Worum geht es beim Bürgergeld eigentlich im Kern? Die Sächsische Zeitung (v. 10.11.2022) faßt die wesentlichen Änderungen zusammen:
Vorgesehen ist, dass der Regelsatz von heute 449 auf 502 Euro steigt, dass Arbeitslose vom Jobcenter weniger durch angedrohten Leistungsentzug (Sanktionen) unter Druck gesetzt und Weiterbildungsmaßnahmen stärker unterstützt werden. Zudem sollen Vorgaben zur erlaubten Vermögenshöhe und zur Wohnungsgröße bei Leistungsbeziehern gelockert werden.
Am heutigen Donnerstag werden die Ampel-Parteien SPD, Grüne und FDP das Gesetz beschließen:
Umgesetzt werden kann es aber nur, wenn auch der Bundesrat zustimmt — doch ohne unionsregierte Bundesländer geht es nicht,
was einige Spannung für den parlamentspolitischen Betrieb mit sich bringt.
Für uns ist – jedenfalls nach meinem Dafürhalten – weniger die Frage relevant, wie die Ampel nun die nötigen Stimmen der Union noch generieren oder nicht generieren kann. Relevanter scheint die Frage nach der mit diesem Themenkomplex verbundenen AfD-Initiative im Deutschen Bundestag, in der es um eine Pflicht zur gemeinnützigen Arbeit für Transferleistungsempfänger geht.
Die Tagesstimme (v. 16.10.2022) berichtete:
Die AfD-Fraktion fordert eine „Bürgerarbeit“ von erwerbsfähigen Sozialhilfeempfängern. Dabei werde die Menschenwürde der Betroffenen gewahrt und auch das Prinzip von Leistung und Gegenleistung werde erfüllt. Auf kommunaler Ebene könnten Erwerbsfähige bei der Heimatpflege, Wohlfahrt für Senioren oder Menschen mit Behinderung und beispielsweise bei Natur- und Tierschutz aushelfen.
Der AfD-Bundestagsabgeordnete René Springer spricht in diesem Kontext von »verpflichtender Bürgerarbeit« für jene Menschen, die vom Sozialstaat und damit, salopp gesagt, von der Allgemeinheit, Leistungen empfangen. Durch gemeinwohlorientierte Dienste würden sie folglich ebenjener Allgemeinheit etwas zurückgeben.
Die Diskussion, die sich im Anschluß an diese Forderung ergab, ist für unsere Standortbestimmung mehr von Belang als das Stimmengeschacher der Altparteien im Bundesrat.
Zunächst ist ein Kritiker anzuführen. Der österreichische Publizist Julian Schernthaner lehnt den AfD-Vorschlag ab:
Man fordert von jenen, denen bereits alles genommen wurde, plötzlich „Solidarität“ ein, indem sie unbezahlten Pflichtdienst leisten. Sie sollen jenes System stärken, in das sie teilweise 40 Jahre lang als brave Bürgerlein einzahlten, ehe sie unverschuldet ihre Arbeit verloren, weil irgendein Schreibtisch-Kapitalist meinte, ein Jungspund mache die doppelte Arbeit ums halbe Geld.
Schernthaner trifft einen Punkt – jedenfalls für jene Kreise, die genau von diesem Werdegang betroffen sind. Aber er setzt diese besondere Situation ein wenig zu stark mit der allgemeinen Lage von Arbeitslosen gleich.
Andersrum verfahren viele liberale und libertäre »Konservative« ähnlich, wenn sie die besondere Situation lumpenproletarischer Klischee-Arbeitsloser für die allgemeine Realität erklären und so verächtlich wie pauschalisierend von Arbeitslosen als den »Hängematten«-Leistungsverweigerern sprechen.
Beide Bilder sind jedoch nicht absolut zu setzen; das Arbeitslosenheer von 3,5 Millionen Menschen in der BRD ist vielschichtig. Darunter finden sich Bürger mit jenem Background, den Schernthaner beschreibt, aber auch auch Nutznießer des Transferleistungssystems und, mehr denn je, Nichtdeutsche, die vorher nie in die Systeme eingezahlt haben und dennoch anspruchsberechtigt auftreten.
Fast 45 Prozent der Hartz 4‑Bezieher sind keine Deutschen und das Bürgergeld soll auch für Asylbewerber gelten. Diese »tendenzielle Umverteilung von Autochthonen zu Allochthonen« (Tomasz Froelich) muß eine migrationskritische Partei in den Fokus stellen, zumal die Welt (v. 10.11.2022) vermeldet, daß der Anteil kinderreicher Familien mit Migrationshintergrund mit der Kinderzahl steigt: Bei Ein-Kind-Familien haben 36,4 Prozent einen Migrationshintergrund, bei Drei-Kind-Familien 50,05 und bei Fünf-Kind-Familien bereits 74,1 Prozent.
Das ist ein strömungsübergreifend zu bearbeitendes Thema; ein Selbstläufer, sollte man meinen. Wie sollte die AfD sich darüber hinaus positionieren?
Schernthaner meint: Die verpflichtende Bürgerarbeit wieder über Bord werfen, solidarisch sein mit den Verlierern der globalistischen Verhältnisse.
Bruno Wolters meint: Die AfD regiere nicht, sie ist in der Opposition und müsse die Instrumente einer Opposition auch annehmen. Das heiße hier konkret: Die AfD solle für aktuelle Fehlentwicklungen konkrete Lösungen anbieten und mögliche Auswege zeigen, »um aktuelle Notlagen möglicherweise aufzuheben, zu verhindern oder zu erleichtern«; die Bürgerarbeit sei eine Möglichkeit hierfür.
Ich meine: Es gibt sehr gute Gründe für eine konstruktive Gemeinschaftsarbeit respektive einen verpflichtenden Gesellschaftsdienst (»Bürgerarbeit«), dazu gegen Ende des Beitrags mehr.
Was zuallererst aber vermieden werden muß, ist folgendes: eine permanente und faktenwidrige Gleichsetzung aller Arbeitsloser, auch unverschuldet arbeitslos gewordener oder wegrationalisierter Kräfte, mit »Hängematten-Asis«, wie es in Teilen der Mandatsträgerschaft der AfD bedauerlicherweise betrieben wird.
Ein solches Bashing ist objektiv parteischädlich, weil es – erstens – die überproportional in der bundesweiten AfD-Wählerschaft vertretenen Arbeitslosen pauschal abwertet und weil es – zweitens – offenkundig nach unten tritt, in der Hoffnung, »oben« (in den obersten »Leistungsträgerschichten«, die wiederum überproportional FDP und Grüne wählen) Gefallen zu finden. In der Summe wirkt es dann auf viele Wähler schlichtweg wie eine arrogante Wählerbeleidigung und wie eine ignorante Ausblendung akuter gesellschaftlicher Realitäten (vgl. unerwünschte Arbeitslosigkeit und ähnliche Notlagen).
Es ist überdies unnütz, den wichtigen Gemeinschaftsdienst aka die Bürgerarbeit durch diese Art von Parolen zu begleiten. Man erleichtert so der linken Staats- und Privatpresse, die seit jeher beliebte Propagandaskizze von der volksfernen und oberschichtsorientierten AfD zu zeichnen. Eine Skizze, die der AfD-Realität in Ost wie West nicht (mehr) stand hält; man sollte dies daher nicht durch eigene abfällige Wortmeldungen befeuern.
Ansonsten drängt sich der Verdacht auf, daß sich womöglich einige Abgeordnete für einen Teil ihrer Wähler schämen und es bevorzugen, auf einen an die Bild-Zeitung erinnernden, unpolitischen Verbalradikalismus zu bauen. Hinzu kommt ein Aspekt, bei dem Julian Schernthaler beigepflichtet werden muss.
Er führt aus, es gehe
weniger um die Frage, ob Arbeitslose als Wählergruppe relevant oder schon lange ausgeschöpft sind. Sondern vielmehr darum, dass sich viele Bürger bis in den Mittelstand hinein sorgen, dass ihnen genau dieses Schicksal droht. Sie sehen die Kriegstreiberei, die Selbstmord-Sanktionen und die verkorkste Energiewende und die Preisexplosion bei Gas, Strom und Lebensmitteln. Verantwortlich für diese Zustände sind sämtliche Altparteien.
Was folgt daraus im besten Fall nach Ansicht Schernthalers?
Die logische Reaktion der AfD wäre, in diesem Fall auf Populismus zu setzen und sich als Schutzherr der Abgehängten zu begreifen,
wo ich nun einhaken zu gedenke: Denn Schutzherr der Abgehängten zu sein, schließt nicht aus, als Schutzherr der Arbeitenden aufzutreten, im Gegenteil: Die AfD muß beides sein, zumal beides – arbeiten und dennoch abgehängt zu werden – zunehmend ineinander über zu gehen droht.
Als Partei des »frühaufstehenden Deutschlands«, um eine französische Wendung für unsere Verhältnisse zu nutzen, muß die AfD vor allem die Partei der Arbeiter, Angestellten und kleinen Selbständigen und Unternehmer sein, die in dieser Krise trotz eigener Arbeit und Leistungsorientierung unter die Räder zu geraten drohen, die keine Alimentierungen erhalten, aber dennoch an materiellen Werten verlieren und fürchten, ins Abhängigkeitsnetz der Bürokratie zu geraten.
Der AfD ins Stammbuch geschrieben sei dies: Als Schutzherr der Abgehängten und Arbeitenden aller Schichten aufzutreten, heißt immer und überall: Attackiert wird die gegnerische Politik, nicht reale und potentielle Opfer dieser gegnerischen Politik!
Das schließt ein, daß man nicht nach unten treten und Arbeitslose pauschal diffamieren darf. Schutzherr der Abgehängten bedeutet aber ebensowenig, auf das Prinzip Leistung–Gegenleistung–Solidarität zu verzichten.
Konkrete und belastbare Solidarität bedarf erstens der »landsmännischen Parteilichkeit« (David Miller), also des organischen »Bewusstseins einer gemeinsamen Herkunft (…) als Fundament, auf dem die Polis errichtet wird«, wie Henri Levavasseur sekundierte.
Solidarität bedarf aber zweitens auch des Bewußtseins der Solidarität Ausübenden, daß diese Bereitschaft zur wechselseitigen Hilfe nicht ausgenutzt wird. Ebendiese virulente Sorge vor Ausnutzung darf nicht unterschätzt werden; hier muß vielmehr effektiv vorgebeugt werden, daß sich das Klischee des Dauer- bzw. Langzeitarbeitslosen, der Behörden und Staat narrt und der Gemeinschaft fortwährend Kosten aufbürdet, nicht in der Praxis zur Realität auswächst.
Nun ist zweifelsfrei erwiesen, daß es diesen Mißbrauch der sozialstaatlichen Fürsorge durch Arbeitslose gibt. Ebenso erwiesen ist es jedoch einerseits, daß die Millionenbeträge, die hier mißbräuchlich ergaunert werden, in keinem Verhältnis zu den 130 Milliarden Euro stehen, die der Allgemeinheit in Deutschland jährlich (!) dadurch entgehen, daß Großkonzerne und Superreiche bestehende Gesetzeslücken zur Steuervermeidung nutzen – hinzu kommen je nach Verlauf 30 bis 40 Milliarden an Steuerbetrug.
Es sind dies Aspekte, die rechts der Mitte weitgehend ignoriert bzw. relativiert werden – hier sollte man aber nicht das Eine verschweigen und das Andere thematisieren, sondern grundsätzliche Positionen beziehen, die beides in den Fokus nehmen.
Ebenso erwiesen und endlich zu begreifen ist zudem, daß dieser Mißbrauch durch »Hängematten«-Lumpenproletarier nicht pars pro toto für »die Arbeitslosen« als vermeintliches Kollektivsubjekt steht.
Die emotionale Aufwallung bei entsprechenden Verhaltensweisen auch im rechten Beritt fällt ja so drastisch aus, weil es eben eine – medial entsprechend aufbereitete – Abweichung von der Norm darstellt, und diese, unsere Norm impliziert das Streben nach rascher Wiedereingliederung in die Gesellschaft via Arbeit, das Ende von Transferleistungsbezügen, das Ende entwürdigender Ämterbesuche usw.
Julian Schernthaner meint nun, die von der AfD geforderte verpflichtende Bürgerarbeit wäre das Gegenteil von »Solidarischem Patriotismus«. Natürlich beanspruche ich nicht, Gralshüter der einen reinen sozialpatriotischen Lehre zu sein (die es so gar nicht gibt), aber möchte doch zur weiteren Diskussionsvertiefung darauf verweisen, was ich im Solidarischen Patriotismus vor zwei Jahren zum Prinzip der Bürgerarbeit (bzw. zu einem verpflichtendem Gesellschaftsdienst) schrieb:
Ein solidar-patriotisches Modell der Gesellschaft fördert Arbeit und ein positives Verständnis von ihr, gewichtet Leistung über Müßiggang und stellt „preußische“ Vorstellungen von Dienst, Pflicht und Arbeitsbereitschaft für das große Ganze wieder in den Vordergrund.
Da jeder Mensch Glied der Gesellschaft ist und in ihr wirkt und arbeitet, ist prinzipiell jeder Mensch möglicher Erzeuger bestimmter Werte; die produktive Rolle des einzelnen gemäß seiner Befähigung und seines Einsatzes würde im Solidarischen Patriotismus (aufs Neue) gewichtig für seine Bedeutung und seinen Stellenwert in der Gemeinschaft.
Die derzeit punktuell auftretende, bereits angesprochene „soziale Hängematte“ ist in einem so umrissenen Denken keine Option; entsprechende Abhilfen wären ein verpflichtender Gesellschaftsdienst als erbrachte Gegenleistung zu gewährten staatlichen Hilfen.
Der oft klassenpolitische Ressentiments schürende und auf verkürzte Art und Weise verallgemeinernde „Hängematten-Diskurs“ darf heute hingegen nicht als Argument gegen den Sozialstaat an sich begriffen werden.
Man muß ihn als das denunzieren, was er darstellt: eine zu bewältigende Perversion eines einzigen Prinzips des viel weiter reichenden und zu bewahrenden Sozialstaats.
RMH
Es vollkommen richtig, die Sprüche von der "Hängematte" als das darzustellen, was sie sind, nämlich FALSCHER Populismus. Als eigenen Lösungsansatz aber irgendwie Arbeitspflichten anzudenken, ist aus meiner Sicht gleichfalls falsch. In der großen Hungersnot in Irland im 19. Jhdt. dachte man, wer essen will, soll auch arbeiten und so entstanden sinnlose Mauern, Straßen ins Nichts, was man alles heute noch sehr deutlich in der Landschaft sehen kann. Das kann es als Lösung m.M.n. nicht sein. Richtig ist, dass man das Prinzip fördert, wer bislang in dieses Land solidarisch eingezahlt hat, der soll auch Ansprüche in der Not oder Existenzkrise stellen dürfen und wer noch nichts gezahlt hat, der sollte sich mit sehr, sehr wenig zu frieden geben müssen. Von daher sollte es etwas zwischen ALGI und Hartz IV geben. Und erst einmal nur Sachleistungen mit geringem Taschengeld für Migranten genügen dem Sozialstaatsprinzip auch.
Zudem muss endlich damit angefangen werden, eine echte Steuerfreiheit des Existenzminimums zu fordern. 24.000.- Euro Grundfreibetrag pro Mitglied einer Familie sollten ein Anfang sein. Bei einer 4-köpfigen Familie würde damit erst ab 96tsd Euro im Jahr die direkte Besteuerung anfangen (Steuern werden über USt und Verbrauchssteuern ohnehin noch gezahlt).