Jenes Buch widmete sich der ersten Ehefrau Ernst Jüngers in allen Facetten ihres Lebens. Im aktuellen Bändchen bietet Villinger einen konzentrierten Blick auf die beiden wesentlichen Bezugspersonen von Gretha Jünger: ihren Mann Ernst Jünger und den schon damals bekannten Staatsrechtler Carl Schmitt. Ist die Nähe bei Eheleuten, deren umfangreicher Briefwechsel als Auswahl ebenfalls erschien, naheliegend, so ist sie bei Carl Schmitt erklärungsbedürftig.
Die Ehepaare Schmitt und Jünger lernten sich im Berlin der frühen 1930er Jahre kennen und schätzten sich so sehr, daß Carl Schmitt 1934 die Patenschaft für den zweiten Sohn der Jüngers, Alexander, angetragen wurde, die dieser gern übernahm. Zu diesem Zeitpunkt wird es allerdings schon schwierig zwischen den beiden Männern, die sich nach 1933 grundsätzlich unterschiedlich zum NS-Staat positionieren. CS stellt sich vorbehaltlos in seinen Dienst, Jünger geht aufs Land und hat wenig Verständnis für Schmitts Entscheidung. Eine zweite Erschütterung erlebt die Beziehung nach dem Krieg, als Ernst Jünger die Kritik Schmitts an seiner publizistischen Verwertung der vergangenen Jahre zurückweist und ihm die Berechtigung dazu mit einem Hinweis auf Schmitts Entscheidung von 1933 abspricht, vor der er ihn gewarnt hätte.
Das ist die im Titel erwähnte „Sache selbst“, die sich in der Kommunikation der beiden in zahlreichen Eitelkeiten und dem zeitweisen Abbruch des Briefwechsels niederschlägt. So typisch für Jünger das distanzierte Schreiben von Allgemeinplätzen war, so kennzeichnend war für Schmitt sein Hang zur Larmoyanz. Sie sind sich jedoch darin ähnlich, daß es beide wunderbar verstehen, den anderen zwischen den Zeilen möglichst genau an dem wunden Punkt zu treffen.
Die Rolle, die Gretha in diesem eitlen Gefecht spielte, ist die der Vermittlerin. Sie ist diejenige, die Verbindung hielt, indem sie mit Schmitt und seiner Frau einen zeitweise regen und inhaltsreichen Briefwechsel führte, als Jünger von Schmitt nichts wissen wollte. Diese Briefe sind schon vor einigen Jahren publiziert worden, ebenso wie der zwischen Schmitt und Jünger sowie der zwischen Schmitt und Armin Mohler, der Anfang der 1950er bei Jünger als Sekretär arbeitete und gleichzeitig mit Schmitt in regem Austausch stand.
Gretha Jünger machte für das Zerwürfnis ihres Mannes und Schmitt vor allem die Hintertreibereien von Mohler und anderen (u.a. Gerhard Nebel) verantwortlich. Mohler war sicher jemand, der mit Informationen, die er seiner herausgehobenen Stellung verdankte, hausieren ging, vielleicht aber auch generell damit überfordert war, seinen beiden so unterschiedlichen Idolen loyal zu sein. Allerdings entschuldigt ein Blick in die Aufzeichnungen von Schmitt, die er unter dem Namen Glossarium tagebuchartig notierte, den jungen Mohler doch recht eindeutig. Das Ressentiment des NS-belasteten Schmitt gegen den smarten Jünger saß so tief, daß Mohler daran kaum etwas zu bestärken brauchte. Gretha hat Schmitts plötzliches Verstummen (ein bei Schmitt immer wieder zu beobachtendes Phänomen) ihr gegenüber so verstanden, daß dieser sie für Mohler geopfert habe.
Wer die Briefwechsel der Protogonisten und die Gretha-Biographie von Villinger kennt, wird in dem Band nichts neues über die Personen erfahren. Für alle anderen ist er, abgesehen von einigen auf Geschlechterrollen verweisende Gemeinplätze heutiger Politikwissenschaft, eine kurzweilige Einführung in die entscheidenden Nachkriegsjahre aus dem Blickwinkel der wichtigsten Vordenker, die wir haben. Hinzu kommt, daß die Konzentration auf das Wesentliche das Büchlein wohltuend von der etwas geschwätzigen Gretha-Biographie abhebt.
Ingeborg Villinger: Gretha Jünger und die Sache selbst. Ein Porträt mit Carl Schmitt, , 106 Seiten, 24,90 Euro.