Dieser Widerspruch will erklärt sein: Thörner schreibt luzide, baut konstant Spannung auf. Syrien, Afghanistan, Iran; Interviews, Reportagen, Analysen; Dschihadismus, politische Rechte und Philosophie – das sind die Orte, die Formen und die Themen, die miteinander kombiniert werden. Sie geben auf den ersten, formalen Blick einen Parforceritt durch verschiedene Sphären des Geistes, der Politik und der Religion ab. Aber dies nur auf den ersten Blick. Bereits beim zweiten, inhaltlichen Blick stechen eklatante Mängel ins Auge.
Die Grundidee des Bandes, die in einer Annäherung zwischen dschihadistischen Elementen und dem europäischen Rechtspopulismus (Feindschaft zur modernen, offenen Gesellschaft et al.) besteht, ja gar von einer »unheimlichen Allianz« (!) zwischen diesen Paria-Subjekten des Westens raunt, krankt doppelt: Thörner hat keinen profunden »Dschihadismus«-Begriff, und ebensowenig erklärt er sinnig, was er mit »Rechtspopulismus« meint.
Unter Dschihadismus müßte man, mißt man den Autor an seinen eigenen Verfahrensweisen, Muslimbrüder und andere Bewegungen des politischen Islam ebenso pauschal subsumieren wie Terroristennetzwerke um Al-Kaida, saudi-arabische Wahhabiten, quietistische Frömmler und die Taliban. Böte diese sunnitische Gemengelage ausreichend Grund für sorgfältige Differenzierungen, wirft Thörner noch die (wiederum: in sich vielseitige) schiitische Sphäre in denselben Topf, darunter Akteure der Islamischen Republik Iran, die libanesische Sozialbewegung Hisbollah, syrische Parteien und diverse »Stellvertreter« Teherans.
Man könnte – politik- und / oder religionswissenschaftlich – Regalmeter über diese komplexen Phänomene verfassen, die mit dem pauschalen Verdikt »Dschihadismus« fehlerhaft erfaßt sind. Naturgemäß kann man von Thörner nicht erwarten, daß er dies alles in einem Band sauber definiert. Aber wenn dadurch bereits der Buchtitel inklusive Ausgangsbasis vollkommen unterminiert ist, verhält sich das anders.
Dasselbe gilt für den zweiten Block der Gegenüberstellung. Ist der »Rechtspopulismus« bereits erklärt, weil er Alexander Gauland befragt? Kaum. Auch hier ist der Terminus schlichtweg deplaziert, geht Thörner doch intensiv auf wechselseitige und transkulturelle Rezeptionsgeschichten Ernst Jüngers, Carl Schmitts, Martin Heideggers oder auch Alexis Carrels ein. Autoren des Rechtspopulismus?
Auch wenn man von den Begriffsirrungen absieht: Die Skizze ideeller Sympathien zwischen verschiedenen Akteuren aus der – im weitesten Sinne – rechten Landschaft Europas und aus dem – im weitesten Sinne – islamischen bis islamistischen Kontext mißlingt. Natürlich gab bzw. gibt es entsprechende geistige Befruchtungen und Nahepositionen in Einzelfragen. Selbst ideelle Grundlagen im philosophischen Diskurs lassen sich parallelisieren oder nachweisen: Aber stimmig wird das oftmals nur dort, wo Thörner seine eigenen Begrifflichkeiten hinter sich läßt.
Beispielsweise reiht er de facto selbst säkulare Syrer der Syrischen Sozialnationalistischen Partei (SSNP) in den islamistischen Aufbruch ein, also militante Kämpfer gegen jede Form des Dschihadismus im besonderen und gegen religiösen Wahn im allgemeinen. Thörner führt hier als Beleg für seine These geistiger Naheverhältnisse ausgerechnet meinen Aufsatz über die insbesondere unter syrischen Christen Zuspruch findende SSNP aus der Zeitschrift Neue Ordnung (III / 2017) an. Dort hätte er aber mindestens eine Unvereinbarkeit zu seiner Ausgangsthese finden müssen, da die ideelle »Nähe« etwa darin besteht, daß »die« Neuen Rechten geradeso wie »die« syrischen Sozialnationalisten sowohl islamistische und dschihadistische als auch globalistische und universalistisch-liberale Entwürfe abzulehnen pflegen.
Ist das Buch also empfehlenswert? Abwägend könnte man sagen: Für alle am Nahen und Mittleren Osten interessierten Leser, speziell für solche, die sich mit dem Wirken europäischer Denker wie Jünger und Heidegger auf innerislamische Debatten beschäftigen, ja. Auf diesem Terrain sind anregende Gedanken vorhanden –und schreiben kann Thörner ohnehin.
Der Lektüre förderlich ist gleichwohl ein gewisses Vorwissen, um die Irreführungen und analytischen Kurzschlüsse als ebensolche zu identifizieren.
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Marc Thörner: Rechtspopulismus und Dschihad. Berichte von einer unheimlichen Allianz, Hamburg: Edition Nautilus 2021. 177 S., 16 €
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