Marc Thörner: Rechtspopulismus und Dschihad

Der vorliegende Band des Deutschlandfunk-Journalisten Marc Thörner ist lesenswert, obwohl er gravierende Schwächen aufweist.

Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

Die­ser Wider­spruch will erklärt sein: Thör­ner schreibt luzi­de, baut kon­stant Span­nung auf. Syri­en, Afgha­ni­stan, Iran; Inter­views, Repor­ta­gen, Ana­ly­sen; Dschi­ha­dis­mus, poli­ti­sche Rech­te und Phi­lo­so­phie – das sind die Orte, die For­men und die The­men, die mit­ein­an­der kom­bi­niert wer­den. Sie geben auf den ers­ten, for­ma­len Blick einen Par­force­ritt durch ver­schie­de­ne Sphä­ren des Geis­tes, der Poli­tik und der Reli­gi­on ab. Aber dies nur auf den ers­ten Blick. Bereits beim zwei­ten, inhalt­li­chen Blick ste­chen ekla­tan­te Män­gel ins Auge.

Die Grund­idee des Ban­des, die in einer Annä­he­rung zwi­schen dschi­ha­dis­ti­schen Ele­men­ten und dem euro­päischen Rechts­po­pu­lis­mus (Feind­schaft zur moder­nen, offe­nen Gesell­schaft et al.) besteht, ja gar von einer »unheim­li­chen Alli­anz« (!) zwi­schen die­sen Paria-Sub­jek­ten des Wes­tens raunt, krankt dop­pelt: Thör­ner hat kei­nen pro­fun­den »Dschihadismus«-Begriff, und eben­so­we­nig erklärt er sin­nig, was er mit »Rechts­po­pu­lis­mus« meint.

Unter Dschi­ha­dis­mus müß­te man, mißt man den Autor an sei­nen eige­nen Ver­fah­rens­wei­sen, Mus­lim­brü­der und ande­re Bewe­gun­gen des poli­ti­schen Islam eben­so pau­schal sub­su­mie­ren wie Ter­ro­ris­ten­netz­wer­ke um Al-Kai­da, sau­di-ara­bi­sche Wah­ha­bi­ten, quie­tis­ti­sche Frömm­ler und die Tali­ban. Böte die­se sun­ni­ti­sche Gemenge­la­ge aus­rei­chend Grund für sorg­fäl­ti­ge Dif­fe­ren­zie­run­gen, wirft Thör­ner noch die (wie­der­um: in sich viel­sei­ti­ge) schii­ti­sche Sphä­re in den­sel­ben Topf, dar­un­ter Akteu­re der Isla­mi­schen Repu­blik Iran, die liba­ne­si­sche Sozi­al­be­we­gung His­bol­lah, syri­sche Par­tei­en und diver­se »Stell­ver­tre­ter« Teherans.

Man könn­te – poli­tik- und / oder reli­gi­ons­wis­sen­schaft­lich – Regal­me­ter über die­se kom­ple­xen Phä­no­me­ne ver­fas­sen, die mit dem pau­scha­len Ver­dikt »Dschi­ha­dis­mus« feh­ler­haft erfaßt sind. Natur­ge­mäß kann man von Thör­ner nicht erwar­ten, daß er dies alles in einem Band sau­ber defi­niert. Aber wenn dadurch bereits der Buch­ti­tel inklu­si­ve Aus­gangs­ba­sis voll­kom­men unter­mi­niert ist, ver­hält sich das anders.

Das­sel­be gilt für den zwei­ten Block der Gegen­über­stel­lung. Ist der »Rechts­po­pu­lis­mus« bereits erklärt, weil er Alex­an­der Gau­land befragt? Kaum. Auch hier ist der Ter­mi­nus schlicht­weg depla­ziert, geht Thör­ner doch inten­siv auf wech­sel­sei­ti­ge und trans­kul­tu­rel­le Rezep­ti­ons­ge­schich­ten Ernst Jün­gers, Carl Schmitts, Mar­tin ­Heid­eg­gers oder auch Alexis Car­rels ein. Autoren des Rechtspopulismus?

Auch wenn man von den Begriffs­ir­run­gen absieht: Die Skiz­ze ideel­ler Sym­pa­thien zwi­schen ver­schie­de­nen Akteu­ren aus der – im wei­tes­ten Sin­ne – rech­ten Land­schaft Euro­pas und aus dem – im wei­tes­ten Sin­ne – isla­mi­schen bis isla­mis­ti­schen Kon­text miß­lingt. Natür­lich gab bzw. gibt es ent­spre­chen­de geis­ti­ge Befruch­tun­gen und Nahe­po­si­tio­nen in Ein­zel­fra­gen. Selbst ideel­le Grund­la­gen im phi­lo­so­phi­schen Dis­kurs las­sen sich par­al­le­li­sie­ren oder nach­wei­sen: Aber stim­mig wird das oft­mals nur dort, wo ­Thör­ner sei­ne eige­nen Begriff­lich­kei­ten hin­ter sich läßt.

Bei­spiels­wei­se reiht er de fac­to selbst säku­la­re Syrer der Syri­schen Sozi­al­na­tio­na­lis­ti­schen Par­tei (SSNP) in den isla­mis­ti­schen Auf­bruch ein, also mili­tan­te Kämp­fer gegen jede Form des Dschi­ha­dis­mus im beson­de­ren und gegen reli­giö­sen Wahn im all­ge­mei­nen. Thör­ner führt hier als Beleg für sei­ne The­se geis­ti­ger Nahe­ver­hält­nis­se aus­ge­rech­net mei­nen Auf­satz über die ins­be­son­de­re unter syri­schen Chris­ten Zuspruch fin­den­de SSNP aus der Zeit­schrift Neue Ord­nung (III / 2017) an. Dort hät­te er aber min­des­tens eine Unver­ein­bar­keit zu sei­ner Aus­gangs­the­se fin­den müs­sen, da die ideel­le »Nähe« etwa dar­in besteht, daß »die« Neu­en Rech­ten gera­de­so wie »die« syri­schen Sozi­al­na­tio­na­lis­ten sowohl isla­mis­ti­sche und dschi­ha­dis­ti­sche als auch glo­ba­lis­ti­sche und uni­ver­sa­lis­tisch-libe­ra­le Ent­wür­fe abzu­leh­nen pflegen.

Ist das Buch also emp­feh­lens­wert? Abwä­gend könn­te man sagen: Für alle am Nahen und Mitt­le­ren Osten inter­es­sier­ten Leser, spe­zi­ell für sol­che, die sich mit dem Wir­ken euro­päi­scher Den­ker wie Jün­ger und Heid­eg­ger auf inner­islamische Debat­ten beschäf­ti­gen, ja. Auf die­sem Ter­rain sind anre­gen­de Gedan­ken vor­han­den –und schrei­ben kann Thör­ner ohnehin.

Der Lek­tü­re för­der­lich ist gleich­wohl ein gewis­ses Vor­wis­sen, um die Irre­füh­run­gen und ana­ly­ti­schen Kurz­schlüs­se als eben­sol­che zu identifizieren.

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Marc Thör­ner: Rechts­po­pu­lis­mus und Dschi­had. Berich­te von einer unheim­li­chen Alli­anz, Ham­burg: Edi­ti­on Nau­ti­lus 2021. 177 S., 16 €

 

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Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Verlagslektor.

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