Gesamtdarstellungen wie die vor über 30 Jahren von dem Historiker Wilhelm Ribhegge verfaßte (Konservative Politik in Deutschland) schaffen es entweder nicht, den Stoff in seiner verwirrenden Vielfalt adäquat zu bewältigen, oder sie kommen über einen kompakten Überblick nicht hinaus wie die Abhandlung des Zeitgeschichtlers Axel Schild (Konservatismus in Deutschland).
Auch Stefan Breuer hat ein solches ambitioniertes Unternehmen ungeachtet einiger Vorarbeiten nicht gewagt. In verschiedenen Monographien hat er sich bisher mit unterschiedlichen Themen auseinandergesetzt, etwa mit der Konservativen Revolution, die er quellennah erfassen will, und den Ordnungsvorstellungen der politischen Rechten zwischen 1871 und 1945. Breuers Zugang über »Ausgänge« ist unter Konservatismus-Forschern beliebt: Etliche nähern sich dem Gegenstand ihrer Untersuchung über Epochen des Niedergangs und der Abbrüche.
Diese sind im Rahmen des Themas schon deshalb nicht zu vermeiden, weil die sich immer schneller wandelnde Moderne stets veränderte Antworten auf die jeweilige neue Situation notwendig macht. Insofern war die Reaktion häufig gezwungen, sich auf den Boden jener Verhältnisse zu stellen, die sie zuerst abgelehnt, und Methoden zu übernehmen, die sie ursprünglich bekämpft hatte. Die zahllosen Wandlungen der Befürworter von prinzipieller Beharrung bedeuten für die Rekonstruktion dieser Strömung stets eine Herausforderung. Am konsequentesten argumentiert dabei der Sozialhistoriker Panajotis Kondylis.
Den Gegenstand seiner magistralen »Konservativismus«-Studie bindet er strikt an die tradierte Adelsgesellschaft. Mit dem Untergang der societas civilis, wahlweise nach 1789 oder 1848, finden auch deren Verteidiger ihr Ende. Die altehrwürdige Strömung existiert später nur noch dem Namen nach und ermangelt adäquater Inhalte.
Zu den Rezipienten einer solchen Sicht zählt auch Breuer. Nicht zufällig thematisiert er im ersten Abschnitt, neben dem Wissenssoziologen Karl Mannheim, Kondylis ausführlich. Weiter werden zentrale Repräsentanten der Richtung behandelt: Friedrich J. Stahl, Hermann Wagener, Rudolf Meyer, Adolph Wagner, Constantin Frantz, Adolf Stoecker und andere.
Bereits im späten 19. Jahrhundert zeigt sich aufgrund der Uneinigkeit in der Beantwortung der Frage »Was heißt konservativ?« eine Aufsplitterung dieses Spektrums. Während ein Teil der Konservativen den Bonapartismus Otto von Bismarcks goutiert, wendet sich ein prinzipientreuer christlicher Monarchist wie Ernst Ludwig von Gerlach gegen einen solchen Machiavellismus. Nicht zuletzt jüngere Intellektuelle wie Paul de Lagarde und Julius Langbehn erkennen zur Zeit des Kaiserreiches, daß die von ihnen befürwortete Strömung nicht ohne neue Begründungen auskommt.
Vereinzelt sickert in dieser Periode sogar völkisch-antisemitisches Gedankengut ein. Ungeklärt ist auch in diesem Zeitalter, ob der Konservative stärker der wirtschaftsliberalen oder stärker der sozialpolitischen Richtung zuneigen soll. Die Sonderstellung intellektueller Ansätze ragt gleichfalls in der Weimarer Republik heraus. Breuer widmet sich neben dem »Scheinkonservatismus« in der Zeit zwischen 1918 und 1933 den Ansätzen von Heinrich und Thomas Mann, die er als »ironische Konservative« wertet. Die ästhetizistische Herangehensweise bringt dem Konservatismus jedoch keine weiterführenden Impulse.
Zwei Exkurse, »Im Schatten Bonapartes« und »Konservativer Sozialismus?«, runden die Schrift ab. Die demokratische Staatsform seit 1949 bedeutet für konservative Theoretiker und politische Praktiker neue Herausforderungen, deren Beschreibung Breuer umgeht. Auf solch vermintes Feld begibt er sich dann doch nicht. Ganz gerecht wird der frühere Hamburger Hochschullehrer auf diese Weise dem Titel seiner Abhandlung nicht, wenngleich sie in toto als solide zu bewerten ist.
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Stefan Breuer: Ausgänge des Konservatismus in Deutschland, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2021. 430 S., 60 €
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