Auf dem Kalenderblatt tanzt eine barbusige Asiatin an einer langstieligen Astsäge wie an einer Stange. Es ist noch das Blatt vom September, »das beste im Kalender, ich laß es hängen bis nach Weihnachten«. Klar.
Es gibt Bier, Vita-Cola und Nordhäuser Doppelkorn, dazu Brezeln und Pfefferbeißer. Auf einem Handy läuft die Parodie auf die Klimakids, die ein Gemälde beschädigen, an der Wand festkleben und panisch darüber reden, ob der Schaden von der Versicherung gedeckt sei.
»Wir leben«, steht da, »in einer Psychiatrie mit offenem Vollzug: Die schweren Fälle sitzen auf der Regierungsbank, der Nachwuchs klebt auf der Straße.« Boomerhumor.
Das Gesprächsthema ist die große Politik im Rahmen des Dorflebens: Alltagsberichte, keine Abstraktion. Man kriegt von einer Putzkolonne berichtet, die in der Kreisstadt nachts im Krankenhaus die OP-Räume wienert, Schicht ab dreiundzwanzig Uhr, meist bis vier, halb fünf, pauschal entlohnt.
Jedenfalls, so wird’s berichtet, rechnen die sich das alle jetzt durch, mit dem Bürgergeld. Und dann wird nicht mehr geputzt, oder: nur noch schwarz.
Die sind doch bekloppt, sind die, total bekloppt.
(Der, welcher sich empört, meint die schweren Fälle, nicht die Putzfrauen.)
Sag doch mal was, weil, irgendwann arbeitet ja gar keiner mehr.
Also gut, was erzählen. Am besten am Thema vorbei, obwohl, vielleicht doch nicht.
Ich habe neulich von einem Afghanen gehört, die Geschichte ist verbürgt, ich sprach mit dem Sachbearbeiter, der rief bei mir an. Der Afghane also, er ist etwa so alt wie wir, und er ist seit drei Jahren in dieser Kleinstadt in Thüringen, und zwar mit drei Frauen und elf Kindern. Niemand weiß so ganz genau, wie die zusammenhängen, Urkunden gibt es nicht, das Amt verfährt großzügig.
Diese ›Familie‹ lebt in einer Villa, niemand arbeitet, alles wird bezahlt: die Miete, der Strom, die Heizung, das Essen, die Handys, der Flachbildschirm, die Fahrten, die Sanierung der Zahnreihen …
Die Aufzählung wird unterbrochen. Einer der Männer am Tisch behauptet, er wird verrecken, wenn er nur noch einen einzigen Ton von dieser ganzen Scheiße hört.
Paß auf, du überlebst schon, aber die Sache geht noch weiter. Der Familie ist es in Thüringen zu kalt, vor allem jetzt so. Deswegen leben zwei Frauen und acht Kinder mittlerweile in Andalusien. Es gibt da wohl eine Bewegungsfreiheit in der EU, auch für solche Leute. Der Witz ist: Das Häuschen im Süden, das bezahlen auch wir.
»Leck mich.« Ist aber so. Und weil die erst vorhin am Schreibtisch absolvierte Lektüre noch sehr präsent ist, lassen sich Zahlen nachschieben: daß nämlich zu den anderthalb Millionen, denen wir »Schutz« gewähren, saubere eins Komma null acht Millionen Ukrainer dazugekommen sind, binnen weniger Monate, und das sind nur die registrierten. Von Januar bis Oktober haben hundertachzigtausend Leute Asyl in Deutschland beantragt, vierzig Prozent mehr als im Vorjahr.
Insgesamt werden es zweihunderttausend bis Ende Dezember, mindestens. Ungefähr einmal Magdeburg. Zwei. Hundert. Tausend. Kriegen alle die deutsche Staatsbürgerschaft, wenn sie wollen. Also zusätzlich. Die alte können sie sowieso behalten.
Hoffentlich behalten sie sie. Dann können wir ihnen die deutsche wieder entziehen und sie leichter abschieben.
Wer hat das gesagt? Das war ja richtig schlau, eine richtige Machtphantasie! Aber keiner hat zugehört. Niemand verreckt, niemand dreht durch, obwohl hier ständig irgendeiner behauptet, daß es gleich soweit sei mit ihm. Die revolutionären Anfälle bleiben aus, weil auf dem Bildschirm über dem Regal mit den Schrauben- und Nagelfächern gerade eine Szene in Zeitlupe wiederholt wird, während eine Schiedsrichterin mit durchgedrückten Knien vor dem Videoassistenten strammsteht. Dann malt sie ein Viereck in die Luft und pfeift und gibt das Tor.
Es ist ein Tor für Deutschland, aber es zählt nicht viel, weil auf dem Nachbarplatz die Japaner die Spanier niedermachen. Fußball ist jetzt scheißegal, sagt jemand, aber das stimmt auch wieder nicht, denn das, was auf dem Platz passiert, paßt zu dem, was neben dem Platz läuft, und zwar nicht nur neunzig Minuten lang, sondern twentyfour-seven,
Irgendwann, die Garagenstunde ist um, Deuschland fliegt nach Hause (also nicht gleich), keinen wundert das, keinen regt das mehr auf. Kurz bevor wir abrücken, rekapituliert der Gastgeber noch den Abend:
Du, wegen dem Türken oder was weiß ich, mit den drei Weibern: Wir müssen was tun, ich verrecke gleich.
Jaja. Aber für übermorgen sind wir erstmal wieder verabredet.
Gotlandfahrer
Ver-recken kommt von recken / strecken, ist also ein langsamer Prozess. Man kann nicht "gleich" verrecken, höchstens damit beginnen oder bereits darin befindlich sein und es zu Ende bringen.
Dass es sich hinzieht und schlecht und gut zugleich.
Dass unser Geld, also die im Grunde wertlosen Tauschzettelchen, zur zeitweiligen Bereicherung anderer und Verarmung von uns abgeworfen wird, gehört zum Prozess, wer das bedauert lamentiert über Symptome, nicht Ursachen.