine renom­mier­te For­sche­rin soll­te es bes­ser wis­sen. Inter­es­sant ist aber ihr Aus­blick auf die deut­sche Tra­di­ti­on der Lai­en­heil­kun­de und der magi­schen Medi­zin. Otto von Bis­marck: »Wem Gott und die Natur die Fähig­keit zum Hei­len gege­ben haben, dem darf sie die Poli­zei nicht neh­men.« Als 1933 die NDSAP zur Macht gelang­te, kamen auf zehn Ärz­te etwa drei Heilpraktiker.

Trotz eini­ger Män­gel ist dies ein emp­feh­lens­wer­tes, mit Sicher­heit nie lang­wei­li­ges Buch zu einem kaum erforsch­ten Phänomen.

– –

Moni­ca Black: Deut­sche Dämo­nen. Hexen, Wun­der­hei­ler und die Geis­ter der Ver­gan­gen­heit im Nach­kriegs­deutsch­land, Stutt­gart: Klett-Cot­ta 2021. 423 S., 26 €

 

Die­ses Buch kön­nen Sie auf antaios.de bestellen.

 

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Nichts schreibt sich
von allein!

Das Blog der Zeitschrift Sezession ist die wichtigste rechtsintellektuelle Stimme im Netz. Es lebt vom Fleiß, von der Lesewut und von der Sprachkraft seiner Autoren. Wenn Sie diesen Federn Zeit und Ruhe verschaffen möchten, können Sie das mit einem Betrag Ihrer Wahl tun.

Sezession
DE58 8005 3762 1894 1405 98
NOLADE21HAL

Kommentare (0)