Michele K. Troy: Die Albatross-Connection

Ende 1931 wurde in Hamburg der Albatross Verlag gegründet – ein Unternehmen, das angelsächsische Literatur in Kontinentaleuropa verlegte.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Feder­füh­rend war der schil­lernd-hoch­be­gab­te Chris­ti­an Weg­ner. Ediert wur­de im Ori­gi­nal – und zwar nicht die Klas­si­ker, son­dern die aktu­ells­te Lese­wa­re aus Über­see. Erklär­tes Ziel: den Markt­füh­rer, den Tauch­nitz Ver­lag, aus­zu­boo­ten. Das Tra­di­ti­ons­un­ter­neh­men Tauch­nitz ver­leg­te seit 1841 eine Coll­ec­tion of Bri­tish and Ame­ri­can Aut­hors, die vor allem Stu­den­ten und Rei­sen­de aus dem eng­lisch­spra­chi­gen Raum anspre­chen soll­te. Zwi­schen 1894 und 1934 ver­öf­fent­lich­te Tauch­nitz durch­schnitt­lich vier­zig Aus­ga­ben pro Jahr. Der alte Ver­lag war (mit über 5300 Bän­den) enorm erfolg­reich auf dem deut­schen Markt. Nur: Man war nicht up to date.

Und: Der ehr­gei­zi­ge Kriegs­frei­wil­li­ge Weg­ner (1893 – 1965), der im Ers­ten Welt­krieg oft Bei­spie­le »sei­nes rück­sichts­lo­sen Schneids« erwie­sen hat­te, war 1930 wegen illoya­len Ver­hal­tens als Geschäfts­füh­rer des Tauch­nitz Ver­lags ent­las­sen wor­den. Die Sache ist kom­pli­ziert: Zugleich war Weg­ner Nef­fe von Anton und Katha­ri­na Kip­pen­berg, die den Insel Ver­lag groß mach­ten. Es fal­len über­haupt zahl­rei­che Namen aus der Ver­lags­land­schaft, die man heu­te noch kennt.

Jeden­falls gelingt es Weg­ner gemein­sam mit dem elo­quen­ten, gleich­falls hoch­in­tel­li­gen­ten Wel­ten­bumm­ler und Hoch­stap­ler John Hol­royd-Reece (eigent­lich: ­Johann Her­mann Rieß), dem ver­mö­gen­den Ham­bur­ger Juden Kurt Enoch und einem wei­te­ren rei­chen För­de­rer im Hin­ter­grund, einen Kon­kur­renz­ver­lag zu grün­den. Es ist eine Geschich­te über Ell­bo­gen, Ehr­geiz und die indif­fe­ren­te Kul­tur­po­li­tik des soge­nann­ten Drit­ten Reiches.

Alba­tross star­tet (mit sei­nem moder­nis­ti­schen wie anspre­chen­den Lay­out und sei­nem klu­gen Mar­ke­ting) sogleich durch. Den Män­nern gelingt es, ein Netz­werk zu eta­blie­ren, das die natio­nal­so­zia­lis­ti­sche Zen­sur bis weit in den Krieg hin­ein unter­läuft. Die Fir­men­struk­tu­ren sind dabei so vola­til wie undurch­sich­tig: Mal wird in Ita­li­en gedruckt, mal in Deutsch­land, dann in Edin­burgh. Die Ver­le­ger spie­len Katz und Maus mit den steu­er­amt­li­chen wie den kul­tu­rel­len Zen­so­ren. Die gewief­ten Unter­neh­mer strei­chen aus den neu­es­ten Stü­cken von Hugh Wal­po­le (The Inqui­si­tor, 1936), von James Thur­ber und Aldous Hux­ley ein­fach die bri­san­tes­ten Pas­sa­gen. Auch John Stein­beck, Kathe­ri­ne Mans­field und Vir­gi­nia Woolf durch­lie­fen die­ses Sche­ma. Der ver­blei­ben­de Rest dien­te ja genug als Gegen­kul­tur – und wie gut, par­don, ist über­haupt das Eng­lisch der Zensoren?

Die Vor­ge­hens­wei­se der skru­pel­lo­sen Ver­le­ger (die sich über die Jah­re ent­zwei­en wer­den; eine kom­pli­zier­te Geschich­te) ist abso­lut hals­bre­che­risch. Ja, die anstö­ßigs­ten Stel­len aus Hux­leys Bey­ond the Mexi­que Bay wur­den getilgt, und doch blieb die­ses Buch (nur ein Bei­spiel) im natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Deutsch­land eine »poli­ti­sche Bom­be in Bro­schur«. Alba­tross strich gan­ze acht­zehn Sei­ten – ähn­lich wur­de bei zahl­rei­chen ande­ren Tex­ten die Sche­re angesetzt.

Autorin Troy fei­ert es als Hasa­deurs­stück – natür­lich könn­te man es ganz anders betrach­ten: als Feig­heit vor dem Feind – man mogelt etwas durch, indem man es zur Unkennt­lich­keit ent­stellt. Der (noch heu­te ton­an­ge­ben­de, man beach­te sei­ne »anti­rech­ten« Stel­lung­nah­men gegen dis­si­den­te Lite­ra­tur) gewich­ti­ge Bör­sen­ver­ein des Deut­schen ­Buch­han­dels spiel­te bereits damals eine ungu­te Rolle.

Wer las damals eng­lisch­spra­chi­ge Titel? Die Absatz­sta­tis­ti­ken ­ver­ra­ten hier­zu lei­der wenig. Nun: Allein 1933 fan­den 33 neue eng­lisch­spra­chi­ge Autoren ihren Weg nach Deutsch­land. Es gab in die­sem Jahr 88 neue kon­ti­nen­tal­eu­ro­päi­sche eng­li­sche Titel. Ende 1934 kamen die Ver­la­ge Tauch­nitz und Alba­tross (vor ihrer nahe­lie­gen­den Fusi­on) auf 452 983 ver­kauf­te Bän­de und einen Brut­to­er­lös von einer hal­ben Mil­li­on Reichs­mark. Das war nicht nichts für die deut­sche Devisenpolitik!

In sei­ner hun­dert­jäh­ri­gen Ver­lags­ge­schich­te hat­te Tauch­nitz ins­ge­samt 6250 Bücher ver­legt. Für beschei­de­ne 1,80 Reichs­mark erwar­ben die Leser anglo­pho­ne Lite­ra­tur – damit konn­te kein Buch­ex­port mit­hal­ten. Anders als der ver­schla­fe­ne Tauch­nitz Ver­lag konn­te Alba­tross mit ein­ge­hen­der Kennt­nis der kon­ti­nen­tal­eu­ro­päi­schen Vor­lie­ben wuchern. Tauch­nitz wur­de von Alba­tross ein­fach geschluckt.

Auf eine Art ist die­ses Buch erfreu­lich und erhel­lend – man wuß­te bis­lang wenig über die­se Zwis­tig­kei­ten und schon gar nichts über die immensen Ver­kaufs­zah­len in die­sem Bereich.

Aller­dings: Knapp 550 unsor­tier­te, über­bor­den­de und vor allem (ärger­lich, weil es durch ein Lek­to­rat ein­fach aus­zu­mer­zen gewe­sen wäre) red­un­dan­te Sei­ten sind ein biß­chen viel für einen sol­chen, wenn­gleich inter­es­san­ten lite­ra­tur­ge­schicht­li­chen Detail­aspekt. Auch die Über­set­zung läßt Wün­sche offen: Kann man sich »in Rät­sel hül­len«? Kann man sich »leut­se­li­ge« Gesprächs­part­ner erseh­nen? Wie kann man »per­si­mo­nen­far­big« über­set­zen? Zudem ist vie­les ver­wir­rend und unbe­legt. Es heißt etwa, »man schick­te Spit­zel in Buch­lä­den, um die Stim­mung unter Buch­händ­lern und Lesern ein­zu­fan­gen«. Wer? Wo? Wann? Durch was belegt?

So bleibt es bei einem Werk für Spe­zia­lis­ten, die das Unnüt­ze und das Unge­nü­gen­de aus­zu­sor­tie­ren wis­sen. Die bei­gefüg­ten Schwarz­weiß­fo­to­gra­phien der Prot­ago­nis­ten und pro­mi­nen­ter Aus­ga­ben (Alba­tross hat­te es durch­aus drauf) gefallen.

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Miche­le K. Troy: Die Alba­tross-Con­nec­tion. Drei Glücks­rit­ter und das »Drit­te Reich«, Mün­chen: Euro­pa Ver­lag 2021. 544 S., 42 €

 

Die­ses Buch kön­nen Sie auf antaios.de bestellen.

 

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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