Weihnachtsempfehlungen (4): Götz Kubitschek

Nun ich - aber bei mir fällt das Wahre, Schöne und Gute in eins zusammen:

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

Lese in Uwe Tell­kamps neun­hun­dert Sei­ten umfas­sen­den Roman Der Schlaf in den Uhren auf die­sel­be Wei­se, wie man Wege geht, die man kennt: ver­traut und über­ra­schungs­los. Er nimmt dies und das auch so wahr, er wirft den­sel­ben Blick auf die Din­ge. Aber: Er ver­mit­telt es meis­ter­lich, notiert es gültig.

Der zwei­te Durch­gang, noch ein­mal von vorn nach hin­ten, ohne Aus­las­sun­gen, führt bereits durch bekann­te­res Gelän­de – man erin­nert sich an Pas­sa­gen, sieht sie anbran­den, taucht ein. Da ist etwa die Schil­de­rung, wie zäh man auf Tho­mas Manns Zau­ber­berg ansaß, den end­lich erbeu­tet zu haben in der DDR zugleich einen Raum öff­ne­te und eine Pflicht auf­er­leg­te: die, den Schatz zu tei­len. Es gab War­te­lis­ten für den Pri­vat­ver­leih, das Buch wur­de behan­delt wie ein rohes Ei.

Die Jagd führt bei Tell­kamp über vier Sta­tio­nen: Ein Ver­lag kün­dig­te eine Neu­auf­la­ge an, die Nach­richt ver­brei­te­te sich wie ein Torf­brand, unter­ir­disch schwe­lend, dann offen. Man setz­te sich auf die Lis­te der Vor­mer­kun­gen, stand am Tag der Aus­lie­fe­rung vor der Buch­hand­lung in der Warte­schlange (dem »unsterb­lichs­ten aller plan­wirt­schaft­li­chen Tie­re«) und ging leer aus, weil die Auf­la­ge heil­los über­zeich­net war. Auch der zwei­te Ver­such über einen der »Buck­li­gen«, also auf Bück­wa­re spe­zia­li­sier­ten Schwarz­händ­ler, schei­ter­te, eben­so der drit­te, weil der Anti­quar in letz­ter Sekun­de mit den Wor­ten »Ich kann mich gegen Umsatz weh­ren, jun­ger Mann« den Ver­kauf verweigerte.

Aber dann:

Die Staats­ka­pel­le Dres­den brach zu einer Tour­nee durch die Sowjet­uni­on auf. Niklas, der als Ver­trau­ens­arzt mit­reis­te, brach­te aus dem Mos­kau­er ›Meschd­un­a­rod­na­ja kni­ga‹ (›Inter­na­tio­na­les Buch‹) ein Exem­plar des ›Zau­ber­bergs‹ mit, hin­ten war der Preis ein­ge­stem­pelt: 1 Rubel, 25 Kope­ken. […] Das Buch wur­de abge­schrie­ben und abge­tippt, wobei das Abtip­pen mög­lichst auf bun­des­deut­schem Blau­pa­pier zu erfol­gen hat­te, man konn­te damit sie­ben Kopien anfer­ti­gen, nicht nur zwei oder höchs­tens drei wie auf dem Koh­le­pa­pier der Papier­wa­ren­hand­lung Matthes.

War­um die­se Mühe, die­se Jagd, woher die Über­zeu­gung, daß die­se Lek­tü­re und ihre Ver­brei­tung unter den Freun­den etwas Not­wen­di­ges sei? Tell­kamp schil­dert Lese­ta­ge und Bücher­aben­de, an denen man das, was man geschil­dert fand, zu über­tra­gen begann auf die eige­ne Lage. Etwa, wenn Niklas, der Exem­plar-Erbeu­ter, über das Zau­ber­berg-Kapi­tel »Die gro­ße Gereizt­heit« zu räso­nie­ren beginnt:

Wie aus einer Kri­se, kei­ner wis­se so recht, wie, ein bis­her fried­li­ches Volk in Zank und Streit ver­fal­le, sich spal­te in Gut und Böse, in auf­ge­klär­te Demo­kra­ten und Pack, wie Zei­tun­gen ten­den­zi­ös wür­den und es noch nicht ein­mal bemerk­ten, wie Kul­tur- und Medi­en­schaf­fen­de ihre Leser oder Zuschau­er zu erzie­hen sich anmaß­ten und es eine Kluft, plötz­lich?, gebe zwi­schen der Polit­kas­te und dem Volk, jeden­falls doch beacht­li­chen Tei­len von beiden.

Was ist das? Das ist die aller his­to­ri­schen Zeit ent­ho­be­ne, also jetzt und immer wie­der zeit­ge­mä­ße Beleuch­tung von Gereizt­heit und Riß, von Unver­söhn­lich­keit und vom wohl not­wen­di­gen, also nicht ver­hin­der­ba­ren Bruch. Und wenn ein paar Sät­ze wei­ter bei Tell­kamp dann von Wahr­heits­krüm­mung und Wahr­heits­steue­rung die Rede ist, von Wahrheitsunter­drückung und Wahr­heits­fär­bung, dann haben wir den Roman und die in die­ser Sze­ne geschil­der­te Zeit verlassen:

Dann ist es der 13. Novem­ber 2022, und wir ste­hen vor der Kreuz­kir­che am Por­tal B an, um – wie stets am Volks­trau­er­tag – das Deut­sche Requi­em von Brahms zu hören. Aber bevor wir die Kir­che betre­ten dür­fen, müs­sen wir uns in der War­te­schlan­ge auf ein Pla­kat zuschie­ben, das neben dem Ein­laß befes­tigt wor­den ist und die Wahr­heits­steue­rung des evan­ge­li­schen Bis­tums Dres­den-Mei­ßen sozu­sa­gen als The­sen-Anschlag präsentiert.

Auf grü­nem Grund ste­hen in wei­ßen Buch­sta­ben die Sät­ze: »2022 ist nicht 1989. Wir leben in kei­ner Dik­ta­tur«, und wie immer fällt auf, wie sehr ein Demen­ti erst den Ver­gleich, der kei­nes­falls gezo­gen wer­den darf, ins Bewußt­sein rückt.

Die eigent­li­che Gegen­ge­schich­te zur Jagd nach dem Zau­ber­berg fin­det sich aber im Brief eines Lesers aus Mün­chen. Er schrieb, daß ihn die Kist­chen und Schränk­chen zunächst erfreut hät­ten, in denen der ein oder ande­re Nach­bar aus der Biblio­thek der ver­stor­be­nen Eltern Bücher zur Mit­nah­me aus­stel­le. Bloß habe das Schu­le gemacht, und dies habe nicht nur das Siech­tum der Anti­qua­ria­te beschleu­nigt: Es sei außer­dem mitt­ler­wei­le mög­lich, mit dem VW-Bus durch die Stra­ßen Schwa­bings zu tuckern und

her­nach eine bil­dungs­bür­ger­li­che Biblio­thek heim­zu­schlep­pen, in der es an nichts mehr fehlt und die zusam­men­zu­tra­gen ein­mal drei Jahr­zehn­te gedau­ert hat.

Er habe an einem ein­zi­gen Nach­mit­tag die voll­stän­di­ge Stock­hol­mer Aus­ga­be der Wer­ke Tho­mas Manns ein­ge­sackt und vom sel­ben Autor die Gesam­mel­ten Wer­ke ste­hen­las­sen, die in der DDR 1955 erschie­nen seien.

Wie es die nach Schwa­bing ver­schla­gen hat? Kei­ne Ahnung. Jeden­falls: Sie stand nach drei Tagen immer noch her­um, aber schon ein­ge­reg­net. Also Altpapier.

– – –

Uwe Tell­kamp: Der Schlaf in den Uhren, Roman: 900 Sei­ten, 32 € – hier unbe­dingt bestel­len.

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

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Kommentare (16)

brueckenbauer

4. Dezember 2022 16:17

Interessant, wie man als Systemkritiker in einem System, wo das "Overton"-Fenster schon ziemlich eng war, auf trübe Quellen zurückgreifen musste - wie Th. Mann oder sogar K. Marx persönlich.

Bei uns heute wird das Overton-Fenster ja auch wieder enger. Im Namen zukünftiger Systemkritiker bitte ich daher herzlich darum: Macht uns schon mal eine Anthologie oder wenigstens ein Register von Stellen, deren sich die früheren Systemkritiker in der DDR für ihre Zwecke bedient haben/bedienen konnten. Damit die nächste Generation sich nicht wieder alles neu zusammensuchen muss.

Resi Burgen

4. Dezember 2022 18:31

Warteschlange (dem »unsterblichsten aller planwirtschaftlichen Tiere«) - wie wahr!

Ja, gute Bücher waren im Osten etwas Kostbares. Bücher wurden im Freundes- und Bekanntenkreis ausgeliehen. Es gab Wartelisten und wehe man gab das Buch nicht zurück! Wegwerfen ein No-Go. 

Heutzutage steht der konsumgeplagte Mensch in Warteschlangen vor den Läden, wenn ein neues iPhone auf den Markt kommt. 

 

 

 

brueckenbauer

4. Dezember 2022 21:52

Übrigens: Was ich auch dringend vermisse, sind Zitatensammlungen aus der frühen SBZ, als noch alles offen schien und CDU und SPD ihren zunehmenden Linkskurs öffentlich begründen und verteidigen mussten. Den Otto Grotewohl lesen und mit der Nancy Faeser von heute vergleichen. Den August Bach oder Walter Rücker lesen und mit Ruprecht Polenz vergleichen. Wieweit decken sich die Argumentationsmuster?

Laurenz

4. Dezember 2022 22:38

Da hilft alle Nostalgie nichts. Ich abgefuckter Halbhedonist lese lieber im Bildschirm, als in staubigen Büchern oder Zeitschriften. Ich weiß natürlich um die Nachteile des digitalen Lesens genau Bescheid. Man braucht dazu Strom. Beim Netz- oder Stromausfall ist es Essig, quasi wie im Krieg ohne Mobilfunk. Zur Papiervermeidung müßten noch Mio. von Büchern digitalisiert werden. Aber JS ist diesbezüglich extrem leise, oder nicht?

Wuwwerboezer

4. Dezember 2022 22:50

Mit der Bummelbahn von Ostberlin in die Schorfheide und von dort aus die schönsten Fahrradtouren durch diese und durchs Randowtal gemacht, mit der Zeit kannte man die Schleichwege durch verwunschene winzige Dörfer über die Grenze, Ausreden waren zurechtgelegt falls man auf einen Grenzaufklärer = GAKl träfe, einen kleinen Adrenalinkick sollte man auch nicht veschmähen, dann Polen erlangend hatte man nichts mehr zu befürchten: auf dem Flohmarkt in Sczezin / Stettin gab es für die einen bunte Riesenlutscher, Monchichis, Rubikwürfel und Oldtimerschaltknäufe (Fetisch im Osten!, brachten eine ganze eigene Schmuggel- und Schwarzmarktbranche zum Blühen) und für die anderen an deutscher Vorkriegsliteratur was das Herz nur begehrte. Habe von dorther den Grundstock meiner Bibliothek aufgebaut, alles im Rucksack weggeschleppt. Die Polen haben erst nach und nach von den Häusern der Deutschen richtig Besitz ergriffen.

- W.

Kurativ

4. Dezember 2022 23:10

Bücher aus der DDR gab es für Mathe und Technik. Gut, günstig und sinnvoll gemacht. Hier konnte man fleißig sein. Zunächt war man erschrocken. VEB Verlag? Aus der DDR? Vom schlimmsten Feind? Was waren das für Lehrer und Professoren? Dann die Einsicht: Wenn es gut und nützlich ist, warum nicht? Erst Verdrängung, dann Einsicht, dann Verständigung. Das waren auch Menschen? Erstaunlich!

FraAimerich

4. Dezember 2022 23:55

Läßt sich auch als anekdotischer Kommentar zur "Kapitalismukritik" im Nebenstrang lesen. Man erkennt ganz deutlich einen der Vorzüge des Kapitalismus - aber auch, was er aus einer Gesellschaft macht.

Wie ernst und wichtig man in der DDR Bücher, Kultur, Kunst genommen hat, hat mich als West-Jugendlicher der 80er Jahre fasziniert. Auch, für wie gefährlich und bedeutsam man zwischen den Zeilen geschmuggelte Konterbande in Romanen, Gedichten, Liedtexten hielt. Im Westen dagegen gab's alles mit dem Zaunpfahl auf die Zwölf - es hat nur kaum jemanden interessiert.

Gestaunt habe ich, als ich erfuhr, daß in manch "sozialistischen Kreisen" Marcuse mindestens so gesucht war wie der "Zauberberg". Wiederholt beschwor mich ein Ostberliner Freund, ihm irgendwie ein Exemplar von "Der eindimensionale Mensch" zu besorgen. Das war damals gar nicht mal so leicht zu finden.

Viel darin verdankte Marcuse dem rechten Denker Hans Freyer, den man heute der "Konservativen Revolution" zurechnet. Für nicht wenige Rechtsintellektuelle heute offenbar auch nurmehr "Soziologen-Murks"

RMH

5. Dezember 2022 08:52

Tellkamp hat aktuell B. Reitschuster ein längeres Interview gegeben. Zu finden bei YT oder die Links dazu auf der Seite von Reitschuster. Das Tellkamps Werk herausgehoben und einzeln empfohlen wird, ist richtig - halte ihn für wertvoller, als jeden Faktenhuber im Stile eines Sarrazins. Hatte "Der Turm" aus meiner Sicht seine Längen, was aber die grundsätzliche Empfehlbarkeit als Lektüre nicht mindert, ist "Der Schlaf der Uhren" ein Buch, welches ich mir noch einmal über die Weihnachtsferien vornehme. Ich gestehe, einen ersten Beginn der Lektüre habe ich abgebrochen, weil es nichts ist, wo man hier einmal eine halbe Stunde reinschmökert, dann dort mal wieder etc.

Thomas Mann ist für mich - da bin ich ganz mainstream - einfach gesetzt und wahrlich keine trübe Quelle. Von den großen Romanen sollte man Buddenbroocks, Der Zauberberg und Dr. Faustus gelesen haben. Die Betrachtungen eines Unpolitischen in einer frühen Auflage erklären auch, warum Thomas Mann zur konservativen Revolution zählt - auch wenn er später davon nicht mehr viel wissen wollte. Was bei einem Autor für den Leser zählt, ist sein konkretes Werk. Wenn er sich selber davon später irgendwie distanziert oder es verändert - sein Problem, nicht das des Lesers und schon gar nicht eines des Inhalts. Der Inhalt bleibt. Die "Betrachtungen" gehörten als Wiedervorlage noch einmal auf den Sezessionstisch.

 

brueckenbauer

5. Dezember 2022 11:15

Das Schöne an der alten "Bonner Republik" war ja, dass man (seit den 60er Jahren) DDR-Literatur bekommen konnte - wohl jede größere Studentenstadt hatte eine DDR-finanzierte Buchhandlung. Die Fachwissenschaft war meist gediegen - nicht so "trendy" und "fashion"-orientiert wie die westdeutsche. Und man konnte meist erkennen, wo die politischen Verbeugungen und Rücksichtnahmen anfingen.

Ob man heute eine Buchhandlung mit Übersetzungen aus dem Russischen betreiben könnte, ohne die Polizei auf den Hals zu kriegen?

Nordlicht

5. Dezember 2022 11:19

Herzlichen Dank für den ebenfalls meisterlichen Artikel.

Als Wessie und mit DDR-Bürgerin verheiratet las ich schon den ersten großen Tellkamp als Erweiterung meiner eigenen Welt. Der neue große Tellkamp leistet nicht nur Vertiefung, sondern bringt - für mich Leser - die Ebene des zeitlosen Verhältnisses von Machtstaat zum Menschen.

Wir erleben in aller Schärfe totalitäre Mechanismen seit März 2020 mit dem Hebel Corona. Der Rechtsstaat zerfällt, das BVerfG assistiert den Machthabern, Presse und andere Medien wurden freiwillig (und bezahlt) zu Propagandamaschinen.

Der Schlaf der Uhren ist das Buch zur Zeit. Die oft verwendete Bezeichnung DDR 2.0 stimmt natürlich nicht, weil die heutigen Veränderungen Teil der globalen (- nicht nur westlichen) Entwicklung sind. Nicht nur eine kleine DDR rutscht weg, sondern der Ertrag von zwei Jahrhunderten.

Mitleser2

5. Dezember 2022 12:18

@Laurenz: "digitales Lesen"

gutenberg.org  (englisch)

projekt-gutenberg.org (deutsch)

Für den, der gut Englsich kann, alleine dass man Zugriff hat auf die frühen Explorationsberichte (Darwin, Cook, ...), oder Mark Twain im Original. Wunderbar.

Und für Papier: eurobuch.de

Old Linkerhand

5. Dezember 2022 17:04

Schön, daß der Schlaf nochmal zum Leben erweckt wurde. Der Text mit Fabian, Muriel und der Modrow Tochter in Prag, gehört zu den besten der deutschsprachigen Literatur. Als Muriel ihren Peiniger aus dem Jugendwerkhof als "Republikflüchtigen" entdeckt, hatte ich auch einen kleinen Nervenzusammenbruch...  Die Lektüre hat bei mir einen lange gehegten Verdacht bestätigt. Was oder wer war die Stasi? Wir haben jedenfalls die selbsternannten Bürgerrechtler als abstoßender empfunden als die Bauernburschen mit den schlechten Anzügen und den noch schlechteren Zähnen, auch als eigentliche Stasi bekannt. Ihr Zusammenbruch 89/90 hat mir dann schon fast wieder leid getan, wussten die doch garnicht, wie ihnen geschah.

"Ich gestehe, einen ersten Beginn der Lektüre habe ich abgebrochen, weil es nichts ist, wo man hier einmal eine halbe Stunde reinschmökert, dann dort mal wieder etc."

@RMH Für mich war es genau umgekehrt. Nach der ersten vollständigen Lektüre als Überblick, immer wieder einzelnen Passagen im Halbstundentakt gelesen. Einfach herrlich nur der Sprache und ihrem eigenen Klang zu folgen. Das ist ja irgendwie auch ein Puzzle, welches nach Ergründung verlangt.

brueckenbauer

6. Dezember 2022 09:42

@RMH

Alles, was Mann bis zu den "Betrachtungen" geschrieben hat, liegt in einer Linie. In "Unordnung und frühes Leid" beginnt er dann, sein bitteres Schicksal als "veralteter" Außenseiter zu reflektieren - und alles danach ist Anpassungsliteratur: geschrieben, um wieder den "Anschluss" an den Zeitgeist zu finden, dessen "Repräsentant" er so gerne sein wollte. Wobei der "Zauberberg" noch viel erzählerische Substanz enthält, die aber in den folgenden Werken auch nachlässt.

RMH

6. Dezember 2022 11:47

@brueckenbauer,

ich bin da nah bei Ihnen. Der Zauberberg soll ja schon vor den "Betrachtungen" begonnen worden sein. Von den großen Romanen Manns, die ich genannt habe, ist von den Nach-WKI und letztlich WKII Romanen aus meiner Sicht noch der Doktor Faustus interessant, da er auch Münchner Salons beschreibt. Der Roman ist aber lange nicht so gut wie Buddenbrooks oder Der Zauberberg. Mit Joseph und seine Brüder, was Mann selber als wohl sein bestes und von Literaturkritikern als "Hauptwerk" bezeichnet worden sein soll, konnte ich nicht viel anfangen. Romane wie "Der Erwählte" oder "Lotte in Weimar" sind selbstredend lesenswert, aber nun wahrlich bei der Menge an Literatur die man heute auch noch lesen kann das, was man zu allererst lesen sollte. Dann doch lieber mal ran den Tellkamp. Mit ihm haben wir wieder einen richtig Großen im Literaturbetrieb und eine Stimme, die nicht einfach so weg-gecancelt werden kann.

Monika

6. Dezember 2022 16:47

Ich mag es sehr, wenn das Wahre, Schöne und Gute ins eins zusammenfällt. Da ich derzeit weniger vertraute Wege gehen muss und heftigste Überraschungen erlebe, werde ich Tellkamp nicht auf meine Prioritätenliste setzen. Zudem wird aus einem Nachbarhaus ( Professorenhaushalt) die gewaltige bildungsbürgerliche Bibliothek entsorgt. Vor dem Untergang  rettete ich einige Franz Werfels,  u.a. Jeremias) , Gedichte von Gottfried Benn, Elisabeth Langgässer, Hellmut Diwald , Knut Hamsuns Mysterien, „Herrn und Hund“ von Thomas Mann, Huxleys „Affe und Wesen“ und andere Schmankerl. Zudem feinstes Aquarellpapier, Farben und Echthaarpinsel. Das ist schon wie Weihnachten und ich bin beschäftigt.  Jetzt warte ich allerdings noch auf den „Sommer des Großinquisitors“, über die Faszination des Bösen . Wer wohl die Rezension über Helmut Lethens neues Buch schreibt ? 

links ist wo der daumen rechts ist

8. Dezember 2022 23:28

Die Kernfrage zu Texten wie denen Tellkamps lautet doch, ob sie - gegenwärtig im Gegenstrom zur öffentlichen Meinung – in naher oder ferner Zukunft einmal als DIE seismographischen Sensorien wahrgenommen werden.

Und wenn ja, wie konkret ist diese Zukunft vorstellbar? Wer räumt den ganzen Schutt beiseite? Ist das ohne Bürgerkrieg denkbar? Schön langsam zweifle ich…

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