Wir haben es bei diesem Buch der ostfriesischen, 46jährigen Kulturwissenschaftlerin Evke Rulffes mit einem äußert lesbaren Werk zu tun. Solche soziohistorischen Untersuchungen sind für populärwissenschaftliche Aufbereitungen einfach prädestiniert. Langweilig wird es nie!
Im Kern geht es Frau Rulffes darum, die Degeneration der selbstbewußten »Hausmutter« des 18. Jahrhunderts hin zur zahnlosen »Hausfrau« der folgenden Jahrhunderte nachzuerzählen. Die Hausmutter, so belegen es zahlreiche Schriften, herrschte einst auf Augenhöhe mit dem Hausvater. Noch (teils) bis ins frühe 19. Jahrhundert fungierte die bürgerliche Hausmutter als Betriebsleiterin einer umfassenden Unternehmung: des »Ganzen Hauses«. Sie befehligte ihre Untertanen, sie ließ waschen, putzen, kochen, die Kinder pflegen und erziehen.
Wer wußte, daß das Zunftwesen des ausgehenden Mittelalters zum Teil strikt weiblich besetzt war? Dutzende Berufe (nicht nur das Garnweben, und ja, das Goldspinnen, sondern auch das Bierbrauen) waren Frauenberufe! Im Laufe des 18. Jahrhunderts kam es zu einem Umschwung: Während die Tätigkeiten der Männer professionalisiert wurden, kam es zu einer Deprofessionalisierung der häuslichen Tätigkeiten: Frauen sollten nun aus hausfraulicher Liebe Tätigkeiten übernehmen, die zuvor »Expert*innen« (die Gendersprache wird hier opulent betrieben, dann aber auch über Seiten fallengelassen) überlassen waren.
Lange Zeiten habe die Hausmutter einem Druck von außen zu gehorchen gehabt: dem gesellschaftlichen Anspruch nämlich, den eigenen Stand zu repräsentieren. Fortan stehe sie unter innerem Druck: eine tüchtige Mutter und Hausfrau zu sein. Schuld sei Preußen gewesen mit seinem »aktiven, regulierenden Eingreifen in das biologische Leben der Untertanen«. Der »Körper der Frau« werde zum »Politikum« und, wie man so schön feministisch sagt, »zugerichtet« auf die Wünschbarkeiten des Staates. Natürlich herrscht ab jetzt die berühmte »strukturelle Gewalt«.
Evke Rulffes (was der Lektüre keineswegs zum Nachteil gereicht) schweift deutlich über die Hälfte ihres Textes ab von ihrem Kernthema, der zunehmenden Degradierung der Frau. Sie hat sich für dieses Buch zuvörderst mit einem Autor befaßt: Christian Friedrich Germershausen. Der brandenburgische Landgeistliche hat zwischen 1778 und 1781 ein fünfbändiges Werk verfaßt (mit je 800 bis 900 Seiten pro Band), das Die Hausmutter in all ihren Geschäfften titelte.
Etwas später veröffentlichte Germershausen einen ebenso langen Hausvater. Beide Werke bergen Erstaunliches, vor allem anekdotischer Art. Man schmökert dergleichen durchaus gern: Frauen sollten anno dazumal »in Gesellschaft durch aufmunterndes Zuhören« ihre Intelligenz zeigen, jedoch nicht durch das Zurschaustellen von Wissen. Mädchen sollten zu Ballspielen ermutigt werden, das mache eine hübsch »bewegliche Hüfte« und lehre, »mit Anstand zu fallen«. Kaffeegenuß sei förderlich und mache übrigens nicht impotent: »man weiß vielmehr, daß die morgenländischen Völker, die den Kaffee übermäßig trinken, eben nicht unfruchtbar sind.«
Die Forscherin entdeckt uns auch die Erfindung des Taschentuchs aus dem Geiste des Pfarrhauses: Ein Geistlicher sah sich bei Amtsantritt mit der Sitte des Handgebens zur Begrüßung konfrontiert. Der allenthalben klebende Rotz ekelte ihn. Gemeinsam mit dem Schulmeister kam es dann zur Initiative »Kinder fertigen aus abgelegenen Hemden Schnupftücher«.
Immer wieder wirft Rullfes ganz persönliche Erfahrungen (das heißt: den Bogen spannen von damals zur Jetztzeit) ein, die man dieser gereiften kurzgrauhaarigen Frau kaum abnimmt: Noch heute müsse der Kuchen in Mütterrunden unbedingt selbstgebacken sein! Noch heute gelte der Kaffeeklatsch unter Frauen als Faulheit! Die Oma eines Freundes von Frau Rulffes trug (um Männern zu gefallen, klar) immer Absätze und mußte sich dann zwei Zehen amputieren lassen! Weibliche Onanie, hieß es, führe zu Heiratsunlust, was die Autorin (über deren Familienstand wir nichts wissen) einen »sehr schönen Gedanken« findet. Noch heute werde auf junge Mütter »Stilldruck« ausgeübt! »Damals« (es wird häufig grob pauschalisiert) habe es nicht nur Stillzwang gegeben, sondern es seien auch Frauen verfemt worden, die zu lange stillten und daher den Verdacht aufkommen ließen, sich einer weiteren Schwangerschaft zu entziehen. Opfer war frau allemal.
Es ist immer schade, wenn geschichtsinteressierte Frauen wie Evke Rulffes mit einer ulkigen Zwangsläufigkeit im Jammertal enden. Sie hatte so einen reichen Fundus – wieso zog sie dennoch willfährig genau die Schlüsse, mit denen die Frauenrolle ex post beschnitten, verkürzt und bis heute an der kurzen Leine gesehen werden soll?
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Evke Rulffes: Die Erfindung der Hausfrau. Geschichte einer Entwertung, Hamburg:
HarperCollins 2021. 288 S., 22 €
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