Desintegriert

Inwiefern ist es überhaupt sinnvoll, sich politisch zu engagieren?

Heino Bosselmann

Heino Bosselmann studierte in Leipzig Deutsch, Geschichte und Philosophie für das Lehramt an Gymnasien.

Wir sind auf Gemein­schaft oder Gesell­schaft ange­wie­se­ne Wesen, in die­sem Sin­ne tat­säch­lich „zoon poli­ti­kon“. Es ist not­wen­dig, daß wir aktiv Ver­ant­wor­tung über­neh­men, so, wie wir uns dar­auf ver­las­sen wol­len, daß die Gemein­schaft für uns Ver­ant­wor­tung über­nimmt, ins­be­son­de­re dann, wenn wir hil­fe­be­dürf­tig sind.

Schon immer schuf der Mensch daher Struk­tu­ren, die die Gemein­schaft und das Indi­vi­du­um tru­gen. Die res publi­cae beding­ten Poli­tik. In der moder­nen Gesell­schaft wur­den aus per­sön­li­chen und kon­kret zwi­schen­mensch­li­chen Ver­bin­dun­gen der Früh­zeit die distan­ziert sach­lich-ratio­na­len und ver­recht­lich­ten der Gegen­wart. Anpas­sun­gen und Ver­än­de­run­gen sol­len bei uns um der Gerech­tig­keit wil­len über demo­kra­ti­sche Pro­zes­se gere­gelt werden.

Kurz: Wir hän­gen trotz Ent­frem­dung und Abstän­dig­keit alle mit drin, irgend­wie. Der eine mehr, der ande­re weni­ger, aber alle sind auf gesell­schaft­li­che Akte und Ver­ein­ba­run­gen im enge­ren oder wei­te­ren Sin­ne ange­wie­sen. Spä­tes­tens in der Not wird uns das bewußt, und wir mel­den dann irgend­wo Bedürf­nis­se – oder wie es neu­deutsch häß­lich heißt – „Bedar­fe“ an.

Weit­ge­hend kann man sich dar­auf ver­las­sen, daß die unmit­tel­ba­re Exis­tenz- und Gesund­erhal­tung des Ein­zel­nen schon gewähr­leis­tet ist, selbst für AfD­ler, selbst für Rech­te. – Aber dar­über hin­aus? Wie weit soll­te man poli­tisch mitlaufen?

Gibt es tat­säch­lich einen in der akti­ven Mit­wir­kung lie­gen­den Sinn und Zweck? – Ich kann das immer weni­ger erken­nen. Man muß sich nicht erst neben den enger und enger gezo­ge­nen Lini­en bewe­gen, um sich als ange­fein­det und per se aus­ge­schlos­sen zu erleben.

Mag sein, der Rechts­staat funk­tio­niert noch leid­lich, wenn man die finan­zi­el­len Mit­tel und den Lang­mut auf­bringt, sich der Advo­ka­ten und Gerich­te zu bedie­nen; mag sogar sein, die „Demo­kra­tie“ ermög­licht grund­sätz­lich ein dyna­misch anpas­sungs­fä­hi­ges Modell, aber sie ist in der der­zeit prak­ti­zier­ten und nament­li­chen in der deut­schen Gestalt eine Farce:

Daß die Par­tei­en, ins­be­son­de­re die sich dezi­diert als „demo­kra­tisch“ bezeich­nen­den, sich den Staat zur Beu­te gemacht haben, stimmt abso­lut. Sie sind der schwin­den­den Zahl klei­ner und gro­ßer Leis­tungs­trä­ger ange­wanzt und betrei­ben durch­weg Selbst­für­sor­ge und Kli­en­tel­po­li­tik. So funk­tio­nier­te Poli­tik immer, einer­lei wo und wie; ver­mut­lich läuft es anders nicht. Über­flüs­sig, das zu bedau­ern oder zu kri­ti­sie­ren. Und wenn man zu einer Ver­sor­gungs­kli­en­tel gehört, mag man sich zur Demo­kra­tie in bun­des­deut­scher Vari­an­te ja gern bekennen.

Nur: Wer als Beken­ner des „demo­kra­ti­schen“ Sys­tems in des­sen Appa­rat ein­tritt, wird zum einen kor­rum­piert und gerät zum ande­ren unwei­ger­lich in schlech­te Gesell­schaft. Er beginnt, ein deka­den­tes und para­si­tä­res Leben auf Kos­ten ande­rer zu füh­ren. Das gilt nicht für bestimm­te öffent­lich Beschäf­tig­te, die wich­ti­ge Struk­tu­ren der Gesell­schaft bewah­ren und ver­bes­sern; eben­so­we­nig für zweck­dien­lich ein­ge­setz­te Beam­te und not­wen­di­ge tech­ni­sche wie Ver­wal­tungs­be­ru­fe in der Exe­ku­ti­ve, aber durch­aus für einen Groß­teil der Legis­la­ti­ve inner­halb der reprä­sen­ta­ti­ven Demo­kra­tie und für deren jeweils rie­si­gen Troß im Bun­des­tag und in den Län­der­par­la­men­ten. Hier wal­ten die Par­tei­en wie Polit­fir­men. Wenn „Volks­ver­tre­ter“ zudem gleich­zei­tig in der Exe­ku­ti­ve und in der Legis­la­ti­ve pla­ziert sind, kann von Checks and Balan­ces nicht die Rede sein.

Pro­ble­ma­ti­scher aber: Weil in der „Herz­kam­mer“ der Demo­kra­tie, der Legis­la­ti­ve, die ein­zig leben­di­ge Oppo­si­ti­on – in Gestalt der so zwei­fel­haf­ten wie not­wen­di­gen AfD – nur wider­wil­lig gedul­det wird und ledig­lich den Zweck erfül­len soll, vom Block der „Demo­kra­ten“ bla­miert, beschämt und ver­un­glimpft sowie wei­test­ge­hend als polit­pa­tho­lo­gisch iso­liert zu wer­den, ist das gesam­te Sys­tem diskreditiert.

Wenn aber gera­de die AfD sich ihrer­seits dann als noch demo­kra­ti­scher als die „Demo­kra­ten“ zu geben ver­sucht, ent­behrt dies nicht einer unfrei­wil­lig bit­te­ren Komik, mit der sich die­se ansons­ten wacke­re Par­tei der Aus­ge­schlos­se­nen selbst der Lächer­lich­keit preis­gibt. Mit Erich Käst­ner: „Nie sollt ihr so tief sin­ken, von dem Kakao, durch den man euch zieht, auch noch zu trinken!“

Neben­bei: Ob die Pos­se um den „Reichs­bür­ger-Putsch“ und die damit ohne ech­te Not alar­mis­tisch aus­ge­lös­te Bedro­hungs­hys­te­rie min­des­tens ein­zel­ne Funk­tio­nä­re zum Nach­den­ken dar­über anregt, woher über­haupt der Impuls zu einer Geg­ner­schaft rüh­ren mag?

Ver­mut­lich gel­ten alle, die nicht umstands­los folg­sam sind und den zur Staats­dok­trin erho­be­nen Wokeis­mus beju­beln, als poli­tisch behin­dert. Selbst­ver­ständ­lich ist Gewalt abzu­leh­nen, aber es soll­te nach ihren Grün­den gefragt wer­den. Ein wich­ti­ger dürf­te der berech­tig­te Ein­druck sein, gar nicht mehr gehört zu wer­den und vom Dis­kurs hämisch aus­ge­sperrt zu sein. Den immer kom­pro­miß­lo­ser agie­ren­den Exe­ku­tiv­or­ga­nen ist Rigo­ro­si­tät nicht fremd. Sie gewähr­leis­ten den Aus­schluß miß­li­e­bi­ger Kräf­te. Wür­den die ein­be­zo­gen, ergä­be sich eine leben­di­ge Dis­kus­si­on jen­seits des Unheim­li­chen. Da dies ver­wehrt ist, wer­den aus Geg­nern und Kon­kur­ren­ten offen­bar Feinde.

Um als Feind zu gel­ten, muß man nicht zu einer „rechts­ter­ro­ris­ti­schen Ver­schwö­rung“ gehö­ren; es reicht bei­spiels­wei­se aus, für eine Bil­dungs­sys­tem ein­zu­tre­ten, daß im Gegen­satz zu der­zei­ti­ger Dys­funk­tio­na­li­tät wie­der ech­tes Wis­sen und Kön­nen ver­mit­telt. Ein sol­ches Ansin­nen gilt schon des­we­gen als gefähr­lich, weil es dazu tat­säch­lich revo­lu­tio­nä­rer Ver­än­de­run­gen in Struk­tu­ren und Ziel­stel­lun­gen bedürf­te, wäh­rend als grund­ver­ein­bart gel­ten soll, ver­stärkt mit eben jenen Metho­den fort­zu­fah­ren, die über Jahr­zehn­te in das Dilem­ma hineinführten.

Wenn sich alle selbst­er­klärt „demo­kra­ti­schen“ Par­tei­en zu einer Block­par­tei ver­ei­nig­ten, läge das im Zuge der ten­den­zi­el­len Gleich­schal­tung der soge­nann­ten Mit­te nicht nur nahe, son­dern es wür­de am gegen­wär­ti­gen poli­ti­schen Pro­zeß nichts Wesent­li­ches ändern. Zudem erleich­ter­te es die Kor­rup­ti­on, die in gro­ßen Demo­kra­tien – nicht nur jener Indi­ens – gera­de­zu als kon­sti­tu­ie­ren­des Ele­ment gel­ten kann.

Höckes Wort vom „Gesin­nungs­staat“ trifft zu. Es geht längst nicht mehr um den pro­duk­ti­ven Wider­streit der Mei­nun­gen und Auf­fas­sun­gen im Sin­ne einer „offe­nen Gesell­schaft“, son­dern nun­mehr um Bekennt­nis­se, Beschwö­rungs­for­meln, Phra­sen und Flos­keln. Wer die­sen mitt­ler­wei­le fest­ge­leg­ten Codes nicht kri­tik­los nach­zu­spre­chen bereit ist, steht drau­ßen vor der Tür und rich­tet ohne­hin nichts aus. Sei­ne Ver­tre­ter, also am ehes­ten AfD-Abge­ord­ne­te, hän­gen in den Ple­nar­se­s­seln durch und erfah­ren, wie sie vom Block neu­tra­li­siert wer­den. Ihre Anträ­ge wer­den zumeist nicht mal in die Aus­schüs­se über­wie­sen; spä­tes­tens dort schei­tern sie dann. Was bleibt? Hier und da mal in die Medi­en durch­drin­gen kön­nen. Bis auch das ver­wehrt sein wird.

Das Wort vom „deep sta­te“ erscheint gleich­falls zutref­fend – nicht in einem eso­te­ri­schen, son­dern im unmit­tel­bar tat­säch­li­chen Sin­ne: Man schaue sich die Struk­tu­ren dar­auf­hin an. Die Par­tei­en, im Weber­schen Sin­ne Stel­len­jä­ger, haben über ihre Funk­tio­nä­re sowie ihre Ver­bän­de und Ver­ei­ne das gesam­te Sys­tem durchsponnen.

Sie, so Weber,

repar­tie­ren (…) im Wege des Pro­por­zes die Ämter fried­lich unter­ein­an­der, und man­che unse­rer ‘revo­lu­tio­nä­ren’ Ver­fas­sungs­ent­wür­fe, so z. B. der ers­te für Baden auf­ge­stell­te, woll­te dies Sys­tem auf die Minis­ter­stel­len aus­deh­nen und behan­del­te so den Staat und sei­ne Ämter als rei­ne Pfründnerversorgungsanstalt.

Das Begriff der „Zivil­ge­sell­schaft“ ver­sucht das zu ver­schlei­ern. Alle Kräf­te die­ser soge­nann­ten Zivil­ge­sell­schaft sind mit Par­tei­en ver­quickt, alle „Akti­vis­ten“ und Enthu­si­as­ten sind Par­tei­gän­ger oder min­des­tens die Wäh­ler ihrer Ver­sor­ger. Das nun vorm Hin­ter­grund des „rech­ten Ver­schwö­rungs­ter­rors“ ver­mut­lich for­ciert durch­zu­brin­gen­de „Demo­kra­tie­för­der­ge­setz“ wird die Agit­Prop-Orga­ni­sa­tio­nen finan­zi­ell noch kom­for­ta­bler ausstatten.

Mag sein, pro­duk­ti­ve Oppo­si­ti­on ist eher mög­lich und wirk­sam außer­halb des Sys­tems. Schon sich her­aus­zu­hal­ten und sei­ne Ver­ant­wor­tung im unmit­tel­ba­ren Umfeld wahr­zu­neh­men ist ehren­wer­ter, als sich im Par­tei­en­staat zu engagieren.

Nicht immer gleich glo­ba­le Pro­ble­me lösen wol­len, son­dern: Wer nur ein Leben ret­tet, so der Tal­mud, ret­tet die gan­ze Welt. Und wer nur auf­merk­sam sei­nem Nächs­ten hilft und sein Han­deln vor Gott oder kri­tisch gegen­über sich selbst ver­ant­wor­ten kann, leis­tet mehr als die groß­spre­che­ri­schen Beken­ner am Rednerpult.

Man ler­ne viel­leicht von den Migran­ten: Par­al­lel­ge­sell­schaf­ten bil­den, also mitt­ler­wei­le fremd im eige­nen Land und weit­ge­hend des­in­te­griert, aber des­we­gen gera­de nicht des­in­ter­es­siert im Umkreis des eige­nen Wir­kungs­krei­ses nach Prin­zi­pi­en der Red­lich­keit und ein­fa­chen Anstän­dig­keit – Schwer genug! – am „gehei­men Deutsch­land“ arbeiten.

Letzt­lich trös­tet: Es liegt nicht alles in unse­rer Hand.

Heino Bosselmann

Heino Bosselmann studierte in Leipzig Deutsch, Geschichte und Philosophie für das Lehramt an Gymnasien.

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Kommentare (23)

Niekisch

10. Dezember 2022 12:26

Danke, lieber Herr Bosselmann! Wie schlicht, aber wahr argumentiert. Sogar im Kern des Grundgesetzes. W i r sind der Souverän und nicht die Parteien, die an der Willensbildung bloß  mitwirken sollen. Angesichts der völlig richtig geschilderten Lage gilt es jetzt wirklich  ü b e r a l l  Gleichgesinnte zu finden. Bei einem öffentlichen Gespräch zur Kunstfreiheit bemerkte ich wieder einmal, wie aufnahmebereit selbst als "woke" vermutete Menschen sein können, wenn außerhalb des normalen Politikbetriebs miteinander geredet wird. 80 % der Beteiligten verurteilten die Machenschaften während der Dokumenta, verurteilten zumindest auf diesem Gebiet PC und cancel culture. Finden und Sammeln! Parallel, aber mit weniger Energieeinsatz Parteiarbeit derjenigen, die ihr den Vorrang geben wollen. 

Unsere liberalterroristischen Verwalter stoßen jetzt an ihre Grenze und deswegen schlagen sie wie wild um sich. 

Es zittert in der Luft, Odin erscheint mit seinen Pferden über dem Horizont!

 

 

 

Adler und Drache

10. Dezember 2022 14:02

Jetzt bin ich gespannt, wann der erste mit dem "Defätismus"-Schildchen winkt ...

Lausitzer

10. Dezember 2022 15:19

" im Umkreis des eigenen Wirkungskreises nach Prinzipien der Redlichkeit und einfachen Anständigkeit – Schwer genug! – am „geheimen Deutschland“ arbeiten."

Ich vermute, daß Ihnen Martin Sellner widersprechen würde, für mich selber gibt oben Zitiertes aber genau den Halt und die Orientierung im Alltag, die ich für mein Leben brauche. Im Großen finde ich das schon lange mehr.

Beides ist aber vonnöten für unser Land: Leute, die am Großen arbeiten und dort Veränderungen anstreben und Leute, die unsere Grundlagen im Kleinen am Leben erhalten. 

Nemo Obligatur

10. Dezember 2022 16:18

Adler und Drache

10. Dezember 2022 14:02

Jetzt bin ich gespannt, wann der erste mit dem "Defätismus"-Schildchen winkt ...

Ich versuche es mal :-)

Es genügt eigentlich, wenn man sich aus allem raushält, dann wird man in Ruhe gelassen. Man kann sich Hobbys suchen, Rosen züchten oder Bierdeckel sammeln vielleicht, und niemand behelligt einen dabei. 

Probleme bekommt man allenfalls, wenn man aktiv eine Meinung vertritt, die zum Mainstream konträr verläuft. Dann ist allerdings für öffentliche Ämter etc. Sense. Wie viele Leute mussten schon ihren Hut nehmen, weil sie zur falschen Zeit den falschen Satz gesagt haben? Wer erinnert sich noch an Martin Hohmann und das "Tätervolk"? Inzwischen muss man ja schon zu Kreuze kriechen, wenn man zum Fasching als Indianer geht. WICHTIG: Nichts mehr zum Gemeinwohl beisteuern  (in keinem Verein sein, nicht für die Kleiderkammer spenden, nie den Stadtpark aufräumen - nur zu seinen direkten Nachbarn sollte man immer nett sein), 100% privat bleiben, auf keinen Fall irgendwo in eine Diskussion einmischen, sich allenfalls subversiv verhalten. Irgendwann wird der zahlenden Schicht schon der Kragen platzen. Die Zeit bis dahin kann man mit Büchern und anonymen Blogeinträgen ausfüllen. Echter Aktivismus ist eigentlich nur für sehr wenige.

Nemo Obligatur

10. Dezember 2022 16:22

Kleiner Nachtrag: Sehr starker Text mal wieder von HB. Sein Kaplaken-Bändchen "Alterndes Land" liegt durchgelesen auf meinem Schreibtisch. Gehört eigentlich unter jeden Weihnachtsbaum. Gut die Hälfte der Texte ist ja hier von der Sezessions-Seite, also in diesem Kreise schon bekannt. Aber das macht nichts. Man sollte sie zwei-, dreimal gelesen haben zur inneren Ertüchtigung.

brueckenbauer

10. Dezember 2022 17:02

Die Idee einer Parallelgesellschaft ist völlig richtig - "Subkultur" würde es allerdings auch tun. Das aber gegen die "Demokratie" auszuspielen halte ich für falsch. Alles, was Bosselmann bemängelt, gab es auch schon vor der Demokratie und ohne sie. Das wirklich Neue ab 1688 war die Anerkennung einer "Opposition" und die Anerkennung der Möglichkeit, dass diese "Opposition" auf friedlichem Wege (über Wahlen) Regierung werden kann. Warum und wozu sollten wir diese Ideen aufgeben? Sollten wir sie nicht lieber, gegen die herrschende Meinung, verteidigen?

Gimli

10. Dezember 2022 17:11

Es ist alles eine Frage des Standpunkts und ob wirklich jeder Standpunkt gleichberechtigt ist. Ich meine nein. Eine Meinung ohne Argument ist vllt vom GG geschützt, aber einfach weniger wert in einem Diskurs. Gilt auch für Minderheitenmeinungen, die - false balance - angehört werden (können), aber auch eben nicht weiter gewürdigt. So ist das eben. Insofern ist für mich der heutige Text wirklich von einer wohlformulierten und gebildeten Larmoyanz. Immerhin gilt: Wir leben in einer der sichersten und wohlhabendsten Zeiten, auch einer der friedlichsten. Immer noch viel Ungleichheit in der Welt, aber die Sensibilität dafür steigt und Kritik am Neoliberalismus wächst. Ich find's gut.

In der Tat finde ich es aber wirklich schade, wenn nicht jeder und jede Schritt halten kann mit Veränderungen, so zB wenn man einfach nicht verstehen kann, dass Indianerverkleidungen oder „Negerkönig“ nicht okay ist. Etwaige Überbefindlichkeiten sind da kein Gegenargument. Das gehört zum Aushandeln solcher gesellschaftlicher Veränderungen dazu wie das Feilschen auf dem Krempelmarkt. 

Kritik am demokratischen Stil in der Legislative ist auch okay. Hier die AfD auch unterdrückte Gruppierung im Markt der Meinungen hinzustellen: Siehe oben. Viel Minderheitenmeinung, aber auch auch schlechte Qualtät der Anträge und bewusste Provos ... Und eben, dass man nicht allen Mitgliedern wirkliche Demokratienähe unterstellen kann.

 

brueckenbauer

10. Dezember 2022 17:26

Niemand muss sich politisch engagieren und niemand muss das Maul aufmachen. Aber: Jeder muss diejenigen unterstützen, die darunter zu leiden haben, dass sie sich politisch engagierten oder dass sie das Maul aufmachten. Das ist Allgemeinpflicht, und dahinter sollten wir nicht zurückfallen! Und ehrlich gesagt: Die extreme Rechte ist in diesem Bereich wesentlich besser aufgestellt als die "gemäßigte". Gefangenenhilfe, Arbeitsmöglichkeiten für Leute, die ihre Arbeit verloren haben usw. - das findet man eher bei der äußersten Rechten und insofern kann sie auch Vorbild sein.

deutscheridentitaerer

10. Dezember 2022 18:42

@gimli

Sehr gekonnt - ich habe mich bei Ihren letzten Beiträgen durchaus aufgeregt! Aber die Sache mit den Indianern war ein Tick zu dick aufgetragen.

Sandstein

10. Dezember 2022 19:36

@HB danke für diesen Text, Ihre Schreibe tut einfach gut! 
 

@deutschidentitärer

Hab mir das selbe gedacht, einfach ignorieren. Diskussion will und verträgt so jemand auch gar nicht. Da werden sich immer fein die Rosinen rausgepickt und ansonsten Scheuklappen auf und durch. Typisch für das deutsche Männlein. 

Allnichts

10. Dezember 2022 20:03

deutscheridentitaerer:

Kamerad Gimli hat dann doch zu sehr übertrieben, das Pulver wurde zu schnell verschossen. Nach dieser menschlichen Enttäuschung bin ich noch radikaler als ohnehin schon. Negerkönig. Indianer. Frau. Mann.

Niekisch

11. Dezember 2022 16:02

"im Zuge der tendenziellen Gleichschaltung"

So lautet das in der Diskussionsgrundlage zum geplanten "Demokratieförderungsgesetz": 

"− die Verhinderung und Vorbeugung der Entstehung jeglicher Form von Extremismus, Demokratiefeindlichkeit und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit sowie der damit verbundenen Diskriminierungen,
− die Bekräftigung des Grundgesetzes als Gegenentwurf zum Totalitarismus des 
nationalsozialistischen Regimes, insbesondere das Eintreten auf allen Ebenen 
gegen jede Form des Antisemitismus und Rassismus, 
− die Gestaltung von gesellschaftlicher Vielfalt und die Förderung von Toleranz 
und gegenseitigem Respekt sowie der Anerkennung von Diversität"

https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/veroeffentlichungen/nachrichten/2022/diskussionspapier-demokratiefoerdergesetz.pdf?__blob=publicationFile&v=5

Nancy Faeser: ceterum censeo, libertatem esse delendam!
 

Heino Bosselmann

11. Dezember 2022 17:14

@Niekisch: Haben Sie herzlichen Dank für das Aufrufen des genauen juristischen Hintergrundes. Immens wichtig und hier sehr hilfreich.

Monacensis

11. Dezember 2022 18:19

Natürlich stehen die Prognosen, in Deutschland noch einmal das Ruder herumzureißen denkbar schlecht. Und selbstverständlich sollte man für seine Familie, seine Freunde sorgen, auch eine Immobilie in der ungarischen Provinz kann nicht schaden.

Und doch ist politischer Widerstand geboten. Bekennen, dass man den autoritären Willkommensstaat ablehnt. Ein Fünkchen Heroismus kann dabei nicht schaden.

Mir persönlich geht es jedenfalls ein Stück besser, seitdem in die AfD eingetreten bin und hin und wieder demonstriere oder einen Wahlkampfstand mitbetreue. Aktivität schützt vor Depression.

Karl

11. Dezember 2022 19:36

Bosselmann schreibt:

„Das Wort vom „deep state“ erscheint gleichfalls zutreffend –...: Man schaue sich die Strukturen daraufhin an. Die Parteien, im Weberschen Sinne Stellenjäger, haben über ihre Funktionäre sowie ihre Verbände und Vereine das gesamte System durchsponnen.“

Dazu zur Illustration aus dem Interview von Philip Blees (Neues Deutschland (nd))  mit u.a. Benedikt Lux (Grüne) 14.08.2020:

„Wir haben die gesamte Führung fast aller Berliner Sicherheitsbehörden ausgetauscht und dort ziemlich gute Leute reingebracht. Bei der Feuerwehr, der Polizei, der Generalstaatsanwaltschaft und auch beim Verfassungsschutz. Ich hoffe sehr, dass sich das in Zukunft bemerkbar macht.“

Nitschewo

11. Dezember 2022 19:37

@ Captain Nemo

"Es genügt eigentlich, wenn man sich aus allem raushält, dann wird man in Ruhe gelassen. Man kann sich Hobbys suchen, Rosen züchten oder Bierdeckel sammeln vielleicht, und niemand behelligt einen dabei".

Den "Waldgang" kennen Sie bestimmt auswendig, nur im Gegensatz zu Jünger sind Sie vermutlich tatsächlich ein Feigling.

 

 

ede

11. Dezember 2022 19:46

Man muss es für sich selbst tun. Das ist man sich schuldig. Oder wegen mir für Gottes Lohn oder das geheime Deutschland.

Nietzsche hat das so ausgedrückt:

"Ich lebe auf meinen eigenen Kredit hin".

Nemo Obligatur

11. Dezember 2022 20:55

@Nitschewo

Den "Waldgang" kennen Sie bestimmt auswendig, nur im Gegensatz zu Jünger sind Sie vermutlich tatsächlich ein Feigling.

Mann Gottes, das hier ist ein Internetforum. Ein Ort des Geistes sozusagen. Hier geht es ums Schreiben und Lesen. Die Regierung handfest stürzen müssen Sie schon mit der "Brigade Reuß" oder in der Wahlkabine.

Im Übrigen: "Die große Einsamkeit des Einzelnen zählt zu den Kennzeichen der Zeit. Er ist umringt, ist eingeschlossen von der Furcht, die sich gleich Mauern anschiebt gegen ihn." Ernst Jünger, Der Waldgang

 

Hax Morkheimer

11. Dezember 2022 22:33

"Shklovsky said to Trotsky, 'As a literary critic, I'm not interested in war.' Trotsky responded, 'But war is interested in you.'"

Volksdeutscher

12. Dezember 2022 00:11

@Niekisch - "Es zittert in der Luft, Odin erscheint mit seinen Pferden über dem Horizont!"

Mögen Sie damit recht behalten und wenn Donnar/Thor mit seinem Hammer den Rest erledigte, wäre umso besser. Ich würde jedoch, wenn schon, dann schon, die westgermanische Schreibweise vorziehen, die lautet: Wodan, Woden oder Wodin (siehe engl. Wednesday, niedrl. Woensdag). "Mittwoch" wird abgeschafft, "Wodanstag" wird eingeführt.

Grobschlosser

12. Dezember 2022 11:41

Handzettel produzieren und beim Bürger in den Briefkasten stopfen - funktioniert immer und kann kaum verhindert werden.

MARCEL

12. Dezember 2022 11:52

Die Schübe an Totalisierung, die über uns gehen, sollen die allerorten greifbare, schon Jahre sich ankündigende Dysfunktionalität überkleistern.

Konnten Lenin oder Ulbricht noch in aller Ruhe scheitern, ist das heutige Regime auf vielen Feldern bereits seit Jahren gescheitert (dank 1968 ff.). Der neue Digitalo-, Pharma-Totalitarismus ist eine verzweifelt-verbissene Flucht nach vorn. Alle Brücken werden abgerissen, ein Zurück soll es nicht mehr geben bzw. geben können.

Darin steckt die besondere Gefahr: Herstellung der Alternativlosigkeit

Es braucht nicht einmal Tote zu produzieren, weil es ohnehin kaum Lebbares mehr geben wird/soll.

Begeistert oder gar überzeugt sind die Protagonisten doch selbst nicht, schaut nur einmal in ihre Gesichter!

Mboko Lumumbe

12. Dezember 2022 12:37

@ Grobschlosser 12. Dezember 2022 11:41
"Handzettel produzieren und beim Bürger in den Briefkasten stopfen - funktioniert immer und kann kaum verhindert werden."

Sollen dazu eigene Drucker oder Kopierer genutzt werden, so bitte berücksichtigen, dass u.U. nachvollzogen werden kann, welches und wessen Gerät verwendet wurde.

Moderne Drucker und Kopierer verraten eine Menge Informationen über ihre Nutzer. Wer bei der Weitergabe von Dokumenten später nicht identifiziert werden möchte, sollte das berücksichtigen.

Stichwort: Machine Identification Code (MIC) oder Farbdruckermarkierung

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