Konkret gemeint ist damit die BRD-Auswahl, die seit Jahren als »Die Mannschaft« firmiert.
Man muß weder Fußballkenner noch Alt-Bundesrepublik-Nostalgiker sein, um die krassen Unterschiede zwischen der Nationalmannschaft von 1990 und der unsympathischen Trümmertruppe von 2022 wahrzunehmen.
Aber darum soll es primär nicht gehen. Auch nicht um die Narreteien von Bundesinnenministerinnen, die sich mit einer »One Love«-Armbinde dem Gespött der Weltöffentlichkeit aussetzen.
Und ebensowenig um die Frage, wer nun woker ist: Konzerne wie Rewe, die dem DFB mangelnde Standfestigkeit im Kampf für noch mehr Regenbogenkult vorwerfen und die Zusammenarbeit aufkündigen; oder der DFB selbst, der keine Gelegenheit verpaßt, für ebenjenen Kult zu werben und dabei vergißt, daß man auf dem grünen Rasen auch ertragreichen Fußball zu spielen hat, woran dankenswerterweise die japanische Elf erinnert hat.
Schauen wir uns lieber den Gastgeber Katar und die FIFA-Problematik als solche an, zu der drei Beiträge vorliegen, die ausreichen sollten, um sich – Fußballkenner hin oder her – ein Lagebild zu verschaffen.
Zunächst muß ein Aufsatz aus der Monatszeitschrift Blätter für deutsche und internationale Politik (11/2022) angeführt werden. Sportjournalist Ronny Blaschke widmet sich in seinem Aufsatz »Das unantastbare Katar: Die Fußball-WM als Machtressource« grundsätzlichen Fragen rund um das Gastgeberland der 22. Weltmeisterschaft.
Er erinnert zunächst daran, daß das kleine Land »eingepfercht« sei zwischen den Regionalmächten Saudi-Arabien und Iran:
Im geopolitischen Wettstreit im Nahen und Mittleren Osten ist die WM für Katar von zentraler Bedeutung. Das fossile Zeitalter mit hohen Gas- und Ölexporten geht mittelfristig zu Ende, und so will das Emirat neue Wirtschaftszweige etablieren. Katar konkurriert um Investitionen, Fachkräfte und Touristen vor allem mit seinen größeren Nachbarn Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten,
und die BRD, darf man in Erinnerung rufen, konkurrierte mit China um lohnenswerte Gasverträge in Katar; sie verlor gegen die Volksrepublik ebenso elend wie im gestrigen Spiel gegen Japan. Robert Habecks devoter Katar-Besuch – die erste Katarstrophe.
Bundesdeutsche Interessen konnten also nicht durchgesetzt werden, obwohl Katar ansonsten immer wieder versucht, sich um strategische Westbindung zu bemühen. Die größte US-Basis im Nahen und Mittleren Osten liegt tatsächlich just dort, wo westliche Medien im WM-Zeitfenster empört das islamische Mittelalter vermuten.
Katar verfolgt mit derartigen Gastfreundschaften eigene Interessen:
Militärisch ist Doha seinen Rivalen am Golf klar unterlegen. Doch je enger die Beziehungen in den Westen sind, (…) desto unwahrscheinlicher erscheint der katarischen Regierung ein Angriff der Übermacht Saudi-Arabien.
Was Ronny Blaschke beim Leser als Wissen voraussetzt, sei in einem Satz ergänzt: Katar orientiert sich, wie insbesondere Kritiker postulieren, politisch-islamisch an der Muslimbruderschaft, die etwa auch in der Türkei Einfluß ausübt und in Ägypten unter Mursi scheiterte, wohingegen Saudi-Arabien die wahhabitische Lehre für sakrosankt hält und damit einer salafistischen Islam-Lesart folgt.
Wie so oft verschleiern religiös-ideologische Konflikte, daß es primär um handfeste materielle Interessen geht. So war das Verhältnis der Kataris zu den Saudis trotz altbewährter religiöser Antagonismen vor einigen Jahrzehnten noch harmonisch, weil politökonomisch interessengeleitet.
In den 1970er und 1980er Jahren leitete Katar, skizziert Blaschke,
eine Modernisierung ein, damals unter dem Schutz Saudi-Arabiens. Doha wünschte sich einen florierenden Staat mit glaubwürdigen Institutionen und einer glitzernden Infrastruktur. Inzwischen sind die modernen Metrolinien in der Hauptstadt seit Jahren in Betrieb.
Aber die Erfolgsgeschichte ist keine, die sich auf das Erdgas alleine beschränken ließe:
Dieses rasante Wachstum wäre ohne die Vergabe der WM im Dezember 2010 wohl undenkbar gewesen,
der bis heute der Ruch der Korruption begleitet.
Katars Regierung, die heute 300.000 eigene Volksangehörige vertritt,
fürchtete Opposition und „Überfremdung“ und bemühte sich daher spätestens ab den 1990er Jahren um Arbeiter aus Südasien, die sie sprachlich und kulturell leichter von der eigenen Gesellschaft abschotten konnte. Seither erhielten Millionen Migranten aus Indien, Bangladesch oder Pakistan einen Kafala, einen Bürgen, der ihre Pässe einbehalten, ihre Ausreise erschweren, ihren Jobwechsel verhindern konnte.
Katar verfolgt damit einen entgegengesetzten Migrationskurs im Vergleich mit dem, was viele deutsche Patrioten befürworten. Während hierzulande die Einwanderung vor allem kulturell verwandter Personenkreise goutiert wird, weil sich – wahlweise – Integration bzw. Assimilation besser verwirklichen lassen, will Doha gerade dies nicht zulassen: Die Eigenheiten der Araber Katars würden sich beispielsweise bei Massenzuwanderung von Arabern aus anderen Nationen zu stark bedroht sehen.
Das wird seitens westlicher Medien ebenso kritisiert wie die Haltung Katars zu öffentlich propagierter Homosexualität, den Arbeitsverhältnissen von Gastarbeitern oder auch der Energieintensität der katarischen WM-Stadien. Ein weiteren Grund für eine prononciert Katar-kritische Haltung nennt Blaschke ebenso: mangelnde Meinungsfreiheit.
Das Gesetz gegen Cyberkriminalität von 2014 stellt die Verbreitung von angeblichen Fake News unter Strafe. „Die Gesetze sind oft so vage formuliert, dass die Regierung sie zu ihren Gunsten auslegen kann“, sagt Justin Shilad vom Committee to Protect Journalists (CPJ),
was natürlich in der Bundesrepublik Deutschland des Jahres 2022 auf alle Zeiten schier unvorstellbar scheint.
Ebenso unvorstellbar scheint, daß sich in Deutschland ein Überwachungsstaat ausbildet, der, wie die Kataris,
die neueste Ausspähsoftware gegen Kritiker zu verankern
versucht ist. Blaschke wittert in Katar gar ein
Klima der Angst (und) Selbstzensur unter heimischen Journalisten.
Fürwahr: Was für ein Alleinstellungsmerkmal Katars!
Und trotz all dieser Vorbehalte gegenüber der Realität Katars muß Ronny Blaschke einräumen:
Die Fachleute im Auswärtigen Amt oder im State Department betrachten Katar in der Regel als verlässlichen Vermittler, der von eigenen Interessen geleitet wird, aber weniger von Ideologie, erläutert Eckart Woertz, Direktor des GIGA-Instituts für Nahost-Studien in Hamburg. Auch auf Drängen Washingtons wurde der Rückzug der US-Truppen aus Afghanistan bis Februar 2020 vor allem in Doha verhandelt. Später half Katar bei der Evakuierung aus Kabul. Doha wird als Mediator in Krisenregionen weiterhin gefragt sein, im Irak, im Libanon oder in Syrien.
Am Ende schlägt dann wohl einmal mehr eine interessengeleitete realistische Außenpolitik eine ideologiegetriebene »feministische«.
Gewiß: Katar ist aus »rechter« Perspektive keineswegs als Garten Eden zu verherrlichen, nur weil die woke Schickeria der BRD einen neuen Teufel ausgemacht hat.
Es gäbe genug Kritik an katarischer Politik zu äußern, etwa Dohas Rolle im internationalen Krieg islamistischer Allianzen und der USA gegen Syrien unter Präsident Bashar al-Assad. Aber das tritt derzeit angesichts des politisch korrekten Medienzirkus hierzulande ebenso ins Hintertreffen wie die mögliche Kritik einer feudalkapitalistischen Familienherrschaft. Nur: In Syrien hat Katar immerhin den interventionistischen Kurs korrigiert, und die internen Herrschaftsverhältnisse sind einzig und allein Angelegenheiten eines souveränen Katars.
Eine auch deutsche Angelegenheit ist freilich die WM-Vergabe an Katar. Kein hiesiger Fußballfreund hat sich darüber gefreut; Unverständnis und Wut reichten sich die Hand. Aber ist hier Katar der »Schuldige«? Oder vielmehr die Weltfußballorganisation FIFA?
Im zweiten Beitrag von dreien, die ich skizzieren möchte, wird just dies unterstrichen. Gabriel Kuhn schreibt in der Tageszeitung junge Welt (v. 18.11.2022):
Es gibt viele gute Gründe, die WM in Katar abzulehnen. Einige der wichtigsten haben jedoch weniger mit Katar als mit dem internationalen Fußballverband FIFA zu tun. Dieser ruiniert den Sport für das Geschäft. Schon 32 Teams sind für eine Endrunde zu viel, ab 2026 sollen es 48 sein. Die Auflagen der FIFA erfordern Neubauten von Stadien, die nur für eine Handvoll Spiele gebraucht werden. Werbepartner des Verbandes können nationale Gesetze aushebeln und lokale Gewerbetreibende verdrängen. Am Fußball uninteressierte VIP-Bonzen besetzen die besten Plätze in den Stadien. All das gilt nicht nur in Katar, sondern bei jeder WM,
weswegen ich betonen würde, daß die WM »uns« als Sportbegeisterten schon lange »genommen« wurde, eben nicht erst 2022.
Kuhn ätzt gegen die Doppelmoral der Herrschenden, gegen die Heuchelei der moralpolitischen Akteure des Westens:
Aber war die Vergabe an Katar nicht das Resultat von Korruption? Richtig. Genauso wie die Vergabe des »Sommermärchens« an Deutschland 2006. Dient das Turnier in Katar nicht der Legitimation eines autoritären Regimes? Ja. So wie die WM 1934 dem faschistischen Italien diente und die WM 1978 der Militärdiktatur in Argentinien. Und die Menschenrechtsverletzungen? Sind die kein Problem, wenn das WM-Turnier 2026 in den USA, Kanada und Mexiko ausgetragen wird? Indigene, Angehörige ethnischer Minderheiten, Opfer von Polizeigewalt und inhaftierte Oppositionelle dürften anderer Meinung sein.
Anderer Meinung ist auch die »umstrittene« Fußballikone Zlatan Ibrahimovic. In bezug auf das politische Engagement des Basketballstars LeBron James äußerte der Schwede:
Ich mag es nicht, wenn Leute, nur weil sie bekannt sind, über Politik reden. Sie sollen das machen, was sie können. Ich spiele Fußball, weil ich das am besten kann,
um zum Fazit zu kommen:
Aus der Politik halte ich mich raus.
Ein Satz, auf den man aus den Mündern deutscher Nationalspieler vergeblich wartet. Dabei hätte es ihnen gut getan, sich auf das Fußballerische, nicht auf das Symbolpolitische zu konzentrieren; aber für derlei Erkenntnisse ist es einerseits zu spät und andererseits ist die deutsche Öffentlichkeit für derartige Botschaften nicht empfänglich.
In einem Punkt ist Gabriel Kuhn indes zu widersprechen. Der linke Journalist meint, das »Argument der fehlenden Fußballtradition« sei »heikel«. Für diesen Themenabschnitt zieht man lieber den dritten Beitrag der heutigen »Sammelstelle« zu Rate: eine Kolumne Tomasz M. Froelichs bei den Kollegen der Tagesstimme.
Froelich hat einen klaren Standpunkt:
Weltmeisterschaften sollten von Ländern ausgetragen werden, die eine gewisse Fußballtradition haben. Katar hat diese nicht – und sich deshalb vermutlich auch die WM-Austragung gekauft (wie andere Gastgeberländer zuvor schon auch).
Aus diesem Grund werde er diese Weltmeisterschaft weniger euphorisch verfolgen als die letzten WMs. Vor allem aber werde er
denjenigen Nationalmannschaften die Daumen drücken, die sich der Dressur dieses verlogenen Menschenrechtsimperialismus widersetzen, etwa indem sie nicht ethnomasochistisch für einen Kriminellen niederknien oder mit Regenbogenbinden auflaufen,
weshalb, so möchte ich einwerfen, für jene, die sich die WM trotz aller Einwände zu Gemüte führen, die Auswahlen von Polen und insbesondere Serbien hoch im Kurs stehen sollten.
Froelichs Text hat nichts von der Empörung Blaschkes und Kuhns Traditionsskepsis teilt er nicht.
Nüchtern, wie es sein soll, führt er aus:
Gegen Katar an sich habe ich nichts. Und auch nicht gegen das dortige Gesellschaftsmodell, sofern es uns hierzulande nicht aufgezwungen wird. In unseren Medien hingegen wird Katar vorgeführt, weil es nicht so ist, wie Annalena Baerbock es gerne hätte: Dort gibt es tatsächlich nur zwei statt 60+ Geschlechter. Dort wird nicht über Pubertätsblocker und Hormontherapien für Minderjährige sinniert. Es gibt dort keinen Christopher Street Day. Und auch keine schwangeren Männer. Ist das schlimm?
Nein, Herr Froelich, aber was ist mit den eingangs erwähnten Bedingungen für asiatische Gastarbeiter, auf die Ronny Blaschke abzielt? Was ist mit den 15.000 »WM-Toten«?
Froelich entgegnet seinem linken Antipoden:
Woher kommt diese Zahl? Laut katarischen Statistiken sind etwa 15.000 Menschen nicht-katarischer Staatsangehörigkeit seit der WM-Vergabe 2010 bis zum Jahr 2020 gestorben. Damit sind aber alle in dieser Zeit in Katar verstorbenen Ausländer gemeint. Sie zu „WM-Toten“ zu erklären ist in etwa so, als ob man vor der Europameisterschaft 2024 in Deutschland jeden in diesem Land in einem Zeitraum von zehn Jahren verstorbenen Ausländer zum „EM-Toten“ erklären würde. Absurd. Tatsächlich gestorben sind in Katar offiziellen Angaben zufolge drei Gastarbeiter bei und 37 weitere während oder nach der Arbeit. Auch das ist tragisch und die Dunkelziffer mag sogar höher liegen. Aber höher als während der Bauarbeiten zur WM in Brasilien 2014 oder zur WM in Südafrika 2010? Das darf bezweifelt werden,
obschon nicht bezweifelt werden kann, daß die WM in Katar das vorläufige i‑Tüpfelchen in einer jahrelangen Kette von FIFA-Absurditäten darstellt.
WM boykottieren wegen fehlender LGBTQ-Sensibilität oder mangelndem Diversity-Bewußtsein, so wie es Millionen Bundesdeutsche tun? Nein, sagt Froelich, und führt alternative Motive an:
Keine Fußballkultur, keine Fankultur – wenn, dann sind das geeignete Gründe für einen Boykott der WM. Denn Fußball-WM in Katar ist so wie Skispringen in den Bergen von Ruanda: Sport am falschen Ort,
den der eine nun dennoch verfolgen mag und der andere eben nicht. Da gilt es tatsächlich, tolerant zu sein; weder die WM zu verfolgen noch sie zu boykottieren ändert etwas an der vielerorts diagnostizierten »Katarstrophe«.
Doch schon alleine aus bloßem Unterhaltungswert gilt Froelichs Fazit:
Dass sich Katar trotz großen Drucks der westlich-bunten Regelbasiertheit widersetzt, ist begrüßenswert.
Rheinlaender
Man sollte in diesem Zusammenhang noch erwähnen, dass Katar mittlerweile andere Golfstaaten als wichtigster Finanzier islamistischer Subversion in Europa abgelöst hat, Stichwort "Qatar Charity". Es ist bezeichnend für den Zustand des deutschen Staates, dass dessen Innenministerin darüber kein Wort verliert und sich statt dessen am LGBT-Theater beteiligt.