Paranoia, Hysterie, Vernunft

von Sophie Liebnitz -- PDF der Druckfassung aus Sezession 107/ April 2022

 Druckausgabe

Beitrag aus der Druckausgabe der Sezession. Abonnieren Sie!

Kein Geheim­nis, daß der woke Anti­ras­sis­mus dazu ten­diert, sich selbst auf­zu­he­ben und in For­men der Dis­kri­mi­nie­rung zu mün­den, die dann durch­aus als ras­sis­tisch ver­stan­den wer­den kön­nen. Trotz­dem ist das Gebäu­de, gestützt durch den Kom­plex von Medi­en und links­li­be­ra­ler Poli­tik, bis­lang unge­ach­tet sei­nes kon­tra­fak­ti­schen Cha­rak­ters nicht in sich zusammengestürzt.

Das könn­te sich mög­li­cher­wei­se ändern, denn es knirscht aus zwei Grün­den im Gebälk. Auf der einen Sei­te wächst die Zahl kri­ti­scher Stim­men, die nicht mehr bereit sind, sich mit einer inqui­si­to­ri­schen Lösch­kul­tur abzu­fin­den – wohl auch, weil sie erkannt haben, daß jeder jeder­zeit auf der Abschuß­lis­te lan­den kann. Auf der ande­ren Sei­te stei­gert sich die Absur­di­tät der erwach­ten Scho­las­tik in der­art schwin­deln­de Höhen, daß es auch Gläu­bi­ge irgend­wann abschre­cken muß.

Ein Bei­spiel für letz­te­re Ten­denz ist das neue Buch von Frank B. Wil­der­son III: Afro­pes­si­mis­mus (Ber­lin: Matthes & Seitz 2021. 415 S., 28 €). Der Autor ent­stammt einer schwar­zen Mit­tel­klas­se-Aka­de­mi­ker­fa­mi­lie, sein Vater lehr­te an ange­se­he­nen Uni­ver­si­tä­ten wie Ann Arbor und Ber­ke­ley. Er selbst ist Pro­fes­sor für Afro Ame­ri­can Stu­dies sowie Insti­tuts­vor­stand an der Uni­ver­si­ty of Cali­for­nia, Irvi­ne, und aus­ge­zeich­ne­ter Autor. Das muß man wis­sen, um den Rea­li­täts­ge­halt die­ser eigen­ar­ti­gen Mischung aus Memoi­ren (es geht viel um Erin­ne­run­gen, die aller­dings in Form unver­bun­de­ner Bruch­stü­cke auf­tau­chen und selt­sam leer im Raum des Erzähl­ten hän­gen) und schlag­wort­ar­ti­ger Theo­rie­bil­dung ein­schät­zen zu können.

Deren Anspruch ist jeden­falls beacht­lich: Das Buch soll eine »Meta­theo­rie« bil­den, die mehr oder weni­ger alle lin­ken Para­dig­men (Mar­xis­mus, Post­ko­lo­nia­lis­mus, Psy­cho­ana­ly­se, Femi­nis­mus), durch die »Interpretations­linse« der »Black­ness« bli­ckend, kri­ti­sie­ren möch­te, und zwar »auf einer höhe­ren Abs­trak­ti­ons­ebe­ne als die Dis­kur­se und Theo­rien, die sie hinterfragt.«

Von die­ser Ankün­di­gung bleibt im Lau­fe des Buches nichts übrig. Ich mei­de gewöhn­lich das belieb­tes­te (und womög­lich häß­lichs­te) Adjek­tiv des Main­stream-Jour­na­lis­mus, näm­lich »kru­de«, aber zu Aus­sa­gen wie die­ser fällt mir nichts ande­res ein: »Für sei­ne Exis­tenz und für sei­nen Zusam­men­halt ist das Leben der Mensch­heit vom Tod der Schwar­zen abhän­gig. Black­ness und Slaven­ess, das Schwarz­sein und das Skla­ve­sein, die ›Skla­vigkeit‹ sind der­ar­tig untrenn­bar mit­ein­an­der ver­schlun­gen, daß Skla­ve­sein zwar von Schwarz­sein getrennt wer­den kann, Schwarz­sein aber nie­mals als etwas ande­res exis­tie­ren kann denn als Skla­ve­sein.« An ande­rer Stel­le bezeich­net er die Exis­tenz der Schwar­zen als sozia­len Tod; sie bil­den die ein­zi­ge, gewis­ser­ma­ßen »nicht exis­ten­te« gesell­schaft­li­che Gruppe.

Wil­der­son III sichert damit »den Schwar­zen« (unge­ach­tet der enor­men Bin­nen­dif­fe­ren­zen in die­ser Grup­pe) die Posi­ti­on des welt­his­to­ri­schen Opfers schlecht­hin, eine durch nichts zu über­bie­ten­de und nie­mals erlö­schen­de Opfer­rol­le. Es fällt ins Auge, daß die­ser Anspruch auf eine welt­his­to­risch ein­ma­li­ge Rol­le die Erwählt­heits­rhe­to­rik des wei­ßen Ame­ri­ka spie­gelt. Es ist offen­bar ein Ver­such, die tat­säch­li­che Objek­ti­fi­zie­rung im Kolo­nia­lis­mus durch den Sta­tus eines abso­lu­ten Sub­jekts zu kom­pen­sie­ren, wie es das Pro­le­ta­ri­at für den Mar­xis­mus und die Mensch­heit für huma­nis­ti­sche Dok­tri­nen darstellt.

Mit die­ser Sin­gu­la­ri­täts­ideo­lo­gie lehnt der Autor jede Ver­gleich­bar­keit mit den Erfah­run­gen ande­rer ver­meint­lich oder tat­säch­lich mar­gi­na­li­sier­ter Grup­pen ab. So ent­hält das Werk Epi­so­den, die eine unüber­brück­ba­re Distanz zu Nati­ve Ame­ri­cans, Paläs­ti­nen­sern und Ame­ri­ka­nern asia­ti­scher Her­kunft mar­kie­ren sol­len, die der selbst Hoch­emp­find­li­che umstands­los als eine Art Unter­drück­ter zwei­ter Klas­se begreift. Die hoch­gra­dig ima­gi­nä­re Ein­schät­zung der eige­nen Posi­ti­on wird dabei an vie­len Stel­len deut­lich: Etwa schil­dert er den Kon­flikt mit einer wei­ßen Nach­ba­rin, der dazu führt, daß sei­ne dama­li­ge Freun­din und er besag­te Nach­ba­rin ver­däch­ti­gen, sie mit radio­ak­ti­vem Mate­ri­al ver­gif­ten zu wollen.

Die­ses Motiv zeigt in einer Nuß­scha­le die Para­noia, die das gan­ze Werk kenn­zeich­net. Lesens­wert ist es den­noch: wegen sei­ner plas­ti­schen Spra­che und weil es die Erkennt­nis ver­mit­telt, in wel­che aggres­si­ons­stei­gern­den Wahn­wel­ten Idea­li­sie­rung und Selbst­idealisierung von Min­der­hei­ten füh­ren kön­nen. Das Buch ist übri­gens neben ande­ren Win­nie ­Man­de­la gewidmet.

Ganz anders gela­gert ist die Neu­erschei­nung des eben­falls schwar­zen Lin­gu­is­ten, Kom­pa­ra­tis­ten und Musik­his­to­ri­kers John ­McW­horter, Die Erwähl­ten. Wie der neue Anti­ras­sis­mus die Gesell­schaft spal­tet (Ham­burg: Hoff­mann und Cam­pe 2022. 255 S., 23 €), der die­se Fächer als Pro­fes­sor an der Colum­bia Uni­ver­si­ty in New York lehrt. Um es vor­weg­zu­neh­men: Er hat ein pfif­fi­ges, klar struk­tu­rier­tes Buch geschrie­ben, das sein The­ma ohne Ver­harm­lo­sung und ohne rhe­to­ri­sche Blend­gra­na­ten sou­ve­rän durch­ex­er­ziert und damit eine Nadel in den Bal­lon woker Hys­te­rie sticht. Im deut­schen Sprach­raum wäre eine der­art trans­pa­ren­te, gut les­ba­re und geer­de­te Abhand­lung für einen Aka­de­mi­ker nach­ge­ra­de rufschädigend.

McW­horter stellt sei­ne Unter­su­chung ­unter die lei­ten­de Fra­ge nach dem Scha­den, den der »woke racism« gera­de für schwar­ze Men­schen mit sich bringt. Das ist eine stra­te­gisch sehr geschick­te Ent­schei­dung. Abge­han­delt wer­den die Fra­gen, wer die neu­en Woken sind, was ihre »Reli­gi­on« so attrak­tiv macht, wie sich ihr Ein­fluß mini­mie­ren lie­ße und wel­che Stra­te­gien dem Fort­kom­men schwar­zer Ame­ri­ka­ner wirk­lich dien­lich wären.

»Die Cri­ti­cal Race Theo­ry (CRT) ist die Wur­zel der heu­te weit ver­brei­te­ten, sinn­los-mani­pu­la­ti­ven Vor­stel­lung, daß ein schwar­zer Mensch, der behaup­tet, Ras­sis­mus erlebt zu haben, auto­ma­tisch recht hat, ein­fach weil er schwarz ist und vor dem Hin­ter­grund ›sei­ner Erfah­rung‹ spricht.« Es rich­tet sich damit unmiß­ver­ständ­lich gegen Wil­der­son und ande­re Rhap­so­den eines in Gra­nit gemei­ßel­ten Opferstatus.

Skur­ri­les Detail: McW­horters durch und durch ver­nünf­ti­ge Per­spek­ti­ve wird durch die Über­set­ze­rin oder das Lek­to­rat kon­ter­ka­riert, indem das Adjek­tiv »schwarz« grund­sätz­lich groß­ge­schrie­ben wird, »weiß« hin­ge­gen nicht, eine Pra­xis, die auch in Afro­pes­si­mis­mus gepflegt wird. Der Ver­lag bedient sich damit einer ver­meint­lich anti­ras­sis­ti­schen Kon­ven­ti­on, die genau den Vor­stel­lun­gen folgt, die der Ver­fas­ser ein gan­zes Buch hin­durch freund­lich, aber vehe­ment kri­ti­siert. Ob ihnen auf­ge­fal­len ist, daß sie sich damit über den Autor stel­len, der ja nach der die­ser Schrei­bung zugrun­de­lie­gen­den Logik, über die er sich aus­gie­big lus­tig macht, ein Berufs­op­fer sein müß­te, dem nicht wider­spro­chen wer­den darf?

Eine ent­schei­den­de Schwach­stel­le des ­Buches ist der Ver­such, Wokeism als eine Reli­gi­on zu defi­nie­ren. Die Argu­men­te dafür blei­ben ent­spre­chend wenig über­zeu­gend und blaß und tra­gen zur Klä­rung des Phä­no­mens kaum bei. Sehr wohl wei­ter­füh­rend ist dage­gen der Hin­weis, daß die CRT ihren Ursprung in der Dekon­struk­ti­on habe, deren grund­sätz­li­ches Unter­lau­fen wahr­heits­fä­hi­ger Aus­sa­gen sie über­nimmt und bis ins Absur­de ver­grö­bert, was dazu führt, selbst kras­se Wider­sprüch­lich­keit nicht mehr als Man­ko einer Theo­rie zu begreifen.

Aber Wider­sprü­che sind ja das eigent­li­che Lebens­eli­xier der CRT, die jedem Anspruch auf logi­sche Kohä­renz abge­schwo­ren hat und dies auch betont, indem Logik und Strin­genz als Marot­te wei­ßer Eth­no­zen­tris­ten ange­pran­gert wer­den. McW­horter führt eine gan­ze Lis­te sich wider­spre­chen­der Gebo­te und Glau­bens­sät­ze auf, die erkenn­bar nur dem Zweck die­nen, jeg­li­che Hand­lung oder Unter­las­sung einer wei­ßen Per­son als ras­sis­tisch daste­hen zu las­sen. Die­ses geziel­te Ein­set­zen einer Dou­ble-Bind-Stra­te­gie ist jedem, der sich mit dem The­men­kom­plex befaßt hat, wohl­be­kannt und wirft die Fra­ge auf, wie irgend jemand, der nicht unmit­tel­bar von die­sem Jon­glie­ren mit Wider­sprü­chen pro­fi­tiert, sich über­haupt jemals davon blen­den las­sen kann.

McW­horter bie­tet ver­schie­de­ne Erklä­run­gen dafür an, die – wie die Aller­welts­be­grün­dun­gen »Kom­ple­xi­täts­re­duk­ti­on« oder Kon­for­mi­täts­be­dürf­nis – letzt­lich alle unbe­frie­di­gend sind, was dem Autor nicht anzu­las­ten ist: Es bleibt ein irra­tio­na­ler Rest, der sich nicht auf­lö­sen läßt. So ist der Erfolg der angeb­lich »anti­ras­sis­ti­schen« Dok­tri­nen zum Bei­spiel durch den Wunsch nach Anpas­sung nicht zu erklä­ren, da es sich ja ursprüng­lich um die Mei­nung einer klei­nen sek­tie­re­ri­schen Min­der­heit gehan­delt hat, der es umge­kehrt gelun­gen ist, die öffent­li­che Mei­nung an ihre Bedürf­nis­se anzu­pas­sen. Oder doch eher die veröffentlichte?

McW­horter schil­dert jeden­falls glaub­wür­dig, daß er Unmen­gen von Zuschrif­ten erhal­ten habe »von Leu­ten, die über den neu­en Ein­fluß der Erwähl­ten genau­so ent­setzt sind wie ich.« Daß er wegen sei­ner kri­ti­schen Pod­casts aus­ge­rech­net von der hyper­li­be­ra­len New York Times als Kolum­nist unter Ver­trag genom­men wur­de, die noch 2020 eine Kri­ti­ke­rin die­ser Ideo­lo­gie her­aus­ge­ekelt hat­te (Bari Weiss hat­te es damals vor­ge­zo­gen zu kün­di­gen), läßt hof­fen, daß die Wel­le der Woke­ness in abseh­ba­rer Zeit bricht.

 

 Druckausgabe

Beitrag aus der Druckausgabe der Sezession. Abonnieren Sie!

Nichts schreibt sich
von allein!

Das Blog der Zeitschrift Sezession ist die wichtigste rechtsintellektuelle Stimme im Netz. Es lebt vom Fleiß, von der Lesewut und von der Sprachkraft seiner Autoren. Wenn Sie diesen Federn Zeit und Ruhe verschaffen möchten, können Sie das mit einem Betrag Ihrer Wahl tun.

Sezession
DE58 8005 3762 1894 1405 98
NOLADE21HAL

Kommentare (0)