Wir sind auf Gemeinschaft oder Gesellschaft angewiesene Wesen, in diesem Sinne tatsächlich „zoon politikon“. Es ist notwendig, daß wir aktiv Verantwortung übernehmen, so, wie wir uns darauf verlassen wollen, daß die Gemeinschaft für uns Verantwortung übernimmt, insbesondere dann, wenn wir hilfebedürftig sind.
Schon immer schuf der Mensch daher Strukturen, die die Gemeinschaft und das Individuum trugen. Die res publicae bedingten Politik. In der modernen Gesellschaft wurden aus persönlichen und konkret zwischenmenschlichen Verbindungen der Frühzeit die distanziert sachlich-rationalen und verrechtlichten der Gegenwart. Anpassungen und Veränderungen sollen bei uns um der Gerechtigkeit willen über demokratische Prozesse geregelt werden.
Kurz: Wir hängen trotz Entfremdung und Abständigkeit alle mit drin, irgendwie. Der eine mehr, der andere weniger, aber alle sind auf gesellschaftliche Akte und Vereinbarungen im engeren oder weiteren Sinne angewiesen. Spätestens in der Not wird uns das bewußt, und wir melden dann irgendwo Bedürfnisse – oder wie es neudeutsch häßlich heißt – „Bedarfe“ an.
Weitgehend kann man sich darauf verlassen, daß die unmittelbare Existenz- und Gesunderhaltung des Einzelnen schon gewährleistet ist, selbst für AfDler, selbst für Rechte. – Aber darüber hinaus? Wie weit sollte man politisch mitlaufen?
Gibt es tatsächlich einen in der aktiven Mitwirkung liegenden Sinn und Zweck? – Ich kann das immer weniger erkennen. Man muß sich nicht erst neben den enger und enger gezogenen Linien bewegen, um sich als angefeindet und per se ausgeschlossen zu erleben.
Mag sein, der Rechtsstaat funktioniert noch leidlich, wenn man die finanziellen Mittel und den Langmut aufbringt, sich der Advokaten und Gerichte zu bedienen; mag sogar sein, die „Demokratie“ ermöglicht grundsätzlich ein dynamisch anpassungsfähiges Modell, aber sie ist in der derzeit praktizierten und namentlichen in der deutschen Gestalt eine Farce:
Daß die Parteien, insbesondere die sich dezidiert als „demokratisch“ bezeichnenden, sich den Staat zur Beute gemacht haben, stimmt absolut. Sie sind der schwindenden Zahl kleiner und großer Leistungsträger angewanzt und betreiben durchweg Selbstfürsorge und Klientelpolitik. So funktionierte Politik immer, einerlei wo und wie; vermutlich läuft es anders nicht. Überflüssig, das zu bedauern oder zu kritisieren. Und wenn man zu einer Versorgungsklientel gehört, mag man sich zur Demokratie in bundesdeutscher Variante ja gern bekennen.
Nur: Wer als Bekenner des „demokratischen“ Systems in dessen Apparat eintritt, wird zum einen korrumpiert und gerät zum anderen unweigerlich in schlechte Gesellschaft. Er beginnt, ein dekadentes und parasitäres Leben auf Kosten anderer zu führen. Das gilt nicht für bestimmte öffentlich Beschäftigte, die wichtige Strukturen der Gesellschaft bewahren und verbessern; ebensowenig für zweckdienlich eingesetzte Beamte und notwendige technische wie Verwaltungsberufe in der Exekutive, aber durchaus für einen Großteil der Legislative innerhalb der repräsentativen Demokratie und für deren jeweils riesigen Troß im Bundestag und in den Länderparlamenten. Hier walten die Parteien wie Politfirmen. Wenn „Volksvertreter“ zudem gleichzeitig in der Exekutive und in der Legislative plaziert sind, kann von Checks and Balances nicht die Rede sein.
Problematischer aber: Weil in der „Herzkammer“ der Demokratie, der Legislative, die einzig lebendige Opposition – in Gestalt der so zweifelhaften wie notwendigen AfD – nur widerwillig geduldet wird und lediglich den Zweck erfüllen soll, vom Block der „Demokraten“ blamiert, beschämt und verunglimpft sowie weitestgehend als politpathologisch isoliert zu werden, ist das gesamte System diskreditiert.
Wenn aber gerade die AfD sich ihrerseits dann als noch demokratischer als die „Demokraten“ zu geben versucht, entbehrt dies nicht einer unfreiwillig bitteren Komik, mit der sich diese ansonsten wackere Partei der Ausgeschlossenen selbst der Lächerlichkeit preisgibt. Mit Erich Kästner: „Nie sollt ihr so tief sinken, von dem Kakao, durch den man euch zieht, auch noch zu trinken!“
Nebenbei: Ob die Posse um den „Reichsbürger-Putsch“ und die damit ohne echte Not alarmistisch ausgelöste Bedrohungshysterie mindestens einzelne Funktionäre zum Nachdenken darüber anregt, woher überhaupt der Impuls zu einer Gegnerschaft rühren mag?
Vermutlich gelten alle, die nicht umstandslos folgsam sind und den zur Staatsdoktrin erhobenen Wokeismus bejubeln, als politisch behindert. Selbstverständlich ist Gewalt abzulehnen, aber es sollte nach ihren Gründen gefragt werden. Ein wichtiger dürfte der berechtigte Eindruck sein, gar nicht mehr gehört zu werden und vom Diskurs hämisch ausgesperrt zu sein. Den immer kompromißloser agierenden Exekutivorganen ist Rigorosität nicht fremd. Sie gewährleisten den Ausschluß mißliebiger Kräfte. Würden die einbezogen, ergäbe sich eine lebendige Diskussion jenseits des Unheimlichen. Da dies verwehrt ist, werden aus Gegnern und Konkurrenten offenbar Feinde.
Um als Feind zu gelten, muß man nicht zu einer „rechtsterroristischen Verschwörung“ gehören; es reicht beispielsweise aus, für eine Bildungssystem einzutreten, daß im Gegensatz zu derzeitiger Dysfunktionalität wieder echtes Wissen und Können vermittelt. Ein solches Ansinnen gilt schon deswegen als gefährlich, weil es dazu tatsächlich revolutionärer Veränderungen in Strukturen und Zielstellungen bedürfte, während als grundvereinbart gelten soll, verstärkt mit eben jenen Methoden fortzufahren, die über Jahrzehnte in das Dilemma hineinführten.
Wenn sich alle selbsterklärt „demokratischen“ Parteien zu einer Blockpartei vereinigten, läge das im Zuge der tendenziellen Gleichschaltung der sogenannten Mitte nicht nur nahe, sondern es würde am gegenwärtigen politischen Prozeß nichts Wesentliches ändern. Zudem erleichterte es die Korruption, die in großen Demokratien – nicht nur jener Indiens – geradezu als konstituierendes Element gelten kann.
Höckes Wort vom „Gesinnungsstaat“ trifft zu. Es geht längst nicht mehr um den produktiven Widerstreit der Meinungen und Auffassungen im Sinne einer „offenen Gesellschaft“, sondern nunmehr um Bekenntnisse, Beschwörungsformeln, Phrasen und Floskeln. Wer diesen mittlerweile festgelegten Codes nicht kritiklos nachzusprechen bereit ist, steht draußen vor der Tür und richtet ohnehin nichts aus. Seine Vertreter, also am ehesten AfD-Abgeordnete, hängen in den Plenarsesseln durch und erfahren, wie sie vom Block neutralisiert werden. Ihre Anträge werden zumeist nicht mal in die Ausschüsse überwiesen; spätestens dort scheitern sie dann. Was bleibt? Hier und da mal in die Medien durchdringen können. Bis auch das verwehrt sein wird.
Das Wort vom „deep state“ erscheint gleichfalls zutreffend – nicht in einem esoterischen, sondern im unmittelbar tatsächlichen Sinne: Man schaue sich die Strukturen daraufhin an. Die Parteien, im Weberschen Sinne Stellenjäger, haben über ihre Funktionäre sowie ihre Verbände und Vereine das gesamte System durchsponnen.
Sie, so Weber,
repartieren (…) im Wege des Proporzes die Ämter friedlich untereinander, und manche unserer ‘revolutionären’ Verfassungsentwürfe, so z. B. der erste für Baden aufgestellte, wollte dies System auf die Ministerstellen ausdehnen und behandelte so den Staat und seine Ämter als reine Pfründnerversorgungsanstalt.
Das Begriff der „Zivilgesellschaft“ versucht das zu verschleiern. Alle Kräfte dieser sogenannten Zivilgesellschaft sind mit Parteien verquickt, alle „Aktivisten“ und Enthusiasten sind Parteigänger oder mindestens die Wähler ihrer Versorger. Das nun vorm Hintergrund des „rechten Verschwörungsterrors“ vermutlich forciert durchzubringende „Demokratiefördergesetz“ wird die AgitProp-Organisationen finanziell noch komfortabler ausstatten.
Mag sein, produktive Opposition ist eher möglich und wirksam außerhalb des Systems. Schon sich herauszuhalten und seine Verantwortung im unmittelbaren Umfeld wahrzunehmen ist ehrenwerter, als sich im Parteienstaat zu engagieren.
Nicht immer gleich globale Probleme lösen wollen, sondern: Wer nur ein Leben rettet, so der Talmud, rettet die ganze Welt. Und wer nur aufmerksam seinem Nächsten hilft und sein Handeln vor Gott oder kritisch gegenüber sich selbst verantworten kann, leistet mehr als die großsprecherischen Bekenner am Rednerpult.
Man lerne vielleicht von den Migranten: Parallelgesellschaften bilden, also mittlerweile fremd im eigenen Land und weitgehend desintegriert, aber deswegen gerade nicht desinteressiert im Umkreis des eigenen Wirkungskreises nach Prinzipien der Redlichkeit und einfachen Anständigkeit – Schwer genug! – am „geheimen Deutschland“ arbeiten.
Letztlich tröstet: Es liegt nicht alles in unserer Hand.
Niekisch
Danke, lieber Herr Bosselmann! Wie schlicht, aber wahr argumentiert. Sogar im Kern des Grundgesetzes. W i r sind der Souverän und nicht die Parteien, die an der Willensbildung bloß mitwirken sollen. Angesichts der völlig richtig geschilderten Lage gilt es jetzt wirklich ü b e r a l l Gleichgesinnte zu finden. Bei einem öffentlichen Gespräch zur Kunstfreiheit bemerkte ich wieder einmal, wie aufnahmebereit selbst als "woke" vermutete Menschen sein können, wenn außerhalb des normalen Politikbetriebs miteinander geredet wird. 80 % der Beteiligten verurteilten die Machenschaften während der Dokumenta, verurteilten zumindest auf diesem Gebiet PC und cancel culture. Finden und Sammeln! Parallel, aber mit weniger Energieeinsatz Parteiarbeit derjenigen, die ihr den Vorrang geben wollen.
Unsere liberalterroristischen Verwalter stoßen jetzt an ihre Grenze und deswegen schlagen sie wie wild um sich.
Es zittert in der Luft, Odin erscheint mit seinen Pferden über dem Horizont!