Wir haben die Erlaubnis, diese Auszüge aus dem Tagebuch Mein abenteuerliches Herz I (hier einsehen und bestellen) abdrucken zu dürfen – in dieser Auswahl vom Autor Heimo Schwilk autorisiert. Sie umfassen einen Zeitraum, in dem eine »Neue demokratische Rechte« binnen anderthalb Jahren versuchte, im vorpolitischen Raum Positionen zu besetzen und zu halten, die der veränderten Lage nach 1989 Rechnung tragen und den Deutschen die Möglichkeit vorstellen wollten, eine selbstbewußte Nation zu sein.
Schwilks Tagebucheinträge beschreiben den Versuch, der Zeitung Die Welt eine Neuausrichtung in diesem Sinne zu geben, außerdem die Resonanz auf den Sammelband Die selbstbewußte Nation und auf den »Berliner Appell«, der in den Wochen vor der Bundestagswahl von 1994 einen antitotalitären Konsens einforderte. Auch Planung und Scheitern einer Großveranstaltung zum 50. Jahrestag des 8. Mai 1945 sind Thema.
Die Tagebücher Schwilks stellen über den hier vorgestellten Aspekt des Politischen eine ganz spezifische Melange aus philosophischer Reflexion, privatem Alltagsgeschehen, Traumnotaten und dem weiten Feld der Arbeit des Journalisten dar. Der vorliegende erste Band erstreckt sich über einen Zeitraum von 16 Jahren und beginnt 1983 mit einem Besuch am Grab von Hermann Hesse.
Als eigentlicher Schwerpunkt dieser Jahre entpuppt sich bald die Bekanntschaft (und spätere Freundschaft) mit Ernst Jünger, über den Schwilk 1988 einen opulenten Bildband veröffentlicht, der zahlreiche Erstdrucke von Bild- und Textdokumenten enthält. Neben Jünger hat Schwilk viele andere prominente Autoren getroffen, die er interviewte und über die er geschrieben hat. Seine Reisen führten ihn u. a. nach Moskau und in die Arktis, als Kriegsreporter berichtete er vom Golf und aus dem Kosovo. Hinzu kommen seine ausführlichen Berichte über die friedliche Revolution in der DDR, deren Augenzeuge Schwilk in Berlin wurde.
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Berlin, 17. Januar 1994 – – Die ersten Wochen des neuen Jahres turbulent, vor allem konturiert sich mein Engagement bei der Welt. Mehrfach mit Ulrich und RZ [Rainer Zitelmann] mit Manfred Geist über die Neukonzeption konferiert. Was wir wollen: wertkonservative Profilierung, vor allem auf der Ebene von Meinung und Kultur; dazu vermehrt investigativer Journalismus, der keine Gesinnung lanciert, sondern auf Fakten schaut. Auch ein klarer Kurs gegen die Political Correctness, die Mißstände wegzureden versucht. Ralf Georg Reuth soll von der FAZ zu uns stoßen, um dem Politikressort mehr intellektuelle Kompetenz zu vermitteln. Als Historiker wird er zusätzlich die Kultur verstärken. Ende des Monats steht mein entscheidendes Gespräch mit Günter Prinz, dem Vorstandsvorsitzenden von Springer, an. Danach wollen wir eine Reihe von Planstellen neu besetzen. Eine echte konservative Revolution. […]
Berlin, 21. März 1994 – – Vier Wochen, in der sich die Welt veränderte – oder auch nicht. Im ersten Anlauf gescheitert, könnte man sagen. Am Dienstag trat ich vom Amt des Kulturchefs zurück, nach einer öffentlichen Kampagne, mit der Ulrich, Rainer und ich als »Rechtsextreme« abgestempelt wurden, teils aus dem Blatt heraus. Zeit, FR, SZ, taz und Spiegel inszenierten den Rufmord mit Unterstützung von mißgünstigen Welt-Redakteuren und Rolf Hochhuth, der Material, u. a. meine Briefe an ihn, dem Spiegel zuspielte.
Alles nachzulesen in der taz, die genüßlich über Welt-Interna berichtete. Ich soll zu den Redakteuren gesagt haben: »Das ist der Aufstand des Schlammes gegen den Berg« und zu Hochhuth: »Kommen Sie mir doch nicht dauernd mit diesen alten Männern, die interessieren hier ebensowenig wie die zwei noch amtierenden Chefredakteure.« Ulrich bekannte sich stolz zum ersten Statement, das er tatsächlich Welt-Redakteuren an den Kopf geknallt hatte, als sie seine Kompetenz als Chefreporter in Frage stellten.
Die publizistische Kampagne ist eine perfide Mischung aus Halbwahrheiten, Lügen, Spekulationen. In einer »Ehrenerklärung« hielten u. a. Brigitte Seebacher-Brandt, Arnulf Baring, Michael Wolffsohn, Sarah Kirsch, Walter Kempowski und Hans Joachim Schädlich dagegen. Eigentlicher Auslöser für meinen Rücktritt war aber nicht diese Denunziationskampagne, sondern Astrids Einlieferung ins Krankenhaus wegen starker Blutungen. »Ich verliere mein Kind!« schluchzte sie am Telefon. Am Nachmittag gab ich dann mein Welt-Amt auf, das das Sprungbrett sein sollte für die Chefredaktion.
Die zurückliegenden Wochen waren lehrreich; ich habe viel über die Miserabilität des Menschen gelernt, über das Böse, das sich als Gutes maskiert. Erstmals das Paria-Gefühl am eigenen Leib gespürt, »Minderheit« und »Haßobjekt« zu sein. Vielleicht waren wir unserer Sache zu sicher, wahrscheinlich hat das Gemeinschaftsgefühl uns dazu verführt, die Gegner nicht ernst zu nehmen. Wir haben den Widerstand gegen die intellektuelle Wende in der Redaktion, aber auch Manfred Geists Opportunismus unterschätzt. Ärgerlich nur, daß die Lemuren triumphieren, die Minderbegabten, die Zeitgeist-Ritter von der traurigen Gestalt. […]
Berlin-Steglitz, 31. März 1994 – – Die Antifa läuft Sturm: Nach dem Lübecker Synagogen-Brand werden auf allen Kanälen »geistige Brandstifter« namhaft gemacht: Botho Strauß, Ernst Nolte, Rainer Zitelmann, Franz Schönhuber, Will Tremper etc. Die taz meldet triumphierend, daß Ulrich Schacht von der Welt zur Welt am Sonntag »zurückdelegiert« worden sei, »die Redaktion atmet auf«. Man ist stolz auf das eigene Werk, die Verhinderung eines »Rechtsrucks« bei Springer. Dabei wird von diesem Rechtsruck seit Jahrzehnten gefaselt; schon Axel Springer schmähte man als »Brandenburger Tor«, dessen Glaube an die deutsche Einheit man heruntermachte. Nun ist der große Verleger von der Geschichte bestätigt worden, und die Achtundsechziger machen den Versuch eines Rollbacks, malen einen neuen Nationalismus an die Wand, um als Kassandra irgendwie doch recht zu behalten. Popanz dabei sind Schacht, Schwilk und Zitelmann, in denen neu-altes Unheil auferstanden ist. […]
Berlin, 14. April 1994 – – Gestern in der FAZ ein Beitrag über die »Geistige Welt«, in dem Zitelmanns Wirken und unser Rückzug aus der Welt kommentiert werden. Der Vorwurf des Autors läuft darauf hinaus, RZ betreibe in der »Geistigen Welt« die Abwendung vom »Liberalismus des Westens«. Dabei ist Zitelmann ein glühender Anhänger des Wirtschaftsliberalismus und FDP-Sympathisant! Man schreibt beim Spiegel und der taz ab und erspart sich so das Lesen von Zitelmanns Welt-Beiträgen und seiner Bücher.
Richtig ist allein die Feststellung, RZ bemühe sich, linke und rechte Intellektuelle zusammenzubringen. Unsere wertkonservativen Grundhaltungen werden überhaupt nicht wahrgenommen; aber aus ihnen erklärt sich die Solidarität von Leuten wie Arnulf Baring, Brigitte Seebacher- Brandt, Hans-Peter Schwarz, Michael Wolffsohn. Ulrich arbeitet im Auftrag von Frank Schirrmacher an einer persönlichen Gegendarstellung in der FAZ. Schirrmacher steht ebenfalls unter Beschuß – im eigenen Blatt. […]
Hamburg, 2. September 1994 – – […] Am 22. August, abends nach der Produktion, dann Eröffnung von Geist und Bödecker, man sehe keine Möglichkeit, mich in der Chefredaktion einzusetzen. Die acht Wochen in Hamburg gaben mir einen Einblick in das Getriebe einer Redaktion, die weniger der Leistung verpflichtet ist als den kaum kaschierten Karriereerwartungen. Wir wollten eine intellektuelle und, ja, auch weltanschauliche Wende, die von außen als »rechts«, ja »rechtsextrem« verteufelt wurde. Den Ball nahmen diejenigen dankbar auf, an denen diese Neuorientierung vorbeizugehen drohte. Ihr Rollback entspricht dem, was das ganze Land seit Anfang der Neunziger erlebt. […]
Berlin-Steglitz, 26. September 1994 – – […] Erste Rezensionen der Selbstbewußten Nation, die der frühere Verteidigungsminister Rupert Scholz im Axel-Springer-Club in der Kochstraße vorstellte. Rund 70 Zuhörer, darunter zehn Autoren des Bandes, auch Brigitte Seebacher-Brandt. Außer der B.Z. boykottierte die »Springer-Presse« die Buchpräsentation – im eigenen Haus! Die Kollegen lehnen das Aufmerksamkeit erregende »Triumvirat« Schacht / Schwilk / Zitelmann ab, meist aus Neid, aber auch aus politischem Kalkül. In der Wochenpost und der taz ganzseitige Rezensionen, aber ohne jede Substanz. Man las das Buch nicht, sondern las vieles hinein, was in den alarmistischen Köpfen herumspukt. Einziges Thema: Die »Neue Rechte« als Gefahr für das wiedervereinte Land! Dabei hatte die Linke die Einheit jahrzehntelang als Drohung an die Wand gemalt und jeden heruntergemacht, der die Überwindung der Teilung als Ziel deutscher (und europäischer!) Politik anstrebte. Sandte Ernst Jünger und Botho Strauß Exemplare; das Kanzleramt forderte ein Buch für Helmut Kohl an. […]
Berlin-Steglitz, 29. September 1994 – – […] Heute unser Berliner Appell in vielen Blättern kommentiert, meist als Symptom für einen Rechtsruck in Deutschland. Die Frankfurter Rundschau sagte eine Wiederkehr von Antonio Gramscis Theorie der intellektuellen Hegemonie voraus, nun von rechts. Kommentare auch im Neuen Deutschland, in der taz, FAZ, in der Jungen Welt und der Jungen Freiheit, im Berliner Tagesspiegel. Bislang läuft alles nach Regie. Jetzt noch der Spiegel und Focus; größere Beiträge zur Selbstbewußten Nation sind bereits angekündigt. […]
Berlin-Steglitz, 30. September 1994 – – Heute Dementi von Sarah Kirsch in der FAZ; sie will den Berliner Appell nie unterschrieben haben. Man hat sie wohl mit viel Druck zu diesem peinlichen, ja feigen Rückzug gebracht; die Kirsch ist seit langem mit Ulrich befreundet und sieht die Entwicklung seit 1989 wie wir, hat aber Angst um ihre Pfründe als Autorin. […]
Berlin, 2. / 3. Oktober 1994 – – Anruf von Freya Klier wegen des Berliner Appells. Sie müsse sich leider distanzieren. Wir redeten eine Stunde lang, in der ich sie überzeugte; aber sie befürchtet Nachteile für ihre Arbeit und will sich herausziehen. Unsere Gegendarstellung im Tagesspiegel; dazu Notizen zum Berliner Appell in Focus, ND, taz. […]
Berlin, 18. Oktober 1994 – – Im Spiegel der lange erwartete Beitrag über die Selbstbewußte Nation. Der Verfasser ist mein früherer Tübinger Kommilitone Martin Doerry, wie ich einst wissenschaftliche Hilfskraft bzw. Assistent bei Professor Bernhard Mann. Ein übles Machwerk, reinstes Denunziantentum. Dazu bringt das Magazin nicht die Konterfeis der Herausgeber, sondern die von Nolte und Zitelmann, um die denunziatorische Schlagzahl zu erhöhen. Botho Strauß wird als weltfremder Waldgänger der Uckermark präsentiert. Aus meinem Schmerz-Beitrag zitierte der »Anbräuner«, wie EJ solche Leute nennt, den Satz über das Zerreißen der Föten bei der Abtreibung. Tenor: »Flut bräunlicher Prosa«. Nun wollen Herbert Kremp (Die Welt), Rupert Scholz (Rheinischer Merkur) und Stephan Sattler (Focus) antworten. […]
Berlin-Steglitz, 24. Oktober 1994 – – […] Man scheitert nicht umsonst. Das Abenteuer des Politischen ist beendet, bevor es richtig begonnen hat. Diese Paria-Erfahrung war wichtig, weil sie vieles zurechtrückte, vor allem das Heimatlose und damit Bedrohte unserer gesellschaftlichen Existenz freilegte. Man kann nicht gegen die ganze Welt antreten. Selbst ein Martin Luther verhielt sich taktisch, um ans Ziel zu kommen. Und er hatte die Tendenzen der Epoche auf seiner Seite. Wir haben nur unsere Unbedingtheit, die in dieser notorischen Kompromißgesellschaft zum Scheitern verurteilt. Auch wenn wir noch immer fest daran glauben, daß uns die Geschichte am Ende recht geben wird. In all den Kämpfen bin ich Astrid wieder näher gekommen und dankbar für die Treue, mit der sie alles begleitete. […]
Berlin-Steglitz, 17. November 1994 – – Heute Telefonate mit Martin Walser und Steffen Heitmann. Walser hat unser Buch erhalten und sich an Ernst Noltes Essay festgelesen. Dessen Links-rechts-Kausalität (»rechts reagiert auf links«) er für »hirnrissig« erklärte. Er befürchtet, im Falle seiner Mitwirkung an der zweiten Auflage attackiert zu werden, das wolle er sich nicht noch einmal antun. Er sorge schon selbst, sagte er sarkastisch, für die Provokationen. Erklärte ihm, daß seine Kategorisierung unseres Bandes als »rechts« genau das repetiere, was die PC-Medien mit seinen eigenen Texten veranstalteten. Nach längerem Disput räumte er ein, daß wir »im selben Boot« säßen, verwies aber auf einen Brief, den er an mich abgeschickt und in dem er seine Position dargelegt habe. Ich solle ihn am Wochenende erneut anrufen. Steffen Heitmann, einstiger Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten, sagte sofort zu, seinen FAZ-Beitrag in unserem Band abzudrucken. […]
Berlin-Steglitz, 24. November 1994 – – Heute die Fahnen mit den Korrekturen für die zweite Auflage abgegeben. Rund 5000 Exemplare des Bandes sind laut Verlag nach zwei Monaten verkauft – trotz oder gerade wegen des üblen Medien-Echos. […]
Berlin, 16. Februar 1995 – – Hinter mir liegen zahlreiche TV- und Rundfunkgespräche; darunter ein Panorama-Auftritt sowie eine Talkshow beim Sender N3 mit Peter Merseburger, Arnulf Baring, Claus Leggewie, Guido Westerwelle und Wolfgang Templin. Dazu Interviews mit Reportern von Le Monde und L’Express. Im Ausland sieht man unsere Arbeit viel gelassener, ja wünscht sich geradezu ein größeres Selbstbewußtsein der Deutschen, die allzu lange in ihre Geschichte verstrickt blieben und damit als Akteure ausfielen. Bei allen Gesprächen ging es um die Doppelveröffentlichung der Selbstbewußten Nation und der Jünger-Festschrift, die als taktisch eingeschätzt wird. Das stellt sich natürlich, schaut man auf die Wirkung, durchaus so dar, aber es sind ja auch Ereignisse wie die Debatte um den »Anschwellenden Bocksgesang« und vor allem der 100. Geburtstag Ernst Jüngers, die hier die Terminlage bestimmten. Die Linke interpretiert diese Koinzidenz als Diskursstrategie der »Neuen Rechten«, um, im Sinne von Antonio Gramsci, die Meinungsführerschaft zu übernehmen. Das gefällt Rainer Zitelmann, dem es vor allem um maximales Getöse und den eigenen Auftritt geht.
Das Triumvirat Schacht / Schwilk / Zitelmann ist eigentlich eine Mär von interessierter Seite, um uns als Verschwörer zu diskreditieren. Uns, den Herausgebern der Selbstbewußten Nation, also Ulrich und mir, geht es um Normalisierung, um die Anerkennung der neuen Lage nach 1989. »Selbstbewußtsein«, das schreiben wir im Vorwort, »formiert sich nicht gegen andere, sondern formt sich auf sich selbst hin. Ohne Selbstvertrauen jedoch ist solch ein Prozeß nicht wirklich möglich«. Dann folgt der Satz, der von den Denunzianten, die dem Band und seinen Autoren Revisionismus vorwerfen, durchweg überlesen wird: »Das deutsche Selbstvertrauen aber ist gebrochen. Dafür gibt es bösen Grund. Jedes Nachdenken über deutsche Identität muß sich dieses bösen Grundes – als temporärer, nicht dauernder deutscher Selbstverfehlung – bewußt sein.« […]
Berlin, 19. Mai 1995 – – Wochen voller Turbulenzen, keine Atempause, um Tagebuch zu führen. Die Initiative 8. Mai 1945 beanspruchte alle Kräfte. Diesmal arbeitete die ganze Familie mit. Astrid organisierte den Briefversand, Timo und Lina tüteten Einladungen ein, klebten Briefmarken. 6000 Briefe wurden versandt, 700 Briefe mit Eintrittskarten für die geplante Großveranstaltung in der Münchner Philharmonie – und, nach den Interventionen von Kohl und Waigel, 700 Absagen.
Der Aufruf »8. Mai 1945 – Gegen das Vergessen« erschien als Anzeige erstmals am 7. April auf Seite 3 der FAZ. Ich hatte ihn zusammen mit Ulrich und Rainer Zitelmann formuliert. Wir nutzten ein Heuss-Zitat, um den undifferenzierten öffentlichen Umgang mit dem Kapitulationsdatum zu attackieren:
Im Grunde genommen bleibt dieser 8. Mai 1945 die tragischste und fragwürdigste Paradoxie für jeden von uns. Warum denn? Weil wir erlöst und vernichtet in einem gewesen sind.«
Daran knüpften wir unsere Kritik:
Die Paradoxie des 8. Mai, die der erste Präsident unserer Republik, Theodor Heuss, so treffend charakterisierte, tritt zunehmend in den Hintergrund. Einseitig wird der 8. Mai von Medien und Politikern als ›Befreiung‹ charakterisiert. Dabei droht in Vergessenheit zu geraten, daß dieser Tag nicht nur das Ende der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft bedeutete, sondern auch den Beginn von Vertreibungsterror und neuer Unterdrückung im Osten und den Beginn der Teilung unseres Landes. Ein Geschichtsbild, das diese Wahrheiten verschweigt, verdrängt oder relativiert, kann nicht Grundlage für das Selbstverständnis einer selbstbewußten Nation sein, die wir Deutschen in der europäischen Völkerfamilie werden müssen, um vergleichbare Katastrophen künftig auszuschließen.
Weitere Anzeigen in den großen deutschen Blättern folgten und lösten ein gewaltiges Echo aus. Es unterschrieben u. a. der Ehrenvorsitzende der CDU Alfred Dregger, der frühere Bundesminister Hans Apel von der SPD, die CSU-Politiker Dieter Spranger und Friedrich Zimmermann sowie Peter Gauweiler und der einstige bayerische FDP-Vorsitzende (und jetzige Chef des Bundes Freier Bürger) Manfred Brunner. Um dem positiven Echo eine Bühne zu bieten, luden wir Mitglieder der Union und sämtliche konservativen Köpfe des Landes nach München ein. Dort sollte eine Gegenveranstaltung zu der von Bundeskanzler Kohl im Konzerthaus am Gendarmenmarkt in Berlin geplanten Feier stattfinden.
Um die Details der Münchner Veranstaltung zu besprechen, lud Alfred Dregger uns in sein Bundestagsbüro nach Bonn ein. Rainer Zitelmann führte das große Wort, was Ulrich verärgerte. Die beiden sind sich spinnefeind. Wir vereinbarten, daß Dregger die Hauptrede hält, Ulrich als DDR-Widerstandskämpfer unsere Position darlegt. Auf der Bühne der Philharmonie sollten dann Ernst Nolte, Manfred Brunner, Ulrich Schacht, Rainer Zitelmann und ich über die historischen Hintergründe bzw. die gesellschaftspolitische Bedeutung des 8. Mai diskutieren.
Am Ende stießen wir mit Sekt auf das Gelingen der Münchner Veranstaltung an. Dregger sagte: »Meine Herren, es ist gut, daß es Sie gibt!« Nur zehn Tage später, am 27. April, fiel er um, nachdem er uns Bedingungen für seinen Redner-Auftritt – unter anderem die Absage des Podiums – hatte diktieren wollen.
Davor führte ich zahlreiche Telefonate mit ihm und seiner persönlichen Referentin. Die Gespräche zeigten, wie abhängig der sogenannte Rechtsaußen der Union, von seinen Verehrern wegen seines forschen Auftretens »Django« genannt, von Helmut Kohl ist. Vor nichts scheint er mehr Angst zu haben als vor der Ausgrenzung. Am Telefon jammerte er: »Ich bin in meiner Partei völlig isoliert.« Er erwartete wohl, daß ich mich aus Mitleid umstimmen lasse, was natürlich völlig abwegig war. Wir waren ja die Veranstalter, und der Gast-Redner kann nicht – nachträglich! – die Agenda bestimmen.
Dregger hatte Helmut Kohl nichts entgegenzusetzen. Kohl wollte als »Kanzler der Einheit« unbedingt den großen Auftritt in Berlin und hatte dazu auch Gorbatschow geladen. Leider fiel auch Gauweiler um, der sich um unseren Auftritt in der Münchner Philharmonie gekümmert und das Haus angemietet hatte. Er knickte letztlich vor dem CSU-Vorsitzenden Theodor Waigel ein. Der versuchte die bayerische Veranstaltung im Sinne seines Meisters zu verhindern. Erika Steinbach sagte mir nach dem 8. Mai, Dregger sei nun sehr depressiv und beklage unsere Hartnäckigkeit, die er vollkommen unterschätzt habe. Wir nennen das Moral.
In den zurückliegenden Wochen gab ich unzählige Interviews, viele auf englisch: BBC, ABC etc. Zwei TV-Interviews fanden am Gendarmenmarkt und vor dem Brandenburger Tor statt. Wenige Tage vor dem 8. Mai kam ein ABC-Reporter (Europa-Korrespondent des Senders) extra aus London, um mit mir ein Gespräch zu führen. Es wurde in der besten Sendezeit – 18.30 Uhr – in den USA ausgestrahlt.
Inzwischen liegt uns ein dicker Pressespiegel zum 8. Mai vor, der dokumentiert, was für ein kontroverses Echo unsere Aktion ausgelöst hat. Trotz der »von oben« verfügten Münchner Absage, die viele Sympathisanten (und Unionsleute) enttäuschte, entschieden wir, eine Alternativveranstaltung auf dem Hambacher Schloß zu organisieren. Dort hielt Ulrich seine, auch rhetorisch, großartige Rede (»Das Maß der Erschütterung«). Die Zuhörer hielt es nicht auf den Sitzen, tosender Applaus, der auch unserem Durchhaltewillen galt – trotz des übermächtigen Gegenwindes aus dem Kanzleramt.
Ich moderierte anschließend eine zweistündige Podiumsdiskussion zum Thema Aufbruch und Erneuerung. Leider hatte Alfred Jebens, Vorsitzender der Hans Filbinger-Stiftung, Spiegel-TV und die Zeit ausgeladen, so daß nur die Regionalpresse berichtete. Bei der Pressearbeit sollte man nicht nach ideologischen Kriterien verfahren, sondern ausschließlich nach der Wirkung. Nichts ist schlimmer als die Nicht-Berichterstattung. Das weiß jeder Autor, der einmal erlebt hat, daß sein Buch nicht schlecht, sondern gar nicht besprochen wurde. […]
Kaufte einen Extra-PC nebst Faxgerät für das Organisatorische. Beides ist nützlich, wenn wir jetzt darangehen, unseren Verein »Arbeit für Deutschland« aufzubauen – Vorstufe für eine mögliche Partei mit dem Namen »Allianz für Deutschland«, Kürzel AfD.
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Heimo Schwilk: Mein abenteuerliches Herz I (hier einsehen und bestellen)
t.gygax
Sehr gut, daß sezession hier diese Berichte bringt. Es ist auch heute noch von Interesse, dergleichen zu lesen...und gleichzeitig ein trauriges Lehrstück über Feigheit, Anpassung , Unterwerfung und Gleichschaltung. Nebenbei: warum die JF und andere den m.E. etwas schwächlichen Schriftsteller Rolf Hochhuth ( literarisch gesehen) immer als absolute Vorzeigeperson präsentierten, ist mir schon damals als JF -Leser nie klargeworden. Der Hochhuth konnte nur eines richtig gut: Geld aus den NS-Versatzstücken ( Der Stellvertreter/ Eine Liebe in Deutschland/ und ähnliches Zeug.....) machen und mißliebige Leute denunzieren, bekanntestes Beispiel die Filbinger-Affäre 1976 in Baden-Württemberg. Mir war Filbinger nie sympathisch, aber wie er erledigt wurde, das war schon mehr als bösartig.