Querschläger: Horst Mahler

von Wiggo Mann -- PDF der Druckfassung aus Sezession 106/ Februar 2022

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In Deutsch­land gebe es »mehr poli­ti­sche Gefan­ge­ne als in der DDR im Jah­re vor ihrem Zusam­men­bruch«, nur wür­den die­se »Über­zeu­gungs­tä­ter, die wegen Volks­ver­het­zung, wegen Leug­nung des Holo­caust und wegen Fort­füh­rung ver­bo­te­ner Orga­ni­sa­tio­nen ver­ur­teilt sind«, nicht so wahr­ge­nom­men. Die­se Wor­te schrieb Horst Mahler schon im Jahr 1998 – und sie wur­den damals noch von der Süd­deut­schen Zei­tung ver­öf­fent­licht. (1)

Dem RAF-Grün­der wur­de damals in den gro­ßen Zei­tun­gen der Repu­blik noch die Rol­le des Zeit­dia­gnos­ti­kers zuge­stan­den. Wie kein ande­rer schien er sowohl für die Anfän­ge der Empö­rung vor der 68er-Revol­te wie auch für das Trau­ma der von der Gesell­schaft an den Ter­ro­ris­mus ver­lo­re­nen Kin­der zu ste­hen. Mehr noch: Er wur­de damals noch als wie­der­ge­won­ne­ner Sohn betrach­tet – einer von weni­gen, die aus den Laby­rin­then des bewaff­ne­ten Kamp­fes wie­der her­aus­ge­fun­den hat­ten und denen des­halb nun eine beson­de­re Inten­si­tät der Zeit­zeu­gen­schaft zuge­spro­chen wurde.

Und man kann ihn für­wahr als exem­pla­ri­sche Exis­tenz bezeich­nen: Gebo­ren am 23. Janu­ar 1936 im schle­si­schen Hay­n­au, erleb­te er Krieg und Ver­trei­bung bewußt mit. (2) Sei­ne Eltern beschreibt er als über­zeug­te Natio­nal­so­zia­lis­ten. Ortho­dox scheint die Fami­lie in die­ser Hin­sicht aber kei­nes­wegs gewe­sen zu sein. Rein­hold Nix­dorf, der Bru­der sei­ner Mut­ter Doro­thea und ein Adju­tant des Gau­lei­ters der SA Schle­si­en, war am 1. Juli 1934 im Zuge des soge­nann­ten Röhm-Put­sches hin­ge­rich­tet, sein Vater Wil­li, ein Zahn­arzt, kurz­zei­tig aus der Par­tei aus­ge­schlos­sen worden.

Zusam­men mit sei­nen bei­den Brü­dern und der Mut­ter kommt Horst Mahler im Früh­jahr 1945 in Naum­burg an, der Vater stößt nach kur­zer ame­ri­ka­ni­scher Kriegs­ge­fan­gen­schaft zur Fami­lie. In der Sowje­ti­schen Besat­zungs­zo­ne läßt er sich »noch in die FDJ ködern«. Dann geschieht etwas Fürch­ter­li­ches: An einem Sonn­tag im Febru­ar 1949 geht sein Vater nach dem Früh­stück in den Gar­ten und erschießt sich, weil er »die Nie­der­la­ge des Deut­schen Rei­ches und alles, was damit ver­bun­den war, nicht ver­win­den« konn­te. (3)

Die Fami­lie zieht um nach West-Ber­lin. Schon als Pen­nä­ler grün­det Mahler eine Schü­ler-Par­tei, die »Mahler-Grup­pe«, die vom Schul­di­rek­tor ver­bo­ten wird.4 Das hin­dert ihn nicht dar­an, 1955 als Jahr­gangs­bes­ter sein Abitur zu machen und 1963 – unter­stützt durch ein Sti­pen­di­um der Stu­di­en­stif­tung des deut­schen Vol­kes – sein zwei­tes juris­ti­sches Staats­examen an der FU Ber­lin abzulegen.

Poli­tisch bro­delt es da schon längst in ihm. Lenin und Marx, die er schon als Schü­ler stu­dier­te, um sie zu wider­le­gen, haben ihn über­zeugt. Ins­be­son­de­re die Schrift Staat und Revo­lu­ti­on des rus­si­schen Revo­lu­tio­närs läßt ihn zu einem über­zeug­ten Dezi­sio­nis­ten wer­den. Noch aber weiß er nicht, wie er sei­ne poli­ti­schen Über­zeu­gun­gen umset­zen kann. Eine fünf­jäh­ri­ge Mit­glied­schaft in der SPD (1956 – 1960) endet mit sei­nem Parteiausschluß.

Gleich­zei­tig lockt der Auf­bau einer bür­ger­li­chen Exis­tenz, und Mahler bringt alle Vor­aus­set­zun­gen mit, um hier zu reüs­sie­ren. Als Wirt­schafts­an­walt gewinnt er gro­ße Kun­den aus dem Mit­tel­stand und bringt 1966 als ers­ter deut­scher Jurist eine Beschwer­de bei der Euro­päi­schen Men­schen­rechts­kom­mis­si­on in Straß­burg durch. Gleich­zei­tig ver­tei­digt Mahler seit 1964 auch Man­dan­ten aus der außer­par­la­men­ta­ri­schen Oppo­si­ti­on. Er führt in einer noblen Alt­bau­woh­nung am Liet­zen­see, in der er mit sei­ner Fami­lie wohnt, und einer edel ein­ge­rich­te­ten Anwalts­pra­xis mit schwe­ren Leder­ses­seln in der Kon­stan­zer Stra­ße ein Leben auf der Überholspur.

»Ich hal­te Horst Mahler noch immer für einen der elo­quen­tes­ten, bes­ten Anwäl­te, die ich je erlebt habe«, äußert sein dama­li­ger Assis­tent ­Chris­ti­an Strö­be­le noch 2015. (5) Doch es kann nicht so blei­ben, wie es ist. Durch sei­ne gera­de­zu her­ku­li­sche Arbeits­leis­tung für die APO – eine gro­ße Zahl der über 1800 Ver­fah­ren der Bewe­gung über­nimmt Mahler  (6) – rückt er immer stär­ker in den Fokus der Öffentlichkeit.

1968 tritt er im Pro­zeß um die Kauf­haus-Brand­stif­tun­gen in Frank­furt am Main als Ver­tei­di­ger von Andre­as Baa­der auf und ver­fällt wie so vie­le ande­re auch des­sen cha­ris­ma­ti­scher Wucht. Der Anwalt will vor Gericht sogar eine län­ge­re Pas­sa­ge aus Her­mann Hes­ses Step­pen­wolf ver­le­sen las­sen, weil sie »eine ver­schlüs­sel­te Dar­stel­lung des sozia­len Gehal­tes der Tat der Ange­klag­ten« ent­hal­te. (7)

Doch nicht der Despe­ra­do Baa­der ist es, der am Ende Druck macht, auch wirk­lich zu den Waf­fen zu grei­fen, son­dern der bür­ger­lich und kor­rekt auf­tre­ten­de Jurist. Baa­der und sei­ne Freun­din Gud­run Ens­slin ver­ab­schie­den sich in den Unter­grund, nach­dem der Bun­des­ge­richts­hof im Novem­ber 1969 die Revi­si­on der gegen sie im Frank­fur­ter Kauf­haus­brand­pro­zeß erlas­se­nen Urtei­le abge­lehnt hat. Das fällt den Behör­den mona­te­lang nicht ein­mal auf, was dem flüch­ti­gen Duo die Gele­gen­heit gibt, sich rela­tiv unge­stört in Paris und Ita­li­en auf­zu­hal­ten. Erst in einem Gespräch mit ­Mahler, das im Janu­ar 1970 in Rom statt­fin­det, tritt man dem Gedan­ken, eine bewaff­ne­te Grup­pe zu grün­den, näher.

Doch nur wenig spä­ter wird der inzwi­schen nach Deutsch­land zurück­ge­kehr­te Baa­der in West-Ber­lin von der Poli­zei im Zuge einer fin­gier­ten Ver­kehrs­kon­trol­le geschnappt. Der Tip kam von Peter Urbach, einem Agent pro­vo­ca­teur des Lan­des­am­tes, der damals die gesam­te radi­ka­le Sze­ne der Stadt mit Waf­fen aller Art ver­sorg­te. (Horst Mahler wird sich die­se Lek­ti­on in Sachen Staats­kri­mi­na­li­tät, die er damals erhält, gut mer­ken – und 30 Jah­re spä­ter als Rechts­an­walt der NPD die Ein­stel­lung des ers­ten Ver­bots­ver­fah­rens gegen die Par­tei durch Hin­wei­se auf Ein­fluß­agen­ten im Par­tei­vor­stand erreichen.)

Bei der Gefan­ge­nen­be­frei­ung Baa­ders am 14. Mai 1970, die als RAF-Geburts­stun­de gilt, wird dann erst­mals Waf­fen­ge­walt gegen einen Men­schen ange­wen­det. Die um Ulri­ke Mein­hof und wei­te­re Ter­ro­ris­ten erwei­ter­te Grup­pe taucht in Jor­da­ni­en unter und erhält dort in einem Paläs­ti­nen­ser­camp eine mili­tä­ri­sche Ausbildung.

Hier wird Mahler schnell klar, daß der in den Schrif­ten von Che Gue­va­ra oder dem in RAF-Krei­sen beson­ders inten­siv rezi­pier­ten Bra­si­lia­ner Car­los Marig­hel­la gepfleg­te poli­ti­sche Mythos des Gue­ril­la­krie­ges, der auf den soli­da­ri­schen und lie­be­vol­len Bezie­hun­gen in der Grup­pe beru­hen soll, in der Rea­li­tät nicht durch­zu­hal­ten ist. Denn am Ende rich­tet sich das Han­deln an den Stra­te­gien des Ter­rors aus, der nicht zuletzt auch nach innen gerich­tet ist.

In Jor­da­ni­en will ­Baa­der das Grup­pen­mit­glied Peter Homann ermor­den las­sen, weil die­ser als poten­ti­el­ler Ver­rä­ter gilt. Horst Mahler hat dem nach eige­nen Anga­ben mit dem defen­si­ven Argu­ment wider­spro­chen, daß eine sol­che Tat der lang­fris­ti­gen Sta­bi­li­tät der Grup­pe scha­den kön­ne. (8) Am Ende weist der Camp-Kom­man­dant und hoch­ran­gi­ge paläs­ti­nen­si­sche Mili­zio­när Ali Hassan ­Sal­a­meh die gesam­te deut­sche Grup­pe aus, weil er die Tötung ­eines deut­schen Staats­bür­gers in sei­nem Hoheits­be­reich unbe­dingt ver­mei­den will. Am 9. August 1970 trifft die »Rei­se­grup­pe Mahler« über den Ost­ber­li­ner Flug­hafen Schöne­feld wie­der in Deutsch­land ein. Wenig spä­ter wird der Jurist dann am 8. Okto­ber 1970 in einer Woh­nung in der Ber­li­ner ­Kne­se­beck­stra­ße nach einer bis heu­te unge­klär­ten Denun­zia­ti­on von der Poli­zei festgenommen.

Mahler bleibt aber der neben Ulri­ke Mein­hof wich­tigs­te RAF-Theo­re­ti­ker. Im Juni 1971 erscheint sei­ne Schrift Über den bewaff­ne­ten Kampf in West­eu­ro­pa. Ein­mal mehr zeigt sich Mahler hier­in als bedin­gungs­lo­ser Dezi­sio­nist. (9) Wenn ers­te klei­ne Grup­pen einer Stadt­gue­ril­la den Kampf erst auf­neh­men, dann fol­gen bald wei­te­re Grup­pen; schließ­lich ent­de­cken die unter­drück­ten Mas­sen ihre Macht und ver­wei­gern den Herr­schen­den den Gehor­sam. Bald nach der Ver­öf­fent­li­chung der Schrift beginnt aber ein inner­li­cher Ablö­sungs­pro­zeß Mahlers vom Terrorismus.

Als im Zuge der Mai-Offen­si­ve der RAF am 19. Mai 1972 ein Anschlag auf das Sprin­ger-Hoch­haus in Ham­burg ver­übt wird, bei dem vor allem Arbei­ter ver­letzt wer­den, ist Mahler ent­setzt. Nur weil drei Spreng­sät­ze defekt sind, wird ein Blut­bad ver­mie­den, das zahl­rei­che Todes­op­fer gefor­dert hät­te. Dem RAF-Grün­der wird nun »völ­lig klar, daß die Pra­xis sich völ­lig los­lös­te von dem, was wir mal gemein­sam uns unter Pra­xis vor­ge­stellt haben«, näm­lich hin zu einem Kampf »gegen den Teil des Vol­kes, für den man vor­gab, die­sen Kampf zu füh­ren«. (10) In einer von ihm im Sep­tem­ber 1974 abge­ge­be­nen Pro­ze­ßer­klä­rung wirft er der RAF vor, ein »klein­bür­ger­li­ches eli­tä­res Gue­ril­la­kon­zept« zu ver­fol­gen und die Mas­sen zu ver­ach­ten. Sein kurz­zei­ti­ges Enga­ge­ment für die mao­is­ti­sche KPD-AO bil­det nur noch ein Nach­spiel sei­ner links­extre­mis­ti­schen Phase.

Am 17. Okto­ber 1976 hat Mahler dann sein »Damas­kus­er­leb­nis«. (11) Nach einer inten­si­ven und von sei­nem Anwalt Otto Schi­ly ange­sto­ße­nen Hegel-Lek­tü­re löst er sich vom Mar­xis­mus-Leni­nis­mus und wird zu einem ent­schie­de­nen Ver­fech­ter des Hegel­schen Staats­ver­ständ­nis­ses. Das Herz­stück von des­sen Phi­lo­so­phie ist für ihn die Dia­lek­tik mit ihrem Drei­schritt aus The­se, Anti­the­se und Syn­the­se. Für Hegel ist die­se das über­all in der Natur, der Geschich­te und der Gesell­schaft wir­ken­de Entwicklungsprinzip.

Mahler über­nimmt die­sen Gedan­ken (12) und zitiert mehr­fach den Aus­spruch des würt­tem­ber­gi­schen Phi­lo­so­phen, daß nur im Wider­spruch die Wahr­heit lie­ge. Aus der Sicht des RAF-Grün­ders ist aber auch noch ein ande­rer Aspekt der Phi­lo­so­phie Hegels hoch­in­ter­es­sant: Die­ser woll­te näm­lich zeit­le­bens ergrün­den, war­um der Ver­such, ein Reich der Ver­nunft zu erbau­en, in den abscheu­lichs­ten Greu­el­ta­ten der Fran­zö­si­schen Revo­lu­ti­on mündete.

Das ist auch genau der Sta­chel im Den­ken von Horst Mahler, der nun einen Schlüs­sel gefun­den hat, um sein eige­nes Abtau­chen in den ter­ro­ris­ti­schen Unter­grund wie auch die Ver­stri­ckung der Gene­ra­ti­on sei­ner Eltern in den Natio­nal­so­zia­lis­mus zu deu­ten. Für Hegel endet die Fran­zö­si­sche Revo­lu­ti­on in Ter­ror und Schre­cken und wird zu einer »Furie des Ver­schwin­dens«, weil sie einen ver­ein­sei­tig­ten und abso­lu­ten Frei­heits­be­griff zu ver­wirk­li­chen such­te. (13) Horst Mahler hin­ge­gen plä­diert schon Ende der sieb­zi­ger Jah­re für eine Ver­jäh­rung von NS-Ver­bre­chen, weil die­se sei­ner Auf­fas­sung nach »auf das Kon­to eines ent­ar­te­ten Staa­tes« gin­gen, der »die im Men­schen schlum­mern­den bösen Instink­te geweckt und hoch­ge­züch­tet« habe. (14)

Mit der Zeit neh­men sei­ne Stel­lung­nah­men einen immer natio­na­le­ren Grund­zug an. 1990 plä­diert er, der immer für die deut­sche Zwei­staat­lich­keit ein­ge­tre­ten war, in der taz für den Voll­zug der deut­schen Ein­heit. (15) Nach­dem der RAF-Grün­der 1997 in sei­ner Lau­da­tio auf den kon­ser­va­ti­ven Phi­lo­so­phen Gün­ter Rohr­mo­ser zu des­sen 70. Geburts­tag die Rück­ge­win­nung einer star­ken natio­na­len Iden­ti­tät for­der­te, wird er fort­an der Neu­en Rech­ten zugerechnet.

Nur weni­ge Jah­re spä­ter durch­läuft Mahler dann aller­dings einen wei­te­ren dra­ma­ti­schen Radi­ka­li­sie­rungs­pro­zeß: Er wird zum Holo­caust-Leug­ner. Wie­der voll­zieht sich der Wan­del in rasen­der Geschwin­dig­keit. Zu Beginn des Jah­res 1999 bezeich­net er in einem Text für die Zeit­schrift Sleip­nir den Holo­caust noch als das »grau­en­haf­tes­te Ver­bre­chen gegen die Mensch­heit«, (16) ändert die­se Auf­fas­sung aber, als er im Zuge der Über­nah­me eines Man­dats für den Lie­der­ma­cher Frank Ren­ni­cke mit revi­sio­nis­ti­scher und nega­tio­nis­ti­scher Lite­ra­tur in Berüh­rung kommt. (17)

Scho­ckie­rend und unter rechts­staat­li­chen Gesichts­punk­ten kei­nes­falls nach­voll­zieh­bar sind aber auch die Haft­stra­fen, die Mahler nun erhält. Allei­ne zwi­schen 2009 und 2020 muß der Jurist trotz schwe­rer gesund­heit­li­cher Han­di­caps – ihm wer­den bei­de Unter­schen­kel ampu­tiert – mehr als zehn Jah­re absit­zen. Dies, wohl­ge­merkt, obwohl er sich immer auf das schärfs­te von jed­we­der Gewalt­an­wen­dung gegen die »Juden­heit« distanziert.

In den Pro­zes­sen, die gegen Mahler geführt wer­den, ver­folgt die­ser immer noch – wie schon zu APO-Zei­ten – radi­ka­le Stra­te­gien der Dele­gi­ti­mie­rung. So bie­tet er den Rich­tern in einem Pro­zeß, der 2004 in Ber­lin wegen Volks­ver­het­zung gegen ihn geführt wird, schon ein­mal an, im Fal­le einer Ver­fah­rens­ein­stel­lung auf eine Anzei­ge wegen Rechts­beu­gung bei der »Reich­ser­mitt­lungs­stel­le« – die als reel­le Orga­ni­sa­ti­on natür­lich gar nicht exis­tiert – zu ver­zich­ten. (18) Das wirkt manch­mal fast wie dada­is­ti­sches Thea­ter, zeigt aber auch, daß Mahler auf stra­te­gi­scher – nicht auf poli­ti­scher – Ebe­ne nach wie vor ein Dezi­sio­nist geblie­ben ist. Durch Akte der rei­nen Begriffs­set­zung soll neu­es poli­ti­sches oder juris­ti­sches Ter­rain gewon­nen werden.

Die Ver­mei­dung hoher Haft­stra­fen ist für den RAF-Grün­der dabei offen­sicht­lich kein The­ma. 2004 bemerk­te er in einem Inter­view mit der ­Natio­nal-Zei­tung: »Der Frei­spruch ist nicht das Ent­schei­den­de. Ich ord­ne mich die­sem Gedan­ken nicht unter. Ich muß sagen, was zu sagen ist.« (19) Offen­sicht­lich ver­steht sich Horst Mahler seit sei­ner Zeit als APO-Akti­vist als Mär­ty­rer im Wort­sin­ne – also als jemand, der für die von ihm erkann­te Wahr­heit Zeug­nis ablegt und dabei kei­ne noch so schreck­li­che Kon­se­quenz scheut. Es fällt schwer, sich der Aura, die sich um sol­che Leu­te bil­det, zu entziehen.

Es ist eher unwahr­schein­lich, daß Horst Mahler noch wei­te­re auto­bio­gra­phi­sche Aus­künf­te über die Moti­ve, die ihn zum Wan­de­rer zwi­schen den Extre­men wer­den lie­ßen, geben wird. Seit sei­ner Haft­ent­las­sung im Okto­ber 2020 sind ihm auf­grund sei­ner Füh­rungs­auf­la­gen poli­ti­sche Mei­nungs­äu­ße­run­gen weit­ge­hend unter­sagt – ein wei­te­res Novum in der deut­schen Rechts­ge­schich­te, das mit sei­nem Namen ver­bun­den ist.

– – –

(1) – Horst Mahler: »Der Geheim­agent des Welt­geis­tes«, in: Süd­deut­sche Zei­tung vom 30. Sep­tem­ber 1998.

(2) – Zu den Details der Bio­gra­phie von Horst Mahler vgl. Eck­hard Jes­se: »Bio­gra­phi­sches Por­trät: Horst Mahler«, in: Uwe ­Backes, Eck­hard Jes­se (Hrsg.): Jahr­buch Extre­mis­mus & Demo­kra­tie, Bd. 13, Baden-Baden 2001, S. 183 – 199; Mar­tin ­Jan­der: »Horst Mahler«, in: Wolf­gang Kraus­haar (Hrsg.): Die RAF und der lin­ke Ter­ro­ris­mus, Bd. 1, Ham­burg 2006, S. 372 – 397; Franz Schön­hu­ber, Horst Mahler: Schluß mit deut­schem Selbst­haß: Plä­doy­ers für ein ande­res Deutsch­land, Berg am Starn­ber­ger See 2000; Manu­el Sei­ten­be­cher: Mahler, Maschke & Co: Rech­tes Den­ken in der 68er-Bewe­gung, Pader­born / Mün­chen / Wien / Zürich 2013.

(3) – Michel Fried­man: »So spricht man mit Nazis – Inter­view von Michel Fried­man mit Horst Mahler«, in: Vani­ty Fair 45 / 2007, S. 85.

(4) – Vgl. dazu: Jür­gen Ser­ke: »Die Revo­lu­ti­on des Horst Mahler«, in Stern vom
15. Okto­ber 1972.

(5) – Ste­fan Rei­ne­cke: Strö­be­le: Die Bio­gra­phie, Mün­chen, Ber­lin 2016, S. 94.

(6) – Sei­ten­be­cher: Mahler, Maschke & Co, S. 237.

(7) – Gerd Koe­nen: Ves­per, Ens­slin, Baa­der: Ursze­nen des deut­schen Ter­ro­ris­mus, Köln 2003, S. 173.

(8) – Zu die­sem Vor­gang gibt
es bis heu­te unter­schied­li­che Aus­sa­gen. ­Homann behaup­tet, Mahler habe ihn als Prä­si­dent ­eines impro­vi­sier­ten RAF-»Volksgerichts« zum Tode ver­ur­teilt (vgl hierzu:
Peter Homann: »Volks­ge­richt im Wüs­ten­sand«, in: Spie­gel 21 / 1997). Die­ser Dar­stel­lung hat Horst Mahler in einer für ihn außer­ge­wöhn­li­chen Emo­tio­na­li­tät wider­spro­chen (vgl. hier­zu: »Offe­ner Brief von Horst Mahler an Ste­fan Aust«, in: Die Zeit vom
30. Mai 1997).

(9) – Zu den ver­schie­de­nen Kon­zep­ten der Stadt­gue­ril­la bei der RAF vgl.: Butz Peters: Töd­li­cher Irr­tum: Die Geschich­te der RAF, Frank­furt a. M. 2007, S. 266 – 273.

(10) – Vgl. hier­zu: Wolf­gang Kraus­haar: »Klein­krieg gegen einen Groß­ver­le­ger – Von der Axel-Sprin­ger-Kam­pa­gne der APO zu den Brand- und Bom­ben­an­schlä­gen der RAF«, in: Wolf­gang Kraus­haar (Hrsg.): Die RAF und der lin­ke Ter­ro­ris­mus, Bd. 2, Ham­burg, 2006, S. 1075 – 1116.

(11) – Schön­hu­ber / Mahler:
Schluß mit deut­schem Selbst­haß, S. 38.

(12) – Vgl. hier­zu: Horst Mahler: »Exkurs zur Hegel­schen Logik«, in: Juris­ti­sche Schrif­ten­rei­he zum NPD-Ver­bots­ver­fah­ren vor dem Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt, Bd. 1, Ber­lin 2001, S. 183 – 195.

(13) – Georg Wil­helm Fried­rich Hegel: Phä­no­me­no­lo­gie des Geis­tes, Kap. VI B III: Die abso­lu­te Frei­heit und der Schre­cken, Frank­furt a. M. 1986. S. 435 f.

(14) – Horst Mahler: »Zur Ver­jäh­rung von NS-Ver­bre­chen«, in: Lan­ger Marsch. Zeit­schrift für eine neue Lin­ke, Nr. 40 / 41 1979.

(15) – Horst Mahler zit. nach: »Wird die DDR heu­te beer­digt?«, in: taz vom 19. Mai 1990.

(16) – Horst Mahler: »Ex nihi­lo veri­tas fit – oder das Ver­mächt­nis der 68er«, in Sleip­nir, Nr. 2 / 1999, S. 27.

(17) – So stell­te es Horst Mahler im Inter­view mit Michel Fried­man dar, vgl: Fried­man: »So spricht man mit Nazis, S. 85.

(18) – Vgl. hier­zu: Rai­ner Erb, Andre­as Klär­ner: »Anti­se­mi­tis­mus zur welt­ge­schicht­li­chen Sinn­stif­tung – Horst Mahler vor Gericht«, in: Jahr­buch für Anti­se­mi­tis­mus­for­schung, Aus­ga­be 14, 2005, S. 111 – 134.

(19) – Horst Mahler in: »Spek­ta­ku­lä­rer Volks­ver­het­zungs­pro­zeß in Berlin –
Inter­view mit dem Ange­klag­ten Horst Mahler«,
in: Natio­nal-Zei­tung vom 20. Febru­ar 2004, S. 4.

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