Federführend war der schillernd-hochbegabte Christian Wegner. Ediert wurde im Original – und zwar nicht die Klassiker, sondern die aktuellste Leseware aus Übersee. Erklärtes Ziel: den Marktführer, den Tauchnitz Verlag, auszubooten. Das Traditionsunternehmen Tauchnitz verlegte seit 1841 eine Collection of British and American Authors, die vor allem Studenten und Reisende aus dem englischsprachigen Raum ansprechen sollte. Zwischen 1894 und 1934 veröffentlichte Tauchnitz durchschnittlich vierzig Ausgaben pro Jahr. Der alte Verlag war (mit über 5300 Bänden) enorm erfolgreich auf dem deutschen Markt. Nur: Man war nicht up to date.
Und: Der ehrgeizige Kriegsfreiwillige Wegner (1893 – 1965), der im Ersten Weltkrieg oft Beispiele »seines rücksichtslosen Schneids« erwiesen hatte, war 1930 wegen illoyalen Verhaltens als Geschäftsführer des Tauchnitz Verlags entlassen worden. Die Sache ist kompliziert: Zugleich war Wegner Neffe von Anton und Katharina Kippenberg, die den Insel Verlag groß machten. Es fallen überhaupt zahlreiche Namen aus der Verlagslandschaft, die man heute noch kennt.
Jedenfalls gelingt es Wegner gemeinsam mit dem eloquenten, gleichfalls hochintelligenten Weltenbummler und Hochstapler John Holroyd-Reece (eigentlich: Johann Hermann Rieß), dem vermögenden Hamburger Juden Kurt Enoch und einem weiteren reichen Förderer im Hintergrund, einen Konkurrenzverlag zu gründen. Es ist eine Geschichte über Ellbogen, Ehrgeiz und die indifferente Kulturpolitik des sogenannten Dritten Reiches.
Albatross startet (mit seinem modernistischen wie ansprechenden Layout und seinem klugen Marketing) sogleich durch. Den Männern gelingt es, ein Netzwerk zu etablieren, das die nationalsozialistische Zensur bis weit in den Krieg hinein unterläuft. Die Firmenstrukturen sind dabei so volatil wie undurchsichtig: Mal wird in Italien gedruckt, mal in Deutschland, dann in Edinburgh. Die Verleger spielen Katz und Maus mit den steueramtlichen wie den kulturellen Zensoren. Die gewieften Unternehmer streichen aus den neuesten Stücken von Hugh Walpole (The Inquisitor, 1936), von James Thurber und Aldous Huxley einfach die brisantesten Passagen. Auch John Steinbeck, Katherine Mansfield und Virginia Woolf durchliefen dieses Schema. Der verbleibende Rest diente ja genug als Gegenkultur – und wie gut, pardon, ist überhaupt das Englisch der Zensoren?
Die Vorgehensweise der skrupellosen Verleger (die sich über die Jahre entzweien werden; eine komplizierte Geschichte) ist absolut halsbrecherisch. Ja, die anstößigsten Stellen aus Huxleys Beyond the Mexique Bay wurden getilgt, und doch blieb dieses Buch (nur ein Beispiel) im nationalsozialistischen Deutschland eine »politische Bombe in Broschur«. Albatross strich ganze achtzehn Seiten – ähnlich wurde bei zahlreichen anderen Texten die Schere angesetzt.
Autorin Troy feiert es als Hasadeursstück – natürlich könnte man es ganz anders betrachten: als Feigheit vor dem Feind – man mogelt etwas durch, indem man es zur Unkenntlichkeit entstellt. Der (noch heute tonangebende, man beachte seine »antirechten« Stellungnahmen gegen dissidente Literatur) gewichtige Börsenverein des Deutschen Buchhandels spielte bereits damals eine ungute Rolle.
Wer las damals englischsprachige Titel? Die Absatzstatistiken verraten hierzu leider wenig. Nun: Allein 1933 fanden 33 neue englischsprachige Autoren ihren Weg nach Deutschland. Es gab in diesem Jahr 88 neue kontinentaleuropäische englische Titel. Ende 1934 kamen die Verlage Tauchnitz und Albatross (vor ihrer naheliegenden Fusion) auf 452 983 verkaufte Bände und einen Bruttoerlös von einer halben Million Reichsmark. Das war nicht nichts für die deutsche Devisenpolitik!
In seiner hundertjährigen Verlagsgeschichte hatte Tauchnitz insgesamt 6250 Bücher verlegt. Für bescheidene 1,80 Reichsmark erwarben die Leser anglophone Literatur – damit konnte kein Buchexport mithalten. Anders als der verschlafene Tauchnitz Verlag konnte Albatross mit eingehender Kenntnis der kontinentaleuropäischen Vorlieben wuchern. Tauchnitz wurde von Albatross einfach geschluckt.
Auf eine Art ist dieses Buch erfreulich und erhellend – man wußte bislang wenig über diese Zwistigkeiten und schon gar nichts über die immensen Verkaufszahlen in diesem Bereich.
Allerdings: Knapp 550 unsortierte, überbordende und vor allem (ärgerlich, weil es durch ein Lektorat einfach auszumerzen gewesen wäre) redundante Seiten sind ein bißchen viel für einen solchen, wenngleich interessanten literaturgeschichtlichen Detailaspekt. Auch die Übersetzung läßt Wünsche offen: Kann man sich »in Rätsel hüllen«? Kann man sich »leutselige« Gesprächspartner ersehnen? Wie kann man »persimonenfarbig« übersetzen? Zudem ist vieles verwirrend und unbelegt. Es heißt etwa, »man schickte Spitzel in Buchläden, um die Stimmung unter Buchhändlern und Lesern einzufangen«. Wer? Wo? Wann? Durch was belegt?
So bleibt es bei einem Werk für Spezialisten, die das Unnütze und das Ungenügende auszusortieren wissen. Die beigefügten Schwarzweißfotographien der Protagonisten und prominenter Ausgaben (Albatross hatte es durchaus drauf) gefallen.
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Michele K. Troy: Die Albatross-Connection. Drei Glücksritter und das »Dritte Reich«, München: Europa Verlag 2021. 544 S., 42 €
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