Gandhis Mörder

von Marcel Kehlberg

PDF der Druckfassung aus Sezession 106/ Februar 2022

Wer ein Idol zer­stört, wird manch­mal selbst zu einem. So geschah es auch mit dem Atten­tä­ter Nathuram God­se (1910 – 1949), der am frü­hen Abend des 30. Janu­ar 1948 Mahat­ma ­Gan­dhi mit drei Schüs­sen aus einer Beret­ta M1934 niederstreckte.

In den Jahr­zehn­ten, in denen das Erbe des gewalt­lo­sen Unab­hän­gig­keits­kamp­fes gegen die bri­ti­sche Herr­schaft in Indi­en weit­ge­hend intakt blieb, wur­de aus dem Sproß einer beschei­de­nen Brah­ma­nen­fa­mi­lie der Paria der Nati­on. Ins­be­son­de­re der Neh­ru-Clan bewahr­te den ­Mahat­ma vor jedem schlech­ten Licht und stell­te God­se durch­gän­gig als ver­blen­de­ten ­Psy­cho­pa­then dar.

In neue­rer Zeit setzt sich offen­bar ein ande­res Image durch, befeu­ert durch einen offen­si­ve­ren natio­na­lis­ti­schen Hin­du­is­mus und durch die schwe­len­de Eska­la­ti­ons­mög­lich­keit im Kon­flikt mit dem isla­mi­schen Paki­stan. Man scheut sich nicht, God­se »zur Ehre der Altä­re« im ver­wir­ren­den hin­du­is­ti­schen Pan­the­on zu erhe­ben und die Red­lich­keit sei­ner Moti­ve herauszustreichen.

Bol­ly­wood-Schön­hei­ten twit­tern offen ihre Sym­pa­thie mit dem gehemm­ten Mann, der in sei­ner Kind­heit auf­grund eines bizar­ren Aber­glau­bens der Fami­lie als Mäd­chen auf­ge­zo­gen wor­den war (das Namens­par­ti­kel Nath in sei­nem Vor­na­men bedeu­tet der Nasen­ring für Mäd­chen). Indi­ens Glau­bens­sys­tem sei selbst für Inder zuwei­len unzu­gäng­lich, so meint der indi­sche Psy­cho­lo­ge ­Ashis Nan­dy. Gan­dhi und God­se sind ohne den reli­giö­sen Hin­ter­grund Indi­ens nicht zu ver­ste­hen. Er ver­eint bei­de und das nicht nur formal.

Reli­giö­se Moti­ve ver­meng­ten sich mit natio­na­lis­ti­schen Antrie­ben, sowohl bei Gan­dhi als auch bei sei­nem Atten­tä­ter. Bei­de kal­ku­lier­ten den Tod, allem vor­an in der Form des Selbst­opfers, bewußt mit ein: Gan­dhi in sei­nem grund­sätz­li­chen Ver­ständ­nis von Satyag­ra­ha, God­se in sei­ner Ein­zel­tat, nach wel­cher er regungs­los die Lynch­jus­tiz der Men­ge erwar­te­te. Zwei Reli­gi­ons­vor­stel­lun­gen prall­ten an die­sem Abend des 30. Janu­ar auf­ein­an­der, die sich bei­de auf das natio­na­le Epos Bha­ga­vad Gita (Gan­dhi hat­te sie kom­men­tiert) beru­fen konn­ten und somit bei­de im Hin­du­is­mus ihre Grund­la­ge hatten.

Gan­dhis gewalt­lo­sen Aktio­nen wohn­te von Beginn an ein star­kes spi­ri­tu­el­les Fer­ment inne, das die natio­na­le Unab­hän­gig­keit immer in den Kon­text der reli­gi­ös ver­stan­de­nen Erlö­sung stell­te. Die Tren­nung zwi­schen kol­lek­tiv und indi­vi­du­ell war damit auf­ge­ho­ben, Satyag­ra­ha (­Satya ist die Wahr­heit als Kraft) war immer auch der Weg jedes ein­zel­nen Akti­vis­ten oder Teil­neh­mers zur inne­ren Unab­hän­gig­keit, zur eige­nen Erlö­sung. Gan­dhis Anfor­de­run­gen an Mit­kämp­fer wie Anhän­ger waren enorm (Tol­stois Chris­ten­tum war sein außer-hin­du­is­ti­sches Vorbild).

In sei­ner Rede vor Beginn des legen­dä­ren Salz­mar­sches von 1930 sagt er vor 10 000 Zuhö­rern: »Ein Satyag­rahi, ob frei oder ein­ge­ker­kert, ist stets sieg­reich. Er ist nur dann besiegt, wenn er die Wahr­heit und die Gewalt­frei­heit auf­gibt und der inne­ren Stim­me gegen­über taub wird. Wenn es daher für einen Satyag­rahi so etwas wie eine Nie­der­la­ge gibt, ist er allein deren Ursache.«

Gan­dhis Kam­pa­gnen erhiel­ten so den Stellen­wert von Exer­zi­ti­en und for­der­ten von jedem ein Höchst­maß an psy­cho­lo­gi­scher Aske­se, die sehr vie­le in der Hoch­pha­se des Kamp­fes durch­aus anspre­chen konn­te. Auch sei­ne mili­tan­te­ren Riva­len in der Kon­greß­par­tei oder in benach­bar­ten Bewe­gun­gen, zu denen God­se gehör­te, konn­ten sich zu Beginn Gan­dhis hei­lig­mä­ßi­gem Cha­ris­ma nicht ent­zie­hen. Und selbst die krie­ge­ri­schen Sikh, die viel­fach hoch­de­ko­riert aus dem Ers­ten Welt­krieg heim­ge­kehrt waren, lie­ßen sich von ­Satyag­ra­ha und Ahim­sa (höhe­re Ethik) mit­rei­ßen, sehr zur Ver­wun­de­rung ihrer eins­ti­gen bri­ti­schen Vor­ge­setz­ten. Dies gelang um so mehr, als es Gan­dhi meis­ter­haft ver­stand, die Gewalt­lo­sig­keit mit der mili­tä­ri­schen Begriffs­welt zusam­men­zu­brin­gen. Das Todes­ri­si­ko, das die tra­di­tio­nel­le Krie­ger­kas­te der Ksha­tri­ya aus­zeich­ne­te, wur­de vom Mahat­ma auf sei­ne Kam­pa­gnen über­tra­gen und zu so etwas wie einem »andro­gy­nen Mut« (Ashis Nan­dy) umge­deu­tet. Sogar auf eini­ge mus­li­mi­sche Akti­vis­ten ver­fehl­te dies sei­ne Wir­kung nicht, wie auf den Pasch­tu­nen Abdul Ghaf­far Khan.

Nach der voll­brach­ten Los­lö­sung von Groß­bri­tan­ni­en 1947 zeig­te sich schnell, daß im neu­en Geg­ner (und eins­ti­gen Kampf­ge­fähr­ten), den mus­li­mi­schen Indern unter Füh­rung von ­Muham­mad Ali Jin­nah, Satyag­ra­ha kaum eine Andock­stel­le fand. Jin­nah, der sich anfäng­lich von den Bri­ten über­gan­gen fühl­te, ent­fes­sel­te schon im Som­mer 1946 in Kal­kut­ta den ­Dschi­had. In der Fol­ge kam es zu mas­si­ven Pogro­men, unge­zü­gel­ter Gewalt und den mil­lio­nen­fa­chen Migra­ti­ons­strö­men zwi­schen dem eben­falls neu­ent­stan­de­nen Staat Paki­stan und Indien.

Gan­dhis Pre­dig­ten erzeug­ten bei nicht weni­gen hin­du­is­ti­schen Indern zuneh­mend Frust, da sie dog­ma­tisch an dem ein­mal ein­ge­schla­ge­nen Weg fest­hiel­ten. Gan­dhi, der anfäng­lich strikt gegen die Zwei-Staa­ten-Lösung gewe­sen war, muß­te nun sei­ne Ohn­macht erle­ben, der er mit noch mehr mora­li­schem Rigo­ris­mus zu begeg­nen ver­such­te, bei­spiels­wei­se durch sein pro­vo­ka­ti­ves Fas­ten. Die gewalt­a­ffi­ne­ren Kräf­te im eige­nen Lager, die lang­sam zu erstar­ken began­nen, war­fen Gan­dhi vor, ethi­sche Maxi­mal­for­de­run­gen nur an die Hin­dus zu stel­len und Mus­li­me davon auszusparen.

Das Faß zum Über­lau­fen brach­ten schließ­lich Gan­dhis öffent­li­che Gebe­te um Ver­söh­nung, in denen er die Göt­ter des Hin­du­is­mus mit isla­mi­schen Titeln anrief. Nathuram God­se und sein Zir­kel im Umkreis natio­nal-revo­lu­tio­nä­rer Bewe­gun­gen wie Mahas­ab­ha oder der Natio­na­len Frei­wil­li­gen­or­ga­ni­sa­ti­on (RSS) bezeich­ne­ten Gan­dhi dar­auf­hin als einen Erz-Reak­tio­när (sie nann­ten ihn Sanata­ni – »Tra­di­tio­nel­ler«), der eine idea­li­sier­te, ver­gan­ge­ne Form des Hin­du­is­mus vor­le­ben wür­de, mit dem Ziel, sei­ne Hilf­lo­sig­keit zu spiritualisieren.

God­se und sein Umfeld, in wel­chem es an Sym­pa­thi­san­ten mit den euro­päi­schen Faschis­men nicht geman­gelt hat­te, sahen sich als Ver­tre­ter eines Reform-Hin­du­is­mus (Hin­dut­va), der einen ein­heit­li­chen Natio­nal­staat nach euro­päi­schem Mus­ter sowie eine authen­ti­sche Krieger­kaste her­stel­len soll­te. Letz­te­res ver­wun­dert etwas, da die Vor­den­ker die­ser Rich­tung wie ­Vin­ay­ak D. Savar­kar, gleich Gan­dhi, gegen das Kas­ten­sys­tem ein­ge­stellt waren. Kon­ver­sio­nen von Hin­dus zu ande­ren Reli­gio­nen wur­den vehe­ment abge­lehnt, ein wei­te­rer Berüh­rungs­punkt mit dem »halb­nack­ten Fakir« (Chur­chill), der die Kon­ver­si­on sei­nes Soh­nes Haril­al Gan­dhi zum Islam nie hat ver­schmer­zen können.

Die letzt­lich in Welt­flucht und Selbst­auf­ga­be ein­mün­den­de eins­ti­ge Satyag­ra­ha-Stra­te­gie war der poli­ti­sche Aus­läu­fer eines radi­ka­len hin­du­is­ti­schen Gnos­ti­zis­mus (z. B. im Vedan­ta), der vom prin­zi­pi­ell illu­sio­nä­ren Cha­rak­ter der Wirk­lich­keit aus­ging und die Welt ein­zig im Bewußt­sein des Indi­vi­du­ums verortete.

Dage­gen stand die natio­nal-reli­giö­se Iden­ti­tät Indi­ens als Staat der Hin­dus, als kon­kre­te Aus­for­mung in der hie­si­gen Welt, die nicht zur Ver­hand­lung stand. ­Gan­dhis Stre­ben nach ethi­scher Rein­heit, die er von sich und von sei­nen Anhän­gern ver­lang­te, hat­te auf tra­gi­sche Wei­se gezeigt, dass eine so ver­stan­de­ne Rein­heit nicht von die­ser Welt, vor allem aber nicht für die­se Welt ist. Nathuram God­se bezeich­ne­te Gan­dhi in sei­ner viel­be­ach­te­ten Ver­tei­di­gungs­re­de vor Gericht als »gewalt­tä­ti­gen Pazi­fis­ten«, dem sein ethi­sches Ego über den Kopf gewach­sen war. Die krie­ge­ri­schen Ahnen der indi­schen Epen hät­ten mehr Frie­den gebracht als Gan­dhis Kampagnen.

Nathuram Vin­ay­ak God­se wur­de am 15. Novem­ber 1949 gehängt.

 

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